Moosbrugger will nichts von sich wissen

(Ist das jetzt ein Monolog oder was? Keine Ahnung!)

Ich möchte jetzt bitte sofort ein Verbrechen aufarbeiten, irgendeins, es kann ruhig auch ein nationalsozialistisches sein, aber nein, das sind so viele, da kann ich mich nicht entscheiden, welches ich nehme! Die Verbrechen sollen ohnehin ruhig bleiben, zumindest während sie begangen werden, sie sind ja keine Autobahnbrücken, über die endlos Verkehr, egal wie schwer, egal was es uns kostet, rollen könnte, sie sind zart und anfällig, und dasselbe wird auch vom Fleisch berichtet, das sich ergibt oder auch nicht, so wie sich einer der Trunksucht ergibt. Deshalb sucht das Verbrechen so gern das Fleisch, die beiden gehören irgendwie zusammen. Nachher: Lärm möglich, ja erwünscht! Obwohl das Individuum wenig zählt, nicht einmal bis drei, hängen die Menschen immer einer Ordnung an, die ihnen aber jederzeit zum Verhängnis werden kann, viel mehr als ich es je könnte. Jedes Opfer ist nicht nur Opfer, es arbeitet mit dem mit, der es zum Opfer macht. Auf welche Weise wird ein Individuum zu einem solchen, nein, nicht zu einem Opfer, zu einem Individuum, das genügt schon, wie kann es aus dem Steinbruch des Kollektivs herausgemeisselt und gleichzeitig geborgen werden, sich trügerisch geborgen zumindest fühlen? Und wie entsteht das Kollektiv überhaupt, in einer Zusammenhäufung von Menschen, die nicht willkürlich ist, sondern unter eine einigende Idee gestellt? Es bedarf nur einiger kleiner Eingriffe, es bedarf keines Messers, nicht einmal eines 12 cm kleinen, um etwas wahr sein zu lassen wie sein eigenes Gegenteil auch. Die Gesellschaft verkehrt alles ins Gegenteil, durch einen winzigen Schnitt, denn sie hält ja auch alles zusammen, so wie die Anhänger einer kollektiven Ordnung, egal welcher, die Ordnung selbst am Leben erhalten. Sie werden zur Ordnung, sie sind die Ordnung, und sie sagen, was in Ordnung ist und was nicht. Jetzt brauchen wir nur noch Zeit, um das alles auszuführen, was ich Ihnen sage. Bei manchen von Ihnen wird die Zeit überhaupt nichts bewirken, sie werden einfach nur träge herumlungern und warten, wer weiß auf was. Sie wissen es ja selbst nicht. Andre wieder haben nicht die Kraft, sich die Zeit zu vertreiben und werden von ihr vertrieben, ins Nichts, und ihr Leben führt zu nichts und nirgendwohin. Was geschehen wird, hält um ihretwillen nicht an, damit sie es vollbringen und in aller Ruhe die Tat begehen können. Die Leere muß in einem Menschen schwingen können wie eine Glocke ohne Klöppel, das ist dann der richtige Wartesaalbefund, der sich ergibt, wenn man einfach da ist und nicht wo anders und auch nicht überhaupt weg. Will man zu einem immer erwarteten Zeitpunkt, wann kommt er endlich?, eine Tat begehen, muß man lange an sich halten können, man muß sich in sich selbst aufheben können und dann rechtzeitig mit einem lauten Krach fallen lassen, denn man kann nicht einfach jede Sekunde, die über einen kommt, zu dieser Tat hinschreiten. Man muß schon da sein, wenn die Tat einen lockt. Oder: Der Täter muß warten, bis die Tat auf ihn zuschreitet und im richtigen Moment die Tat sich zu eigen machen, in die Tat entschlossen einsteigen; in der Tat, jetzt frage ich mich: Hält das Leben solange den Atem an, bis die Tat begangen ist, oder wird die Tat begangen, damit das Leben endlich stehenbleibt, mit Gewalt, da es das ja freiwillig nicht tun will? Hält das Leben gezwungenermaßen inne, damit wir Halt in ihm finden? Suchen wir Halt wie ein Kletterer und zwingen das Leben gewaltsam zum Stillstand, damit wir nicht abstürzen? Erkennen wir in dem Augenblick, da wir das fremde Leben entern, es aufhalten, hineinspringen wie in einen Zug, der nur ganz kurz hält, erkennen wir in diesem Augenblick, daß es gar nicht das Leben war, in das wir hineingesprungen sind, sondern der Tod? Oder halten wir den Zug des Lebens gewaltsam an, indem wir uns ihm entgegenwerfen, nur damit nicht wir warten müssen, damit der Zug auf uns wartet und nicht umgekehrt wir auf ihn? Damit wir das Leben umdrehen können? Ich sehe das jetzt noch nicht kommen, daß wir freiwillig auf irgendetwas warten würden.

Nichts Frischeres ist in diesen Kühlregalen zu finden als das Sperma, diese dummen, aber man kann nicht sagen: kopflosen „Samentierchen“, sie sollen leben hoch und aufsteigen noch höher, von mir aus, mich stören sie nicht, aber in diesem Fall finden wir überhaupt keine, so sehr wir auch suchen und so sehr uns Grausamkeit beim Geschlechtsakt prinzipiell entsetzt. Oder aber die Grausamkeit muß umgekehrt den armen Geschlechtsakt, der auch einmal rangenommen werden möchte, gleich ganz ersetzen. Nun, in diesem Fall lassen wir die Grausamkeit hier, den Geschlechtsakt nehmen wir weg. Den brauchen wir jetzt nicht. Wer braucht den schon? Benützen die Menschen einander nicht oft genug? Müssen sie auch noch ineinander hineinkriechen? Bitte, ich werde als ruhiger und besonnener Mensch geschildert, aber irgendwann ist mir dieses Schild heruntergefallen, ich nagle und nagle, aber was ich da annagle, das ist nicht dieses Gemütlichkeitsschild über dem Einkehrgasthaus, das mir meine Pension sichern soll. Mein Beruf: Fremder, der in sich ruht und die Ruhensbestimmungen achtet, sonst aber nichts. Da ist plötzlich das Wirbeln  der Unruhe, das ist der Rock dieser Frau, wie ich leider angeben muß. Ich muß dieses Wirbeln irgendwie stillen, der Rock soll endlich Ruhe geben! Es ist darauf hinzuweisen, daß ich den Unterrock vorn mit einem langen Schnitt durchtrennt, daß ich das Hemd des Opfers an der Seite aufgetrennt habe, ein Vorgehen, das dazu bestimmt ist, Körperteile bloßzulegen, die niemand gern freiwillig herzeigt. Dann mit dem Messer bearbeiten, das Arbeiten bin ich seit frühester Jugend ja gewöhnt, obwohl ich ihm gegenüber manchmal etwas scheu war. Aber diesmal mache ich mich ans Werk und führe auch zu Ende, was ich mir vorgenommen habe, nein, ich gehe darüber hinaus und mache Fleißaufgaben. Wie wäre es sonst zu erklären, daß es dazu kommt, daß ich die beiden Brüste mit einem mächtigen Schnitt, den mir niemand zugetraut hätte, der ihn gesehen hat, zu umschneiden und so von ihrer Unterlage abzupräparieren fähig war? Da, die Wäsche des Individuums können Sie von mir aus nachher haben, die brauche ich nicht mehr, die hat ihren Dienst getan, am Opfer wie an mir. Finden wir in ihr nun frisches Sperma, ja oder nein?  Sie werden sehen: nein. Der Mörder hat den Scheidenschleim gescheut, er hat die ganze Frau umschnitten wie man eine Ausschneidepuppe umschneidet, aber normalerweise um sie zu bekleiden, nicht um sie auszuziehen,  und er hat seine Spermatozoen bei sich selbst abgelagert, werden Sie sagen, na, irgendwo müssen sie ja sein, er hat sie abgelagert auf dem Misthaufen, der er selber ist. Aber das bin ich nicht. Ich bin nicht ich selber. Und ich bin nicht Dreck. Ich kann nicht ich selber gewesen sein, als ich das tat. Es ist ein Mißverständnis. Ich habe einmal, als eine Bekannte sich in einer unmöglichen Situation befand, in der sie sich das Kleid zerrissen hatte, mit Nägeln, schließlich bin ich Jesus, der Zimmermann, ach so, das war der Vater, na, meinen kenne ich nicht, sage ich halt Jesus, also da hab ich der Bekannten mit so Nägeln, ganz normalen Nägeln, die Risse im Kleid wieder zusammengenagelt. Es ist von mir nicht zu verlangen, daß ich mit Nadel und Faden umgehen kann. Und so finden wir sie nicht mehr, die lieben Samentierchen, denn der Täter hat zur Stillung seine eigene Unterhose benutzt. Das haben Sie sich so gedacht, was. Aber wo ist sie, die Unterhose? Können Sie die beibringen? Die können Sie so wenig beibringen wie sie mir etwas beibringen könnten! Ich beeidige, daß meine Wäsche, wenn man die so nennen kann, die Fetzen, daß meine Wäsche nach meiner Verhaftung in dieser Richtung nie untersucht worden ist. Diese Untersuchung ist von uns, der gesunden gerechten Menschheit, nicht durchgeführt worden. Wir haben das Opfer untersucht, aber wir haben den Täter nicht untersucht, was vernünftiger gewesen wäre, letzteres. Was ist der letzte, der einzige Ausweg aus der Erektion des Mannes, wenn dieser keine Lust mehr hat, sich selbst zu verlängern? Er stückelt etwas an sich an, anstatt Röcke zusammenzunageln. Was er tut, tut er für sich und an sich. Wenn er geschlechtlich versagt, dann muß er sich selber abbauen, und die Einbahnstraße, die sich ihm öffnet, heißt dann Tod. Alle andren Abzweigungen hat er schon verpaßt. Wer immer will, der findet auch immer ein verzweifeltes Scheusal wie dieses hier, das er bis zum äußersten hassen kann, und das sich trotzdem ausgerechnet jemand wie ihm öffnet. Immer noch. Das Opfer beleidigt diesen Mann dadurch, daß es da ist. Ach, wäre es doch wo anders! Egal, dann ist eben ein andres Opfer da: Der Schwanz ist ein Vorfall, nein, er ist der Fall, er ist alles, was der Fall ist, er zeigt einmal aufwärts und einmal abwärts, nehmen wir mal an: in diesem Fall leider abwärts, egal ob vorher was war oder nicht, und der Täter will sich mit dem Mord hinaufreissen, aus sich selbst heraus. Ist man ein  Mörder, reißt einen die Lust wieder aus dem Sattel auf dem hohen Roß, auf das man sich gesetzt hat, damit man auf das Opfer hinunterschauen kann. Der Mörder wollte sich Nachdruck verleihen, aber es borgt ihm keiner was, er  kontfontiert sich also - da ist ja sonst nichts mehr - entschlossen mit dem Tod, das ist die Garage, in die er hineinwill, egal, ob im Rückwärtsgang oder vorwärts. Der Sterbende ist immer der Panzer, der Mörder aber ist es, der darin fährt, und er  fährt gut, geschützt von der Wut, der Angst seines Opfers, die ihm als eine Art Karosserie dienen. Moosbrugger. Mein Ich, das mir der Dichter zuletzt auch noch genommen hat, egal, die Todesstrafe wurde ja auch von mir genommen und anschließend umgewandelt. Obwohl ich, hören Sie zu, das Messer in die Scheide des Opfers, gut, sagen wir halt: der Frau, wenn Sie unbedingt wollen, eingeführt habe und es dann nach hinten bis über das Kreuzbein, das soll mir mal einer nachmachen, hinaufgeführt habe. Zuerst kommt die Einführung, dann wird treulich geführt, egal wohin. Und wenn es einen freundlichen Führer braucht. Sonst sind nämlich wir die Angeführten, merken Sie sich das, wenn der Führer nicht freundlich zu uns ist!

Bei Ihnen würde das sterbende Opfer Verzweiflung, Mitleid, raschestes Hilfseilen bewirken, hoffentlich, beim Mörder wie bei mir: Faszination. Vielleicht ist das Schauen des Opfers wichtiger als das Opfer selbst, das der Täter sich holt und dann bringt, obwohl es ja schon da ist. Er holt sich am Opfer einen runter, damit das Opfer doppelt weg ist, abgeschafft, aber auch der Mörder schafft, indem er sich einen herunterholt, sich selbst ab und fort. Weg mit ihm! Moosbrugger gab einen Dämmerzustand bei der Verübung seiner Taten vor. Er simulierte einen epileptischen Unfall, die Aura eines Anfalls, die der Patient erst einmal kennenlernen muß, es ist sehr schwer, diese Aura zu treffen, meist trifft der Anfall ohne Vorwarnung ein, wie begeistert muß den falschen, ungeduldigen Patienten die Nähe des Todes haben, allerdings natürlich nicht seines eigenen! Es ist nie der eigene Tod, der einen antreibt, es sind die periodisch auftretenden geschlechtlichen Reize, die einen antreiben. Oder gleich der Ehrgeiz, der stärkste Trieb überhaupt. Diesen Trieb können Sie weder mit einem Messer noch mit sonstwas abschneiden, das versichere ich Ihnen! Was muß er simulieren, der Mörder, mein liebes Ich, daß er im Grunde abwesend ist, wenn doch seine Anwesenheit als Mörder so dringend für die Polizei, den Staat und nicht zuletzt das Opfer gebraucht wird? Und der Mörder wiederum ist gerührt von dem Interesse, das ihm zuteil wird vom Akademiker auf Besuch. Der Herr Doktor hat ein echtes Interesse an mir, bitte kommen Sie bald wieder, Herr Doktor, bitte besuchen Sie uns wieder! Bitte kommen Sie, schauen Sie, bewerten Sie, beehren Sie uns! Alles was Sie an mir für epileptisch halten, ist simuliert, auch wenn ich beim Militär echte epileptische Anfälle hatte, aber das ist lange her, und ich kann mich nicht so recht daran erinnern, was übrigens auf jeden anständigen epileptischen Anfall zutrifft.  Nachher weiß man von nichts. Es ist sehr leicht vorzutäuschen, daß man sich an nichts erinnert. Das ist schon oft gemacht worden. Nicht einmal, wenn man mir das Hirn aufstemmte, würde man etwas sehen, das einer Erinnerung auch nur ähnlich schaut. Ich sehe Ihnen doch sofort an, daß Sie an mir Interesse haben! Der Denker, der nie etwas tut, hat an denen, die etwas tun, immer Interesse.  Von meiner Wollust, diesem dumpfen riesenstarken Gefühl, wollen Sie nichts wissen, oder doch?, aber der Weg dorthin interessiert Sie schon irgendwie, gell, Sie Dichter. Was trauen Sie sich nicht hinzuschreiben, daß ich das Kleid des Mädchens selber entzweigeschnitten habe, um es nachher mit Nägeln wieder zusammenheften zu können? Das trauen Sie sich nicht schreiben, gelt. Das was wirklich wahr ist, trauen sich die Dichter nie schreiben. Davor scheuen sie zurück. Vor dem Einfluß des Alkohols scheuen sie nie zurück, aber vor einem nur 12 cm langen Messer, und ein paar Nägeln und vor dem, was man alles daraus basteln kann, scheuen sie zurück, die Dichter, scheuen davor zurück, als müßten sie ein Vogelhaus basteln, als hörten sie schon das Röcheln ihrer Auflagen, ich meine das Röcheln des Opfers, auf das sie sich endlich drauflegen wollen. Sie möchten es nicht wirklich nachmachen, die Dichter, das Morden, dann müßten sie ja nachher das Unrecht des Eingesperrtwerdens ertragen, aber sie möchten sich an mir weiden wie das unschuldigste der Lämmer, und selbst das weidet nicht sich selbst, das weidet die Weide, wenn eine da ist. Ihnen ist, wie mir, der Selbstgenuß das wichtigste, und an mir können Sie den gefahrlos sich austoben lassen, Sie behalten ihn ja bei sich, Sie schicken ihn nicht in die Welt, den Selbstgenuß, sonst würde ja auch ein andrer genießen dürfen. Dürfte ich  stattdessen Ihre gelehrte Beurteilung genießen? Ich werde alles genießen, was Sie mir anbieten. Können Sie mir sagen, ob ich simuliert habe oder nicht? Na, Sie wissen es auch nicht, sehen Sie! Sie meinen, ich hätte nicht immer simuliert, ein-, zweimal, das ja, aber nicht jedes Mal, nicht beim Morden. Niemand mordet während eines epileptischen Anfalls, das sollten Sie eigentlich wissen, und die Aura davor ist auch zu kurz dafür, sie ist für alles zu kurz, falls man sie überhaupt rechtzeitig erkennt, und danach, nach dem Anfall, schlägt man die Augen auf und schaut nichts als blöd drein. Da ich die Epilepsie persönlich kenne, verstehe ich auch sie nachzuahmen. Hätte ich vorher gewußt, daß Epilepsie grundsätzlich als kriminogen gilt, hätte ich etwas andres nachgeahmt, doch man kann nicht alles wissen. Vielleicht glaubt man das Kriminelle vom Kranken, weil der epileptische Stupor den Menschen so fremd und entsetzlich erscheint. Der Patient wird von unsichtbaren Mächten so heftig geschüttelt, daß er sich nötigenfalls den Oberschenkel brechen kann. Niemand kann sich das vorstellen. Der Epileptiker läßt sich als Mensch aus sich heraus nicht auftreiben, es müssen ungeheure Kräfte sein, die ihn aus sich herausfetzen wie ein Hund seine Beute, und dann weiß er nicht, was er tut. Der Krampfkranke trägt sich nicht spielend davon, wie wir das gern mit uns geschehen lassen, er ist sich ausgeliefert und dem, das da in ihm herumtobt. Dabei ist er keineswegs wahnsinnig. Sein Gefühlsleben lebt in ihm wie in jedem, nur weiß er im Anfall nichts davon, und so hält man ihn für gefühllos und daher zu allem fähig, während es ihn schüttelt und seine Knochen krachen und knacken. Kurz davor weiß er, was ihm gleich geschehen wird, aber nur, wenn er dieses Wissen auch wirklich geübt hat. Dann kann er sich in eine ruhige Lage begeben, aus der heraus es ihn dann reißt. Keine Zeit mehr, sein Leben wie ein warmes Tuch um die Schultern zu ziehen, das Leben zischt ab wie durch eine Dachrinne, die ihm Gelegenheit dazu bietet. Wie jede schmiegsame Weichheit gern an uns abrinnt, aber besonders gern am Lebensfett, mit dem der Epileptiker eingeschmiert ist, das ihn aber nicht schützen kann, auch nicht vor sich selbst. An ihm haftet nichts. Vielleicht haftet also das Böse an ihm und kommt heraus, nachdem die Flasche geschüttelt wurde. Es überwältigt ihn, es reißt ihn herum, es reißt alles aus ihm heraus, aber er bleibt da, nur weiß er es nicht.  Entweder man ist epileptisch oder man täuscht es vor. Ein Dazwischen gibt es nicht. Es verbietet das berüchtigte Intelligenzregiment, an die Echtheit dieses Anfalls zu glauben. Und Sie glauben dennoch dran? Das ganze Regiment sprengt daher, genau auf Sie zu, Sie Sachverständiger, den ich spielend täuschen konnte,  und sagt nein! Wie können Sie nur eine so romantische Auffassung vom kranken Gemüt haben? Also kommen Sie wieder auf den Boden, Herr Doktor, bittebitte, kommen Sie zu mir, damit Sie endlich einmal irgendetwas auffassen können, da Sie sich vor jedem Anfassen ja scheuen! Sie wollen sich nicht die Hände dreckig machen. Das soll ich wohl für Sie erledigen, Herr Doktor! Da brauchen Sie jemand wie mich dafür, ausgerechnet, ich würde mich für gar nichts brauchen, ich brauche einen weiblichen Körper, der nachher keine Auskunftsperson mehr sein dürfen können soll,äh... also sagen soll sie nachher jedenfalls nichts mehr können. Weder ja noch nein. Weder Bewußtsein, noch Unbewußtsein. Nicht einmal aufstehn und stumpf dreinschauen wie nach einem Anfall. Dumm herumschauen, nachdem der Anfall das Opfer kurzfristig von seinem eigenen Leibe weggebracht hat. So toll kann es dort nicht gewesen sein, wo das Opfer war, das sehe ich an seinem blöden Gesichtsausdruck.Das Opfer weiß von nichts. Der Täter weiß von nichts, und ich weiß auch nicht viel.  Mein Unbewußtsein sagt, ich habe auf die röchelnde Person eingestochen, ich habe sie aber zuvor mehrmals verwarnt, aber sie hat mich verfolgt, ist mir immer nachgegangen, unterstandslos, wie sie angab, ich habe ihr gesagt, bleiben Sie zurück, bleiben Sie, wo immer Sie wollen, nur fern von mir, sonst steche ich und sage noch, ich sei in mir selbst zurückgeblieben oder überhaupt zurückgeblieben und wisse nicht, was ich tue. Sie folgt mir. Sie folgt mir nicht. Sie folgt mir doch. Sie rennt mir nach. Sie rennt mir dauernd nach. Sie verfolgt mich. Soll sie ja auch. Ich denke kurz über dieses Erlebnis nach, sage ihr, ich steche jetzt, jetzt steche ich, und um meinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, steche ich sogar rückwärts, ohne zu sehen wohin! Ich steche rückwärts nach ihr, und sie fällt mit dem Oberkörper in das Kassahäuschen hinein, das da steht und auch dringend genagelt gehören würde, wenn Sie mich als Fachmann fragen. Tod oder Leben. Das ist wie in der digitalen Elektronik, in den praktischen Rechnern, an die wir uns bereits gewöhnt haben - und die meisten Menschen sind ja Rechner, doch darin übertreffe ich sie auch -  liegen die digitalen Größen immer in binärer Form vor, entweder ja oder nein, ein Drittes gibt es nicht. Der Rechner, noch dümmer als ein Menschengesicht nach einem Anfall, dieser fingerlose Leibnizjünger, unterscheidet nur mehr binär: Strom ein, Strom aus (letzteres ungern, er will ja was tun!), jawohl. Entweder ich bin eine Null, ich bin eine Null komma Nichts, oder ich krieg einen Einser in der Schule des Lebens. Denn die digitale Größe ist ja das Ergebnis einer künstlichen Reduktion. All diese Systeme, die ich mir aber sowieso nicht vorstellen kann, sind Stellenwertsysteme, das heißt, der Wert einer Ziffer hängt davon ab, wieviele Stellen rechts oder links vom Komma sie steht, schauen Sie, stellen Sie sich das einfach so vor, daß der Wert eines Menschen von der Stelle abhängt, die er im Leben hat. Ist er stellenlos, ist er nichts. Bitte, ich hatte ja sogar eine Stelle, damit kann ich dienen, ich tüchtiger Zimmermann. Ich komme aus einem endlichen Zeichenvorrat, ich armes digitales Zeichen, das auf einmal allein ist und nur für sich steht und sein Anderes nicht finden kann, daher muß ich morden. Nein, das stimmt nicht, aber ich habe mich fürs Morden entschieden und mich daher selbst auf einen endlichen Wertebereich beschränkt, den ich durchs Morden noch weiter dezimiert habe. Daraus ergeben sich die Quantelung und die Qual und das Quälen auch. Das Quälen? Ich habe doch sehr rasch gestochen, und sie ist gleich umgefallen! Wieso quälen? Es erfolgt alles nach dem Tod. Der Tod ist, wenn der Mensch endlich endlos rasten darf, endlich da.  Das müssen Sie sich vorstellen wie ein Raster, das ein Maler über das Bild der endlosen unbegrenzten Natur gelegt hat, um ihr Grenzenloses in eine begrenzte Anzahl handhabbarer Ausschnitte zu unterteilen. Der Denker, falls er Anhänger des Digitalen ist (es muß ja nicht sein!), ist wie ein Kind, das, die Finger beider Hände zu Hilfe nehmend, die Quantelung der Welt in 1 bis zur Basis 10 vornimmt. Zwischenwerte gibt es nicht. Mein Messer war jedoch 12 cm lang, das steht für jeden fest, aber ich konnte es bewegen. Sogar als ich es nach hinten, ins Nichts hinein bewegte, habe ich eine große Wirkung erzielen können.

Ich empfehle Ihnen als Ungeübtem jedoch, lieber Anhänger der analogen Größe zu werden, die hat die letzte Bundesligameisterschaft gewonnen und die vorletzte auch und überhaupt alle,  die ist unbegrenzt wie die Welt, die Welt des Sports sowie die Welt des Verbrechens, auch das Verbrechen, ja, auch meins, hat mühelos in ihr Platz, das Richtige und das Falsche. Eine Welt, in der auch jemand wie ich  seinen Platz hätte, kann von Null bis Unendlich ungequantelt, stufenlos jeden Wert besitzen. Die Wirklichkeit ist analog. Da gibts nichts. Aber die digitale Größe ist beschränkter als ich es je sein könnte, aber bitte, Sie haben es so gewollt, Sie haben sich dafür entschieden: Entweder der Kreis schließt sich oder nicht. Entweder es funktioniert oder nicht. Oder, wie der liebe gute kluge Dichter sagen würde: auch der Computer ist von Menschenhand hergestellt, programmiert, adaptiert, verändert und bedient. Man braucht die Maschine nicht als Überwinder des Menschen zu preisen, solange es Menschen wie mich gibt, die über sich hinauswachsen können, was ihre Leistungen betrifft. Unentschiedenheit im Krankheitsfall ist ebenfalls nicht erlaubt. Der Arzt schleust sich also möglichst leise, damit man ihn nicht kommen sieht,  in den wissenschaftlichen Betrieb ein, aber nur, um immer unbefriedigt zu bleiben. Diesen Geisteszustand hat immer schon jemand andrer untersucht.  Der Mörder schleust sich möglichst leise im Laufe der Dunkelheit, die ja immer die Tendenz hat wegzulaufen, daher muß er sich beeilen, der Mörder, in einen Menschen ein, um befriedigt zu werden und gleichzeitig unbefriedigt zu bleiben. Er weiß jetzt schon, er wird wieder morden, und das gefällt ihm gut. Der Gedanke ist schön, mit diesem Mord muß es ja noch nicht zu Ende sein! Wenn ich diesmal einen Fehler gemacht habe, bügle ich ihn beim nächsten Mal wieder aus. Bügeln ist ja besser als nageln, aber nageln ist halt dauerhafter. Legen Sie sich einmal in Ihrem Leichenhemd ins Bett, gleich sind sie verdrückt, Bett wie Hemd! Der Mörder verdrückt sich auch recht  schnell, damit er es noch einmal machen kann. Am meisten Spaß macht es, wenn das Opfer sehr stark ist, dann muß man morden, um es von seinem Körper wegzubringen, man will ja am Körper des Opfers arbeiten, nicht?, man will ja nicht, daß das Opfer am eigenen, an des Mörders Leib Tätigkeiten ausführt, die es nicht gelernt hat und die ohnedies unerwünscht sind. Die es vielleicht geübt, aber nie richtig gelernt hat. Ich morde kurz, um mich selbst zu befriedigen, und das dauert halt nicht lang. Das Opfer lasse ich geschlechtlich ganz in Ruh, denn seine Befriedigung liegt mir nicht so sehr am Herzen. Es würde ohnedies nicht lange genug am Leben sein, um noch was davon zu haben. Was ganz andres: Ein sehr vornehmer Herr, und zwar ein Herr Unold, ein Herr Unrod oder Herr Ulrich oder wie er heißt, soll mich bitte besuchen, er soll den freundlichen Paralytiker nebenan in Ruh lassen, der kriegt eh nichts mit, und von dem kriegt auch er nichts mit, er soll gleich zu mir herkommen, nur mich soll er besuchen, nur mich allein. Ich habe etwas zu sagen. Ich bin der verspätete Gast, der erwartet wird und gleichzeitig das Gasthaus und gleichzeitig die heimelige Menschenwohung, wo ich selbst erwartet werde, sonst trete ich die Tür ein, macht ja nichts, ich trete alles sofort ein, damit ich selber eintreten kann, zu oft ist mir das verwehrt worden, ich will überall eintreten dürfen, denn nur bei mir, nur bei mir, nirgendwo sonst bin ich ja willkommen und sind auch Sie, Herr Doktor, willkommen. Jederzeit. Beehren Sie uns bald wieder, Sie Protektionskind vom Herrn Professor! Sie können mir den Geschlechtsakt zwar nicht ersetzen, müssen Sie auch nicht, ich weiß schon selber, womit ich den Geschlechtsakt ersetzen könnte, da brauchen Sie sich gar nicht drum zu kümmern. Herr Doktor, sagen Sie bitte dem andren Herrn Doktor, er soll noch einmal herkommen, ein einziges Mal wenigstens noch, in Ihrer Allerhöchsten Gleichgültigkeit gestatten Sie es bitte. Da Sie absolut gleichgültig sind. Neben Ihnen bin ich ja eine dauerbrennende Flamme, auf die ich mich selbst als Holz, Brikett, Kohle oder Gaskoks schütte, in dieser Reihenfolge, streng gemessen am Brennwert, wenn sie einmal flackert und auszugehen droht, die Flamme; neben Ihrer Gleichgültigkeit also können Sie es mir genausogut gestatten, daß der Herr Doktor mich wieder besuchen kommt. Ich sage Ihnen, die Frau ist die Sünde, aber ich begehe sie trotzdem. Ich begehe sie im vollen Wissen, daß in ihr das Nichts auf mich wartet, und dann gehe ich in ihr herum, in der Frau, ganz wie ich will, um dem Tod in der beliebten Gestalt des Nichts ins Gesicht zu schauen. Der Tod ist etwas, das man sich nicht vorstellen kann, obwohl so viele ihn schon erlebt haben. Nach allem, was ich Ihnen sage, ist es äußerst unwahrscheinlich, daß ich in der kritischen Nacht einen kritischen Tag gehabt haben könnte (von den kritischen Tagen andrer ganz zu schweigen) und mich in einem epileptischen Dämmerzustand befunden habe. Kann sein, kann aber auch nicht sein. Ich sage Ihnen: Da befinden sich eher die Ärzte in einem Dummenzustand als ich in einem Dämmerzustand! Die Ärzte wissen: einerseits bin ich verlogen, andrerseits weiß man nie... wie können die Ärzte ahnen, wieviel Impotenz es gibt und wieviele Ehrgeizige dazu, die was aus sich und ihren Körpern machen wollen, und immer wollen sie mehr aus sich machen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß gerade Impotenz oder äußere Zwischenfälle, hoppala, oft zu auslösenden Momenten für sadistische Handlungen werden. Eigentlich ist es nur ein kleiner Zwischenfall, manchmal, zusammen mit reichlich Genuß von Alkohol, der der Tat vorausgeht und die Taschenlampe hält. Die wird dann ausgeknipst wie das Leben selbst. Ob die Angabe der Lampe, sie sei potent gewesen, wahr ist oder nicht - wir wissen es nicht. Es hat absolute Dunkelheit geherrscht, und sehen Sie, genau in diese Dunkelheit wollte ich hinein. Ja, das ist mein Resümee als Wissenschaftler: der Mensch will in die Dunkelheit, um gesehen zu werden. Er will zuerst in der Dunkelheit etwas Schreckliches tun, wenn sein Ehrgeiz ihm etwas andres nicht gestatten mag, und dann tritt er mit seiner Tat ins Helle, oh, jetzt hat er sich am Hellen die Schuhe schmutzig gemacht. Kein Mörder will schmutzig sein, das schwöre ich Ihnen. Er will sauber werden, indem er in anderen herumfuhrwerkt, ohne Motor, ohne Abgase, die andre einatmen müssen. Er muß alles selbst machen, und dann muß er sich selbst noch schnell säubern. Dann treten andre Züge zutage, die der Mörder verborgen gehalten hat. Rasch fahren sie weiter, der Aufenthalt in der Station wurde verkürzt, es wurde keine Krankheit oder sonstige Anomalie festgestellt. Das Bewußtsein wurde nicht getrübt, auch sonst ist keiner betrübt, ein Zustand von Trübung des Bewußtseins ist nicht nachzuweisen, ein Sperma ist nicht in der Hose, bzw. es ist dort nicht nachzuweisen, darauf weise ich ausdrücklich hin. Wenn ich nur leicht alkoholisiert gewesen sein sollte, dann kann das die geschlechtliche Erregbarkeit nur steigern, auch die Affekterregbarkeit, ja auch die ganz im allgemeinen. Fassen wir zusammen, gerade weil wir es nicht fassen können: Um in die Helligkeit der öffentlichen Beachtung zu kommen, muß man es unbedingt wagen, zuvor ins Dunkel des absoluten Schreckens zu gelangen. So ein gemeiner Mord! Also wirklich, sowas von gemein! Der erste Messerhieb nach hinten geführt. Ich habe nicht einmal nachgeschaut, nicht einmal gesehen, wohin ich getroffen habe. Aber es hat gewirkt. Hoffentlich treffe ich bald wieder wen, auf den ich mich, nein, den ich verlassen kann. Ich treffe das Opfer ja nur, um es wieder verlassen zu können. Das ist menschlich. Das nenne ich eine ordentliche Verzweiflung! Das müssen Sie mir erst mal nachmachen. Schreiben allein genügt nicht. Schreiben allein genügt nie. Schreiben Sie sich das mit einem Messer hinter die Ohren, Herr Doktor, aber nicht dermaßen unleserlich wie Sie es sonst immer tun, sondern in aller Deutlichkeit, damit andre es in Ruhe deuten können! Schreiben Sie blindlings, wie ich, in die Dunkelheit hinein. So ist es schön. Hinter Ihren Ohren kann ich es gut lesen, hinter meinen könnte ich es nicht.


Ein Blatt aus Musils Notizen zum "Mann ohne Eigenschaften"

Für: Robert Musil - Der Mann ohne Eigenschaften. Remix, 20 Teile, Konzept: Katarina Agathos/Herbert Kapfer, Manuskript: Katarina Agathos/Klaus Buhlert/Herbert Kapfer, Wissenschaftliche Beratung: Walter Fanta, Regie: Klaus Buhlert, BR 2004.

(der Lustmörder Christian Voigt, Musils angebliches Vorbild für Moosbrugger, laut Karl Corino, ist dokumentiert in: „Jahrhundert-Morde“, hsg. Peter Hiess, Christian Lunzer, Wien, 1994)

9.2.2006

 


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