Moment! Aufnahme! Folge vom 28.1. 2000Haider und die Kitzbühelisierung ÖsterreichsDie österreichischen Konservativen glauben inzwischen, sich in Grenzen mit der extremen Rechten einlassen zu können, doch diese Grenzen werden nicht sie bestimmen. Sie ketten sich an die politischen Abenteurer der FPÖ, als wollten sie mit Gewalt ihren Wunsch, die Rechte wäre je beherrschbar gewesen, und das ausgerechnet von ihnen, wahr werden lassen. Während sie noch an ihre Fähigkeit zur Kontrolle glauben, reißt es sie schon fort. Indem sie glauben, den neuen Partner zähmen zu können, haben sie sich bereits ausgeliefert. Und so verhandeln sie heute schon über Soziales, als liefen sie bereits seit langem auf Schienen nebeneinander her, miteinander vertraut. Bald werden sie übereinander herfallen und nach einander schnappen, und die Wolfsnatur der Rechten wird dann gewinnen, denn sie hat das geübt und ist keinerlei Moral verpflichtet, sie lacht über die "Moralisten" und die so genannten Tugendterroristen. Was sagt uns die FPÖ heute? Halten wir es ganz fest, denn morgen wird sie etwas ganz anderes sagen und versprechen und dann auch nicht halten. Sie bietet 5700 Schilling pro Monat für das erste Kind, selbstverständlich nur der Inländerin, oder nein, das haben sie inzwischen, bis zum Abend dieses Tages, doch wieder ändern müssen, jedenfalls gibt's für das zweite nur noch die Hälfte, die ÖVP hat dagegen, mit den Sozialdemokraten noch ausverhandelt, 6250 Schilling anzubieten. Sie werden einander noch überbieten, an Pragmatismus und Freundlichkeit und Anteilnahme für die Schwachen, die ihnen in Wirklichkeit so gleichgültig sind wie der Mond. Hauptsache, das "erstarrte politische System" wird endlich aufgebrochen, die verkrustete SPÖ wird endlich abgekratzt von den blinden Scheiben der Macht, wie eine Eisschicht, das fest gefügte System der Sozialpartnerschaft, diese undurchdringliche Mauer, wird mit dem Presslufthammer zertrümmert. Man hat den Eindruck, Österreich hätte die letzten dreißig Jahre als pharaonische Baustelle dahinvegetiert, mit uns als Sklavenarbeitern an den Geräten, nur darauf bedacht, das Land mit den berühmten "versteinerten Strukturen" endlich zuzubetonieren, jedes Leben zu ersticken. Das will uns die neue Allianz der Rechten mitteilen, indem sie es uns schon seit längerem mitgeteilt hat. Denn dass längst Verhandlungen zur Beendigung der Mitte-Halblinks-Koalition in Gange waren, ist inzwischen unübersehbar. Die Geschichte des Landes wird von anderen Ländern nicht in erster Linie daran gemessen, welche berühmten Persönlichkeiten (Mozart! Schubert! Trakl!) es hervorgebracht hat, die das Land wohl darüber hinwegtrösten sollen, dass viele der heute berühmten Persönlichkeiten es im Inland (siehe die Künstler Nitsch und Kolig) und im Ausland immer nur "beschmutzen"; die österreichische Geschichte ist immer auch eine Leerstelle, die Krieg, Leichen, Trümmer im Übermaß hinterlassen und ihre Schulden nie wirklich zurückgezahlt hat. Aber das ist jetzt alles vergeben und vergessen. Krieg würden wir doch nie wieder führen, höchstens gegen Minderheiten, Kriminelle (in der "Reform", wie sie Verschärfung nennen, des Strafrechts haben sie sich sehr schnell geeinigt, gestern, Haider hat ja in seiner Abschlusskundgebung auf dem Stock-im-Eisen-Platz, Klima einen Beschützer von Kinderschändern genannt, morgen wird er die belgische Regierung als einen "korrupten" Hilfsverein für Kinderschänder bezeichnen, übermorgen wird er Jacques Chirac faktisch einen Trottel nennen, der immer nur verlieren kann und ihm, dem winner, der jetzt endlich den ganzen Einsatz einstreifen darf, gar nichts zu sagen hat) oder Ausländer, ausgenommen Touristen, ja, kommen Sie nur her zu uns und zahlen Sie unsere eigens für Sie erhöhten Preise, in den berühmten Fremdenverkehrsgemeinden Kitzbühel oder den Orten am schönen Wörthersee haben die Anwohner sogar ganz besonders für Haider gestimmt. Vielleicht werden Sie dort als Fremder bald so richtig auffallen, weil es, außer Ihnen, keine mehr dort geben wird. Die millionenschweren Hoteliers werden dann selber das Geschirr abwaschen, da bin ich mir sicher. Und wir, die Künstler, die oft beschworenen Nestbeschmutzer, uns liegt das alles seit Jahrzehnten im Bewusstsein, wie leblose Versatzstücke. Wir setzen sie aneinander, wir erklären, in diesem Land darf nie wieder die extreme Rechte Macht ausüben, wir sagen es, wir schreiben es, wir malen es, wir zeigen es, nie, nie wieder, na ja, so einig sind wir uns auch wieder nicht; Moment, gerade bin ich wieder einmal so weit und schreibe es hier hin, fast routiniert, ich habe es so oft gesagt. Die Geschichte bewegt sich, sie geht ihren Gang, aber sie geht nicht fort, sie kommt immer wieder, gerade wenn wir sie verabschiedet haben, nie mehr wiedersehen wollen und erleichtert sind, dass sie endlich wirklich vergangen ist, genau dann kommt sie zur Hintertür wieder herein. Nein, nicht zur Hintertür, in Österreich werden ihr jetzt bereitwillig die Flügeltüren weit aufgemacht, und der rote Teppich wird ausgerollt, es ist sicher schon alles längst abgemacht. Bald ist Angelobung. Bald sind sie Partner, die Christlichen mit ihren Werten und die Rechte mit ihren Rechten, die den Starken gehören, und wenn nicht, dann nehmen sie sie sich einfach. Wie bewegt sie sich, die Geschichte der Schuld, die erst von Bundeskanzler Vranitzky, nach der unseligen Präsidentschaft des Vergesslichen namens Kurt Waldheim, in Israel zugegeben wurde, so spät, dass man es auch hätte genausogut bleiben lassen können? Gemessen an der Größe der österreichischen Schuld ist es beinahe eine Beleidigung, sie fünfzig Jahre zu spät noch zuzugeben. Wie bewegt sie sich also, ergibt es sich von selbst, dass sie durch die Bildungsgeschichte unseres nationalen Bewusstseins hindurchläuft und zu den richtigen Schlüssen kommt: nie wieder? Kann man aus dem Wissen über etwas das Richtige lernen? Heute sieht es ganz so aus, als ob man es nicht könnte, weil alles egal ist, die Kitzbühelisierung des Landes wird fortschreiten, die braunen, gesunden, tüchtigen, fleißigen Gesichter werden über den Bildschirm laufen, und dann müssen sie sich von ihrer aufreibenden Tätigkeit, welcher auch immer, wieder erholen, im Winter auf Skiern und im Sommer in schicken Badeanzügen oder rustikalen Dirndln und Lederhosen. Die im Schatten wird man gar nicht mehr sehen, oder man wird sie heimschicken, dort können dann sie in ihrer eigenen Sonne liegen, mehr als die liebe Sonne werden sie nie haben. Selber schuld. Die Ausländerfrage hat angeblich die Wahlen entschieden, hat tiefe Breschen in die Bastion der Sozialdemokraten geschlagen, doch einer der ihren, Innenminister Schlögel, hat seinerseits seiner Partei tiefe Wunden beigebracht, dieser Trachtenjanker-Prophet (das Jopperl hat ihm der Jörg eigenhändig umgehängt, eh nur fürs Zeitungsfoto!) im Zeichen des Klebebands: Ein darunter erstickter Schubhäftling ist diesem tapferen Sozialisten keinen Rücktritt wert gewesen, er persönlich hat ja von nichts etwas gewusst. Ich glaube, ganz Österreich wird bald zu dem Bild erstarren, das wir jetzt schon auf den Fremdenverkehrsprospekten abgeben, dafür haben wir so lange brav stillgehalten und uns nicht gemuckst. Genau, dieses Land hat sich doch immer, als unschuldiges Bild seiner selbst, das so schön ist, dass es schuldig ja nie gewesen sein konnte, in die Herzen der Welt hineingesungen, was sollte sich daran jetzt ändern? Das, was war, das haben diese smarten Gewinner, die uns jetzt regieren wollen, schon längst von sich weggeschoben, sie halten das bloße Meinen für das Wahre, daher können sie die Wahrheit billig pachten und dann jederzeit für sich in Anspruch nehmen, sie könnten sie sogar selber erzeugen, die Lizenz zu lügen haben sie ja, einmal sagen sie dies, am nächsten Tag das, ist doch egal. Über sie, die Wahrheit, hinauskommen wird ohnedies keiner mehr, nicht einmal bis zu ihr wird man gelangen, schon gar nicht durch Denken, es reißt sie fort, diese feschen Burschen, die Anhänger der Freiheit, nach der sie sich benannt haben, es reißt sie auf die Gewinnerstraße, auf die Skihänge und in die Lifte, auf die Bergeshöhen und in die Alpenseen, so, jetzt haben wir das Reale endlich erreicht, das wir schon seit langem verkörpern und jetzt geworden sind: Sieger, Gewinner. Warum nicht Erster werden, fragte Jörg Haider, nachdem er den ehemaligen Abfahrtsstar Patrick Ortlieb zu seinem Abgeordneten gemacht und ins Parlament geschickt hatte. Ich hab das damals für einen blöden Witz von ihm gehalten, denn gute macht er nicht. Humor hat er keinen, das hätte mich warnen müssen. Wir aber, wir Lächerlichen, was sollen wir noch hier? Warum haben wir vor dem Unaufhaltsamen dieser Bewegung gewarnt, wenn sie jetzt auf einmal wirklich nicht aufzuhalten ist? Wo kommen wir denn da hin, wenn wir Recht behalten? Na, behalten werden wir es nicht lange können, es wird uns aus der Hand genommen werden, denn Recht haben werden nur mehr die Starken, und das sind wir nicht, wir sind die anderen. Wir haben das nicht gewollt, aber wahr wird es trotzdem werden, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Und wenn es geschieht, werden wir es nicht uns zu verdanken haben, sondern der EU. Die Aussicht auf das, was möglich wäre, haben wir schon. Sie wurde uns gegeben von denen, die die Aufsicht von unseren Bergen anpreisen und dort auch noch ihre Geburtstage feiern, ebenfalls im Skidress und auf den Brettln. Auf den Bergen, damit man sie besser sieht. Wir sind angerichtet, aber nicht alle haben das angerichtet. Mitgefangen, mitgehangen. Aber Vorsicht, wir sind für den Verzehr nicht geeignet. Daher sollte man uns nicht mit uns allein lassen, liebe EU, sonst gehen wir uns irgendwann noch gegenseitig an die Kehle. Dabei wäre uns doch viel lieber, dass man uns bald wieder zum Fressen gern haben würde.
Der Aufsatz erschien am 3.2.2000 in der "Frankfurter Rundschau"; er ist die Fortsetzung des Textes "Moment! Aufnahme!", der am 1.11.1999 ebendort erschienen ist. |