MOMENT! AUFNAHME! 5.10. 99

Es wird mir soeben von einem Journalisten in der ,Süddeutschen", und dann von einem anderen, wo anders, gesagt, ich und meine Kolleginnen und Kollegen Künstler und Intellektuelle seien an diesem verheerenden Stimmenzuwachs der extremen Rechten in Österreich mit Schuld, denn man habe von uns seit Jahren bereits nichts mehr gegen Haider gehört. Ich in meiner politischen Anteilslosigkeit oder soll ich sagen: Teilnahmslosigkeit (Robert Walser hätte gesagt: Unanteilnahme) habe geschrieben und geschrieben, andere haben das auch getan, mal besser, mal schlechter, manche haben ihre ganze literarische Produktionspalette umgestellt auf Haider Schwarz Anmalen, wie praktisch, die anderen Farben brauchen wir jetzt eh nicht mehr, die braucht alle das Fernsehn. Es ist sinnlos geworden, dieses Anrennen, wie soll ich es erklären, ich glaube es ist deshalb sinnlos, weil wir Sprechenden, und zwar genau deshalb, WEIL wir sprechen (na, die anderen sprechen ja auch, ununterbrochen, der Kandidat Prinzhorn z.B. über die Härte des Holzes beim Hacken), nichts sind in den Augen der smarten jungen Pistenhelden, im stiebenden Schnee der Nachtbars, im gleißenden Flutlicht der Nachtslaloms; es ist überall so hell, und alle haben Spaß, mit sich und mit anderen, meist mit anderen, denn mit sich möchten sie nicht so gern alleine bleiben. Sieh an, sie befinden sich praktischerweise bereits in einer Gesinnungsgemeinschaft, die keine Partei mehr ist, aber trotzdem parteilich, und zwar für die Inländer, die ohnedies alle zusammengehören. Das ist eine Gemeinschaft, die immer wieder gern gewählt wird, diesmal sogar ganz besonders. Die Gemeinschaft der Anständigen (fast so anständig wie die Waffen-SS, da müssen wir halt noch ein bisserl üben, bis wir können, was die damals gekonnt haben!) hat sich angeboten, fast ein Drittel der Wähler hat sie sich genommen, diese Partei, denn so wie die wollen wir alle sein. Jung, fesch und sportlich. Die Welt steht allen offen, und wer sich das größte Stück von ihr nimmt, der hat halt auch mehr von ihr. Logisch.

Das ist fast überall so, die Leute wollen ihren Spaß, aber weshalb ist es bei uns so ganz besonders so? Warum wollen sie bei uns immer alle anderen vom Spaß ausschließen? Weshalb sieht man dem Geschaffenen hier niemals an, daß Menschen es gemacht haben, weshalb ist es so, als wäre es einfach immer schon da gewesen und müsse so sein, als gäbe es, mit dem Geschaffenen, das niemand gemacht hat, auch diese dumme Geschichte nicht, die eben auch niemand gemacht hat? Weil die Geschichte so war, daß niemand es gewesen sein durfte, der sie gemacht hat? Ist diese lange Verleugnung vergangener Verbrechen (wie oft sind die ,Gutmenschen" von allen Seiten darauf hingewiesen worden, daß das nun wirklich vorbei sei, Österrreich ,ein stinknormales Land" und ihre pathetischen Reden öde und überflüssig) wirklich die Ursache, daß nichts mehr angefertigt wird, damit die Untaten nicht mehr in allem, was vorhanden ist, aufzuspüren sind, sondern daß alles je schon fertig ist, immer wieder neu oder wie neu? Dieser Wahlsieg der extremen Rechten, und ein Sieg ist es, ist das Ende nicht nur der bisher praktizierten Sozialpartnerschaft der Zweiten Republik, er ist vielleicht das Ende des Politischen überhaupt. Ja, das wollen wir jetzt offenkundig möglichst rasch hinter uns bringen, das Politische, das darin besteht, daß Menschen sich über etwas verständigen, einander zuhören, Vorschläge einbringen, diskutieren, und dann wird abgestimmt.

Dieses Prinzip der Rede und des Dagegenredens, woraus ein Drittes entsteht, also die Einrichtung der Wahrheit in die Wirklichkeit, vielleicht auch das Schaffen von etwas, wie die meisten es tun, tun müssen - außer sie wären Ausländer, die tun natürlich gar nichts, essen unsere gesunden Hormone und vergiften unsere Jugend mit ungesundem Rauschgift - die Offenheit für etwas und das Abwägen und Verwerfen oder Annehmen: vorbei. Eintritt das Bild, das liebe, das unschuldige, und abtritt die Zivilisation, nicht nur in dem Sinn, daß nach dem Zivilisationsbruch der Nazis die jahrzehntelang gültige Übereinkunft, so etwas dürfe ,nie wieder" geschehen, ja nicht einmal gedacht werden, gerade in Deutschland und Österreich nicht!, aufgekündigt wurde, das hat, eleganter, schon Walser, der andere, nicht verwandt und nicht verschwägert, getan, als er, ebenso elegant, der Faschismuskeule auswich, der Glückliche, wie freue ich mich für ihn, daß er jetzt im Gasthof zur Traube oder wo immer er in Ruhe seine Viertele trinkt, nicht mehr von dieser Keule getroffen werden kann, weil er der gemeinen Keule das jetzt einfach nicht mehr erlauben will und Schluß. Er ist ja immerhin Privatmann, dem sein Gedächtnis und sein Gewissen, jedes, mit Mottenkugeln, in seinem eigenen Fach, ganz alleine gehören. Sondern in dem ganz neuen Sinn, daß da, bei uns in Österreich, nichts, jedenfalls keine Übereinkünfte, aufzukündigen waren, denn die haben sowieso nie etwas gegolten.

Das hat man uns jetzt gesagt. Die Wahrheit als ein Streit zwischen dem, was uns erhellend klargemacht wurde und dem, was wir zu verbergen haben? Aber da ist doch nicht einmal etwas, das wir zu verbergen hätten! Was denn, was soll denn das gewesen sein? War da was? Wir können ganz offen im Fernsehn auftreten, hinter uns der Schnee, wo wir unsre Sterne reißen, hinter uns der Fels, die Disco überall um uns, vor uns die Marken, die unsere Schier tragen, und die Schi tragen schwerer daran als wir, die wir überhaupt nichts mehr zu tragen haben. Endlich. Diese ganzen Politiker wollen uns immer, was von unserer Last noch übrig ist, erklären, aber in Wirklichkeit wollen sie uns immer nur neue Lasten aufbürden. Wir sind auf einmal ganz bedrückt gewesen und haben den jungen Führer geholt, damit das mit der Last besser wird. Vielleicht ist er ja Jesus, besser angezogen als der ist er auf alle Fälle, und nimmt die Last ganz alleine auf sich? Jawohl, ich sehe, er nimmt sie uns ab, nur wählen müssen wir ihn noch, dann macht er es. So ist es halt geschehen.

Wir haben unserem Herrn Führer damit einen guten Dienst erwiesen, und jetzt kann er uns die Dienste erweisen, die er uns versprochen hat. Kinderschecks satt, aber nur bis zum zweiten Kind, das gefälligst wo anders satt werden soll, denn es kriegt nur mehr die Hälfte, Strom billig, Pensionen rauf und stabil, Ausländer raus oder tot, Mieten: runter! Es hört sich dann auf, daß das politische Leben aus dem Streit, der Debatte, dem Gespräch entsteht, das die Wirklichkeit öffnet, damit über Sieg oder Niederlage, Herrschaft oder Knechtschaft, den Wert von Arbeit bzw. denjenigen, die sie machen müssen, entschieden wird, und, egal ob Papierbaron mitsamt seinem Hobby, der Kettensäge, oder die Arbeiter mit ihrem Hobby, dem Wählen von Sportlern des Jahres, nein, nicht einmal das dürfen sie, das dürfen leider nur die Sportjournalisten, also wirklich!, dafür wollen wir aber etwas anderes dürfen! Der Jörg wird schon dafür sorgen, daß wir es bekommen. Wir alle machen einmal das eine, dann wieder das andere, jedem das Seine, uns aber jedenfalls mehr als bisher, egal wovon und woher wir es nehmen, es wurde uns jedenfalls versprochen, und das soll uns nur ja keiner wegnehmen, bevor wir es gehabt haben werden. Es wird jetzt alles was da ist unter uns aufgeteilt, und hoffentlich bleiben wir, wenn wir es haben, auch noch so fesch, gesund und fröhlich wie bisher; es ist also nicht mehr der Streit, in dem über die politische Wirklichkeit entschieden wird, sondern, ohne Not, ohne Notwendigkeit ist alles plötzlich einfach da, kampflos uns zugefallen, oder nein, wir haben es uns genommen, aber indem es, ganz Bild (sie passen ja nirgendwohin besser als auf den Bildschirm, diese ,Freiheitlichen" oder auf Fotos, auf denen ihr Führer fast ganz nackt, aber er kann es sich leisten bei seiner Figur! sakra!, zu sehen ist, sehen lassen kann er sich doch, oder?

Wir alle können uns jetzt endlich sehen lassen, nicht weil wir eine Schuld abgebüßt hätten, sondern weil wir, wie gesagt, nie Schuld an irgendetwas gewesen sind, und wenn, dann ist das jetzt auch egal), plötzlich in dieser Maß losigkeit, die das Maß aber nicht einmal mehr kennt, zum Maßstab geworden ist, und die Notwendigkeit von Maßhalten und Verantwortung des Einzelnen verfallen ist, erlauben wir, daß das alles jetzt der Führer an unsrer Statt machen darf. Indem eben alles außer Streit gestellt ist, denn der Führer entscheidet ja, über seine eigenen Leute, die engsten Mitarbeiter, sofern sie nicht ohnedies schon im Gefängnis oder in der Verbannung an den fernsten Orten des Reiches sitzen, wie über uns alle, und er wird uns schon sagen, was er diesmal beschlossen hat, es ist ja dauernd etwas anderes, das er beschließt, und manchmal muß er gar nicht mehr sagen, was er entschieden hat, es genügt, wenn man ihn wählt, er wird es dann schon rechtzeitig bekanntgeben. Indem auf diese Weise der Streit also ein für allemal beendet ist, gehören die Menschen auf fundamentale Weise nicht mehr zusammen, denn am stärksten gehören sie zusammen, wenn sie etwas miteinander ausmachen, diskutieren, meinetwegen auch auskämpfen. Das Führerprinzip zerreißt jedenfalls die Welt, und dort, wo die Wahrheit sich grade, müde, hinsetzen hat wollen, auf diese Bank, gerade dort hat sich dieser Riß jetzt aufgetan. Und die Lega Nord und der Herr Stoiber aus Bayern finden das auch gut, unter uns Älplern, na, dann machen wir es doch, es ist ja egal, wir sind doch alle Menschen, soll er es doch probieren, der Haider, sollen unsre Leute doch ruhig mit ihm zusammengehen, sollen sie sich doch mit der Braut, schwarzbraun wie die Haselnuß, aber von der Höhensonne, ins Bett legen, er hat seine Chance verdient, der Führer, schon lange. Was soll sein? Nichts wird sein. Und morgen wird auch der Herr Stoiber wieder etwas anderes sagen, wenn er merkt, daß zuvielen Leuten nicht gefällt, was er gestern gesagt hat. Wir haben jedenfalls unsere kuscheligen Wärmebildkameras und eilen damit an unsere Grenzen, wo die Schemen der sogenannten Illegalen auftauchen, das gibt ein lustiges Scheibenschießen, wie sie da auftauchen aus dem Nebel, und reingehen, direkt in die TV-Kameras. Oder wir setzen uns aufs Trainingsrad und gehen gleich ganz über uns hinaus, damit wir fit sind, wenn man uns braucht. Dann treten wir, weil außer uns niemand mehr da ist, in die anderen hinein, bis die Handschellen einschnappen. Dann sind wieder wir total eingeschnappt, weil man uns im Ausland nicht mehr so zu schätzen weiß wie wir es verdienen würden. Und der Herr Stoiber aus Bayern, der hat uns gestern noch lieb gehabt, aber heute wird er das schon nicht mehr tun. Warum? Warum nicht? Wir sind schließlich das Allerletzte. Aber vielleicht sind wir auch bald wieder die Ersten. Ist doch egal.

 

Der Text ist im Nov. 99 in Ba.Sta (München), dem Falter (Wien), der Frankfurter Rundschau und dem Tages-Anzeiger (Zürich) erschienen.


Moment! Aufnahme! 5.10.99 © 1999 Elfriede Jelinek

 

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