Prinzessinnen!
Brennendes Unterholz!
Zu
Jürgen Messensees Infantinnen
Weibliche
Wesen sind ans Licht gehoben, sie dämmern oder strahlen dahin,
sind ganz aus Farbe gemacht! , eingenäht in ihre Reifröcke,
in die sie gestellt oder eingehängt sind (oder sind diese Gestelle
gar leer?). Kann auch sein, daß zuerst diese heuwagenartig schwankenden
Figurinenmaschinen da waren, aus denen die kleinen Mädchen oben
herausgepreßt wurden, wie Zahnpasta. Es quellen oben also helle
Flecken hervor, manchmal schäumt es aber auch nicht, es ist ja
nicht gesagt, daß das überhaupt Köpfe sein sollen. Vielleicht
hat die Natur, die als Gewalt waltet, nicht mehr die Kraft gehabt, das
bißchen Leben oben draufzusetzen oder eben von innen herauszudrücken.
Oder ist die Pumpstation, die den Kopf unter diesen Gestellen, unsichtbar
für den Betrachter, auf einem Wasserstrahl nach oben spülen
sollte, zu schwach gewesen, und der Kopf steckt jetzt innen fest? Es
will etwas heraus, eine Mädchen-Pflanze, die zu langsam wächst,
ein Gewächs, in dem Geschichte schlummert, die Geschichte von Höfen,
die, riesige leere Popanze, über all dem schweben, fliegende Städte,
treibend durchs All. Dieses geschichtliche Wachstum der Infantinnen
ist gestört, denn sie haben nicht die Macht, etwas um sich zu versammeln,
sich einer Kommission oder einem Peloton zu stellen, sie sind ja längst
gestellt. Man hat ihnen aus der Kleiderkammer dieser imaginären
Städte ihr Wesentliches, dieses Krinolinenkostüm, gestellt,
und gleichzeitig haben sie von der Geschichte jetzt halt ihren Stellungsbefehl
erhalten. Die Mutterschaft ist ihnen untersagt, noch ehe sie imstande
sind, Mutter zu werden, sie ist von der Maschinenzeugung abgelöst,
von mechanischer Herstellung, von Nachahmung. Gleichzeitig sitzen sie,
diese ewige Schar von Töchtern, die ihre eigenen Tanten sind, in
Geschlechtslosigkeit zu grauer Schar erstarrt, nun in der Falle und
müssen doch endlos starr vortreten vor uns, eine nie endende Gegenüberstellung
von ihnen mit uns, auf der Polizeistation, wo wir unsere Wünsche
zu übergeben haben, ohne jemanden oder gar uns selbst zu erkennen.
Sie können nicht weglaufen, diese Mädchen. Unser Blick holt
sie ein, wie sie da an der Wand gefangen sind, von der Fläche,
die (wie ein gigantischer Pilz mit seinen kalten Lamellen, die unten
drunter das alles stützen,) in die Breite gewachsen ist, als Gewand,
und von der Wand vor dem Gewand. Endstation.
Jürgen Messensee: Infantin, steyerische Linie, 1989
Der
Maler darf nicht sehen, was darunter ist. Er versenkt das Verbotene
unter einem Reisigverhau, der schon fast das ganze Bild ausmacht, wo
dies Verbotene sich zur Vollendung bringt oder auch nicht. Streckt er
die Hand unter den Saum, dann brennen die Reisigbüschel, dann lodert
der Dornbusch, der die Gesetze des Geschlechts verkündet, die aber,
bei Strafe, nicht befolgt werden dürfen. Zum Mann, zum Vater macht
sich der Maler, zum Führer der Geschichte wie des Geschlechts.
Die Geschichte, die er selbst gezeugt und dann in diese gigantischen
Drahtkräftige gesperrt hat, unter denen alles Fruchtbare endlos
zerkocht und, als geschmacklose Marmelade, von zuvielen gekostet und
ausgespuckt, in diese Gefäße eingerext wird. Das Geschlecht
versperrt sich selbst als sein eigenes Vorhängschloß. Jeder
Held ist abwesend. Was ihn herlocken könnte, die Wärme des
lockenden, brennenden Leibes, es wird von diesen gewandigen Brutöfen
abgeschirmt, an denen kein Türchen zu öffnen ist, um sich
hineinzustecken und, als letzte Anwesenheit, selbst zu verfeuern.
Unsinnigerweise ist hier die Geschichte als Frau maskiert, als Mädchen,
aus dem da etwas-werden-soll, wäre es nicht in diesen Reifen gespannt,
aus dem niemals menschliches Tun herausplatzen wird, und sei es das
Spielen mit diesen Reifen, die man einfach aus dem Saum rausziehen kann,
das Tempelhüpfen, das Schnurspringen. Diese Reifröcke werden
durch Striche gequert, ausgestrichen das Instrument oder was auch immer
darunter, sie werden durch Pinselhiebe zerfetzt, zernarbt, oder auch
krixikraxi durchgeixt. Die Geschichte ist ein Kampf zwischen Zweien,
dem Einen, dem Andern, der Ruhe, dem Krieg; aber hier, in den Gestalten
der Königstöchter, kann keins davon je gewinnen, denn keines
davon weist ein Merkmal auf, das sich zum Kampf stellen könnte.
Auf ewig sind diese weiblichen Popanze da hingestellt, das heißt,
sie bleiben dahingestellt, vage, aber massiv, denn unten sind sie am
breitesten. Sie dämmern dahin, in einer unendlichen Abwesenheit,
in der wiederum die Fratze dessen oben draufgesteckt ist, flüchtig,
wie mit einer Stecknadel, die das schwere Schicksal des Kleides hält:
was aus der Geschichte alles gemacht werden kann - fürchterliche
Augenblicke! Diese tonnenförmigen Richtfeste, in denen die Gerichteten
wie die Unvollendeten (ja, ein Richtfest kann auch heiter sein, mit
Bäumchen am First!) daherschwanken; diese ewigen Töchter,
die fast alle früh gestorben sind, sie müssen sich immer wieder
zurückmelden, obwohl sie doch nie wegdurften, nie wegkonnten von
ihren Stabilisatoren, und sie zwingen uns in ihrem gebannten Hierbleiben
dazu, uns alles, was geschieht, die Geschichte, als einen Gegenstand
vorzustellen, der genau vor uns zum Stillstand gekommenen ist, ein von
Menschen bestelltes und her-gestelltes System lebenserhaltender Blutadern
und weinender Lebensfäden, ein System, das von uns auch wieder
abgeschafft werden kann. Etwas wie wir selbst es sind! Ja, die Geschichte
sieht uns ähnlich! Wir verschwänden in ihr, hätten wir
nicht was Schweres in ihren Saum genäht, das uns am Boden bewahrt.
Ist doch nur ein Gewand! Aber bläst einmal ein andrer Wind, dann
erheben wir, mitsamt dem Bleibandabschluß, der uns hält,
uns ruhig, Montgolfieren, die davontreiben und in denen wir zappeln
können soviel wir wollen. Den Boden erreichen wir nicht, denn unser
Wollen ist bodenlos.
Diese Prinzessinnen in ihren kleidernen Töpfen, in denen sie schmoren,
sie entziehen uns in ihrer verborgenen Unverborgenheit ein für
allemal das Recht, sie zu berechnen und damit die Geschichte zu einem
Zuberechnenden zu machen. Sie kommen mit ihren winzigen Naturfaserresten
aus den vom Maler schon ziemlich zerschmierten Rockgebilden hervor,
sie zeigen auf in dieser Schule, sie melden sich, weil sie was zu wissen
glauben, in ihren Äußerlichkeiten aus Spitze und Samt, aus
Damast und Brokat sind sie zwar zum Erscheinen berechtigt worden, aus
gemischten Farben exakt zusammengesetzt, und doch reichen unsere Apparaturen
nicht aus, in ihren Gestalten die Natur, das, was wirklich, was darunter
ist, zu befragen. Obwohl sie in ihrer Herstellung so genau ausgedacht
worden sind, weisen sie doch alle unsere Befragungen, was an ihnen Natur
sei, damit die uns vielleicht selber einmal bergen könnte, brauchten
wir den Schutz, für immer zurück. Diese weibliche Welt ist
ein Schattenreich, ein unendliches Noch-Nicht und bald darauf ein Nicht-Mehr;
kaum klebt das Tier, diese Schnecke, wird sie schon wieder abgerissen
von ihrem Grund, den sie gleichzeitig aufzehrt. Wenn die Geschichte
darin besteht, etwas zu befestigen, damit es zu dem Gewesenen gemacht
werden kann, dann ist die unbeständige Nacht unter diesen Reifröcken,
die niemals gebannt werden kann, weil sie nicht gekannt wird (ätsch!
Fang mich! Ich bin dort drüben! Nein, hier, Dummkopf!), eine Art
Anti-Geschichte, denn Frauen haben vielleicht "ihre Geschichte"
(das sagen sie manchmal, wenn sie bluten) im Kleinen, aber ansonsten
sind sie eingefangen wie auf' ewig freigelassen, sie sind aufs äußerste
fixiert und sind doch, da wir nichts als ihre Gestänge und Gerüste
zu sehen bekommen, darunter längst verschwunden, unten durchgetaucht;
dann haben sie den Saum wieder sorgfältig auf den Boden gelegt,
unter dem die Toten ausruhen, haben die Falten neu drapiert, und sind
nach dem Aufstellen dieses Standbilds ihrer selbst, auf ihren Instrumenten
pfeifend, die ihnen jetzt und für alle Zeit locker sitzen, einfach
davongehüpft.
Gerade weil sie nichts bewirkt haben dürfen sie dann ein für
allemal dableiben. Oder auch nicht.
Prinzessinnen!
Brennendes Unterholz! © 1997 Elfriede Jelinek