DENKEN MALEN STÜRZEN

(zu Jürgen Messensee)

Was man am Anfang bekommen hat, jedes Kind von der übermächtigen, großen, bösen Kindergärtnerin Wirklichkeit (man beachte an ihr das, was besonders auffällt, man hat gar nicht die Wahl, es nicht zu beachten: Mund, Mund plus Naomis Mund, sozusagen der äußersten Steigerung von Mund, und dann noch: Brüste, Brüste, Brüste) ist gleich viel und gleich da, aber die einen bauen lauter kleine weibliche Gestalten draus, die ihnen gefallen würden, und der Jürgen Messensee, der hat eine einzige gebaut, die sich unaufhörlich teilt, splittert, neue gebiert, den Katamaran, das ist der Ansatz bei diesem vieldeutigen Gebilde Frau, und dann reißt der Künstler ihm, diesem obsessiven Ansatz, von dem er ausgeht, alles an Sinn heraus, was er halten und bergen kann, es wird mehr draus, und es wird gleichzeitig weniger. Was auffällt ist dabei die Verschiedenheit in dieser Einheitlichkeit, als wäre jeder dieser Katamarane seine eigene Aussage und gleichzeitig alle seine Beziehungszusammenhänge, die diese Aussage herzustellen imstande ist und mit der er, der Katamaran-Frauengegenstand, kaum hergestellt, ein Gespräch oder auch einen ordentlichen Streit beginnt. Z.B. der hier mit den eingearbeiteten vertikalen Stoffbändern ("M. Interferenz", 2000, Acryl, LWD), die halb begraben unter Farbpatzen sind, und sich gerade deshalb besonders tapfer gegen die Horizontale stemmen, man hat diese dünnen Stoffbalken einziehen müssen, damit die Komposition, wie es bei der Frau eben gedacht ist, den Mann nicht hinüberzieht, dorthin, wo sich die beiden Schenkelbrecher ins Wasser hineingravieren und ihre Spur zu pflügen beginnen, sondern damit der Mann noch aufrecht bleiben kann angesichts dessen, was ihn dahin zieht in die Furche, die ewig offenbleibt. Des Wassers. Das sich nicht schließt. Was diese Katamarane sagen? Sie sagen, noch einmal, mit immer anderen Worten: Da war vorher eine öde Fläche, und dann sind wir als Wahrheit vorbeigekommen, und jetzt schauen wir einmal, wie wir uns als Aussage, hergestellt aus Farbe, auf diesem üblen Subjekt, der Leinwand, behaupten! Nicht schlecht, oder? Für Jürgen Messensee ist der Vorgang des Bilderherstellens, wie wahrscheinlich bei den meisten Malern, die nicht einfach nur Bilder herstellen, ein Kampf, aber Messensee verschleiert ihn nicht, er stellt ihn hin, und zwar als Kampf. Er stellt es der Aussage, die oft eine sadistische, zerstückelnde ist (daher auch die vielen Varianten von allem, was er macht, die Katamarane, die Münder, die Schwimmenden, die Bruststücke und Ellbogen), frei, welche Beziehungen sie eingehen möchte, indem er ihr beinahe unbeschränkt viele zur Auswahl anbietet, ja, die Aussage läßt er los, den Gegenstand, den hält er fest und zwingt ihn, furchtbare Dinge zu tun. Das Subjekt ist schon da (aber auch das verändert sich in letzter Zeit immer häufiger, jetzt bitte wirklich Angst haben!), das Prädikat jedoch wechselt und fordert uns heraus. Ich habe die liebe Gewohnheit, daß etwas im Wortlaut buchstäblich festgehalten werden muß, aber hier fehlen mir die Worte, und doch ist es eine Sprache, vielleicht gemaltes Denken? Weil das Subjekt, die Leinwand (aber auch die verändert sich inzwischen) in Messensees Fall eine Art seelisches Subjekt ist, wo alles Platz hat, aber nicht gleichzeitig sondern hintereinander, wie im Film, daher die vielen Variationen auf ein und dasselbe Thema? Da sind die Farben, aber da ist noch etwas, nicht gezeichnet, sondern eingraviert, in Schwarz, in den aufgerissenen, zahnbewehrten Mund-Varianten in grellem Rot (sehr viele verschiedene Rots!) und Weiß, das beißt, also die Münder sind nun wirklich sofort zu erkennen, sie drängen sich einem geradezu auf, ja, auch der Mund der Münder, der von Naomi Campbell ("Mund. Naomis Mund", 2000, Acryl, LWD), und wir machen uns gleich unsere Vorstellungen davon, was wir gar nicht brauchen, wir sehen ja, es sind Münder, aber es sind gleichzeitig auch Bewußtseins-Münder, und daher kommen sie nicht in uns hinein, sondern sie gehen eigentlich von uns weg, oder besser werden, indem sie sich auf uns schmeißen, uns wieder weggenommen, denn diese Bilder holen einen herein und werfen einen mit der andren Hand wieder hinaus. Die Vorstellungen in unseren Köpfen kommen herbei, binden sich an etwas fest, beziehen sich auf diese grellen, weit aufgerissenen Mund-Löcher (festbinden müssen sie sich, diese Vorstellungen, damit sie von einem schrecklichen Atem aus diesen Mündern nicht vorzeitig weggeweht werden, sondern ordentlich wieder: eben rausgeschmissen werden können, denn freiwillig wollen sie, und wir mit ihnen, wir haben sie uns ja als Vorstellung gemacht, nicht weg von diesen Wahnsinns-Frauen bzw. Frauenteilen), und dann gehen sie in unser Bewußtsein, die Vorstellungen, die uns zu machen wir gezwungen wurden, und dann kommen sie halt wieder heraus, und dann erst werden sie zum Objekt Bild.

Jürgen Messensee geht herum und sammelt seine Gegenstände (meist solche, die auf Frauen angewachsen bzw. Frauen selbst sind) ein, und dann hebt er sie in der Form auf, weil er kein andres Gefäß für sie hat, aber wenn er keine Frauengegenstände gefunden hat, nimmt er die Form auch allein, weil die Frau aus ihr bereits ausgeschlüpft ist, aber er bezieht sich dann doch immer auf das einzige Konkrete, das er hat, die Farbe und die Form, und bei denen ist er dann, dort hält er sich auf, damit er die beiden aufhalten kann, bevor sie ins Nichts fallen. Bewußtsein trifft auf Bewußtsein, das sich erst erzeugt hatte, als es das traf, wovon es sich doch bloß ein Bild machen wollte.

Bevor wir da etwas aufzuklären haben, tritt der Künstler herzu und klärt es für sich selber, und dann stehen wir da in unserer Fragwürdigkeit, in der wir geglaubt hatten, nichts mehr fragen zu müssen, denn diese Bilder haben sich ja geradezu vollgesoffen mit Sinn, also mit den vielen Beziehungen zwischen dem, was sie zeigen, und uns selbst. Es ist nicht bloßer Schein, was uns da einleuchten soll, indem wir den Mund erkennen, die Brüste, die Vulven der Katamarane, oder indem wir gar nichts erkennen und uns nur gesagt wird, was das ist. Denn bevor wir uns in dieses vom Künstler gemachte Bett legen können (meinetwegen auch: Wasserbett, durch das diese scharfen Kiele pflügen), sagt er zu uns: Bitte stehen Sie einen Augenblick auf, manchmal glaube ich nämlich, ich bin eigentlich Bildhauer, und daher muß ich dieses Bild jetzt ein wenig hauen. Erschrocken springen wir auf, die wir gerade versucht haben, unser Denken mühselig an die Aussage dieser Sache, die wir gesehen haben, anzugleichen, und wenn wir danach versuchen, uns wieder hinzulegen, wo es vorhin noch so schön war, fallen wir in ein riesiges Loch. Denn Jürgen Messensee hat dieses Bild inzwischen nicht plastisch hervorgehoben und gestaltet, nein, er hat es ver-hauen, und dieses dort auch, und zwar etwa so, wie man ein Tier aufbricht, das heißt, er hat nicht etwas herausgehauen, geformt, gestaltet, sondern er hat das Knie dagegengestemmt, mit der Hand hineingegriffen, und hat es eingebrochen (und gleichzeitig natürlich: aufgebrochen!), eben wie man ein Tier, das man erlegt hat, einbricht. Es hat ihm nicht genügt, eine Aussage zu machen, es hat ihm nicht genügt, daß ein Subjekt von einem Objekt Gebrauch (und dann das Seine daraus, den Garaus) gemacht hat, es muß sich die Bahn, auf der dies geschieht, für ihn unbedingt auch noch bewegen und nicht nur dem Bild eine ganz neue Brechung geben, heraus aus der Ebene!, sondern auch dem Denken, das dann wieder ganz neue Aussagen ergibt. Die beiden, Denken und Aussage, können sich nur aneinander reiben, wenn eine zweite Ebene entsteht, und die ist, auch wenn sie eine Ebene des Darüber Etwas Sagens ist, eben doch eine ganz andere. Aber wenn etwas gezeigt wird, das an Natur erinnert, an Lippen, Brüste, Schenkel, dann darf es Natur ab sofort nie wieder sein, dann darf es, obwohl es daher kommt nie wieder sein: Leben. Und die Brüste reißen wir jetzt heraus und lassen sie einmal einander gegenseitig anschauen ("Belle Katamaran", 1999, Acryl, Carton), das ist wahrscheinlich das Äußerste, noch so ein sadistischer Akt, der aber diesmal dem Betrachter gilt, daß nicht wir die Brüste, die wir doch immer gern anschauen, uns ansehen (wie z.B. im "Magde-Katamaran", 1996, Stabiloton, Öl, LWD, Alu), sondern sie sich - und einander - selber, weil sie etwas anderes uns nicht gönnen wollen. Das wäre zwar nicht neu in der Kunst, aber bei Messensee geschieht es nicht einfach als Abstraktion, als Auflösung einer Form, die sich noch vage an sich selbst erinnern kann, vielmehr geschieht es, wie ich glaube, deshalb, weil er sich letztlich selber, als Person, mit seinem Gegenstand in Beziehung setzen will, ja: muß. Der Gegenstand soll seinen Schöpfer mit hineinnehmen ins Bild, damit dieser Gegenstand seinerseits mit seiner Beziehung zu eben genau dieser Kindergärtnerin Wirklichkeit (ihr unterstellt, ohne daß er sich wo unterstellen könnte: der Künstler, der ihr Schutzbefohlener ist) spielen kann, und nicht, damit er einfach in bloße Form umgewandelt wird. Und Messensee will uns selbst dafür keine Beziehung mehr gönnen, auch nicht die zu seinem Werk, denn das Werk darf nur mit sich selbst ein Verhältnis eingehen. Nicht einmal mit seinem Schöpfer. Dieser Künstler ist eine Art Täter, der nicht einmal das Bild des Lebendigen am Leben lassen möchte, obwohl genau das immer wieder, meist halb zerfetzt und zerbrochen, wieder auftaucht. Unsere Aufenthalte in den Bildern wollen sich ja auch mit uns mit bewegen, an den Bildern entlangschlendern, aber das können wir jetzt nicht mehr, sonst zieht dieses Loch, das aus jenem Mund geworden ist, uns hinein. Keine Angst, einmal ist der Mund auch recht liebenswürdig in Form einer schlichten, geöffneten Schachtel gestaltet (ich fürchte mich trotzdem ein wenig, was ist, wenn die Schachtel zuklappt, sobald ich einen Finger hineinstrecke? "Mund", 2000, Acryl, Kohle, Cartonschachtel), aber das Rot und das Weiß, die gehören halt einfach dazu. Da kann man nichts machen. Der Künstler hat es ja schon gemacht. Und da ist ja auch noch diese zweite Ebene in der Ebene, da sind diese riesenhaften Kalenderblätter, mit Hilfe der Jet-Print-Technik ins Maßlose hinein vergrößert, ja, mit Hilfe der Technik so groß gemacht, und damit natürlich auch das, was vorher drauf gekritzelt war, und das ist plötzlich ganz brüchig, körnig, porös, durchlässig geworden, und auf diese Ebene auf einer Ebene, auf die kommt noch eine Ebene von Farbe. Eigentlich kann man Zeitigkeit in der Malerei nicht darstellen, aber indem etwas gezeigt war, was davor war, gemeinsam mit dem, was danach gekommen ist, und jedes von beiden seine Aura bewahrt, gelingt das in diesen Bildern. Und wenn sie dann noch Gebrauch macht, unsere Aussage, von Subjekt und Prädikat, von dem, was wir sind und dem, was wir da sehen, dann brechen wir selber ein, wir verharren und fahren doch gleichzeitig auf einer Bahn, weil ja auch dieses Bild nicht einfach eine Ebene voller Farbe ist, sondern es sind zwei Ebenen, zwei Zeiten, eine Gleichzeitigkeit, und wir merken, wir stehen bei uns selbst in der Kreide, denn auch uns können wir jetzt nicht mehr trauen, weil sich je schon ein andrer, dieser Künstler, mehr getraut hat als wir. So bleiben wir uns uns selbst schuldig.


DENKEN MALEN STÜRZEN © 2000 Elfriede Jelinek

 

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