Zu
Christopher Marlowes Der Jude von Malta
(In der Übersetzung
von Elfriede Jelinek und Karin Rausch)
In aller Unschuld

Christopher
Marlowe
(Bild aus www.marlowe-society.org)
Liebe
Elisabeth Hirschmann, ich muß meine Antworten ein bißchen
verflechten, weil ich sie so isoliert nicht wirklich beantworten kann
(ich kann sie allerdings nicht besonders gut beantworten, fürchte
ich).
Natürlich
ist das ein antisemitisches Stück, es kommen alle antisemitischen
Stereotypen darin vor, mit einem Antisemitismus, der sozusagen seine Unschuld
auch noch, in aller Unschuld, behauptet. Es ist sozusagen ein selbstverständlicher
Antisemitismus. Aber gleichzeitig entlarvt es auch den Antisemitismus,
und darin wird es interessant. Denn ausgelöst wird die Raserei des
Barabas ja von den unerhörten Schandtaten von Christen. Und wie von
einem Spiegel werden diese Untaten stets auf denjenigen zurückgeworfen,
der sie auslöst und damit auch gleichzeitig eine neue "Runde"
in der Eskalation von Gewalt auslöst (das ist natürlich paradigmatisch
für die politische Situation derzeit).
Bis sich das in einer aberwitzigen Spirale von Enteignung, Brutalität,
Diebstahl und Mord so lange dreht, bis (und das ist fast schlimmer als
wenn alle tot wären) der status quo ante wieder erreicht ist und
die Macht sozusagen wieder an ihrem Platz ist, bei den Kreuzrittern und
beim siegreichen Gouverneur, während der Jude wie in einem Brennspiegel,
in dem sich der Haß gegen ihn fokussiert hat, verbrennt (im siedenden
Öl gekocht wird), man könnte auch sagen: sich in der Grube,
die er andren gegraben hat, auflöst und verschwindet. Der Jude muß
sozusagen verschwinden, damit er die Gemeinheit der Christen nicht mehr
spiegeln kann. Damit die Christen nicht mehr sich selbst anschauen müssen,
und die Christen sind hier ja Kreuzritter, Imperialisten, Völkermörder,
das darf man nicht vergessen. Natürlich waren fast alle Christen
Antisemiten, der christliche Antisemitismus wird gerade in so katholischen
Ländern wie Österreich gern geleugnet und den "heidnischen"
Nazis allein zugeschoben.
Aber
ohne die Heilsversprechen des Christentums unter der Stigmatisierung der
Juden als "perfidi Judaei" und letztlich Christusmörder
hätten die Nazis nicht so leichtes Spiel gehabt, gerade in einem
so katholischen Land wie Österreich. Die Christen im Stück begehen
ja als erstes völlig skrupellos Raubzüge, Diebstahl, sie schänden
Frauen und treiben Unzucht (die Mönche mit den Nonnen, die jungen
Männer mit der Tochter des Juden, zumindest wollen sie es, etc. einer
benützt den andern, einer wohnt im andern und beutet ihn aus, die
jungen Leute werden sowieso skrupellos geopfert von den Mächtigen
und so weiter, denn diese ganze Kreuzrittergesellschaft basiert ja auf
Raub an den "Ungläubigen"). Während aber diese Kreuzrittergesellschaft
einfach ihre Verbrechen begeht, hat der Jude Barabas, und darin liegt,
wie ich finde, die Modernität dieser Figur, das Geld als eine Art
Vermenschlichungsmaschine entdeckt. Man könnte sagen: der abstrakte
Tausch paradoxerweise als das einzige zivilisatorische Element einer Raubritter-Gesellschaft.
Als Ersatz für die dunklen Primärtriebe und atavistischen Greuel.
Geld als Objektivierungsmechanismus.
Ich
finde Barabas darin eine moderne Figur, indem er sich über das Geld
definiert und nicht über Liebe, Eifersucht, Gier (daß die eine
Rolle spielen und ihn auch mit zerstören, z.B. die Liebe zu seinem
Sklaven, das steht auf einem anderen Blatt), das er für Waren bekommt
und das er für Waren ausgibt, wobei er sich noch beklagt, daß
Geld zuviel Raum einnimmt, Diamanten und Perlen wären besser. Die
Macht im Stück verfährt völlig willkürlich. Wenn der
Türke Tribut will, nimmt der Christ es sich vom Juden. Er borgt nicht,
er zahlt keine Zinsen, er stiehlt es sozusagen direkt und sofort, ohne
Umwege. Es wird eine Zivilisationsstufe übersprungen, und die Primärtriebe
übernehmen die Macht, es wird einfach von dem genommen, der es hat,
ohne Verträge, ohne Verrechtlichung. Insofern ist das Stück
eins der anarchischsten und wildesten, die ich kenne, weil es nichts Rationales
mehr gelten läßt, keine moralischen Überlegungen (auch
die Religion dient nicht als ethisches Korsett). Das Recht gilt nicht,
nicht einmal das Recht des Stärkeren, nur List und Tücke und
das Ressentiment (übrigens auch gegen die Türken, also die Muslime),
es wird in diesem Stück nicht geplant, es wird immer nur gemacht.
Aus einer E-Mail an die "Bühne"
E-Mail
an Karin Rausch
Liebe
Karin, danke für "Der tragische Spiegel" von Masinton, sehr
interessant. Das bringt einen noch auf zusätzliche Interpretationsmöglichkeiten,
obwohl ich das Interpretieren ja nicht so mag. Aber wirklich neu für mich
war, was Marlowe betrifft, diese Theorie der Überschreitung. "Außergewöhnliche
Fähigkeiten und ein forschender Geist", die einem begabten Individuum
innewohnen, also etwas überproportional Großes (und nicht einfach ein
auf Rasse oder Religion fixiertes, also beschränktes Wesen, wie es die
antisemitischen, aber auch die philosemitischen Stereotypen ja immer gebetsmühlenartig
eingrenzen) ist es, das dieses Individuum, das die Normen seiner Zeit
sprengt und daher der Verderbnis anheimfallen muß, notwendigerweise in
den Abgrund reißt. Man weiß ja sehr wenig über das Weltbild der Elisabethaner,
man kann kaum etwas darüber wissen (kennst du den schönen Aufsatz von
Urs Widmer dazu? Eine Ansammlung von unbeschreiblichen Grausamkeiten,
auch und gerade in den königlichen und höchsten Kreisen, vergewaltigte,
zerfetzte Prinzessinnen, im Wasser treibend, die Röcke um sich herum gebauscht
wie riesige Seerosenblätter...), vielleicht kann man sogar die Antike
heute noch besser verstehen.
Worin besteht denn diese Überschreitung des Barabas? Er ist ja nicht einfach
Jude und Wucherer und Verbrecher, er ist eine überlebensgroße Gestalt.
Vielleicht ist er sogar DIE positive Figur in dem Stück, na ja, ich deliriere
da ein bißchen, aber warum nicht, jedenfalls könnte man auch herauslesen,
daß Angehörige einer Religion, die nicht spiritualistisch ist und daher
vom Spirituellen (derzeit die Katastrophe des fundamentalistischen Islams,
wie nüchtern und clever, geradezu nett, verbindlich, kultiviert und konziliant
dagegen die Türken bei Marlowe!) nicht an ihrer individuellen Entfaltung
behindert werden, den anderen überlegen sind. Das Machiavellinische, also
das Amoralische am Verhalten des Barabas bedeutet ja, daß er, eben nicht
durch eine transzendente Religion gehemmt, absolut keine Rücksicht nehmen
und keine moralischen Skrupel haben muß in seinem Streben nach Macht und
Machterhaltung. Und all diese Bildung, dieses Wissen und diese Fähigkeiten
bei einem Juden, der ja keine Macht haben darf! Die Korrumpierbarkeit
und Verderbtheit im Öffentlichen und Persönlichen, die Masinton anmerkt,
die gelten natürlich auch für die reale weltliche Macht der Malteser Ritterschaft,
für die Mönche und Nonnen, für die ganze katholische Mischpoche im Stück.
Dagegen sind die Türken, die Muslime, reelle Geschäftsleute, die sagen
was sie wollen und ihre Invasion machen, wenn sies nicht bekommen. Also
ich finde ja, wie du weißt, daß Barabas eine unglaublich moderne Figur
ist.
Das
Geld als Versachlichung von menschlichen Beziehungen anstelle von Gefühlen
oder andren diffusen, an Zufälligkeiten und psychischen Unzulänglichkeiten
klebenden Abhängigkeiten, die der Laune des unberechenbaren Einzelnen
unterworfen sind, aber das ist ein sehr kompliziertes, weit verzweigtes
Gebiet. Noch dazu, wo man es ja mit Projektionen zu tun hat, nicht nur
mit den Dingen selbst, sondern auch mit den Schatten, die sie an die Wand
werfen. Wolfgang Pircher, ein Philosoph, der sich jetzt jahrelang mit
Geldtheorie beschäftigt, sagt, daß er trotz dieser langen Beschäftigung
damit, dem Thema noch immer nicht viel näher gekommen ist (gegen ihn bin
ich dann allerdings Lichtjahre davon entfernt, überhaupt irgendwas davon
zu kapieren), jaja, das Geld scheint sich, je mehr man sich mit ihm beschäftigt,
desto weiter von einem zu entfernen. Also Pircher hat mich auf dieses
ideologische Konstrukt Barabas hingewiesen (ein Produkt wie vom Reißbrett).
Er meint, was dem Stück seine Dynamik verleiht, ist die etwas reduzierte
(denn von Wechseln, die Barabas ja sicher von den Malteser Rittern hat,
ist nie die Rede, nie von der Abstraktion der Abstraktion Geld also) Zirkulation
des Geldes, die immer wieder auf das Zentrum Barabas hin und von ihm weg
statthat. Als wäre er ein Magnetfeld. Handel ist Krieg, sind Beutezüge,
aber Handel ist natürlich auch etwas Freiwilliges, das nach Regeln abläuft
und rechtlich durch Verträge gedeckt ist. Aber das geht noch weiter, weil
es nicht anhalten kann: Alles, was man so gern "menschlich"
nennt, wird Handel. Je weniger Raub und atavistisch es ist, umso mehr
wird es Handel und zivilisiert. Und anstatt der Gefühle erscheint mittels
eines Austauschverfahrens das Geld auf der Bildfläche, als Abstraktion,
als objektivierender Faktor in menschlichen Beziehungen.
Was
die Menschen zusammentreibt und zusammenhält, z.B. die Liebe, läßt sich
durch Geld als materielle Basis definieren, und damit entfernt es sich
in gewisser Weise wieder von den Menschen, die diese Gefühle empfinden,
und verselbständigt sich. Bei Marlowe sind die Gefühle, sogar die des
Vaters zur eigenen Tochter, durch Materielles ersetzt, an diesen angeblich
naturgegebenen Empfindungen (die Liebe zu den Kindern!) kleben sozusagen
noch die Reste von Wertgegenständen, dann geht die Klebenaht auf, und
nur noch das Geld, der Geldeswert ist da (das Töchterchen wird darüber
katholisch und sentimental und muß daher leider umgebracht werden). Der
Barabas spricht ja davon, daß die tüchtigsten Kaufleute, die Araber, so
klug sind, ihr Geld auf möglichst kleinem Raum zu lagern, das heißt in
Edelsteinen und Perlen, da kommt also wieder das ursprünglich Materielle,
der Urgrund am Geld und am Tausch zum Vorschein und macht die Sache konkret
(Geld in diesem Fall nicht bloß als abstrakter Tausch, sondern als Gegenstand,
den man anschauen und horten kann, das Geld, das Gold, das gleichermaßen
Abstraktion wie Konkretion ist, und das, da wird es erst recht kompliziert,
je nachdem, was es eben ist, auch verschiedene Funktionen hat), Säcke
mit Juwelen werden heruntergeschmissen, etc. und, egal ob es anstelle
menschlicher Gefühle steht oder in einem Beutel untergebracht ist, es
wird vom Barabas prompt auf die Menschen seiner Umgebung zurückgehängt
wie ein Gewand auf einen Kleiderbügel, immerhin, man sieht es wenigstens,
während man Gefühle ja nicht sehen und nicht angreifen kann, und deswegen
kann ein Übermensch wie Barabas ihnen nicht trauen und sich auch nicht
mit ihnen aufhalten, ich spinne so rum... entschuldige. Aber das ist wirklich
ein faszinierendes Stück. Zuerst schaut es so einfach aus und gradlinig,
aber es erweist sich dann als eine Wegkreuzung, von der so viele Straßen
abgehen, das kann halt nur Kunst. Herzlich, verzeih das langwierige Geschreibe,
E.
Links

Originaltext
des Juden von Malta
Marlowe-Homepage
englische
Renaissance Literatur
Burgtheater
29.11.2001
Zu Christopher Marlowes Der Jude von Malta © 2001 Elfriede Jelinek

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