Aus "Die Kinder der Toten"

(Mariazeller Kapitel)

Gnadenstatue

Diese Kirche hat ihre tägliche Blutung. Es schwappen über die Ränder der Schmutzwasserkübel, hoch auf den Kämmen der Wogen, jauchzend, daß die Häßlichkeit ihrer alten, eckigen Regimes beseitigt ist, die neu geschaffenen Rechtschaffenden hinaus und klatschen auf dem Boden auf, vor allem die Frauen, die haben jetzt viel mehr Zeit! Und ihre Männer daheim sinds, die sich vorauszusetzen wagen, um die neue Zeit in ihren Ländern auf einem Plastiksockel zum vielstimmigen Gestöhne der Pornografski-Videos zu inthronisieren, schauen Sie bitte vom Tabernakel zum Portal zurück: diese Frauen, alle in frischgeschlagener, schaumig gerührter Wolle, küchleinhaft plustrig in Selbstgestricktem, wie sie da auf den geweihten Wasserstürzen in die Kirche einreiten, als hätten die Heiligen sie zum Großreinemachen aufgefordert, diese fleißigen Putzteufelchen haben schließlich auch ihre alten, hornigen Kriegs-Herren unter deren sicheligem, sticheligem Emblem hervorzureißen und zu beseitigen vermocht (der Hammer des großen Exekutors hängt allerdings immer noch über ihnen!). Hier können Sie sich alles gründlich anschauen! Schaudern macht die armselige Kleidung, die vor Ort leicht zu verbessern gewesen wäre, doch die Frauen haben keine Zeit, sie müssen vor die Gottesmutter hintreten, damit sie sich gütig zeige und diese, ihre von zu vielen einförmigen Jahren gründlich verhagelte Brut, die da angekrochen kommt, von ihren Zitzen reisse, auf daß auch die andren im Wurf noch drankämen. Es schnappen die Pilgrime nach dem Licht, das aus der Kleidung des Höchsten Paares in der elektr. aufgeladenen Nische hervorquillt, es mischt sich kostbares Metall mit Feuer; ewig im Schatten bleiben jedoch die Rastplätze für die Omnibusse, wo sich der eigentliche Gegenstand dieser Reise, der schiere Abfall, hier, die lustig knatternden Papierfahnen, und dort, die mit dem Zauber der Sanftheit beseelten Wursthäute, gütig über die Bildnisse auf den zerknüllten Packungen neigen, die unter ihnen, bedrückt, aus den Mistkübeln zu lugen versuchen. Wurstpapier, Käsepapier, Butterstanniol, die Gedanken leiden ja auch, die Menschen sind ebenfalls niedergeschlagen, doch immerhin, sie kommen herum! Und stets hat mindestens einer den Mut, seine ehrliche aufrichtige Meinung zu sagen, was früher leider nicht möglich war.

Ein weiteres hohes Paar, Karin samt Mutter, drückt sich durch die marmorne Pfortader, aus der zu Fertigsuppe eingedicktes Menschenfleisch quillt. Etwas Fleisch reibt sich in der Gegend der Oberschenkel, und auch die beiden Frauen haben eine Menge Reibungen, dies hohe Maß an Intimität. Der Menschenteppich ist im Kirchenschiff entrollt vor dem Ersten, der schon als Kind dahergekommen ist und auf dem Arm seiner Mutter sitzet, die ihn sich hat angelegt sein lassen. Man muß hier seinen Hörsinn, aber sofort! mit einem Schleier bedecken, will man das Geschrei aus den vielen Sprachen in seiner dicken Soße aus Lautkräftigkeit ertragen lernen, etwas, das aus den Kehlen krabbelt und die Leute einander madig macht. Hilfe! die Menschheit hat ja ihre Körper vergessen! Ach nein, dort draußen liegt ja eine ganze Menge von ihnen herum, der Vorteil des Todes ist, Zeit zu haben, Gemütsbewegungen können einen nicht mehr fortschwemmen, und der Tod grapscht im seichten Brackwasser nach unsren Zehen, denen unser Körper folgen soll. Nach einer kurzen Schrecksekunde in der Vakuumverpackung (unter der sich Serben, Kroaten, Bosnier u.a. gehäutet haben, weil sie die Schwäche von Lebewesen dazu ausgenützt haben, sich so fest ineinander zu verbeißen, daß ihnen schon die Haut abgezogen werden müßte, um sie wieder voneinander zu trennen. Die Serben kommen leider nicht her, auf daß wir sie zur Rede stellen können, die haben ihre eigenen Kircherln.) knallt die Stanniolmembran oben weg, der Arzt gibt grünes Licht, aus der Mikrowelle sprüht die Gischt (zu lang eingeschaltet), und die Toten gleiten, zauberhaft in ihrem Übermaß und ihrer Einfalt, ich meine Gleichfalt - denn wenn sich eine Form bewährt hat, erzeugt die Natur sie immer wieder - in die Dunkelheit hinaus, einen Moment Pause bitte, schon schreien die Toten einander wieder gegenseitig an, bis sie Früchte in den Mund gesteckt bekommen müssen, um zum Schweigen gebracht zu werden: z.B. Äpfel (libera nos a malo - MALUM: das Böse, bzw. der Apfel!), dieses Sonderangebot von der Schlange, welche das naturhaft kecke Wesen, die Frau (der schlaue Sündentopf, in den der bärenstarke Mann immer wieder hineingreifen muß!) mit diesem knackfrischen Obst in Versuchung geführt haben soll. Süß Saftig Steirisch. Die Frau sieht an sich herab und erkennt ihren Körper. Der Mann tut im Prinzip dasselbe, doch er erkennt in sich seinen Geist: eine wahre Gespenstergeschichte! Und dann prügeln und knallen sie sofort wieder mit dem Schießgewehr und den Kronenkorken aufeinander los, unsre Herren Maßgeblichen, welche sogar Löcher in Menschen reißen, um die Eingeweide ihrer nächsten Nachbarn, warme Verdauungstruhen, ruhend in der liebenden Schale eines Leibes, herauszufetzen und zu beschauen, wer wohl gewinnt, und uns Frauen, diese immerwährenden, heulenden Windsbräute des Krieges, um den Finger zu wickeln, vorausgesetzt wir sind vom gleichen Stamm wie sie heruntergesägt. Dann können wir uns in dieser Truhe auch gleich begraben lassen.

Das wäre geklärt, warum aber sind die Menschen dann so unsicher? Daß sie ins Irdische stürzen, auf die Rastplätze, die sie versauen mit ihren Nahrungstrümmern und ihren Ausscheidungen, welche sie unter dem Leintuch des Lichts nur umso sichtbarer vor uns ausbreiten? Sich einreiben mit der Sonnenkreme, die sie vor den schlechten Strahlungen bewahren sollen?

Ein heulender Wind braust durch das Langschiff, das unter dem Ansturm schaukelt und bebt. Ganz am Rande unsere beiden Hauptfiguren, die sich vom Rest ihrer Reisegruppe ein wenig absentiert haben (vom gemeinsam gemieteten Kleinbus mußten sie sich schon auf dem kilometerweit entfernten Parkplatz trennen), denn Karin und ihre Mama, sie wollen Gott und dessen Mutter, bei denen sie heute eingeladen sind, allein genießen in deren lichterfüllter Mansarde. Wie die beiden sich einander ergeben, Mutter und Kind, das muß man gesehen haben! Einmalig! Karin F. hat sich an ihre Mutter ausgehändigt, das ist für sie der Naturzustand, der von ihnen beiden absolut anerkannt wird. Gott und die Jungfrau holen tief Atem, der beim Ausatmen nach Geweihräuchertem riechen wird. Die schönen Seidenstoffe über diesen beiden gehobenen Lebensgeistern! Heilige Vollendung aus ein bißchen Samen und zu Segeln aufgerichteten Äonen, wartet nur, der Geist würde euch jederzeit aus eurem Mangel aufrichten! Was für ein inniges Schwelgen unter dem von den Habsburgern gestifteten Perlenschmuck! Dazu die Kronen auf den Häuptern, in Klein, wie ritterlich von diesem Geschlecht, dessen Stammfolger neulich hier sogar ein lebensgroßes Menschenmodell in cremefarbenem Brokat geheiratet hat! Diese hl.Urfamilie strampelt jetzt froh in der Kaufhalle des Europäertums herum, wo Leute wie sie wünschenswert wären - und schon gibt es sie wieder! damit die Geschlechter ihrer ehemaligen Länder sich nicht weiter und immer weiter und immer dem Bache nach die Bajonette in die armselig selbsttapezierten Leiber bohren müssen. Die hier zu Gott und der Mutter singen und sich beherzigen und bekreuzigen, die gehen bald wieder nach Hause, und dort spielen sie dann eine hervorragende Rolle, wenn ein Zigeuner verbrannt werden soll: einer von den Menschen, die nicht eigentlich glänzen, wenn man ihnen eine schmiert.

Dermaßen liebend wogen die Leute umher, daß sie alles mitreißen, was ihnen in den Weg kommt, denn sie wollen ihr Schicksal vollenden: ein jeder von ihnen allein in seinem eigenen Staat, wo er mit dem Licht und der Fernbedienung herumschalten kann, wie es ihm paßt. Von den Familien Jesus und Habsburg lernen sie, was die Kleidung bzw. die Nacktheit aus dem Menschen macht. Ähnlich der Religion dient sie zur Verunsicherung und Unterscheidung. Alle unsere Außenminister applaudieren fest, der Ort zwischen ihren Handfächen ist inzwischen der einzige, der ihnen freisteht, leider! Man muß Druck machen, schwarz auf weiß können die Leute dann lesen, wer auch bei uns unerwünscht ist und abgestempelt werden muß, damit er wieder nach Hause zurückkehre. In Unruhe wird unhergeblickt und nach solchen und ähnlichen Ausschau gehalten.


Basilika Mariazell


Dieser Wallfahrtsort, diese Kampfstätte der Meinungen und Kulturen, die sich alle einig sind, nämlich daß die prangende Katholenstrahlkirche alle abstößt, die nicht zu ihrem ewigen Licht aufblicken mögen; sie ist der Platz, nicht um auszuruhen, sondern um sich aufzupudeln und das Gefieder zu sträuben, bis man, wie aus Wolken, leise zu regnen beginnt, weil man es nicht mehr aushält, den einzigen Gott, den es gibt, bei sich zu haben. Die Gesänge werden von der Luft gewogen und für zu laut befunden, und die Luft wird schmutzig, weil sie aus zu vielen Kehlen abgesondert wurde. Die Pilger mühen sich ab, dann wird etwas Puppiges hervorgewürgt und auf den Teppich gekotzt: kegelförmige weibliche Körper, die in ihre drahtige Landestracht innen eingehängt sind, von der steifen Sorgfalt der Unterröcke aufrechtgehalten. Aber diese Verdrahtung gilt keinem Nachbarn. Es wischen kecke ungarische Stiefelchen über kalte Marmorfliesen, diese Frau hat Paprika, die Marika, Donnerwetter! Entpuppen auch Sie sich als Europäerin! Leuchten Sie mit einer Taschenlampe zur Gottesmutter hinauf, Sie werden keinen Unterschied merken, Sie kleines Licht, weil es ohnedies schon hell ist, und heller geht's nicht! Auch nicht mit einer halben Million Kerzerln auf den Straßen, die für diese Fremden angezündet wurden und für uns, die wir auf höherem Niveau (das heißt so, weil man bei uns immerhin Niveakreme für die tägl. Hautpflege zu verwenden weiß!) ebenfalls ewig Fremdelnde sind.

Wer wird schon vom Samen kosten, wo er doch den ganzen Apfel haben kann, wenn er nur ein bißchen wartet? Folgende einzige Fesseln sind den Sängern angelegt: sie dürfen in der Kirche alles, nur nicht gegenseitig voneinander abbeißen. Das Licht spielt zufrieden um unsere Sünden-Häupter. Wir sollen es nicht anschauen, weil wir sonst das Böse erkennen, das wir sind - ein Interessenkonflikt, denn Gott will ja gerade dieses Böse in uns erkennen, lassen wir ihm Zeit. Deswegen hat er das eine oder auch das andre Gebot erlassen. Karin Frenzel trägt so einen winzigkleinen Rubinring an ihrem Finger, der war einmal ihr Verlobungsring. Sie steht jetzt staunend dort, wohin sie sich vorgedrängt hat, und sie sieht, daß die Blöße Gottes hinter einem Tuch aus weißem gemischt mit einem Hauch von goldenem Brokat vollkommen verschwunden ist. Die Mutter zischt, daß man nachher in die Milchtrinkhalle gehen und an einem Halm saugen werde. Danach gehts weiter in die Kapelle, wo das heilige Wasser herausrinnt und auf mitgebrachte Flaschen gezogen werden darf. Man nimmt es mit nach Hause, nachdem man auf die Vollendung geblickt hat, daß mitten im Boden ein Strahl entsprungen ist und von den Mitgliedern der gesamten Menschheit in Marmeladengläsern wieder eingefangen werden kann. Mir ist es lieber, die Gläubiger dieser Kirche, denen sie allen das ewige Leben versprochen hat (aber nicht das ewigwährende Bankkonto) sind gebückt und beschäftigt, dann erfinden sie wenigstens keine dramatisierten Märchen über geschächtete Kinder (mei liabs Andele vom Rinn, am Judenstein in Tirol: der Bischof in der Gestalt eines Adlers hat dich leider aus deiner angestammten Jaucherinne gerissen und mitsamt dem ganzen Blut, das aber von seinen eigenen Händen gekommen ist, vom Seziertisch gespült! Nach welchen golden behämmerten Strahlen sollen wir denn jetzt, nach dem großen gemeinschaftlichen Verhuschen und Vertuschen, greifen, da wir doch alle so kleine Lichter sind?), deren Blut über uns gekommen ist und uns gewaschen aber nicht naßgemacht hat. Dafür wollen wir uns heute mal einen zünftigen Blut-Almenrausch ansaufen! Und morgen sind wir dann wieder die Edelweißen, schwer zu erreichen, in unwegsamem Gelände gesprossen, und keiner darf nach uns greifen, wir greifen viel lieber nach ihm.

 

Pilger

 

Jö schau! Menschen ziehen unaufhörlich, wie die Schatten von Weidevieh, an dem Silbergewoge vorbei, das die Mutterkindgruppe eingekapselt hat, als wär diese ein schädliches Virus. All das Metall zieht sich zusammen, ein Tiger vor dem Sprung, alles herhören: Sicheln zu Wurfspießen, Pflüge zu Schwertern! Karins Rubinringerl macht eine punktförmige Spiegelung auf einer Silberwolke, es interessiert einen richtig, dabei zuzuschauen. Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben. Wir aber sehen, wie Karin sich durch Schlenkern der Hand an dem hüpfenden Punkt erfreut, als wollte ein Zeigestab aus der Unendlichkeit ihrer Melodie und ihrem ganz eigenen Rhythmus folgen, wie es die Menschen nur mit Elvis, Mick Jagger oder einer andren inzwischen veralteten Tute- und Blasegruppe getan haben. Dieser Ring ist die Instanz des Bildes, die Mutter sinkt in die Knie, das ist nun einmal so. Da muß schon ein Stärkerer als Karin kommen, am besten müssen sie gleich zu zweit erscheinen, damit die Mutter Wirkung zeige, diese Wallfahrerin, der aber die Tochter willfährig sein muß. Das Licht ist für Karin unerreichbar, doch einen kleinen Beitrag leistet sie mit ihrem Rubinpunkt, der da so hübsch, wie trunken von sich selbst, auf dem Silbergebirge, auf diesem strahlenden Anger herumhüpft, schwer nur kann es gehütet werden, das Pünktchen. Diese Liebesblume. Die Schleier des hl. Paares sind geworfen, sie flattern von der Spitze herab, um die greulichen Sängerinnen aufzurichten, die sich, ein einig Fleisch und einzig Verstand, aneinander aufrichten wie Wellen, aus denen die Steckkämme blinken; bald werden sie sich ihren Mitbürgerinnen verkündigen, daß nur sie selber gekommen sind, ihre Länder wieder einmal aus dem Makel der Brotlosigkeit in die Vollendung der Vernichtung ihrer insgesamten Nachbarn zu führen, da steht die Gestalt eines Adlers, der sich einen zweiten Kopf aufgesetzt hat, und jawohl! es ist unser lieber Doppeladler! an der Spitze des Tabernakelschreins auf, der Priester singt etwas und hält etwas noch viel Kleineres hoch, der Schatten Karins huscht noch ein letztes Mal über die silbernen Felsen, Jave, das Bärengesicht und Elohim, das Katzengesicht, erscheinen, der eine gerecht, der andre ungerecht. Feuer und Wind brechen aus den Mündern und den Geschlechtern der Frauen, die beinahe alle in ehelichen Gemeinheiten zu liegen gekommen sind, immer als Untermann im Bett, nie sind sie mal am Aufschlag. Und da stoppt plötzlich der winzige rote Lichtpunkt in seinem Hüpfen der Begierde. Er war schon erweckt, und dann ist er wieder eingeschlafen.

Karin Frenzel, die blindlings ihr baumwollenes Tagesdirndl in die Flammen Gottes zu halten entschlossen war, auf daß es wie Hygienewatte entflamme und der aufnahmefähige gute Kern in der Mitte schmelze und ungeheure Energien freigebe, starrt auf die so jählings verschwundene Spiegelung im alpinen Silbersee. Ihr geringer Schatz ist dort hineingeraten und verschluckt worden, ihr kleiner Ring! Wo ist er nur hingeraten, in welche Gletscherspalte, in welche Finsternis? Karin beugt sich nach vorn, eigentlich hätte auch das blauweiße Karo ihres städtischen Dirndlkleid-Adapters wenigstens ein bißchen einen Vorabdruck kriegen müssen auf dem herzlosen Habsburger-Metall; all diese Frauen ringsumher legen ja weiterhin ihre warmen Wangen und Hände davor nieder und puffen einander heimlich aus der Ansichtssache des gerade zelebrierenden Priesters, eines feschen Kroaten. Diese Energischen, die haben die Hefte in der Hand und streichen alle übrigen schon wieder mit kräftigen Strichen daraus heraus. Der Berg aber bleibt stumm auf das Pochen Karins, die im Grunde zum ersten Mal auf sich selbst pocht. Im gleichen Augenblick wendet sich die Mutter nach ihr um, ruckt suchend mit dem Kopf und verzieht eins ihrer Mundwinkeleisen, weil sie der Tochter nicht gewahr wird, die doch hier, ganz dicht vor ihr stehen muß. Die Mutter gerät leicht ins Trudeln, man kann sich das so vorstellen, daß man einen Hund an einer Leine hat, und plötzlich ist nur mehr die Leine da und vielleicht noch das leere Halsband. Das Licht spricht durch Karin hindurch, als wäre da niemand. Vor diesem Licht wanken die weiblichen Geschlechter, sie werden vom Geist durchgezählt, wer sollte das sonst übernehmen? die einen sind zu alt, und der andre, der Priester, ist durch Schwenken, Sprücheklopfen, Singen und Spitze! Ja! mit sich auf den Saum seines Gewandes Treten zu beschäftigt. Suchend dreht sich die Mutter um ihre Achse, wo ist der Knochen von ihrem Knochen, den sie hielt so fein am Kochen? Da bringt man als Frau die Kraft heraus, eine weibliche Gestalt zu formen, man läßt sie vor sich erstehen, und dann verschwindet sie so einfach! Es ist nicht leicht, sein Wesen zu erkennen, aber wenn man ein für allemal klargestellt hat, daß man Gott ist, eine für die Mutter fruchtbare Erfahrung, dann gibt es kein Halten mehr, dann hat jedes Kleid einen Sinn, das man dem Kind anzieht, dann ist dieses Wesen entdeckt vor der Küste seiner observanten Mutter, und man kann im Dreck und Morast des Lebens eine vorgeschützte Putz-Kolonie errichten. Mögen sich hier, im Mittelgang der Basiliska, noch so viele Menschenbäche einherwälzen und in sich selbst suhlen, der Schlamm wird doch hinter ihnen immer wieder glatt daliegen wie nie betreten!

Der Geist des Lebens ist aus Karin emporgerissen worden, doch sie ist, ohne Kraft dem Nichts verbunden, hier geblieben. Die Mutter weiß nicht, wie weit sie mit ihrer Herzlichkeit gehen darf, so fängt sie an, leise in die schallenden Lieder hineinzuflehen, eine zweite Stimme, die sich unter die erste zu ducken hat, denn die erste ist das mächtige chorische Strömen der neuen Welt im Osten, die jetzt Reisepässe hat und sich, spät aber doch, in vielen kleinen Bildern, endlich selbst ins Gesicht sehen muß. Träge, lehmig, alles mitreißend, über die Reiche gesetzt wie über die Reichen. Jetzt werden sie einmal mindestens tausend Jahre lang am heiligen Grabe herrschen, diesem Leerplatz, aus dem die Vertriebenen wie die Toten in hohem Lichtbogen springen, die einst dort hineingestopft worden sind. Eine Gestalt ist aus dem Grab erweckt, bevor sie noch richtig drinnen war, und sie befindet sich inzwischen schon draußen vor dem Portal und blinzelt ins Sonnenlicht: ein selbstgezimmertes Fort im Fluß, an dem sich die Menschen eine zeitlang wie Wasser an harten Brüsten teilen, dann aber bald darüber zusammenschlagen. Es ist zu mühsam, um das Nichts herumzugehen, das wir geschaffen haben, gehen wir lieber hinein! Diesem Licht verdanken auch wir Dichter unser unangenehmes Wesen, es ist ein gedachtes, denn es wäre furchtbar, müßten wir einmal Persönlichkeiten sein.



 


1995 bei Rowohlt; 1997 als rororo 22161




Aus "Die Kinder der Toten" © 1997 Elfriede Jelinek

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