16.3.2001

Rotz

 

Wir müssen hier wieder einmal ein kleines Stück unsrer Lebenszeit hergeben, um für etwas einzustehen oder, mehr noch, gegen etwas zu stehen, das anderen wie brauner Schleim, einfach so, ganz natürlich, wie es in den Körpern, den bierseligen wie den Hochmütigen an der Kreissäge, im Kreißsaal oder in der Vorstandsetage, die jetzt auch dazugehören und sich für vieles zu fein sind, von dem sie profitieren, aus den Mündern quillt. Sie müssen nicht nachdenken, wir aber müssen es, leider, und zwar um auf sie zu reagieren. Wir sind daher die Schwächeren, weil wir eine Art Vermittlungsarbeit leisten müssen, weg von den ungefügten Äußerungen der Vorzivilisation, in der sich eine Rotte von sich eingeweiht Fühlenden in Kürzeln von Ostküste und Waschmitteln miteinander auf ein Einverständnis zusammenrotzt, bis der Haufen groß genug ist, hin zur Nachdenkarbeit, was gegen das Anwachsen der ökonomisch-sozialen Ungleichheiten und deren Begleitern (Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit, etc.) zu tun wäre. Wir sind andrerseits auch wieder die Stärkeren, indem wir auf etwas bestehen, und zwar auf einem anerkannten Wertekanon von Gleichheit und Gerechtigkeit, der inzwischen zum Glück universell ist und selbst von konservativen Parteien international anerkannt wird. Die sogenannten Freiheitlichen wollen diese Gleichberechtigung den sogenannten Ausländern aber offenkundig nicht gewähren, weil sie ihre eigenen Rechte durch sie eingeschränkt sehen, und zwar das Recht auf freie Fahrt, also das Recht, nicht in der Kolonne fahren zu müssen, das Recht auf einen Sitzplatz in den Öffis, das Recht auf das Eigentum am Gemeindebau, das Recht auf Alkohol und Nikotin, sowie das Recht des Rechthabens an sich. Jedenfalls meinen sie niemals, wenn sie überhaupt etwas zugestehen würden, das Recht der Partizipation der anderen an ihren eigenen kostbaren Rechten: Auf dem Bankerl sitzen und nicht gestört werden.

Ich persönlich stehe also wieder einmal hier, nicht weil ich ein ab und zu fälliges Ritual abspulen möchte, damits mir selber für eine halbe Stunde besser geht, sondern weil ich eben glaube, daß für diesen Wertekanon einzutreten ist. Ich denke, von dieser Regierung ist nichts mehr zu erwarten, und es ist auch nicht auf sie zu setzen, und selbst wenn die extreme Rechte bei diesen Wiener Wahlen ein wenig zurückgedrängt würde, die Schande ihrer bloßen Existenz, die Schande ihres Erfolgs bleibt, auch wenn die gemäßigt fortschrittlichen Gruppierungen gestärkt würden. Sie wirkt, diese Regierung, mitsamt der sogenannten stärkeren Regierungspartei, indem sie einfach da ist, sie wirkt, die FPÖ mit ihren Sprüchen, weil sie aufgrund dieser Sprüche nicht denken muß, aber immer etwas zu sagen hat. Sie kotzt uns ihre antisemitischen und menschenfeindlichen Sprüche vor die Füße und geht anschließend wo andershin, wo sie es genauso macht. Ich habe keine Lust mehr, einen Fetzen zu nehmen und dauernd hinter ihnen herzurennen. Aber auch einfach nur da zu sein, nachdem wir schon so oft dagewesen sind, müßte mir, müßte uns eigentlich zuwenig sein, obwohl es auch wieder genügen müßte gegenüber dem Geheul und dem einverständnis-innigen Gegröle und Gegrinse und Gefeixe in ihren Bierzelten und Kurhallen (eine Einrichtung, wo eigentlich etwas gebessert werden sollte, oder?).

Rede gehalten am 16.3.2001 auf der Antirassismus-Kundgebung der Demokratischen Offensive in Wien (Stephansplatz).

 

(Fotos: aus "derstandard.at")


16.3.2001 © 2001 Elfriede Jelinek

 

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