"Süddeutsche Zeitung" vom 25.10.1995, Feuilleton Seite 13


Bomben und Plakate

Zur Verhaiderung des österreichischen Kulturklimas

 

In Österreich werden Briefbomben verschickt und Plakate geklebt. Was haben die beiden Vorgänge miteinander gemein?

Nur dieses: beides bezweckt die Einschüchterung bestimmter Gruppen, die zu Feindbildern erklärt wurden. Durch die Briefbomben sollen jene Leute eingeschüchtert werden, die sich für eine humane Asyl- und Ausländerpolitik einsetzen oder selber Ausländer sind, die sich in Österreich niedergelassen haben. Durch die Plakate sollen jene Künstler und Kulturpolitiker eingeschüchtert und der Bevölkerung als Feindbilder eingeprägt werden, um die seit langem in der Öffentlichkeit ein Kulturkampf tobt, einträchtig angeheizt von der Freiheitlichen Partei des Rechtspopulisten Jörg Haider sowie von österreichischen Medien, die es als Marktchance erkannt haben, Quotenjagd als Künstler-Hatz zu betreiben. Wobei die Namen austauschbar sind: mal geht es gegen Schriftsteller wie Jelinek, Turrini, Menasse, Scharang, Roth oder Artmann, mal gegen bildende Künstler wie Nitsch oder Mühl, mal gegen Intendanten wie Peymann oder Mortier.

Auf den Wahl-Plakaten, mit denen die Wiener Freiheitlichen in der ganzen Stadt, vor allem aber in den Arbeiterbezirken, derzeit Stimmungsmache betreiben, wird die demagogische Frage gestellt: 'Lieben Sie Scholten, Jelinek, Peymann, Pasterk . . . oder Kunst und Kultur? Freiheit der Kunst statt sozialistischer Staatskünstler.' Allen Lesern der Kronen-Zeitung, des fast schon allmächtigen Boulevard-Blatts und Zentralorgans aller übleren Instinkte der österreichischen Seele, muß der unterstellte Zusammenhang augenblicklich klar sein. Schließlich werden ihnen die Dramatikerin Elfriede Jelinek und der Burgtheater-Direktor Claus Peymann seit Jahren als Feindbilder ebenso eingehämmert wie der Kulturminister Rudolf Scholten, der Peymanns Vertrag verlängert hat und von der Krone permanent zur Zielscheibe unflätiger, auch antisemitischer Anwürfe gemacht wird. Auch die Wiener Kulturstadträtin Ursula Pasterk gilt als Befürworterin des Burg- Chefs.

Die Perfidie des Plakats liegt darin, daß hier kritische, engagierte, auch provokante Künstler als 'sozialistische Staatskünstler' diffamiert und gemeinsam mit liberalen, fortschrittlichen Kulturpolitikern zu Volksfeinden erklärt werden, deren Kopplung mit dem Namen des sozialdemokratischen Wiener Bürgermeisters Michael Häupl auch diesen im Wahlkampf diskreditieren soll. Zwar ist es absurd, ausgerechnet die Jelinek als 'Staatskünstlerin' zu denunzieren, die jahrelang in Österreich links liegengelassen wurde, deren Bücher in Deutschland verlegt und deren Theaterstücke immer noch hauptsächlich in Deutschland aufgeführt werden, aber um Fakten-Wahrheit geht es im gegenwärtigen österreichischen Kulturkampf ja gar nicht.

Es geht vielmehr um Skandalisierung von Kunst und Künstlern als Selbstzweck. Es geht um die Aktivierung aller kunstfeindlichen Ressentiments und die Ausbeutung aller anti-intellektuellen Vorurteile, die von der Haider-Partei seit langem in regelrechten Künstlerdiffamierungskampagnen systematisch geschürt werden - mit Hilfe der Krone, aber unter eifriger Mitwirkung auch anderer Medien. Es geht, wie der Dramatiker Peter Turrini bei der Frankfurter Buchmesse formulierte, um 'versuchte Existenz- und Menschenvernichtung'. Es geht um die Herstellung eines Kulturklimas, in dem die verborgensten Aversionen der Leute angesprochen und ihre Neid-Instinkte gegen angeblich gut verdienende oder angeblich vom Staat schmarotzende Künstler mobilisiert werden sollen.

Indem Jörg Haider, den man laut höchstgerichtlichem Urteil einen 'Ziehvater des rechten Terrors' nennen darf, die 'linke Kulturschickeria' als Haßobjekt an den Pranger stellt, bewirkt er mehrerlei. Er macht sich das latente Unbehagen der Leute über die moderne Kunst schlechthin zunutze, ermutigt ihr Unverständnis für deren Sperrigkeit, Schwerverständlichkeit und deren Strategien des Tabubruchs und verteufelt die Moderne pauschal als 'Zeichen einer fortgeschrittenen Dekadenz der westlichen Gesellschaften' - wörtlich nachzulesen in Haiders 'Plädoyer für die Dritte Republik'.

Der Anti-Kunstfeldzug des Kärntner Demagogen erinnert auch insofern an den Nazi-Kreuzzug gegen 'entartete Kunst', als er unterstellt, was die Banausie immer schon geglaubt hat - daß die Moderne auf einer Verschwörung von Schlaumeiern, Schmarotzern, Scharlatanen und Schurken beruhe, die den Bürger für dumm verkaufen und ihr Geschäft mit dem Ausverkauf des Gutenwahrenundschönen betreiben. Fremdenangst, Neid auf Berühmtheiten, Ohnmachts- und Unterlegenheitsgefühle werden von der Haider- Partei geschickt instrumentalisiert und umgelenkt auf Kunsthaß und auf Wut gegen sogenannte Nestbeschmutzer, die unter dem Siegel 'Freiheit der Kunst' angeblich die Heimat beschimpfen und 'das ästhetische Grundempfinden von Menschen verhöhnen' (so Jörg Haider in: 'Die Freiheit, die ich meine'). Wenn Haider dann auch noch ankündigt, im Falle eines Wahlsiegs würde er die staatliche Kunstförderung drastisch reduzieren, so kann er der Zustimmung all jener sicher sein, die sich die wahre ökonomische Realität einer heutigen Künstler-Existenz in Österreich gar nicht vorstellen können (und gewiß keinen Moment bereit wären, eine solche Existenz zu führen).

In einem solchen Klima der Hetze gegen Kunst und Künstler glaubt auch die Qualitätspresse nicht zurückstehen zu dürfen. So schlägt auch Der Standard neuerdings in die Kerbe der Kulturfeindlichkeit und bestritt seinen letzten Wochenend-Aufmacher vierspaltig mit der Schlagzeile: 'Salzburger Festspiel-Poker um Geld und Macht - Gérard Mortier drängt auf Alleinherrschaft und fordert Anhebung seines Gehaltes auf fast das Doppelte'. Kein Wort davon entspricht in dieser Formulierung den Tatsachen. Vielmehr hat das Salzburger Festspiel-Kuratorium schon vor Monaten von sich aus beschlossen, dem äußerst erfolgreichen Intendanten des Nobel-Festivals eine Vertragsverlängerung anzubieten und seine Gage auf eine international übliche Höhe anzuheben, wobei das Gehalt des Wiener Staatsoperndirektors (umgerechnet 30 000 Mark monatlich) als Richtschnur gelten sollte. Gérard Mortier seinerseits hat keine Gegenforderungen gestellt, hat aber einen Wunsch geäußert: er möchte für den Fall künftiger personeller Veränderungen im Festspiel-Direktorium ein 'Anhörrecht' vertraglich verankert sehen, gewitzt durch die böse Erfahrung, daß er und sein Finanz- und Konzert-Chef Hans Landesmann vor einem Jahr die Ernennung der Salzburger Modehändlerin Helga Rabl-Stadler zur Festspielpräsidentin aus der Zeitung erfahren mußten.

Eine Zeitungsente also? Gewiß. Aber das hindert den Kultursprecher der Freiheitlichen Partei nicht daran, über Mortiers 'beispiellose Unverschämtheit' zu schäumen. Das hindert den Kultursprecher der konservativen Volkspartei nicht daran, Mortiers angebliche Forderungen 'obszön' zu nennen und Klaus Maria Brandauer als Intendanten zu empfehlen (der zugleich von Jörg Haider als sein favorisierter Burgtheater-Direktor genannt wird). Und das hindert erst recht das dämonische Kleinformat nicht daran, aus einer Falschmeldung eine politische Drohung zu machen und den Sozialdemokraten - 'Wahltag ist Zahltag' - die 'Empörung der Steuerzahler' in Aussicht zu stellen. Wenn man bedenkt, daß Politik in Österreich seit längerem nur noch nach den Gesetzen der medialen Quotenjagd gemacht wird, wird man sich über die Standfestigkeit linksliberaler Politiker gegenüber rechtspopulistischer Kulturhetze keine Illusionen machen dürfen.
SIGRID LÖFFLER