Im Hacken-Sack

 

Urs Widmer hat vom Wolfi Bauer einmal gesagt, seine Leber möchte er nicht sein. Ich möchte aber gern das Gehirn vom Jürg Laederach sein, das würde mir großen Spaß machen, dem Gehirn aber wahrscheinlich nicht. Da wäre es jahrelang vor den entscheidenden Intimitäten mit mir zurückgeschreckt, weil es mit mir nichts, und schon gar nichts Intimes, hätte zu tun haben wollen, und wie käme es dann dazu, daß es von mir nie mehr weg könnte? Was hat es getan? Oje. Jürg als mein Gehirn würde das Treiben von keinem Beamten (schon gar nicht von einem Postbediensteten) verstehen, aber es würde, als Jürg, darauf würde es bestehen, obwohl es ja ich wäre, alles aufschreiben, was kommt. In einer Art Match mit sich selber. Wer gibt als erstes auf, bevor sich was formen kann, was uns allen nicht guttun würde, weder mir noch mir noch ihm als mir selbst, denn einen Körper hätte ich dann nicht, eine Form aber schon, eine mit so Windungen wie ein Schlangennest, also wie das Tier, das dabei rauskommt. Wozu auch Körper?, was soll der schon groß machen!, noch dazu mit mir, er würde mich klein machen, da bin ich mir sicher. Ich könnte den Bunsenbrenner einschalten und anzünden, eine Flamme käme heraus, und ich wäre schon zufrieden, daß da irgendwas brennt, und zwar nicht, um bloß zu wärmen. Ein heißes Produkt würde entstehen. Zwei Männer schmelzen, aber normalerweise mag Jürg, glaube ich, das Schmelzen nicht so gern, nicht einmal, wenn der Toaster für ihn zu brennen anfängt. Da ist zuviel Gefühl drin, wenn man seine Form und dann auch noch sich selbst verliert; man schaut auf sich zurück, wie man war, und ein Bedauern kann nicht unterdrückt werden, nein, da soll man ruhig auf den Boden tropfen, wenn man keinen Napf druntergestellt hat. Das soll große Flächen ruinieren, so ist es gedacht. Wenn der Napf jedoch vorsorglich hingeschoben wurde, dann kann man sich sammeln, und es geht weiter. Nein. Es geht doch nicht, denn eine Form ist schon wichtig, allerdings ist unwichtig, welche. Jürg wäre mein Gehirn, und ich wäre gar nichts mehr, ich wäre nicht, was wieder sehr erstrebenswert wäre. Ich könnte aus meinem Glas herausschauen, die Gegend mustern, nichts zu beschreiben finden und dann einfach schreiben. Wie, das weiß ich jetzt noch nicht.

Einer hat den Kopf da, wo ein andrer seine Füße hat? Das kümmert mich nicht, ich habe ja beides nicht, und die, die etwas tun, tun es nicht vor mir, nicht zeitlich gemeint, entschuldigen Sie, nicht in meiner Gegenwart. Er, Jürg, schreibt. Man kann ihm verschiedene Organe herausbrechen und durch andre ersetzen, er schreibt, ich schreibe (ich sage nicht: Ich schreibe auch, das ist überflüssig), und, obwohl er ja mein Gehirn ist, sagt er mir nicht, was und wie, das kommt dann davon, und das ist das einzige, was davonkommt. Das Warum spielt keine Rolle, aber ich hätte gern, wenn die Rollen in seinen Stücken öfter abgerollt würden, damit sie spielen gehen können. Ich sehe sie derzeit nicht, ich sehe sie nirgends. Die Theater sind Gebißabdrücke aus Guttapercha oder was man heute dafür nimmt, aber wenn man damit ein Gebiß gießen will, als Ersatz für diese wertvolle Zerkleinerungsmaschinerie (oder wie immer sie es machen, die Zahntechniker), dann brechen, ohne daß man was besondres an diesen Gebißformen getan hätte, die Zähne heraus, und da liegen sie dann herum. Einfach so, na, leicht haben die es auch nicht! Es bricht etwas aus dem 3D-Drucker heraus, und sofort wird einem klar, es ist etwas aus dem Körper herausgesprungen, nein, gesprungen ist zu aktiv, zu lebhaft, zu vivid, es ist herausgebrochen, na klar, er sagt es ja, sag ichs nicht!, ich hoffe, das geschah freiwillig, sonst bricht es ein andrer und ersetzt es durch etwas anderes, das auch lebendig ist, aus keiner Form kommt, aber von Anfang an in der gewünschten Form ganz zufällig entstanden ist. Also kann es nicht in 3D gewesen sein, es muß Natur gewesen sein. Und die sagt mir nicht, wie sie was gemacht hat oder zu machen vorhat. Ein Distanz-Überbrück-Tool? Haben wir nicht im Angebot, aber sonst wird uns vieles angeboten, das man dann nicht fassen kann. Warum haben wir überhaupt danach gegriffen? Das geht automatisch. Papageien werden dauernd geschlagen, sie sprechen dann immer leiser und leiser, je öfter, aber nicht einmal das habe ich verstanden. Jürg, mein Gehirn, muß es nicht verstehen, nicht weil er es erschaffen hat, sondern weil man erst schreiben kann, wenn man nichts mehr versteht. So passen wir wieder ineinander, also er in mich, ich in ihn nicht, weil ich zu klein bin. Würde man ihn dann schütteln, würde es klingen, als schüttelte man drei Bierflaschenkapseln in einem großen Karton. Du kümmerst mich kaum. Ja, das ist gut. Nicht einmal dazu kann man was sagen, denn es sagt sich selbst. Doch es sagt nicht, wie es heißt, sonst könnte ja auch ich es schreiben. Es hat sich schon selbst gesagt, nicht aufgesagt, nicht abgesagt, also kann ich es nicht mehr sagen. Es hat sich nicht in mir gesagt, wo das Hirn ist, vielleicht war er das damals noch nicht, mein Gehirn? Totschlagen wie Totgeschlagenwerden ist harmlos dagegen. Nicht nur ich, auch meine geringe Mimik versagt davor. Das Gehirn will was mit mir anfangen, aber das kann es nicht, weil es in mir doch fix eingemauert ist. Das hätte ich mir vorher überlegen sollen. Zuerst müßte es aus sich herauskommen, das heißt aus mir. Und ich lasse mir nichts entkommen. Ich behalte alles, weil ich so wenig habe. Jetzt, mit ihm im Kopf, noch mehr, können Sie sich das überhaupt vorstellen? Na, leicht auch noch! Doch, falls Sie gedacht haben, ich gebe Ihnen was: Dann gebe ich erst recht nichts davon her, weil ich so geizig bin, natürlich nicht mit mir, das wäre ja nichts, mit ihm als meinem Gehirn.

Und wenn ich schon dieses Gehirn nicht haben kann und wenn es mir sowieso nichts nützte, weil ich es in meinem Geiz aus mir nie wieder rauslassen würde (mein Schaden! Es könnte dann nicht mehr wirksam werden, und ich würde ihm nicht gerecht werden), dann möchte ich wenigstens haben, was das Hirn gemacht hat. Woanders hat es so geglänzt, deshalb wollte ich es doch, aber in mir tut es nichts. Es tut überhaupt nichts, sitzt einfach so da. Ich möchte meinerseits etwas sagen. Unterbrich mich nicht. Ja? Was sagst du? Ist das ein Bruch? Ein Unter- oder Oberbruch? Da brummt es irgendwo im Körper. Nein, ein Gehirn ist das nicht, und das vom Jürg schon gar nicht, ist das mein Motor? Ist der wieder in Gang gekommen, nachdem ich ihn getreten habe? Würde mich wundern. Wieso gehe ich dann nicht? In die Heilanstalt, wo nichts geheilt wird und nichts heilig ist und niemandem irgendwas heilig ist? Wir wissen, was du sagen willst, denn es ist ja, was ich auch gesagt hätte, hätte ich es gekonnt. Das Gehirn schweigt. Es will nicht bei mir bleiben, es will heim. Es übt Geringschätzung gegen mich. Interessant. Nein. Ich kann es gut verstehen. Meine Antworten sind nie stark genug. Ich bin ein ängstliches Wesen. Wer hat hier diese Diagnose gestellt? Niemand, denn es ist keine. Du kümmerst mich kaum. Das ist nicht wahr. Ich hätte das nicht sagen sollen, und ich habe es ja auch nicht gesagt. Es war mir aufgegeben, nur mit Ja oder Nein auf eine präzise Frage zu antworten. Hörst du mir zu? Warum denn? Ich sage alles fünfzig Mal und öfter. Es wirkt noch immer nicht. Es bewirkt nichts, daß ich dieses Gehirn bin. So schön habe ich mir das vorgestellt! Es wäre besser, es zu haben, nicht zu sein, also ich meine, es ist immer besser, etwas zu haben, als zu sein, es ist immer besser, nicht zu sein, das sehe ich jetzt. Gleich sprengt es mich, das Hirn, es paßt nicht in meinen Kopf, und es paßt meinem Kopf sowieso nicht. Der will was Kleineres, damit es ordentlich scheppert, also nein, natürlich damit es nicht so scheppert. Das ist immer noch besser, als was Kleines zu wollen. Könnten Sie bitte meinen Kopf abheben und nachschauen, wer die besseren Karten hat? Sie haben falsch abgehoben, ich bin falsch abgebogen. Du willst mehr? Du willst dein Gehirn wieder zurück? Aber das bin doch ich! Immerhin. Andere bekommen mit mehr Eigenaufwand viel weniger. Keine Neugier auf Symptome? Berührungen auf Organen, die innen angebracht sind, wie das? Anstossen das verschneite Glied? Ich kann jeden Satz sagen, aber jeder ist schon von ihm. Das kommt davon, wenn man sein Gehirn sein möchte. Dann kann man sich alles sparen, weil es schon da ist.

Kleine Fetzen herausgerissen, entschuldige bitte!, aus "In Hackensack", vier minimale Stücke, so minimal sollte mal was von mir sein!


Jürg Laederach
1945-2018

Erstabdruck Manuskripte (2015)

20.3.2018


Im Hacken-Sack © 2018 Elfriede Jelinek

 

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