Körper und Frau

Claudia

 

 

(Aus einer verschlossenen Klokabine, vom Band, Computerstimme):

(Stöhnen) Glühendschön mein Körper in der Muschel, wie soll ich ihn noch mehr loben? Er entsteigt. Ich und mein Körper gehören zusammen, und jetzt will er plötzlich weg aus der Muschel, will leben, will fort vom Ruf, der Gestalt annimmt, will weg von den Düften, die von meiner Persönlichkeit ausgerufen werden. Bleib, du Körper, bleib bei mir! Gut, du gehst fort. Aber nicht ohne mich, sonst müßte ich ja auch gehn. Ich habe was Zwingendes an mir. Bleib! Ihr mit dem frischen Aussehn, das mir nacheifert: Seid nicht so schön wie ich! Ich: sei schöner! Ohne meinen Körper wäre ich nicht mehr da. Darin besteht ja gerade meine Persönlichkeitsstruktur. Sei in mir zu Hause, Körper, nein, umgekehrt, sei in deinem Körper total zu Hause, Claudia! Bleib, Claudia! Bleib, Körper! Diese schöne Muschel, der ich Venus entsteige, nachdem ich sie mit Mut bestieg, in ihr will ich mich und meinen Körper miteinander denken lassen. Zu zwein. Dürfte ich mit dir vielleicht einer Meinung sein, Körper? Ich speichere Worte in dir. Ich speichere Kleider auf dir. Geh nicht fort! Bitte schließen auch Sie die Tür nicht vor mir! Sonst haben Sie nämlich keine Chance mehr, mich und Körper zu sehen! Denken Sie nicht nur an mich, denken Sie auch an mein Werk, bitte! Ich habe mir doch dieses tolle Haus auf Mallorca bauen lassen, damit ich meine Probleme hineinlegen kann. Ich habe keine Probleme. Man braucht meinen Körper nicht, um dieses Haus schön zu finden, über Ungeschicklichkeiten an seiner Fassade sehen Sie bitte hinweg. Schön mein Körper, der sich zeigt, der Muschel entsteigt, wie eine kaum vom Nebel verschleierte Gegend. Finden Sie nicht? Aber hallo. Hier wird nicht besetzt, hier ist besetzt! Hallo! Hochpolitisch mein Denken, hochgradig nervös mein Handeln, hochmodern meine Kleidung, Hochleistung mein Körper. Der gibt was her. Der gibt nichts her. Es ist ein Zusammenspiel von mir und ihm. Ich setze alles dran, ihn zu befreien, aber nur, um ihn behalten zu können. Schauen Sie mein rosa Höschen und den rosa BH an, ich wollte, sie verhielten sich anders zu mir, erweiterten meine Figur zu etwas Nettem, damit jede Frau glaubt, sie hätte es auch, wenn sie nur wollte. Die Menschen fürchten mich und sind scheu vor mir, dabei bin ich das Anschauensallerwerteste! Mein Mund sagt verächtlich etwas dazu. Meine Körperteile gehören zusammen und spielen gemeinsam wie die Fohlen und die Zicklein, sie spielen genau soviel wie die Hände tragen und die Augen fassen können. Dann hören sie wieder auf. Das ist wie beim Bauen, nur alle Ziegel gemeinsam. Körper, du bist lediglich meine Grabbeigabe, das Wesentliche bin doch ich mit diesem Stück insgesamt Körper: eins kommt ohne das andre nicht aus. Brüste haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen, na, meine nicht, Beine haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen, na, meine nicht, das Haar hat grundsätzlich immer mit Schwierigkeiten zu kämpfen, na, meins nicht. Ja. Schauen Sie nur genau hin! Meine Körperteile können sich so oft sehen lassen wie sie wollen. Millionenfach. Viele Frauen glauben, es wären ihre, aber es sind meine. Ich muß diesem Gesellschaftsmitglied hier leider mitteilen: Alles was Sie sehen gehört einer andren: mir! Sonne Wind Wolken Meer also da liegt kein Felsblock auf meinem Mund. Es ist dieser Frauenmund hier, und die Öffentlichkeit ist sein bester Zuhörer. Zaghaft geschwungene Oberlippe, einig mit der einladenden Unterlippe, ja seid ihr denn blind, meine Zähne, daß ihr eure eigene Größe so gar nicht fassen könnt! Sie Frauen tun mir leid, weil Sie Ihre Lippen, Ihre Augen, Ihre Haare nicht dermaßen zuschleifen können wie ich meine. Es setzt von Ihrer Seite her ein Vergleichen ein, doch ich muß mich dem gar nicht erst stellen. Ich stehe ja schon fest. Sie tun mir leid. Tut mir leid, ich bin meinem Körper zugewiesen worden, aber ein andrer Körper hätte mich gar nicht erst genommen. Ich wäre ihm wahrscheinlich zu schön gewesen. Nur dieser Körper erhielt den Zuschlag. Er bleibt bei mir, er gehört mir, das ist sicher. Ich lasse ihn fotografieren, damit ich beweisen kann, falls er wegrennt: er gehört zu mir und darf sich jederzeit gehen lassen. Aber nicht weglaufen! Jetzt hängt er z.B. grade in der U-Bahnstation, wo Sie immer einsteigen, und er hat diesen BH und dieses Höschen an. Brauche ich ihn noch, diesen Körper? Wo er hängt, hängt er ja gut. Doch, ich brauche ihn noch. Was Sie von mir sehen, ist schon alles. Zurzeit sehen Sie mich nicht. Besetzt. Hier ist besetzt. Über mich hinaus ist nichts und passiert nichts. Leere und daß ich mich amüsiere füllen den Raum mit Nebel. Ich habe dieses Parfüm selber kreiert. Etwas Billigeres können wir uns nicht leisten. Mein Herr Körper, mit dem ich mich vorhin noch amüsiert habe, will jetzt wieder berufstätig sein. Ich lasse ihn nicht fort. Er kann auch hier arbeiten. Er ragt in den Raum hinein, zeigt sich vor. Er verzehrt alles, was an anderen Menschen vielleicht eigentümlich aussehen könnte und sie ziemlich problematisch erscheinen lassen würde. Hilfe, mein Körper schlingt mich jetzt viel zu schnell runter! Mir wird schlecht, nein, umgekehrt, ihm wird von mir schlecht. Ich werde von meinem Körper verzehrt! Hilfe! Hätte ich ihn doch weggelassen! Nein, das hätte ich nie getan. Er will nichts über sich hinaus, ich aber will ein Betriebswirtschaftsstudium beginnen. oder eine Schauspielerinnenkarriere. Oder beides zugleich, er will immer wieder beginnen, damit er zu einer eigenen Persönlichkeit ausgerufen wird, die er dann prompt findet, wie ein Osterei. Oh, eine Erzählschwierigkeit, geh sofort weg da! Ich rede jetzt! Ich will jetzt reden! Hier ist besetzt! Bitte nicht nochmal! Bitte nur einmal mich, bitte nicht mich wiederholen! Seien Sie eine andre, seien Sie nicht ich. Mich gibt es ja schon! Was mein Körper da bereits verschlungen hat, eine ganze Menge, leider hauptsächlich von mir, aber er gibt auch was her! Wie schön mein Blick, wie supertoll heute wieder mein Haar! Ich glaube, ich muß mich selbst wieder auskotzen, damit Sie mich noch einmal sehen können! Guten Tag. Damit Sie wissen, wie ich im Innersten bin, kränkelnde Zartheit vielleicht, gesunde Robustheit sicher, egal, Sie werden niemals so sein. Warum erwarten Sie vom Körper, daß er wie ein Gebirgspanorama funktioniert, daß er schön und dabei doch so natürlich aussieht wie es nur die Natur selbst fertigbringt? Das wärs. Sie sind meine Konsumentin. Jemand andrer ist meine Kosmetikerin. Verlassen Sie ruhig und ohne Bedauern Ihre Kleidung, betreten Sie das Geschäft und kaufen Sie sich neue. Es nützt Ihnen nichts. Bestellen Sie sich ruhig meinen Körper, Sie werden sehen, er wird mit Ihnen nicht mitgehen wollen. Sofort loslassen! Das ist meiner! Jaja. Sie können ruhig auf diese Türschnalle drücken, um ihn sich zu holen, Sie werden sehen, die Tür geht nicht auf. Es ist ohnedies besetzt. Der Körper ist nicht dazu da, damit hereinspaziert werden kann. Ich bin ja drin! Es ist Ihnen doch nicht egal, daß dieser Körper mir gehört, oder? Also mir ist es nicht egal. Ich gebe ihn nicht her. Und ich bin immer verschwunden, sobald Sie mich zu Hause auspacken wollen. Nur dürres, glattes Papier, vielleicht noch mit einem Astloch, damit Sie den Durchblick haben, einen entsetzlichen Augenblick des Erschreckens, daß Sie dort drinstecken, mehr ist nicht drin. Mehr ist nie drin. Und selbst das ist Täuschung, denn nur ich bin drin. Das werden Sie schon noch merken. Ich sehe, Sie nehmen mich trotzdem mit. Nicht von hier! Von hier kriegen Sie mich nicht raus. Hier ist besetzt. Ich bin immer eine andre, als Sie gedacht hätten. Auseinander, Sie Frau! O je, mein Bild ist diesmal ziemlich flach ausgefallen. Wenn Sie es trotzdem haben wollen, bitte. Aber hier ist besetzt. Mein Körper gehört mir. Ihr Körper gehört Ihnen nicht, er gehört jetzt auch mir. Also nein, bei näherem Hinsehen merke ich doch: den können Sie behalten. Er würde unter meinen Blicken zerbrechen und welken, sobald er mich als seinen ewigen Spiegel erkennt. Ich bin in Einzelteilen auf dieser weiten Plakatebene ausgelegt, schlank wie immer komme ich Ihnen entgegen, aber nie weit genug. Unaufhörlich rast der Wind über diese Ebene. Jetzt haben Sie sich diesen BH gekauft, für streichelnde Menschenhände, aber die wollen nur mich streicheln. Mein Körper kann von mir aus ruhig ausgelegt werden, es traut sich doch keiner darüber hinwegzutrampeln. Er kann auch gegessen werden. Er ist der einzige Kuchen, der gegessen werden, aber von mir behalten werden kann. Sie haben keinen Anspruch. Jeder hat einen Anspruch, aber dieser hier ist besetzt. Keiner kommt durch. Diese Tür hütet mich. Mein Herr Körper ist das, was hineingekommen ist und jederzeit herauskommen kann, doch er will nicht. Er darf nicht. Sie kommen hier nicht hinein. Sie haben einen Anspruch, aber Sie kommen mir hier nicht herein. Mein Herr Körper ist der, der nichts durchläßt und der, der vorhin als erster schon dagewesen ist und sich irrtümlich in mir eingesperrt hat. Jetzt muß er bleiben. Er muß nicht mehr kommen. Er muß dableiben. Eintretende werden ja oft geschlossen, bevor sie noch die Tür ins Leben gefunden haben. Ich bin ohnedies da. Ich geh hier auch nicht weg. An jeder Frau ist mehr kaputtzumachen als an mir. Bleiben Sie draußen. Hier ist besetzt. Ich bin unartig und stelle mich selbst in den Schatten. Sie sehen mich trotzdem. Sie sehen mich nicht. Sie sehen nur mich. Hier wird von mir besetzt gehalten. Ich reise in der ganzen Welt umher, aber hier ist und bleibt von mir besetzt.

 

(Foto: Claudia Schiffer in Vogue)

10.7.2001


Claudia © 2001 Elfriede Jelinek

 

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