Kurze biographische Anmerkung

Mir reicht es jetzt, und daher eine kurze Notiz in eigener Sache, die leider nie wirklich meine gewesen ist (so wie Ich leider ja auch nie ich geworden ist), aber wie aus der Tatsache, daß man geboren ist, nicht folgt, daß man danach zu den Lebenden zählt, so folgt aus der Tatsache, daß ich in der Steiermark geboren bin, noch nicht, daß ich auch eine Steirerin bin. Da ich immer wieder darauf angesprochen werde, habe ich das Gefühl, das aufklären zu müssen, und weil kein andrer da ist und ich schon aufgeklärt bin, also folgendes:

Ich bin Wienerin. Ich habe nie in der Steiermark gelebt. Niemand aus meiner Familie hat je in der Steiermark gelebt (außer in Kriegs- und Nachkriegszeiten, da haben sich ja viele Städter, die es sich leisten konnten, für längere Zeit aufs Land geflüchtet). Mein Großvater mütterlicherseits, aus einer Altwiener Familie stammend, verheiratet mit der Tochter einer deutschsprachigen rumänischen Familie (damals Ungarn), hat, ich glaube zu Beginn des 20. Jahrhunderts, aber da muß ich meinen Cousin fragen, er hat nämlich den Kaufvertrag, und die Besitzerin, eine alte Bäuerin, die „Wallnerin“, hat darauf ihr Kreuzerl als Unterschrift gegeben, sie war Analphabetin), ein altes Bauernhaus in der Steiermark gekauft, als Feriensitz und Rückzugsort für die Familie. Ich hätte in Wien geboren werden sollen, so war es geplant, doch meine hochschwangere Mutter ist von diesem Ferienort im Mürztal (wo in der ersten Nachkriegszeit die Ernährungslage, auch durch eigene Haustierhaltung: nette Kühe, Schweine und Hühner, verköstigt auf eigener Bergwiese, verbessert werden konnte) nicht mehr nach Wien zurückgekommen, sie hat es nicht rechtzeitig nach Hause geschafft, weil sie durch meine Ankunft überrascht worden ist. So bin ich also zufällig in der nächstliegenden Kreiß-Stadt Mürzzuschlag, im Heim einer Hebamme geboren. Anschließend wurde ich wieder zurück in die Berge verfrachtet und habe dort meine ersten Lebensmonate verbracht. Das Haus in fast 1000m Höhe, am Ende der Welt, in den düsteren obersteirischen Voralpen, Sonne grundsätzlich nur bis drei Uhr nachmittag, wenn überhaupt, ist für mich immer das faszinierend Fremde gewesen, fremd genug für jemanden wie mich, der später kaum je weit reisen konnte. Daher ist die Steiermark für mich zwar ein literarischer Ort, sogar mein wichtigster, –  die meisten meiner Texte spielen in dieser Landschaft – aber nie ein Lebens- und Wohnort gewesen, außer in den Sommerschulferien und zum Skifahren im Winter. Keine Ahnung, weshalb ich das jetzt wirklich sagen mußte, denn so oft werde ich zum Glück ja nicht auf mich angesprochen. Jedenfalls steht es jetzt hier, und ich kann mich wichtigeren Dingen zuwenden, die auf meine Zuwendung aber auch nicht angewiesen sind.

12.11.2007


Ferienhaus Krampen, ca 1955


Kurze biographische Anmerkung © 2007 Elfriede Jelinek

 

zur Startseite von www.elfriedejelinek.com