In einem Aufwaschen

Welche Geschichte ist sich einig mit sich selber? Unsere in Österreich nicht. Sie ist sich nicht einig, indem sie einig ist, vielleicht sogar dreieinig: ÖVP, FPÖ, BZÖ. Das ist vielleicht bald Geschichte, aber es ist Geschichte, das ist die Hauptsache. Sie versucht immer verzweifelt, sich in Gedanken-, Bedenk- oder Gedenkjahren, oder wie sie es nennen, auf eine Art von Einigkeit zu einigen, die Geschichte und ihre Geschichtenerzähler, aber es fällt ihnen immer alles auseinander, den Bundessprechern der Geschichte. Sie geben vor, für die offengehaltene Tüte der Zukunft die Vergangenheit endlich zu versammeln, damit die geordnet durchgeht, und damit sie was reintun können in diese Tüte. Damit sie endlich mal was Reines zum Reintun haben, aber die Vergangenheit will sich nicht an einem Ort versammeln. Sie strebt sofort wieder auseinander, weg von diesem furchtbaren Ort, der sich nicht wiederholen darf, auf dem sich nichts wiederholen darf, auf dem sich etwas nie wieder wiederholen darf oder so ähnlich.

Wie eine Geistererscheinung, doch von Technikern, von Licht, von Schatten, von Elektronen in mühevoller Kleinarbeit vom mittelständischen Gewerbe, das wir fördern? Nein, von dem nicht, aber immerhin: hergestellt, enttaucht das Fernsehbild dem Schrein, der es umhüllt, das Gehäuse, das das Bild schützt, damit es einen Rahmen bekommt, das soll sein Versammlungsort für Vergangenheit und Zukunft sein. Und der alterslose, aber nicht namenlose Nazibub, der inzwischen schon die zweite Partei führt ("Nazikind" sagt er von sich, damit er in alle Unverantwortlichkeit eines ehemaligen Kindes für diese Sammlung in die Zukunft hinein, in die nicht einmal zweisprachige Ortstafeln in Kärnten hineinpassen, gleichzeitig, als Zukunftschauender, ein planender Erwachsener und ein unmündiges Kind sein und darstellen kann, das sein eigenes "Trauma" - die Nazieltern- nicht braucht, weil es eben in die Zukunft schaut, in der sich das Wesen der Wahrheit von Geschichte endlich zeigen soll, nachdem es sich in der Gegenwart ja nicht festmachen läßt, nicht anpflocken wie ein Tier, es will nicht stillhalten, es braucht einen gewissen Bewegungsradius dort an seinem Pflock), spricht wieder mal zu uns über die anständigen Menschen, zu denen natürlich, außer den ehemaligen Mitgliedern der Waffen-SS, auch ein Bundesrat Kampl gehört (jaja, wir wissen schon, uns Schreibenden wird ja immer um die Ohren gehauen, wir würden kauen, wiederkäuen, was wir eh nicht können, wenn uns dauernd einer in die Goschn haut, wie soll man noch kauen oder gar wiederkäuen, wenn man dafür sofort gehaut wird, das heißt gelobt, das heißt gehaut, egal? Ich weiß schon, was man uns immer nachsagt, daß wir Schreiber immer dasselbe sagen, Österreich - Naziland, aber das ist doch nun wirklich überhaupt nicht wahr bei all diesen Gedenkjahren, nein, daß wir schreiben, das ist schon wahr, aber was wir schreiben nicht. Das haben wir, die wahren Anständigen, die anständigen Wahren, bewiesen, daß das nicht wahr ist, indem wir eines Jahres gedenken, in dem schon einmal gedacht wurde, ich erinnere mich dunkel, und dann wurde im nächsten Jahr auch noch gedacht und so weiter, immer so weiter; warum sollen wir Schreibenden das dauernd wiederholen, das ist ganz sicher unkünstlerisch, sich dauernd zu wiederholen, ohne überhaupt zu wissen, was man gesagt hat, und, auch egal, wir sollten endlich mal was Neues sagen, was wir noch nicht gesagt haben, sonst werden solche Zustände von uns doch erst hervorgerufen, sie werden von uns überhaupt erst einmal hervorgerufen, diese Zustände. Wir rufen sie, wie man uns sagt, zuerst herbei, und dann sind wir schuld, wenn ihre Nummer aufgerufen ist, aber freut euch nicht zu früh, bald wird eure Nummer aufgerufen, und dann seid ihr dran!, egal wer, egal wer schreibt,  wir werden schon irgendwie schuld gewesen sein, woran auch immer. Die Erde in unserem Land ist Geschichte und sie ist noch immer geschichtlich, weil sie soviel getragen hat und immer noch trägt, wenn auch keine Früchte, sondern Früchterln, und sie ist bereits geschichtlich, aber nur, damit man über sie redet, egal was, sie hält ja alles aus. Die hält ja nichts aus.

Da ist uns also wieder mal der ewige Nazibub erschienen, auf die Schnelle, in der Helle, hat den traumatisierten Nazisohn und Nachziehsohn und Ziehsohn der Geschichte, denn die Geschichte erzieht solche nicht, sie zieht sie nur mit ihren Flaschen auf, als hätte sie sie auf Flaschen gezogen, nur damit wir sie immer vorrätig haben, wenn auch im Keller,  dieser Siegfried Kampl also, für den sie eigens ein Gesetz machen mußten, damit er nicht Vorsitzender des österr. Bundesrats werden kann - zuerst haben sie ihn herbeigerufen, dann haben sie ein Gesetz machen müssen, damit er nicht zusehr da ist, sondern etwas in den Hintergrund zurückgeht, damit er weniger da ist und man den Vordergrund auch nicht mehr allzu genau sieht, damit man auf die im Hintergrund schaut, aber immer auf die, die ja gar nichts gemacht haben und daher im Hintergrund auch nichts zu suchen haben, sie gehören nämlich in den Vordergrund, weil sie ja nichts gemacht haben und daher etwas zu suchen haben. Wir haben vielleicht nichts zu suchen, egal wo, aber die haben etwas zu suchen, im Vordergrund, vielleicht finden sie es ja wieder, da sie es wohl verloren haben müssen. Dort hinten ist schließlich nichts mehr, was man noch suchen müßte, das ist alles doch schon längst gefunden worden und muß daher nicht immer neu gesucht und, kaum hat man es, irgendwo hingeschmissen werden, wo man es allzu genau sehen könnte, also Schluß Schluß Schluß! Was wollte ich sagen? Ich weiß es nicht. Der Nazibub im Licht, auf der Reproleinwand, in der Blue Box mit dem Klagenfurter Lindwurm drauf, der sagt uns folgendes: der Kampl, der anständig ist wie wir alle, der doch nur sein Kindheitstrauma aufarbeiten wollte, wenigstens einmal, wie entsetzlich den Nazis bei uns mitgespielt worden ist, denn man hat sie eine kleine Weile nicht mitspielen lassen mit den andern Kindern, so gemein!, aber lang hat das eh nicht gedauert, und heute spielen die Kampls auch schon wieder Hauptrollen, ja, sie bewerben sich zumindest dafür, und oft werden sie auch genommen, ja, natürlich die andren "Nazikinder" auch, und das ist auch ganz richtig so, denn die Schreiberlinge haben sie schließlich herausgeholt, die haben sie erst geholt, sonst hätten wir sie nie gefunden, die haben sich ja versteckt, die mußten sich ja verstecken, die Armen, und sie machen jetzt angeblich ganz Österreich aus, wie der Herr Chefredakteur der "Presse" irgendjemandem unterstellt, der auch schon selber schreiben kann, so wie ich, naja, ich weiß auch nicht, wem, aber sicher bin ich wieder dabei, hurra, ich bin ja immer dabei, wenn jemand was unterstellt wird, das ist gut, da kann ich mich dann selber unterstellen, wenns einmal zu stark reinregnet in mein armes nach oben hin offenes Hirnkastl, wo war ich, ach ja, ich weiß es nicht, es ist ja auch egal, wie praktisch, man kann jetzt alles sagen, egal was, es ist egal,  aber die Kampls und Gudenusse (es gibt ja schon einen Sohn von dem in der Politik, bei denen geht es munter weiter, haben die ein Glück, daß sie Kinder haben und fortzeugen, es muß immer jemand Zeugnis ablegen und Zeugnisse ausstellen und ausgestellt bekommen, das muß schön sein, solche Kinder zu haben, ja!), denen ist es eine echte Gudenus-Gaudee, aua, unter der Gürtellinie, Entschuldigung!, in ihren Klauseln zu sprechen, als wären sie Kollegen von uns Schreiberlingen, die eh immer dasselbe sagen, aber immer anders, warum sollen die also nicht immer anderes sagen, doch es ist dasselbe: "Österreich-Naziland", das sagen wir angeblich seit Jahrzehnten, und damit haben wir das Land erst zu einem Naziland gemacht, das ist uns Schreibern vorzuwerfen, und es ist uns untersagt, es ist uns nicht nur unterstellt, sondern auch untersagt worden, und das wird uns dann außerdem noch vorgeworfen, damit wir es gefälligst selber fressen, wo war ich, egal, sie wissen wenigstens, wo sie sind, wo sie stehen, ich muß es nicht wissen, ich brauch das nicht zu wissen, wo war ich also, die Nazisöhne sprechen in ihren ganz eigenen, für ihre Zwecke recht artigen Klauseln vom Dritten Reich, in dem es keine Gaskammern gegeben habe, sondern "in Polen", was soll da ich noch sagen, mir wäre sowas ja nicht einmal eingefallen, leider ist es mir (und andren) aufgefallen, mir fällt leider zuwenig ein, und dazu fällt mir gar nichts mehr ein, aber auf fällt mir immer was,  doch, Moment, da fällt es schon, ich sehe nicht wohin, es fällt, wenn auch kein Groschen, den es nicht mehr gibt, denn wir haben jetzt eine Fremdwährung, die uns aufgezwungen wurde: Die Kampls und Gudenusse sind die wahren Schreiber, denn die wissen genau, was sie sagen und was sie nicht sagen dürfen. Die gehen schön den Verfassungsbogen entlang und das Strafgesetz einmal quer durch und wieder zurück, ein paar, die das Gesetz auch kennen, rennen ihnen hinterher, aber sie erwischen sie nicht, und sie wissen, diese Verfassungsläufer, deren eigene Verfassung noch recht gut ist, die sind für ihr Alter gut in Form, da kann man nichts sagen, sie reden und reden, damit man auch versteht, wenn sie einmal das Gegenteil von dem sagen, was sie sagen wollten, denn das wird alles verstanden, egal was, ihr Reden, egal was, weil diese Kürzel für alles, das keine Kürzel braucht, denn es ist recht lang, tausend Jahre lang, mindestens, inzwischen vielleicht sogar ein paar mehr, das ist wahrscheinlich auch eine Art dichterisches Sprechen, denn es spricht den symbolischen Raum voll, ohne das zu sagen, was es sagen will, indem es in diesem Nichtsagen sehr genau sagt, was es will, aber nicht sagen will. Der ewig junge Landeshauptmannsbub im leuchtenden Rahmen, dieser Diapositive, der in die Zukunft schaut und nicht mehr in die Vergangenheit, weil das bringt ja nichts, der sagt, seine eigene Mami habe den Boden vor ehemaligen KZ-"Häftlingen" (ja, er sagt Häftlinge!) aufwaschen müssen wie jedes ixbeliebige Blitzmädel es hat machen müssen, vor dem "Zusammenbruch" (nein, nicht dem des Mädels!)  beim Ernteaushilfsdienst oder beim Haushaltshilfsdienst oder bei sonstigen Hilfsdiensten wie Gebären und Tötenlassen und wieder Gebären. Das sagt der Bub in seinem Rahmen, der ihm gegeben ist, und das ist seit langem ein sehr großer und weiter, stets hell erleuchteter Rahmen, welcher sich wahlweise auch auf Zeitschriften befinden kann. Das Land ist klein, aber der Rahmen, den diese Leute kriegen, ist ziemlich groß, das heißt, er ist ihnen angemessen worden, und er paßt ihnen. Der Rahmen paßt ihnen sicher, da brauch ich gar nicht nachzumessen. Irgendwie muß man dieses Land ja sehen, wenn man die großen Meister ihres Fachs Mozart und soweiter nicht mehr hören kann oder will, wenn mal keine Festspiele sind, aber auch wenn welche sind, egal, was wollte ich sagen: Wir hören das Nazikind in seinem leuchtenden Rahmen, dessen Mutti den Boden hat aufwaschen müssen und zwar vor ordinären "Häftlingen", was für eine schreckliche Demütigung, doppelt schrecklich, es vor Kriminellen tun zu müssen, und dessen Vater ja so verfolgt worden ist nach dem Krieg, wie auch des Kampls Vater und andre Väter, da waren so entsetzliche Lager, so eins wie Glasenbach, wo manche Insassen geweint haben (das habe ich nicht nur gelesen, das habe ich zur Abwechslung auch mal selber gehört), wenn sie wieder raus mußten, weil die Kameradschaft dort drinnen so schön war, doch auch die schönste Haftzeit geht einmal zu Ende, es war dort eine herrliche Kameradschaft mit der Kameradschaft Oberdonau und der Kameradschaft Niederdonau und der Kameradschaft Strudlgau, ja, und mit der Kameradschaft dazwischen natürlich auch. Und selbst wenn sie entlassen waren, sind manche von ihnen jeden Abend zurückgekommen und haben mit den Insassen am Zaun, jeder an je einer Seite vom Zaun, schöne Volkslieder mehrstimmig gesungen, so ein entsetzliches Lager war das, die Straflager der Nazis waren gar nichts dagegen. Egal welches Lager, jedes ist schrecklich, das geht alles in einem Bodenaufwaschen, daß wir uns immer wieder dran erinnern müssen, wenn man es uns sagt.  Ja, das Bodenaufwaschen, das mach ich auch nicht gern, aber hinterher ist es sauber. Da hinten ist es sauber und dort vorne auch, wo der Herr Vorsitzende sitzt, dort ist es jetzt auch wieder sauber. Es ist grauenhaft, wenn man den Boden vor ehemaligen KZ-"Häftlingen" aufwischen muß, als ehemaliger Herrenmensch, aber Hauptsache, danach haben wir wieder Ordnung gemacht und für eine Sauberkeit gesorgt. Das Putzen war eine Zumutung, ich meine, es war unzumutbar, aber jetzt ist es zu Ende, endlich. Das war unzumutbar, aber bitte, wir sprechen nicht mehr davon, wir schauen in die Zukunft. Wir schauen aus einem Bild heraus und in die Zukunft hinein, die auf uns hören wird, denn die Erde ist im Ganzen den für sie und ihr Zugehörigen und Zusammengehörigen eine Geschichtlichkeit, sie ist ein Fest für die Geschichtlichkeit, man kann alles auf ihr feiern, das eine wie das andre Gedanken- Gedenkjahr, Gedeckjahr, Besteckjahr, Ansteckjahr, Auf- den- Hut- Steckjahr. Nicht einmal die Natur ist ja geschichtsfrei, sagen die Wanderer, die Wunderer mit ihren wunderbaren Volksliedern auf den Lippen und den plumpen Klumpen äh Klampfen in den Händen,  die um das Wahre herumreden, die Wanderer, aber sich immer drauf verlassen können, daß das Wahre schon verstanden werden wird, und wenn nicht, dann rufen wir halt einen politisch Korrekten, einen werden wir schon verkraften, und der redet Klartext, der Trottel, und so können wir vom Klartext dann wieder absehen, bis wir ihn gar nicht mehr sehen, nein, den Korrekten auch nicht, denn, und das ist, was bleibt, es ist das, was der Völkische Beobachter des Seins sagt: diese Erde ist gemäß der Wahrheit des Seyns selten und einfach und als abendländische schon aus dem Wesen des Seyns gefügt, das fügt sich also gut so, das fühlt sich gut an, da wissen wir wieder, zu wem wir gehören und wer nicht zu uns gehört, und die Ortstafelfrage wird wieder an Wien zurückverwiesen, für was haben wir einen Staatsvertrag gebraucht, sicher nicht für ein paar Taferln, das regeln wir unter uns und aus, aber so sagen wir es nicht, wir sagen es anders, damit jeder es als sozusagen und so gesagt verstehen kann (so wie Martin Walsers "Tod eines Kritikers", das behaupte ich, antisemitisch ist, indem es betont nicht antisemitisch ist, es kann darauf vertrauen, daß die Leser es verstehen, und man kann ihm keinen Strick draus drehen, und wer das versucht, der wird sofort geklagt, weil sie klagen halt alle so gern, sie haben auch Grund zum Klagen, aber immerhin hören die Leute ihnen zu und applaudieren stehend in der Paulskirche, die ist zum Glück in Frankfurt, denn wäre sie bei uns, hätte man den Applaus bis in den Bundesrat hinein hören können, und sie würden heute noch dort stehn und mitklatschen, gut so, nicht nur wir sind schuld, wie schön!). Das haben wir gebraucht. Und natürlich haben wir es auch bekommen. Wir sind ein reiches Land, und wir bekommen immer, was wir brauchen.


Illustration: Gerhard Haderer, aus der ZEIT vom 18.3.1999 (Ausschnitt)
Fotos: Strache, Kampl, Gudenus

10.6.2005


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