Hier ist Dort

ein paar Überlegungen zu Gert Jonke

Gert Jonkes Schreiben ist mir immer vorgekommen wie ein hartnäckiges Gängegraben in einen angsterfüllten Raum. Ich sehe gerade Donalds Neffen Tick, Trick und Track vor mir, wie sie mit ihrem neuen Terrarium, einer Termitenzucht, zu ihrem darob entsetzlich erzürnten Onkel Donald kommen, mit einem Glasbehältnis, durch das kreuz und quer Gänge laufen, also Hohlräume, die den Raum gliedern. Vielleicht fürchtet sich der Onkel davor? Nein, er hat nur Angst, daß die Tiere Dreck machen. Der Blick ins Terrarium wird von dem Dahinter des Raums abgelenkt, wo die Leere wartet, die der Blick fürchten muß wie überhaupt das Unbekannte, und er wird zum Wahrnehmen des verästelten, verzweigten Anwesenden gezwungen. Vor Jonkes Sätzen gibt es kein Ausweichen, weil sie selber das Ausweichen vor einem Sinn sind, den sie allerdings manisch umkreisen, nur um ihn umzukehren, nur um ihn wieder aufs neue zu vermeiden, nur um ihn, den Umzingelten, umso klarer zum Vorschein zu bringen, der immer eigentlich ein Anschein ist, manchmal auch nur ein sehr heller Schein. Sie haben nichts zu melden, diese Sätze, aber sie haben dennoch gut zu tun. Einen fernen Klang sollen sie zum Beispiel erzeugen. Indem der Autor das fabelhaft bemeistert, erweist er sich, das ist ja von ihm bekannt, immer wieder als Musiker, als Sprachkomponist, der summend, um die Angst vor der Leere zu bemänteln, in diesem Textraum herumschlendert, einen Seitenblick riskiert (obwohl durch die bekannte Sendung des heimischen Fernsehens dieses schöne Wort leider unbrauchbar, einfach zum Wegschmeißen geworden ist), weitergeht, betont woandershin blickt, damit die Leere nicht denkt, der Blick gelte ihr und auf den Autor zurückschaut, und das könnte er nicht ertragen. Dann springt er wieder unversehens los, was hat ihn denn jetzt gebissen? und packt ein Wort beim Genick, schüttelt es, es gibt ein paar weitere Worte von sich, und schon ist ein neues Thema da, das man in der Umkehrung, im Krebs, im Spiegelkrebs vor sich herjagen kann. Und ist nicht die Musik auch ein Raum? Immateriell, gepenstisch leblos, wenn man sie Stille nennt, dann wieder, ohne ihrer selbst gewahr zu werden, wie ein Hund, der im Traum winselt und mit den Pfoten zuckt, etwas beinahe tonlos Hustendes, und dann Lärm, doch genau gezügelt und ausgerechnet, ausgerechnet Töne! Hast du sie noch alle? Auch das Schweigen zwischen den sich beinahe endlos dahinschlängelnden Sätzen kann bei diesem Autor sehr laut sein, nach irgendwelchen Ortschaften greifen, die sofort auch wieder gegliedert werden müssen zu einem geometrischen Heimatroman, und das Sprechen ist immer etwas dazwischen, etwas Hohles, das vom Schweigen zusammengehalten wird, oder ist das Schweigen das Dazwischen und das Sprechen wäre das Drumherum? Es ist eine Zumutung für den Leser, daß er nicht auf die eingefressenen, eingeätzten Satzgänge (auf das Hohle also) achten soll, in denen das Tier, das sie geschaffen hat, und das interessant zum Anschauen sein soll, erwischte man es denn einmal, bereits geduldig auf diese Blicke wartet, sondern daß er, der Leser, auf das Dazwischen, auf den Griesbrei, den eßbaren Müllberg aus Gerede glotzen muß, auf diesen Haufen, den er selber gemacht hat, auf das, was Jonke eben gerade ausspart, damit das andere erscheint, damit die Laufgänge auftauchen sollen, in denen das angeleinte Tier, der Sprecher/Autor an der Leine dahinrast, die er sich selber umgelegt hat. Er hat die Gänge gegraben, und er muß jetzt drinnen herumrennen und aufpassen, wer von draußen zu ihm hineinschaut. Und überhaupt: Wer ist drinnen und wer ist draußen? Der Leser außen, der Autor drinnen? Umgekehrt? Es behauptet sich der eine vor dem anderen, und, indem sie sich voneinander abgrenzen, gehen ihre Räume auch schon ineinander über. Daher weiß man bei Gert Jonke nicht, wo die Musik/Sprache aufhört und der Zuhörer anfängt und umgekehrt. Vielleicht besteht, geht man in eines der Theaterstücke des Autors, die Suggestion, die diese Sprache auf den Zuschauer ausübt, gerade darin, daß man, hineingesogen in diesen Bühnenraum, selbst zur Sprache wird, sich nicht mehr vom Gehörten, vom Unerhörten, unterscheidet (Musik erfüllt ja auch immer den ganzen Raum, dringt oft sogar durch Wände!); man selbst also ist der Block Raum, und die Sprachfinger, die sich hineinstrecken und dann, wie Wurzeln, hindurchschlängeln, sind eben diese Gänge aus dem Nichts dazwischen. Die Termitenwege bzw. das Geschehen auf der Bühne, die gewundenen, aus der Leere/dem Raum herausgefressenen Sätze im Buch, sie sind Einblicke in wieder neue Einblicke in wieder ganz neue Einblicke bis in die allerletzte Schachtel, in der das eigentlich Eigentümliche verwahrt ist, das das Eigentum des Autors ist und bleibt und von unseren Blicken niemals abgenutzt werden kann; und, gerade indem das, was da ist, gleichzeitig immateriell und eben nicht da ist, beweist es, daß dieses zum Vorschein Gebrachte nicht auch noch verkörpert werden muß, weil die Sprache, aus der es besteht, ja  eigentlich schon der Körper ist und daher nicht mehr dargestellt zu werden braucht. Es ist da und es ist weg, aber indem es weg ist, ist es immer noch da. Wir sehen es nur nicht, weil es überall ist, und nur wir selber sind ausgenommen davon. Doch da wir uns selbst ja nicht sehen können, müssen wir aus der Sprache mit der Laubsäge herausgeschnitten worden sein, und der das gemacht hat und immer wieder weitermachen muß heißt Gert Jonke.

17.5.2002


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