Grußwort nach Japan

 

Ich bin sehr stolz darauf, daß etwas von mir in Japan aufgeführt wird. Ich bin ja auch in meinem Leben von Japan faktisch umgeben, von japanischer Mode zum Beispiel, und mein Garten soll auch japanisch sein, was Japaner vielleicht kaum erkennen könnten. Bambus, lebendig oder tot. Sein Tod ist sehr schwierig zu bewerkstelligen, denn bekanntlich breitet sich dieses Gewächs, sein Wurzelrhizom, unterirdisch aus und verbündet sich dort gegen seinen Besitzer, der ihn vielleicht an manchen Stellen nicht haben möchte. Doch dieser Bewuchs ist nicht zu zähmen. Er ist nicht einmal flüchtig, denn er weiß, daß er ohnedies nicht vernichtet werden kann, auch wenn man ihm mit den schärfsten Waffen zu Leibe rückt. Inzwischen wandert er vor, zuerst unterirdisch, dann an der Oberfläche. Meine Stücke sind auch Flächen, sie arbeiten sich voran, wenn auch nicht unterirdisch, denn alles kann ja gesehen und gehört werden. Das Wort Textfläche ist in Europa, zumindest im deutschsprachigen Raum, inzwischen verpönt, denn es bedeutet: Langeweile. Es tut sich nichts. Keine interessanten Bühnengestalten, die mit- und gegeneinander antreten. Wir wollen doch lieber das saftige Leben auf der Bühne! Mein Bambus will auch sein saftiges Leben und er nimmt es sich einfach, es ist ersprießlich, ihm zuzusehen, wie er sprießt, auch wenn er einen wahnsinnig ärgern kann, weil er droht, die Teichfolie und die lieben Goldfische zu bedrängen. Meine Stücke wuchern auch, ich weiß nicht, wer was davon hat. Ich habe auf alle Fälle etwas davon, denn ich sehe ja, wie ein Regisseur, eine Regisseurin dieses unterirdische Gewuchere zum nach außen hin sichtbaren Leben erweckt (was der Bambus nicht braucht, der lebt sowieso, egal, wo), und auch das, was sich scheinbar unkontrolliert ausbreitet, ist ja Leben oder, im Gegenteil: Weil es lebt, wuchert es. Deshalb glaube und hoffe ich, daß auch meine Stücke irgendwie leben, aber anders, als wenn sie richtige Menschen und ihre Taten und Untaten imitieren würden. Sie sind Rhizome, meine Stücke, und ich weiß zwar wenig vom Kabuki-Theater, aber auch dort gibt es lange Monologe, künstlich verzerrte Stimmen, die aber alle dem strengen Kanon einer stilisierten Künstlichkeit folgen. Das Publikum schaut sich die Stücke an und entschlüsselt sie. Es weiß, was was bedeutet. Bei mir ist das nicht nötig. Ich würde sagen, meine Stücke sind überdeterminiert, weil ich nichts offen lasse, so wie der Bambus auch keine freie Stelle übrigläßt und sich überall ausbreitet, wo er etwas Erde vorfindet. Man muß ihn immer mit Plastikfolie eindämmen, doch auch die überspringt er manchmal. Vielleicht überspringt ein Sinn meine Text-Rhizome? Ich hoffe es. Man kann wahrscheinlich viele meiner Bühnentexte als Kabuki-Spiele aufführen. Das würde mir sogar sehr gefallen! Ich liefere für alles Vorlagen, man kann sie füllen oder auch nicht. Der Bambus fragt nicht erst, er füllt einfach alles, was er vorfindet. Bei mir kann man noch eingreifen und lenken, und gerade das, was da gelenkt wird (und wohin es geht), interessiert mich am meisten, denn erst da erfahre ich, wohin es mit dem Wurzelgeflecht geht und gegangen sein wird. Und was dabei rauskommt. Ich freue mich, wie gesagt, sehr über diese Aufführungen und wünsche Ihnen, daß sie meinem Textgeflecht irgendetwas entnehmen können, das Sie mitnehmen können. Und dann hoffe ich, daß es in Ihrem Heim nicht alles überwuchern wird. Daß es durch Ihr Bewußtsein im letzten Moment noch wieder gezähmt werden kann.

Grußwort anläßlich eines Theaterfstivals im Sommer 2012 in Japan

9.6.2012 / 9.7.2014


Grußwort nach Japan © 2014 Elfriede Jelinek

 

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