Ernst Jandl

d'oide antisemitin

waa heit gean a jiidin

dos sogn kennt: schauz mi aun.

d'nazi hom uns nix daun

(Ernst Jandl)

 

Nur wenn etwas dargestellt werden kann, kann es auch erscheinen. Doch nicht alles erscheint zur rechten Zeit, wenn man es braucht. Manches erscheint einem falsch und ist doch richtig und umgekehrt. Ja, der Schein. Er trügt nicht einfach, er trügt oft kompliziert, ach, trüge er doch ein andres Gesicht, einen andren Körper, einen andren Namen, der Schein! Wir hätten ihn dann wenigstens sofort erkannt und uns nicht dermaßen irren können! Und wo ist das Wissen, hinter dem man selbst in Ruhe sein Erscheinen vorbereiten kann, ohne daß es einer merkt? Man stellt sich einfach zur rechten Zeit, hat man es endlich gefunden, vor das Wissen, und dann ist man auf einmal, wenn grad keiner herschaut, selber das Wissen. Hinter dem man sich früher leider nicht verstecken konnte, weil man es damals nicht gehabt hat. Und wo bitte war, als man sie gebraucht hat, die Erscheinung des Wahren, hinter der sich in Ruhe wenigstens das Wissen verborgen hätte haben können, das man nicht gehabt hat, als man es doch so nötig brauchte, nämlich das Wissen darüber, was wirklich wahr war? Man könnte heute sagen, bitte, wir wissen, das Wissen war da, aber wir haben es leider nicht gefunden. Da geschieht Geschichte, man ist dabeigewesen (oder auch nicht, wenn nicht, dann weiß man oft trotzdem, was war, man hat sogar die Pflicht, es zu wissen), und gerade das, wo man dabeigewesen ist, muß man jetzt, mitten in der Arbeit, es wäre doch noch soviel zu tun!, einfach liegenlassen, man muß das Licht abdrehen, weil man gehen möchte, und das Wesen dessen, was wirklich war, kommt dann unerwartet zum Vorschein. Man hat es, Ehrenwort!, nicht gleich gesehen, weil man geblendet war von den Erscheinungen, die den Vorschein nicht vorgelassen haben, aber jetzt muß man das wirkliche Wesen der Wahrheit, das verdeckt war, halt durchlassen, und jetzt sieht man also Das Wahre Gesicht Von Dem Was War. Und es verlangt von uns, daß wir es Wahrheit nennen und Mama zu ihr sagen dürfen. Also man hat etwas gewußt und man hat was dargestellt, damals, aber diese schöne Darstellung ist jetzt zu Ende, das blöde Wissen drängt sich unerbittlich vor, es benutzt seine spitzen Ellbogen, man kann es nicht länger aufhalten. Man bleibt zwar derselbe, dieselbe, die man war, aber das, was man immer schon gewußt hat, wird plötzlich überall ganz anders dargestellt. Aber was da dargestellt wird, ist ja nur das Wahre, wie es uns heute erscheint, in Wirklichkeit war ja ganz was andres wahr! Wir sind schließlich dabeigewesen und wissen es. Was damals wahr war, kann heute nicht unwahr sein, und wenn jemand andre Vorstellungen hat, so haben die sich eingeschlichten ohne unsere Erlaubnis, nach der natürlich keiner gefragt hat. Wir sind ja immer die letzten, die was erfahren. Die kleinen Leute. Das Wahre muß sich trotzdem, trotz unserer Kleinheit, die ganze Zeit hinter uns versteckt haben und seinen Freund, das Unwahre, das wir für wahr hielten, vorgeschickt haben, vorgeschoben den nur allzu Willigen, die ganze Zeit. Aber jetzt will Unwahr nicht mehr. Wo soll das hinführen? Zur Wahrheit immer noch nicht, zu der müssen wir nicht, die kennen wir ja. Und wir wahren unsere Sicht der Dinge, so lange wir können. Wenn es jedoch irgendwann einmal passiert, daß die Dinge selber sich unsere Zudringlichkeit, sich an sie zu klammern, verwehren, weil sie schließlich am besten wissen müssen, wo und was sie damals waren, als wir noch wußten, aber nicht nachgeschaut haben, wo sie waren, alles was nicht recht ist!, Recht muß Recht bleiben, nun, wenn sich also auch noch die Dinge gegen uns kehren, warum sollten wir uns dann nicht selber kehren und unser Gegenteil werden? Wenn die Dinge es können, warum nicht auch wir? Na bitte, es geht doch! Ernst Jandl sagt uns, wie es geht. Er sagt es kürzer und besser, als ich es könnte. Er stellt es dar. Gewußt wie! Wir hätten es wissen können. Man stellt was gewußt wird in vier Zeilen dar, aber eine ganze Reise liegt dazwischen. Unsre ist lang. Ernst Jandl hat schon früher aussteigen dürfen, weil er es ja schon viel früher gewußt hat als wir.

 

Erstabdruck: DER STANDARD 2000

 


Ernst Jandl © 2000 Elfriede Jelinek

 

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