Der Tod und das Mädchen IV

Jackie

Mitarbeiterin und Mitarbeiter: Randy Taraborrelli, Elisabeth Veit, Roland Barthes u.a.

Jackie sollte in einem Chanel-Kostüm auftreten, denke ich (da müssen Sie aber schon sehr gute Gründe haben, wenn Sie das anders machen!). Man könnte auch als Vorbild dieses letzte Foto im Central Park  (mit Maurice Tempelsman), das auf der Bank nehmen, Trenchcoat, Perücke (da Haare durch Chemo ausgegangen), Sonnenbrille und Hermès-Kopftuch.

Sie sollte in jedem Fall schwer arbeiten. Ich stelle mir vor, daß sie ihre ganzen Toten, die Kinder, na, der Embryo und die beiden toten Babies sind nicht so schwer, aber dafür die toten Männer,  Jack, Bobby, Telis (“Ari”), das ergibt ein ganz hübsches Gewicht, was?!, also, wie soll ich sagen, diese Toten soll sie hinter sich herschleifen wie beim Tauziehen.  Oder ein Wolgaschiffer sein Schiff. Das kann ich Ihnen nicht erleichtern. Wenigstens das Blut auf dem rosa Kostüm wiegt nicht allzu schwer, und von Jacks Schädel fehlt sowieso ein ganzes Stück. Die Schauspielerin soll die (aneinandergehängten?) Toten mühevoll hinter sich herschleifen und daher beim Sprechen immer atemloser werden, keuchen, bis sie den Monolog irgendwann abbrechen muß, weil sie nicht mehr kann. Ja nach Kondition und Tagesverfassung wird das einmal früher, das andre Mal später sein. Und dann ist der Monolog eben aus und aus.

Aber Sie werden ja sicher was ganz andres machen.

 

 

Jackie:

Also ich markiere mich selbst wie meine Taille, die ich nicht betone. Ich trage unbetonte Kleider. Meine  Taille würde durch Betonung erzeugt und gleichzeitig betont, betoniert. Ach so, nein, ich entscheide gerade Wesentliches und entscheide mich anders: meine Taille soll nicht betoniert, sie soll eher angedeutet werden. Sie ist nicht das, was ich an mir besonders hervorheben würde. Ich hänge in meinen Hängerchen oder wie man das nennt, was ansonsten Kinder tragen. Ich bin das Kind in der Frau. Ich nehme mich höflich ab, wenn ich mit jemand spreche, und bleibe, von hoch herab, doch gleichzeitig bestehen. Ich bedecke einen ganzen Platz. Es ist mir lieber, ich werde in all diese Bilder von mir eingehängt und mitgeschleift, da muß ich mich um nichts kümmern. Andrerseits doch wieder wütende Aktivitäten in Sachen Einrichten und Schmücken. Altamerikanisch, überkront wie ein fauliger Zahn mit Louis Seize-Draperien, das nannte man damals guten Geschmack, man stelle sich vor! Nein. Man soll sich lieber nichts vorstellen.  Weil man nicht weiß,  aus welchem Napf die Vorstellung ausgespeist wird in der Suppenküche der Armen. Da mußte ich erst kommen und mich der Bevölkerung einreden, die mir Glauben schenkte, aber nichts  von mir zurückbekam. Man muß alles mit Prunk und Pomp versehen, nur sich selber nicht, man selber sollte einfach bleiben,  dafür braucht man schon, gerade in äußerster Zurückhaltung, im gehauchtesten Nebensächlichkeitston, eine dreiste Art, aber eine, die ganz still wird, wenn man selber als Marienwunder auftritt. Ein Wunder, daß ein Bild wie ich sprechen kann! Man muß selber die Schritte sein, die die Menschen vor der Tür hören und die sie vor Furcht erstarren lassen. Das ist Herrschaft. Das ist nicht das Nebenzimmer der Herrschaft, wie es immer in den Magazinen abgebildet wird. Das ist die Herrschaft selbst, die ihre Glieder, zart wie Kleider, wegwirft, und unsichtbare Hände ergreifen sie, Hände, die sozusagen vor sich selbst in die Knie sinken. Man sieht Herrschaft und sieht sie nicht. Man muß mit dem Kopf schöne Bewegungen machen und diese Bewegungen dann zu einem Foto zusammenschnüren, fesseln, als Geisel seiner selbst. Als Geliebte seiner selbst. Deswegen haben die zahllosen Geliebten Jacks mir so wenig ausgemacht, denn sie haben nichts ausgemacht. Man muß von sich selber gefangen sein, dann wird man auch die anderen einfangen können. Man muß still sein, aber in der Stille am lautesten, damit man anderen Empfindungen einflößt wie einem Kranken seine Medizin. Die Menschen brauchen diese Empfindungen, weil sie sie nicht  haben, aber trotzdem kennen. Sie werden ihnen andauernd beschrieben, in den Räuschen der bunten Blätter, im Rauschen des eigenen Verkehrs, und das ist der ungefährlichste, den es gibt, außer man steht sich selbst im Weg. Ihre Eltern können sterben, ihre Kinder können sterben, ihre Hunde können sterben, doch wenn wir sterben, dann werfen sie alle ihre eigenen Gelegenheiten dazu wie Steine auf einen Haufen, heben die Schnauzen und heulen. Sie sind nicht imstande, auf der Stelle zu treten, und noch weniger sind sie imstande, uns zu treten. Sie wollen lieber zu uns treten und sein wie wir. Und was sie selber nicht sind, das wollen sie unbedingt beschrieben bekommen, aber als etwas Bekanntes, sonst würden sie es nicht verstehen. Wozu dann überhaupt? Sollen wir für sie leben? Irgendwie logisch, daß ein Schuß das beendet hat. Nein, mit dem Schuß hat es ja erst begonnen!  Ihren Gegenstand interessiert anschauen, als sähen sie sich selbst im Spiegel, ja, das machen die Menschen immer. Sie sehen uns, aber sie sehen in Wirklichkeit sich selbst, in uns. Eine derartige Kostbarkeit wie ich kommt aber nur richtig zur Geltung, indem sie abwesend ist. Dabei bin ich überall zu sehen. Mit Jacke für tagsüber. Ich kaufe sie im Dutzend, aber nicht billiger. Ich entstehe durch Betonung und Betonierung. Nicht meiner Taille. Die ist nicht betont, und mein Haar ist auch nicht betoniert. Es ist lackiert. Ich habe auch eine Perücke, obwohl ich das immer geleugnet habe. Joan, die Schnapsdrossel, hat das ausgeplaudert, die verstoßen wurde, das ist auch wieder so eine Form der Betonung.  Erst recht! Dabei ist sie die einzige, die eine verantwortliche Nachkommenschaft hervorgebracht hat. Ethel: fast nur unverantwortliche Nachkommen. Ich: teils teils. Hält sich so die Waage. Ist ja nur noch eine übrig, aber die ist zumindest als Rezitatorin in Ordnung. Sie lebt, um mich und ihren Vater zu rezitieren, retten muß sie uns nicht, wir sind gerettet, und nicht, indem wir im Leben möglichst viel zu tun gehabt haben. Sondern indem wir waren. Wenigstens rezitiert sie nicht andrer Leute Geschichten. Joan war die Hübscheste von uns, aber gleichzeitig die wenigste. Dieser Teddy ist aber auch wirklich ein Aas. Als wir noch als Menschen existierten, nannte man uns Persönlichkeiten, aber Teddy ist nicht einmal das. Dafür lebt er aber noch. Auch nicht schlecht. Beim Vögeln ertrinken - also wirklich! Na, wenigstens nur sie, die kleine Sekretärin, nicht er. Der muß aber schnell raufgetaucht sein, als der Wagen sank, auf der Stelle scheint der gesunken zu sein. Als wäre das Auto ein Wal gewesen, der rasch vom Land ins Meer wandern mußte, weil Fischer mit Blitztauchgeräten hinter ihm her waren.  Der arme kleine blonde Fisch blieb zurück, unten, Mary Jo. Ja. Teddy war leider unsre letzte Chance, der einzig Überlebende, aber er hat nicht sie ergriffen, er hat eine andre genommen.  Dann war es aus mit den Karrieren in der Familie. Ich wurde auf Befehl zu einer Statue, auf die ein blutender Mann fällt, dessen Gesicht in diesen letzten Minuten wohl keiner je vergessen wird. Menschen können sich auch, wenn wir schon bei dem Wort sind: betonieren, aber indem sie verstoßen werden und verschwinden, siehe Joan. Mein Mann verschwand und blieb als ewige Narbe einer Wunde bestehen, mit einem ewigen Licht versehen, damit man uns nicht vergißt, ich liege ja auch dort, mit den toten Kindern. Johnjohn haben sie später leider nicht reingelassen, weil er nicht gedient hat. Am Soldatenfriedhof: nur Dienende! Er ist jetzt Asche im Meer, und die Boote des America’s Cup fahren durch ihn hindurch, ist doch auch nett, oder? In der Notaufnahme ist es auch nicht grade angenehm, für uns ist es dort fast immer schlecht ausgegangen. Die Öffentlichkeit reagiert auf beides absolut gleich, auf das Verschwinden wie auf das Auftauchen. Sie ist nicht neutral, die Öffentlichkeit, sie drückt sich ja eigens aus, damit sie das Entscheidende wird, das Maßband für uns Herrscher, die in ihren eigenen Anblick hineinstürzen und oft daneben, weil sie sich vermessen haben, und ihren Anblick werden die Leute dann oft nie wieder los. Irgendwie bringe ich es nicht über mich, den Anblick des zerschmetterten Kopfes, aus dem das Hirn in meinen Schoß rinnt, der Öffentlichkeit auszusetzen, die ein Recht auf jedes Detail hat. Die Ärzte begreifen das, die Männer vom Geheimdienst auch. Sie müssen alles begreifen, was wir tun, auch wenn wir selbst es nicht verstehen. Oh Jack, oh Jack, ich liebe dich, schluchze ich. Was soll ich auch sonst sagen? Ich kann doch hier im Spital keine Verabredung vorschützen! Wir halten uns gegenseitig in den Armen und tätscheln sanft unsere Rücken, während wir leise weinen, weil so viele von uns gestorben sind und wir jetzt auch,  also ich bin jedenfalls tot.  Schon gut, sagen wir uns, schon gut, lassen wir es heraus, lassen wir jedes kleinste Bißchen heraus.  Ich habe meinen Weinkrampf gerade hinter mir, Ethel fängt jetzt mit ihrem an, Joan erscheint tränenlos, beginnt dann aber doch auch zu weinen, nein, doch nicht, jetzt,  allerdings, mit einiger Verspätung, kommen ihre Tränen endlich an, obwohl keiner auf sie gewartet hat, nein, ich sehe: sie werden doch erwartet.  Von uns allen. In einem Bächlein helle. Rein mit den Tränen ins Tränenmeer! Und dort verschwinden. Mit diesem Gesichtsausdruck werden Sie nichts anfangen können, nehmen Sie lieber den dort! Den hab ich schon wo anders  ausprobiert, aber dort hat er nicht gepaßt. Der ist wie ein Schuh, mit dem man lautlos die Treppe hinaufkommt, ausrutscht und schreiend wieder hinabfällt. Ach, hätten wir doch rechtzeitig eine kesse, rutschfeste Zwischensohle aufs Parkett gelegt, wie die Menschen es tun. Und dann alles, was kommt, durch einen schwarzen Schleier filtern, Sie werden sehen, der Geschmack ist unvergleichlich. Ich habe mich gut gehalten, bis Ethel kam, dann holte ich mein Selbstbildnis aus meiner Gemäldegalerie und stand da,  a woman in black bis zu den Gurten hinauf, die mich an den Sarg fesselten.  Die beiden Kleinkinder vor mich hingestellt mit ihren Artigkeitsgesichtern, die kleinen roten Schühchen, die hellblauen Mäntelchen, hab ich sie nicht süß ausstaffiert, das bleibt den Menschen für Jahrhunderte im Gedächtnis, Sie werden sehn, nein, leider werden Sie es nicht sehen. Aber Sie können es sich im Film fünftausendmal anschauen und kriegen doch nie genug und sehen doch nichts. Das hab ich gut hingekriegt, was? Alles meine Tätigkeit, die Menschen von diesem entzückenden Tod in Rot und Hellblau, dem Tod in Gestalt zweier kleiner Kinder, reizend, wie ein schlanker Himmel ungefähr, zu überzeugen, dem Tod, der auch ihnen bevorsteht, nur so toll wird der dann nicht sein, fürchte ich. Sie öffnen die Münder, um es zu fassen. Das Pferd ohne Reiter, die leeren Stiefel umgedreht, die Schäfte nach unten, in den Steigbügeln. Dabei hat Jack Pferde gehaßt! Er war allergisch gegen ihr schönes Haar. Na, ich nicht. Reiten, Tennis, Schifahren, Wasserschi, das ist die Art, wie ich mich umarme. Sofort fing Jack an, diese oder jene Frau zu belästigen, wenn man ihm den Rücken zugedreht hat, aber das kam vom Cortison. Macht geil, ohne daß man die Hand der Mama dabei überhaupt auslassen muß.  Täglich macht der Frauenheld seine Fortschritte, ohne Unterricht erhalten zu haben, aber er ist ein unachtsam Lernender. Er muß sich ja nicht anstrengen.  Es ist ganz ihm anheimgegeben. Gegen seine Persönlichkeit kommt keine an. Er springt in jede Frau,  aber er springt in keine Auseinandersetzung mit mir.  Ich habe die Sache mit Marilyn mit Jack endlich geklärt, er hat mir gesagt, er habe bereits vor ihrem Tod mit ihr Schluß gemacht, man könne ihn also für diesen Tod nicht verantwortlich machen. Er sagte, sie habe schon große Probleme gehabt, lange bevor er sich mit ihr getroffen habe. Ich gelangte schließlich zu der Überzeugung, daß man ihm wirklich nicht die Schuld geben konnte an dem, was geschehen war. Sein Vater zahlt immer. Er bezahlt ja auch mich. Wenn ich schon heiraten muß und verheiratet bleiben soll, dann soll sein Vater auch zahlen. Meiner hat das nicht können, zahlen. Ich mußte heiraten, anders waren meine Reize nicht anzubringen, sie brauchten ja eine sehr feste Adresse. Nicht wie diese Sylvia Plath, die das Stipendium der Frauenzeitschrift annehmen durfte und sich dafür an der Hummermayonaise, die man den Mädels dort angeboten hatte, fast vergiftet hätte, na, der wäre auch einiges erspart geblieben. Mir wäre so ein Zeugs nie vorgesetzt worden. Das hätte keiner gewagt. Sehen Sie, ich brauche keine Stipendien, um zu sterben, ich weiß auch so, wie es geht. Ich weiß es schon vorher.Ich weiß, wie es geht. Egal was. So eine wie die Plath wird nie eine Ikone, außer für verblödete Weiber, die denken, sie hätten einen eigenen Verstand bekommen. Lächerlich.  Woher sollte der denn kommen?! Wozu würden sie den verwenden, außer für Haustürangelegenheiten? Ich durfte mein Stipendium bei Vogue ja gar nicht erst annehmen. Mama war dagegen. Du mußt reich heiraten, sagte sie ganz richtig. Verliere nicht ein ganzes Jahr.  Dieses Jahr kannst du für etwas  besseres benutzen. Und wie steht man in der Besuchsstunde beim Jüngsten Gericht denn da, wenn einem keiner den Unterarm auf der Gangway abstützt, weil man so lang warten muß, bis Gott endlich da ist und einem die Hand schüttelt?  Sogar bei de Gaulle und Chruschtschow kam man ja schneller dran! Berufe dich darauf, daß du unberufen so und soviele Männer kennenlernen könntest! Zeit für ein Gedicht, das muß sein, aber besser dein Kleid ist ein Gedicht! Ganz recht so.  Du mußt dich fügen! Erst wenn du überall auffällst, bist du wirklich fügsam gewesen. Schmiege dich ans Fleisch, auch wenn es verdorben ist, Hauptsache es ist so reich garniert, daß das Fleisch darunter verschwindet. Man kann bei der Herrinnenerziehung unmöglich etwas Besseres machen als Mama bei mir.  Sie begreift mich nicht, aber sie hat recht. Sie hat es selber auch so gemacht. Ich begreife mich schon, aber da ist nur Luft mit einem tiefen Schmerz, wie Wasser, das einem zum Weg wird, beim Wasserschifahren, hart wie eine Straße, die vor dir liegt, aber man kann in ihr trotzdem ertrinken. Das schafft ein Regen- oder Tränenstrom nie. Daraus kommst du immer wieder heraus. Warum soll der Präsident auch lernen, die Frauen kommen ja von selber. Diese Männer. Die ersten Männer, die durch Sport sexy wurden. Die Schwestern auch. Nein, das stimmt nicht.  Es stimmt erst heute, da Sportlerinnen sich ausziehen müssen. Sie haben den Anfang gemacht. Diese Rara-Girls.  Immer brüllen, keilen, kicken, schreien, immer anfeuern und das Feuer dann noch, durch simples Windmachen, Luft, anfachen, reinblasen, übereinander herfallen, Mannschaftssportlerinnen, Fußballerinnen, beißen, treten, kratzen. Das konnten sie immer, diese entsetzlichen Frauen, denen die Sehnen wie Flitzebogen durch die Gegend schossen, in alle Richtungen, Frauen, die sich durcheinanderschoben wie Fahrzeuge auf einer platzenden Hauptverkehrsader zur  Stoßzeit. Als würden sie jeden Moment in die Luft geschleudert, wenn sie sich nicht fest an die gute Erde klammerten. Oder stimmt es doch, daß wir Frauenfiguren, fasrig wie wir waren, ohne jedes Fleisch auf den Knochen, die Musterhäuser unsrer Generation und aller kommenden wurden? Ganz besonders ich. Schauen Sie uns an und bestellen Sie sich gleich was ähnliches, denn das gleiche werden Sie niemals kriegen!  Wir sahen aus, als könnten wir der Vergänglichkeit nie anheimfallen, da schien eben nie auch nur ein Gramm Fleisch zu sein. Wir waren irgendwie: fleischlos, gesund, ja, und doch trafen unser Fleisch die schlimmsten Schläge. Wenn es Fleisch gewesen wäre.  So traf das Schicksal auf ein fest gespanntes Sprungtuch und schleuderte uns immer wieder in die Höhe, egal, was passiert ist. Ja, das Schicksal nahm von uns Notiz, und dann schrieb es uns aus, bis zum Ende unserer besten Seiten. Seither schreibt es  nur noch von uns ab, das Schicksal, bis ins dritte und vierte Glied. Dem fällt auch nichts Neues mehr ein, dem Schicksal. Ein weitschweifiger Roman wie aus dem Leben gegriffen, nein, wir waren ja das Leben selbst! In uns hatte man gegriffen! Aber nur nicht zu knapp! Keiner hat sich geniert. Keinem bleibt seine Gestalt, nur uns bleibt sie auf ewig. Wir wuchern mit unseren Pfunden, aber es sind so wenige. Wir haben gar keine Körper. Bitte, Schicksal,  bedienen Sie sich! Moment, ich muß mich nur erst in meine Form hineinlegen, die ich durch die Kleidung vorgegeben bekommen habe, und ich habe Mr. Cassini angewiesen, die Kleidung nach meinen Maßen anzufertigen, aber so, daß sie mich niemals berührt. Mich darf nichts und niemand berühren, wenn ich es nicht will.  Bloß das Schicksal hat sich nicht daran gehalten. So, jetzt bedecke ich noch meine abgekauten Fingernägel mit den üblichen halblangen oder langen Handschuhen, und das wärs auch schon. Weiß ist meine Lieblingsfarbe, ich teile sie mit dem Tod, dem großen Weißmacher. Dem beliebten Universalreiniger. So rein wird nichts, außer er selber faßte es an. Er zuckt immer nur die Achseln, und das ist kein Zeichen des Bedauerns. Mit all meiner kostbaren Kleidung, diesen Haufen und Haufen von Stoff, bestehend aus reinen Grundlinien, von denen aus all die Pässe, die Treibbälle gespielt werden, gut gezielt, aber nur einmal, nein, zweimal wirklich gut getroffen, mit all diesen Fetzen, bald flächig, bald voluminös gebauscht, will ich vortäuschen, ich hätte darunter gar keinen Körper. Obwohl ich den doch, sportlich, straff,  muskulös, in dieser neuen Variante, die Sie ab den sechziger Jahren überall kaufen konnten, wenn ihn sich auch nur wenige leisten konnten, präsentierte, sozusagen als gehaltlosen Gehalt präsentierte, in zahllosen Zeitschriften.  Im Fernsehn. Im Kino. Ich weiß nicht wo noch überall. Ich wurde betont, das heißt, ich wurde tonangebend. Betonung muß nicht Steigerung sein, wie ich schon sagte, es kann auch Steigerung in der Zurücknahme sein. Immer dezent, das ist wichtig, immer die eigenen Reize spiegeln, sie im Spiegel entstehen lassen, nur ja nicht selber reizvoll sein, dann wäre man ja ein Mensch! Die Erfinderin des schulterfreien Abendkleids und des Minirocks im öffentlichen Dienst. In meinem vorsprachlichen Stadium, das man auch das Kleider-Stadium nennen könnte, also in der Form, in der noch nicht gesprochen wird, die aber schon da ist und auf ihre Aussage vor dem Gericht der Menge wartet, sprachen die Kommentatoren unaufhörlich hinein. Über meine Kleidung hat man geredet, fast noch mehr als über mich, und das heißt was! Die war meine Schrift, meine Kleidung.  Meine Kleider waren individueller als meine Sprache, verstehen Sie, und dabei waren sie eben doch nur Linien, die die Grundform sind, der ganze Zierat nur aufgesetzt, schlicht, essentiell. Kreis, Quadrat, Kugel, Würfel. die Paßform wich vor mir zurück, weil ich die Taille gerade nur so umspülte wie die Wogen die Venus, schaumgeboren. Ich war aber der Schaum auf den Träumen anderer, Fremder. Unzähliger Fremder. Wie komisch.Wie konnte ich noch mehr erreichen? Die Träume selber sein? Um Gottes willen. In jedem sein. Wie entsetzlich.  Da bin immer nur ich, auf der verwehten Küste. Die Sommerurlauber sind weg, und da bin nur noch ich. I love the autumn, and yet I cannot say all the thoughts and things that make one feel this way. I love walking on the angry shore, to watch the angry sea; where summer people were before, but now there’s only me. Ein Ausdruck huscht über mein Gesicht, er rennt, er bemüht sich, aber er wird dennoch sofort eingefangen und festgehalten von all den Kameras. Da bin niemals mehr nur ich. Nie mehr. Er entflieht, mein lieber Ausdruck, bevor ich mich um Einzelheiten bemühen kann, und jetzt steht er überall, als ein Blöder. Nein, blöd war er nie, das stimmt nicht. Ich gehe nicht mehr lange so zu wie bisher. Ich gehe wo andershin, nach Griechenland. Ich habe eine Nachricht für Sie, wurde Bobby gesagt. Auf den Präsidenten ist geschossen worden. Was? Sagte Bobby. Oh. Ich... Ist es ernst?  Ja, so sprach er, Bobby, aber nur einmal, öfter war es nicht nötig, so etwas zu sagen. Beim nächsten Mal war er schon selber dran. Ich glaube, es ist ernst, wurde ihm erwidert. Niemals konnte ich noch mehr erreichen als damals! Wer sollte sowas übertreffen?! Schlafen zwischen zwei Meeren, wer kann das schon. Ich konnte nicht einmal das Stück Schädel auf dem Heck erreichen, auf das ich geklettert bin. Am nächsten Tag konnte ich mich daran nicht erinnern. Flucht war es auf keinen Fall. Ich kann mich nur erinnern, daß ich einen Teil vom Inneren seines Schädels sehen konnte. Es war fleischfarben, also eigentlich wie etwas Weiches, nicht wahr. Das ist ja auch ähnlich wie bei der Kleidung, sie sieht auf den Fotos hart aus, unstofflich, aber in Wirklichkeit ist sie ganz weich, wenn sie ganz Hülle sein darf, wenn man sie läßt. Ich lasse sie nicht, sonst würde ich menschlich wie eine verflossene Nacht. Nicht wiederholbar. Keine Sekunde wiederholbar. Der Tod schon gar nicht wiederholbar. Ich weiß noch, wie ich dachte, daß Jack aussehe, als hätte er leichte Kopfschmerzen. Er hatte so einen verwirrten Gesichtsausdruck, und er hob seine Hand, es muß die linke gewesen sein. Ich weiß noch, daß ich schrie wie sonst nur meine Schwägerinnen am Strand. Ich rutschte vom Sitz und hatte seinen Kopf in meinem Schoß, daran erinnere ich mich genau. Wissen Sie, später gab es diese Bilder von mir, wie ich hinten aus dem Wagen klettere. Aber daran erinnere ich mich überhaupt nicht. Ich blase sorgfältig Innigkeit in Jacks Schädel, aber er ist faktisch und klinisch tot. Mehr als davon gezeigt wird, kann man nicht wissen. Das ist auch wie mit den Kleidern: Mehr als gezeigt wird, kann man nicht wissen. Die Kleider sind absolut tot, obwohl sie an mir zu leben scheinen. Oder lebe ich nur durch meine Kleider? Egal. Es ist jedenfalls eine ganz besondre Eigenschaft. Ich weiß nur nicht ob von mir oder von den Kleidern. Auf den Fotos dann wieder: tot. Man kann es ahnen, was sie bewegt. Daß es eine Frau ist, die sie bewegt. Deshalb habe ich mich so für Mode interessiert. Sie ist was sie ist. Und darin verschwindet der Mensch. Auf meinem Kostüm sind Blut und Gehirnfetzen, aber an das rosa Kostüm wird man sich erinnern, weil es ein Kostüm ist, in dem mein Geist steckt, dieser unaufhörlich Lernende, bis er selbst Lektor werden darf.  In einem Buchverlag. Aus einem Bücherdepot wurde damals ja auch geschossen. Die Bücher sind Lagen von Dingen, und die Lage ist immer verworren und wird immer verworrener. Woran man glaubt, das muß man sofort wieder fallen lassen.  Sonst glaubens die andern auch noch. Aber ein Kleid wiederum muß kommentiert werden, sonst ist es keins. Das Kleid entsteht im Beschreiben, die Hervorhebungen stammen von mir. Sie müssen die Fußnoten auch lesen. Diese Fußnote besagt, die Flecken in diesem Kostüm sind Blut und Gehirnmasse. Was drum herum ist, das ist nur noch Betonung, Zubehör, aber es ist das Kostüm, das zählt. Wir wissen von dem Blut und  dem Gehirn und daß ich das Kleid bin, nein, das Kleid ist mehr als ich, es ist größer, es geht nie in meiner Gestalt auf, es behauptet sich tapfer gegen mich, und es bleibt auf ewig in der Erinnerung der Menschen. Von mir bleibt das weiße Gesicht, die schwarze Haarmasse, wie ein niemals geschüttelter Berg, wie sollte man einen Berg auch schütteln können? Die weit auseinanderstehenden Augen, auf die keine Sonnenbrille richtig paßt, weil die Augen immer versuchen, sie in der Mitte  auseinanderzufetzen wie ein schwarzer Panther seine Beute. Der Mensch sieht immer zu ruhig aus im Vergleich zu seiner Kleidung, in welche der Wind fährt und laut um sich selber heult. Meine Kleider umringten mich wie weinende, staunende Kinder,  sie lenkten von mir ab, aber ohne mich wären sie nichts. Nein, das stimmt nicht. Sie brauchen mich nicht. Sie haben einen starken Hang, aber den hat ja jeder Berg. Diese Geliebten alle. Die gaben mir nie die von mir gewünschten Auskünfte, daher wurde es mein Spiel: mir einen Wert geben, und dieser Wert war das Betonieren des Haares und das Unterbewerten meiner Taille. Diese Marilyn hat mich ja für die Vogue parodiert mit dieser schwarzen Gips-Perücke mit dem Auswärtsdrall unten. Und die ganzen Perlenketten! Diese Irre. Hat nichts verstanden. Ich bin herausgeschält aus dem Raum, Dunkelheit, mit Licht erzeugt.  Sie war das Licht. Das hat sie nicht verstanden. Verletzlicher als das Licht ist nichts. Ein Handgriff, und es ist weg. Das Dunkel aber bleibt, es kommt ja jeden Tag die Nacht. Nicht schlecht, wie Marilyn das gemacht hat, die dunkle Perücke, steht ihr nicht wirklich, aber man merkt die Absicht und ist nicht einmal verstimmt, weil es egal ist, es hört niemand zu, es schauen alle zu, aber es bedeutet nichts. Ich bin die Bedeutende, nicht sie. Ein Mensch kann nie so bedeutend sein wie ich. In dieses Haus ihr nachgehen, wo immer das ewige Licht leuchtet, das wollte Jack denn doch nicht. Das wäre ihn zu teuer gekommen. Ich aber entgegne diesem armen ausgeschminkten Etwas, diesem Kreidefelsen: Mager zu sein, das gibt Macht! Ich bin zwar nicht mager, aber ich kann so erscheinen, weil ich mich geschickt kleide. Ich bin in meinem Element, wenn ich mich zeige, denn ich bin eben nicht nur: Licht.  Ich bin nicht so flüchtig. Und wenn ich einmal flüchten will, läßt man mich nicht. Ich bin meine Kleidung, und meine Kleidung ist ich, sie ist also: mehr als Licht. Sie ist das, was mehr nicht sein kann. Sie ist nicht das, was nicht mehr sein kann. Ich meine, wie soll ich sagen: es ist kein Fleisch darunter. Was es ist, das ist es, aber es ist nicht vergänglich, denn es ist kein Fleisch. Ich verwese nicht. Ich erlaube mir, mich in meinem Körper vollkommen heimisch zu fühlen, weil er von Kleidung umgeben ist, die mir Sicherheit gibt. Auch falsch gesagt.  Na ja, die weit auseinanderstehenden Augen und den sinnlichen Mund, an die wird man auch noch lange denken, aber auch als an etwas wie Kleidung. Meine Augen, mein Mund sind Accessoires. Mein Umriß ist sehr kompliziert, aber es gibt ja all die Kürzel dafür, die meine Kleider ausdrücken, und ich nutze sie alle, um mich in Kurzschrift ins Buch der Menschen einzuschreiben, in ihre Stammbücher,  da ist für jeden etwas dabei.  Eine Kurzschrift, die im Grunde Variante ist, ohne Identität und Gestalt. Es ist alles unsicher, deshalb erscheine ich so sicher. Eine im Grunde unsichere Frau wie ich, die sicher erscheint im System Welt. Es wird Abhärtung von uns Öffentlichen verlangt, und man bekommt auch jede Menge Abhärtung. Bein zeigen! Das hat sich noch keine getraut. Taille weg. Dafür Bein her, bis auf den Knochen! Sogar am Inaugurationstag, an dem ich fast erfroren wäre in meinem Wollmäntelchen. Aber ich habe mich abgehoben von den langen Nerzen der Matronen.Das verstehen Sie nicht, daß man sowas auf sich nimmt? Also hören Sie: Es kann unmöglich sein, daß etwas fehlt, weil sonst alles fehlen würde. Ich meine, etwas kann so entscheidend fehlen, daß seine Existenz selber nicht mehr gegeben ist, auch wenn noch ein Rest da ist, nein, falsch gesagt, es bleibt kein Spielraum für die Existenz, und daher wird die Existenz selbst Spielraum. Doch nur wir Auserwählten dürfen drinnen spielen. Die andren stehen am Zaun und versuchen, sich hineinzudrücken. Es geht nicht. Kein Kleidungsstück kommt ohne Nähte aus. Na, sehen Sie. Wenn die Nähte fehlen - kein Kleidungsstück! Es wächst ja nicht zusammen was zusammengehören würde. Wer wüßte das besser als ich! Und so verfahre ich mit mir. Ich bin die Nähte, aber der Stoff dazwischen fehlt, o je, jetzt habe ich das umgedreht. Also: meine Existenz wird erst bedeutend, indem ich die Betonung variiere. Bald spricht man also mehr von meinem weißen Duchesse-Abendkleid zum Wohl der Wahl, meinem Vichy-Karohemd plus Shorts, am Strand, zum Wohl der Kinder und von meinem rosa Chanel-Kostüm zum Wohnen und Wohlsein des Todes und von meinem roten Wollkostüm, das, nach Verkündung des Wahlergebnisses, wo die Stimmen den absoluten Gipfel erreicht hatten, zutraulich den Kopf an meiner Schulter birgt, oder war es die Schulter selbst, die meinen Kopf barg? Egal. Ich stehe plötzlich allein da und beginne zu weinen.  Das mit den Nähten, die ich bin, beschäftigt mich: die Leute malen sich das Dazwischen aus, das ich bin. Jeder sieht etwas anderes. Nähte sind oder sind nicht, man kann sie absteppen, bis die Steppe brennt, man kann sie betonen wie eine Taille, nicht meine, eine andre, meine ist nicht das beste an mir, ich muß von ihr ablenken. Zuviele Geburten, mehr als die Hälfte davon vergeblich. Alles Quatsch. Vorzeitiger Abgang oder Kindstod. Vom Tod der kleinen Arabella und vom Tod des kleinen Patrick werde ich mich nie erholen, auch in der Ewigkeit nicht. Da gebe ich ihnen halt den Vater auch noch, ein Kind braucht seinen Vater schließlich, plus ein Stück Fehlgeburt, namenlos, das ich nun gerade ganz besonders nicht gebraucht habe. Das  eine war zuviel. Das zweite und dritte aber auch. Ich bin ihnen einfach hinterher gegangen. Besser konnte es nicht mehr für mich kommen. Der Tod kann sie meinetwegen alle haben, er hat jetzt schließlich auch mich, der alte ausgewaschene Schlüpfer, aus dem er immer selber schlüpft, der Tod, die alte Schlupfwespe, auch gut. Auch so ein Kleid, das einen starken Hang zum Rhetorischen besitzt, man kann es sprechen und man kann es einem absprechen, wie Jack es getan hat. Jack war unaussprechlich attraktiv, für Männer wie für Frauen. Die Drogen haben da nicht gerade geschadet. Ich hab sie ja auch genommen. Jahrzehntelang. Eigener Doktor dafür. Sehr gut. Die süßen schlanken Drogen, die sprechen immer noch am lautesten, doch die Kleidung hat den Vorteil, daß man sie sieht und sehen soll. Die Drogen stehen hinter uns wie eine Eins, es ist sehr ungerecht, daß man sie nicht sehen darf, daß sie so geächtet sind, die Armen, die unserer Existenz etwas so Wundersames verleihen! Das ist gemein. Man kann den ganzen Tag lang wach und aufgeregt sein, und es fällt keinem auf. Man kann Tag und Nacht wach und ungerecht sein, und es fällt keinem auf. Komisch. Die Drogen sind das, was die Menschheit insgesamt träumt, aber nur wenige wirklich erleben dürfen.  Gut so. Unser Doktor war der Beste. Er hat immer den Mund gehalten, dieser wunderbare Mann, dem wir möglichst viel zu tun gegeben haben, so herrliche schlanke Sachen haben wir uns in den Mund gestopft.  Wir wurden wie sie, herrlich, schlank und schnell.Die haben uns zäh, rasant und ausdauernd gemacht. Vielen Dank auf diesem Wege und sehr verspätet, aber immerhin, Herr Doktor im Nebenzimmer. Im Nebelzimmer. Danke auch, daß Sie uns immer treu begleitet haben. Die Männer sprechen immer selbst, sie lassen nicht gern sprechen, außer es ist was Unangenehmes, dann nehmen sie einen Sprecher dafür oder lassen halt die Droge in sich und aus sich sprechen, die sie so wundersam steuert. Tränen sind nur scheinbare, Lachen ist nur scheinbar, Energie ist nur scheinbar ein Drink, in Wirklichkeit sind es die Drogen, vor allem diese Aufputschmittel, großartig, wie schnell Faulpelze sich bewegen können!, da springt man ja förmlich aus sich heraus! Probieren Sie es doch einmal! Sie werden aus sich selber herausrollen wie eine einzige wunderbare glasklar geputzte Träne, die sich Ihnen entrungen hat, jedoch ohne jede Anstrengung. Aus uns Frauen aber spricht immer, was wir auch tun, etwas anderes auch noch, und leider lauter als alles, und zwar der Tod. Indem wir das Leben so oft verfehlen.  Ja, das Leben spricht schon auch aus uns. Aber lauter spricht der Tod. Da will man etwas Gutes aus dem Supermarktregal fürs Mittagessen holen, und wer spricht uns ganz ungeniert an? Der Tod. Der Tod im Gemüse, der Tod im Fisch, der Tod im Obst. Und wir sind schuld. Wir sind schuld, daß gepflanzt wurde, weil wir unsere Kinder und Männer ernähren wollten, und jetzt sind wir schuld, daß die Pflanzen sich gegen uns kehren.  Daß die ganze Natur sich gegen uns kehrt. Bitte, ein Beispiel für die Kehre: Mein Mann litt seit 1940 an einer chronischen Urethritis - Harnröhrenentzündung als Folge einer Gonorrhöe. Seine Addison-Erkrankung verhinderte deren Ausheilung, sein Immunsystem war geschwächt. Bei seiner Obduktion wurde außerdem eine Chlamydien-Infektion nachgewiesen. Sie wird ausschließlich durch sexuellen Kontakt übertragen, na bitte, von wem an wen wohl?  Also die hab ich garantiert nicht gekauft, diese Krankheit,  aber ich habe sie trotzdem bekommen.  Meine echten Perlen habe ich erst später von Telis bekommen, die Krankheit aber habe ich sofort gekriegt. Meine Fehl- und Totgeburten waren wahrscheinlich Folgen dieser Ansteckung. Chlamydien können nämlich die Fruchtblase am Reifen hindern, bevor die Frucht überhaupt richtig da ist, und Fehl- sowie Frühgeburten auslösen.  Keinem bleibt seine Gestalt,  ich sagte es schon, andre sagen es auch, ich sagte es auch der Kleidung schon, und sie hört auf mich: die geht ganz in ihr auf, in der Gestalt. Da ist nur noch Gestalt, und die bleibt, wie angenagelt. Denn: Mehr gibts nicht. Ich glühe mit meinen  gezwungen lächelnden Augen zwischen meinen toten Kindern hervor als ewiges Licht, ins Haus hinein strahlend, nach außen hin schmerzlich.  Die Presse ist dabei. In meinen Armen das Kind war tot.  Das eine haben sie mir gar nicht erst gezeigt, das andre hab ich gar nicht erst zu sehen bekommen. Ja, Jack hat mich angesteckt und mir die nötige Auskunft darüber verweigert, warum und wem ich das zu verdanken habe. Da ich ja ihm alles zu verdanken hatte. Er küßt wie eine Art Casanova,  egal wen, so wie er halt überhaupt mit seiner Kundschaft umgeht, der Öffentlichkeit. Tja,  Jack hat keine Nähte gebraucht und er war keine Naht, das steht wohl fest. Er war ein Paket, ein leeres, oftmals geöffnetes, nichts drin, ein Paket, das erst ankommt, nachdem er seine Möbelladungen voll Heimlichkeiten über so viele Frauen ausgeschüttet hat. Nichts blieb zurück. Alles blieb zurück, aber nicht für mich. Es gibt uns gar nicht.  Und doch: Wir sind die Gebieter der Öffentlichkeit, die uns unsere Häuser schenkt und überhaupt unsre ganze Umgebung, aus der wir herausgestanzt sind, für die Ewigkeit. Wir sind für die Ewigkeit gemacht, aber wir wissen nicht warum. Und ob wir auch wandelten im finstren Tal, wir sind für die Ewigkeit gemacht. Und ob wir auch wandelten auf Freiersfüßen, wir sind für die Ewigkeit gemacht. Das Licht ist falsch. Sehen Sie, dieses Licht, das von dieser Frau kommt, Marilyn, dieses Licht ist falsch, und deshalb ist diese Frau, an der wir uninteressiert sind bis ins Tiefste hinein, genau deshalb ist auch diese arme Frau gestorben.  Wir sterben alle, aber diese Frau mit gutem Grund. Weil wir an ihr uninteressiert waren wie man es mehr nicht sein konnte. Wir sind sogar an unseren toten Kindern, welche wir ja gar nicht kannten, mehr interessiert als an dieser Frau. Und weshalb? Ich weiß es auch nicht. Fragen Sie mich nicht! Ich schaue auf ihr Bild wie auf ein Möbelstück in meinem Zimmer. Ich verbiete Jack den Umgang mir ihr, aus Mitleid mit ihr, jetzt nur kein Mißverständnis, sie war ja niemals Rivalin, sie war nicht einmal Rivalin, sie war nichts und niemand, obwohl jeder selbstverständlich auch sie kannte. Jack wird ihr nicht bekommen, sage ich, und sie wird ihn nicht bekommen, egal, sie bleibt ausgespart, und zwar weil sie selbst das Sparen nie gelernt hat. Ich hätte ihr da was beibringen können, aber mich hat sie ja nicht gefragt. Geiz in der Verschwendung, das ist es. Mit sich selbst sparen, indem man vorgibt, sich großzügig zu verschenken, also ich habe das nicht einmal vorgegeben, das Großzügige. Ich war eben wie handgenäht,  Stich für Stich, ich bin nicht so rasch auseinandergefallen wie andre, obwohl ich Grund genug gehabt hätte. Die rechte Seite dieses Kopfes ist ja völlig weg! Bis unters rechte Ohr! Das Kleinhirn baumelte an einem einzelnen Gewebestrang an seinem Hinterkopf, also so könnte man mein neues Kleid, das ich, wie jedes, nur ein einziges Mal tragen werde, auch beschreiben, fällt mir auf.  Vielleicht eins, bei dem ein Knopf lose ist. Ich habe versucht, den Schädel zusammenzuhalten wie meine ganze Familie. Mehr war da nicht. Da war nichts mehr. Alle tot alle tot, das ist halt einfach meine Welt, der Tod. Andre haben Bildung, die auch ich habe, mehr als die doofen Schwägerinnen jedenfalls,  diese Mittelpunkte in ihrem Bekanntenkreis, sowas hat ja ein jeder, aber immer wenn wir Bildung in uns spüren, bekämpfen wir diese Bildung sofort, weil wir ganz wir selber bleiben wollen. Das zeigen wir auch der staunenden Menge. Daß wir wir selber sind und nichts und niemand anderes nötig haben, wir, nein nur ich, nur ich, mit meinen hochtoupierten Haaren, am Hinterkopf die Pillbox, schmale Etuikleider, kurze, knappe Jacketts mit großen Knöpfen und schlichte Mäntel. Ich sage dieser Marilyn noch, sie soll sich doch für sich selber sparen, sie soll besser auf sich achtgeben, so wie wir Reichen es von je her taten und tun, und auch die, die so tun, als wären sie reich, ich zum Beispiel, damals war ich es ja noch nicht: reich, sogar arm war ich, richtig arm, aber aus reicher Familie, nein, wir brauchen trotzdem nicht zu sparen, wir Reichen, auch wenn wir arm sind, wir werden ja immer da sein, weil wir mit uns selbst gespart haben.  Deswegen gibt es so wenige von uns.  Wir raffen uns zusammen, bis riesige Leere um uns herum herrscht, die Leere des Todes, dieses Nebelstreifs, dieses vertrödelten Nachmittags am Privatstrand, dieses vertrunkenen Abends mit Kron und Schweif. Das ist das ganze Geheimnis. Mehr ist da nicht. Nicht Dollar auf Dollar legen, sondern mit sich selber anfangen zu sparen. Sie auch, liebe Marilyn, aber leider hat es Sie nur in zwei Versionen gegeben, als Licht und als Schatten. Die Leere hätten Sie gebraucht, nicht Licht und Schatten, Dunkel und Helligkeit. Daß alles vor Ihnen zurückweicht, anstatt daß alle zu Ihnen ins Kino kommen sollen. Lächerlich. Was soll man da von sich sparen, wenn jeder alles von einem haben will? Was sollte einem da erspart bleiben? Es ist relativ einfach, mit dem Licht zu geizen, aber wenn man was sehen will, braucht man es eben doch. Das mit dem Licht macht den ganzen Unterschied aus. Sie, Marilyn, sind nichts als Licht, die größte Unbestimmtheit, das alleinige Nichts, schlimmer als der Tisch in meinem Zimmer, auf dem frische Blumen stehen. Schlimmer als die Kappe auf meinem Kappenhaar, die kaum aufs Haar draufgeht, immer auf der Kippe steht, während mein Mann daneben gerade draufgehn muß. Immerhin, da sind Sie ihm vorangegangen.  Das ist alles materiell. Marilyn  -  Sie nicht!  Ich sage: Sie ist nicht Materie, diese Marilyn. Sie ist Verwesung, denn sie ist Fleisch. Und auch wenn das Fleisch aus Licht besteht - verwesen muß es doch! Sie ist sogar schon verwest, als ihr blonder Schopf noch aus dem Sarg herausgezischt hat wie Schaum aus einem Feuerlöscher. Sie war festgesteckt, meine Kappe, aber Marilyn, die hat natürlich dauernd vergessen sich festzustecken. Der ist das Haar aus dem Sarg gequollen und nicht und nicht hineingegangen, die größte Demütigung. Sie konnte keinen Arm mehr heben. Meinem Haar wäre das nie passiert. Mein Haar war eine reine kalte schwarze absolut lichtlose Fläche. Aus einem Guß. Schwarz fängt das Licht ja ein und läßt es nicht mehr raus aus dem Käfig. Sie war das nicht gewöhnt, die Ärmste und war es doch wieder gewöhnt, die mußte gegen ihr stets williges Fleisch ankämpfen, damit es sich ganz in Licht verwandeln konnte. Das war falsch. Natürlich blieb immer was übrig.  Brosamen für die Meute, die kläffenden Hunde neben ihr. Dieser Haarbuschen. Der geht mir nicht aus dem Kopf. Herausgestreckt aus dem Sarg wie der hochgeschüttelte Puschel einer billigen Cheerleaderin. Sie kommt aus dem Nichts, diese blonde Frau, die gar nicht blond ist, jede Woche kratzt eine alte Russin ihr den Wasserstoff in den Haaransatz rein, kein Wunder, daß die Haare fliehen wollten, als sie glaubten, es noch zu können, ein einziges mal fliehen!, kein Wunder, daß sie im Grunde aus Nichts besteht, Marilyn, sie ist nichts, und ihr bleibt nichts, auch wenn sie selber bleibt: dieser zu üppige Körper, ins Glitzerkleid hineingenäht, es kann nur noch flüstern, das Kleid, weil es keine Luft kriegt.  Happy Birthday, Mr. President, hat sich was! Die fliegt, die fliegt raus, definitiv, obwohl kurvig und erdlastig, fleischig die Hüften, die Brüste, die Schultern, schon an der Grenze vom Formverlust, grad noch eingenäht ins Kleid, aber im Grunde: nicht zu halten, doch ohne sich wirklich halten zu können, ohne das halten zu können, das ihr die Form verleiht. Ein Mensch also, der die Kleidung dringendst braucht, dringender noch als ich, die ja schließlich Kleidung IST!, die fliegt unweigerlich und dringlich davon. Marilyn.  Das Haar kommt nicht mehr lebend raus, das sehe ich schon. Im heftigen Luftzug, der immer entsteht, wenn man einen neuen gesellschaftlichen Wert erstrebt, wurde sie davongerissen, flog auf und fort,  für immer. Marilyn. Da ist man bei der ersten natürlichen Geburt, ich meine bei der Geburt des Natürlichen, ja der Natur selbst, dabei,  umd dann ist es so schnell  wieder weg.  Die Natur kann man sich ja stundenlang anschauen, aber wenn sie kaputt ist - weg damit! Kann man nichts machen. In mir können Sie eher die Geburt des Künstlichen mit ansehen, welches die Natur so geschickt verbirgt, daß die Natur bald darauf genauso verschwunden ist und mit ihr das Leben, als wären die beiden jemals etwas Natürliches gewesen.  Sie sehen, der Effekt ist derselbe, ob Kunst oder Natur geboren werden. Sie verderben, wenn man dran rührt, wenn man seine Finger an ihnen abwischt. Immer schön fern bleiben! Natur wie Kunst erheben sich oft mit verblüffender Geschwindigkeit von ihren Plätzen, und da wir sie aus dem Gleichgewicht gebracht haben, hier, auf ihrer Vip-Schaukel,  einmal der eine rauf, dann der andre runter, und umgekehrt, auf dieser Schaukel also ist man es immer selbst, der unsanft zu Boden fällt.  Zu den Promis gehören Sie nicht, seien Sie ehrlich. Es könnte zwar Ihr Leben bereichern, gehörten Sie dazu, aber es ist besser, Sie bleiben bei Ihren Gedanken.  Die sieht man wenigstens nicht, doch die brauchen Sie, die können ohne Sie doch gar nicht existieren! Wir Vips schon. Geht die Natur, geht das Leben auch,  ich sagte es schon, denn sie sind beide eins, wenn auch nicht immer einig miteinander, zum Beispiel müßten diese Brüste sich jetzt aber wirklich entscheiden, ob sie mit den dazugehörigen Hüften einig sein wollen oder nicht.  Und dann sollte auch das Gesicht und sollten die Beine auch noch dazupassen, das ist etwas viel verlangt, aber wir Reichen dürfen das von uns verlangen.  Wir dürfen alles von uns verlangen, denn wir haben es schon. Ja, das Künstliche muß seine Künstlichkeit nicht verbergen, es darf sein wie es ist. Aber wenn die Natur ins Spiel kommt, obwohl sie dauernd spielt, wenn auch nicht kunstvoll, die arme Marilyn, dann wird’s ernst! Wenn das Spiel kommt, wird es todernst, glauben Sie mir. In der Universität des Lebens kann man den und den Unabhängigkeitsgrad erwerben, das Material, das Fleisch, das darunter ist, sperrt sich selber aus und sucht verzweifelt den Schlüssel, ja, bei Marilyn war das so. Ich habe mich nie selber eingesperrt und schon gar nicht gegen den Sieg der Künstlichkeit. Die Arme hat, als wäre es nicht genug, den Schlüssel zu verlieren, diesen  auch noch zum Fenster hinausgeschmissen, damit sie auch ja nicht wieder zu sich kommt. Die war ja nicht ganz bei sich. Ich habe selbst bestimmt, was und wer  und wo ich sein wollte. Tja. Das Fleisch unterliegt, und es unterliegt besonders rasch, wenn es aus den Vorstädten kommt.  Das Fleisch strömt buchstäblich raus aus den Vorstädten, es kommt uns schon entgegen, wenn wir einmal einen Ausflug zur Küste machen, aber es läuft immer an uns v0rbei, der ganze Strom, läuft zum Kiosk, um sich Bilder von uns zu kaufen,  obwohl wir direkt vor ihnen stehen, in Fleisch und Blut,  aber nein, wir stehen nie dort, wo die Menge ist. Na, nicht immer kommts ungeschoren vorbei, das Fleisch, aber meistens.  Wer interessiert sich dafür, außer anderem Fleisch? Es verfehlt uns meist und muß leider rasch seine Grenzen erkennen, wenn es in die Hose vom vergangenen Jahr nicht mehr hineingeht. Meine Grenze ist aus Duchesse und Wolle, und da bleibt sie auch. Marilyns Grenze war ihr Fleisch. Die Ärmste. Das Licht flieht uns, es fliegt uns davon. Sie war das Licht. Sie war das Flüchtige, das schon weg ist, wenn es noch da ist.  Es werden ihm noch Empfindungen eingeflößt, aber das ist ja nur zum Spaß. Das verstehen sie nicht, diese Frauen. Der Inhaber der freien Welt sagt ihnen zum Abschied noch schnell: Ich habe im Sinn dir wirklich zu schaden, wenn du nicht aufhörst. Sein kleiner Bruder sagt ihnen das auch, nur natürlich etwas später, er kommt ja erst als zweiter dran. Sie lassen ihn erst als zweiten ran.  Aber das hört sie schon nicht mehr,  Marilyn, weil sie so voreilig ist, sich selber noch viel schneller schaden zu müssen. Es wartet uns mit seiner Falschheit auf, das böse Licht,  getupft auf Leinwand, für die Ewigkeit, die ja das flüchtigste überhaupt ist, denn sie hat nicht Anfang nicht Ende, noch flüchtiger ist sie als das Licht, das die Menschen auf die Leinwand wirft und dort verhungern läßt, kein Wunder, daß sowas ansteckend ist und mein Mann es nachmachen wollte: am ausgestreckten Arm verhungern lassen,  und wenn wir etwas von diesem Tablett nehmen wollen, war es keines. Es war weg. Alles, was wir drauf legen, fällt sofort ins Nichts. Sehen Sie. So eine war Marilyn. Man greift nach ihr, da ist nichts. Nur dieses Haar hat sich widersetzt, es geht mir nicht aus dem Kopf, es geht mir nicht auf den Kopf. Ja, der Effekt ist bei mir genau derselbe. Auch nach mir kann man nicht greifen, ich bin nicht Fleisch, ich bin ja sein Überzug,  bin das Kleid! Meine Silhouette verändert sich nie. Ich bin unveränderbar. Und je weniger man es kann, das Greifen, umso deutlicher bin ich da, aber es ist kein Licht bei mir. Ich habe es weggeschickt. In dem ganzen Blitzlichtgewitter, ohne jede Privatheit, bin ich vollkommen privat, indem ich vollkommen öffentlich bin, und das eine nimmt dem andern nichts weg. Ich kann mit einem schwarzen Witwenrand versehen sein, ich kann ganz schwarz sein und mir einen Schleier vor das Gesicht kippen, ich kann frischgefallener Schnee neben Pablo Casals  oder Isaac Stern sein, ich kann den Kopf schütteln und die Augen staunend aufreißen, meine Lieblingspose, ich kann leise hauchen und zwitschern wie eine Erstklässlerin bei der ersten Frage ihres Lebens, wo das Bett Abraham Lincolns hingekommen ist,  denn ich will es genau hierher stellen, das hatte ich schon lange vor, aber trotz alledem: Man nimmt mir nichts weg. Mein Mann kann sterben, mein Schwager kann sterben, zwanzigtausend, hunderttausend andre Menschen können sterben, im Dschungel? Ja, von mir aus auch im Dschungel,  ist mir doch egal wo, wen interessierts, jedenfalls man nimmt mir nichts weg, weil ich alles in meine Kleidung weggesperrt habe und mich selbst auch. Ich bin und bin nicht. Ich bin auch so ein Vampir. Ich bin tot, aber ich werde nie sterben. Die Wünsche der Menschen, ja, auch die an mich, wogen um mich herum, ich bin das Schiff auf diesen Wellen, aber es ist alles eingesperrt und eingenäht. Echte Wolle. Echtes Wollen! Hoher materieller Unabhängigkeitsgrad, nein, das noch nicht, das erst viel später. Einfach sein wollen, ja, nur sein wollen, und auch noch behalten werden wollen, das geht nicht. Muß es Marilyn sagen. Sie will ja nur behalten werden, sie wartet nur drauf. Sie wartet auf ein nettes Herrchen. Das geht nicht. Man kann nicht sich verlieren wollen, damit einen ein andrer aufhebt und behält. Daraus folgt nur Telefonieren, wimmernde Furcht,  Telefonieren, Schütteln der Gliedmaßen, Telefonieren,  Einführen des Schlafzäpfchens, Telefonieren und Einnahme verschiedener verbotener Substanzen. Gut, das haben auch ich und Jack jahrelang, jahrzehntelang getan, aber uns hat es nicht geschadet.  Sehr viel eingenommen und herzlich wenig zurückgegeben. So macht man das.  Zum Glück hat Dr. Jacobson beim Prozeß eisern geschwiegen.  Ich hatte ihn beschworen, unseren sorglosen Wirt, über seine Speisekarte zu jedem, außer uns, seinen Stammgästen, zu schweigen. Danke,  Doktor Jacobson, daß Sie sich daran gehalten haben. Nicht wie dieser Dr. Death, der dauernd von sich reden macht. Aber der Tod muß schließlich auch die Werbetrommel für sich rühren, wer würde ihn denn sonst freiwillig nehmen? Die arme Marilyn, kann ich nur sagen, die wollte sich noch einmal zum Leben aufrichten, ausgerechnet mit meinem Jack! Und dafür hat sie auch noch unerlaubt ihren Arbeitsplatz, den Drehort, wo es nicht mehr vorwärts ging,  immer nur im Kreis, einfach verlassen! Sie muß verrückt gewesen sein.  Wurde gefeuert, da gibts nichts. Disziplin ist alles, na, die habe ich, die haben wir alle in dieser Familie. Ich bin, wie soll ich sagen: solide. Ich bin mein eigenes Möbelstück. Ich überdauere anders, weil ich aus Fleisch und Blut bin und gleichzeitig auch wieder nicht. Ich bin aus dem und dem Kleid, Mantel, Freizeitlook, meist Hosen, gemacht. Ich bin Kleidung. Ich bin diverse Formvarianten von Kleidung. Ja. Das Licht braucht man auch dazu, man braucht es, damit man mich in meiner Kleidung sieht und die Details der Kleidung erkennen kann. Anders Marilyn. Das Licht braucht keine Details in seinem Strahlenkranze, Meerstern ich dich grüße. Keine heilige Maria da, die hilft. Die hilft den Frauen nicht. Die steht auf Männer.  Wie alle Menschen.  Ich auch. Ich stehe dabei allerdings auf mir selbst, damit ich größer ausschaue, obwohl ich nicht gerade klein bin,  stehe auf mir wie ein hungriger Geier und reiße Fleischstücke aus mir heraus, damit die Menge sieht, daß ich auchFleisch bin.  Die glauben das wirklich! Nein, sie glauben es nicht. Trotzdem: Eine gute Nummer habe ich da geliefert, was? Da ist etwas, das bleibt,  und ich kenne es nicht. Irgendwie irritiert mich das wie ein Span unter der Haut, unter meinem leichten gestreiften Strandpulli.  Aber auch diesmal nützt es nichts. Es ist ein furchtbarer Schmerz, eine Gefühlsregung so auszudrücken, daß es auch alle sehen können, glauben Sie mir. Hallo? Jemand zu Hause? Ich sage dir, schließt Ethel aus mir und meinem Verhalten, das keine Einladung an sie mit einschließt,  was sie gründlich ärgert, Ethel sagt also meinetwegen, ja, meinetwegen,  und dann zu Joan: Hast du überhaupt eine Vorstellung, unter welchem Druck  dieses Mädchen steht, jetzt, wo sie grad wieder ein Kind verloren hat? Ich sag dir, dieses Mädchen steht unter Medikamenten oder sonst was.  Das sagte sie also,  mich umschmeichelnd, tröstend, aber ich sehe es gar nicht, sowas und sonstwas sagte sie über mich. Aber das sind immer die anderen: nicht die Hölle.  Sie sind sonstwas. Sonst nichts. Natürlich bin ich fertig, keine Frage. Nichts mehr zu verbessern, nichts mehr zu verschlechtern. Wir stehen alle unter Druck, keine Frage, ich bin aber nicht zusammenzudrücken.  Sie könne drücken und drücken, es kommt nichts raus, nicht einmal Wasser. Ich bleibe allein, ich sage Ihnen das Geheimnis: niemals mit jemand zusammenrücken! Am liebsten würde ich zu mir selber hingehen, um mich zu trösten, aber da ist niemand. Da ist nicht einmal das Haar wie bei Marilyn. Das ist schon längst alleine ausgegangen wegen dem verdammten Krebs. Ist das nicht komisch. Da ist nicht einmal mehr Haar, das ausgehen könnte. Wäre ich ein Körper, würde es mich wundern. Ich wedle mit der Hand vor meinem Gesicht: Hallo, jemand zu Hause? Aber ich sehe mich nur an. Warum soll ich mich nicht ansehen? Die andern tuns doch auch alle. Nein. Niemand zu Hause. Nicht einmal mein Haar. Du lieber Himmel, sehen Sie sich das an! Nicht einmal mein Haar ist zu Hause. Völlig unbewohnbar! Ich befinde mich wieder einmal mitten in einer Renovierung. Die Draperien habe ich schon ausgesucht. Die sind so toll, da wird keiner mehr nach meinem Haar fragen. Ja. So machen wirs. Keine Frage. 

 

 

16.3.2002

 


Der Tod und das Mädchen IV © 2002 Elfriede Jelinek

 

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