Islamund GewaltIch kann nichts dazu sagen. Ich sollte nichts dazu sagen. Es ist mir ja das von schriftlich niedergelegten Riten für die Beerdigung (keine Frauen!) umschlungene Selbstopfer, das möglichst viele mit in den Tod reissen sollte, schon unbegreiflich. Die Mörder nennen gute Gründe, warum sie sich selbst entfesselt haben, aber sie haben auch noch den Wunsch nach Gewalt an vielen anderen Orten aufgeweckt, und dieser Wunsch wird täglich größer. Man kann dabei zuschauen. Man kann sich selbst dabei zuschauen. Ich
selbst bemerke auch bei mir Fanatisierungstendenzen, als ob dieser Wunsch
nach Gewalt schließlich auch bei mir geweckt worden wäre, und
so sollte ich besser eben nichts sagen, denn in dieser Art der Raserei
sucht man überall Objekte, die Opfer werden könnten. So könnte
bei mir jetzt ein Haß auf den Islam sehr leicht geweckt werden,
das merke ich mit Schrecken. Ich will zwar immer versuchen, die Zivilcourage
aufzubringen, einem gesellschaftlichen Klima, in dem Musliminnen (besonders
leicht kenntlich!) und Muslime an der Ausübung ihrer Religion gehindert
würden, entgegenzutreten und den einzelnen, der sein Recht auf Religionsfreiheit
und Unversehrtheit wahrnimmt, zu beschützen. Hoffentlich werde ich
im entscheidenden Moment den Mut dazu haben, ich bin leider ziemlich feige.
Aber was kommt mir da zurück? Was schaut mich da an? Fromme Gelehrte
mit Bärten, ruhige Frauen in Schleiergewändern, die die Friedfertigkeit
des Islam beschwören, mit leiser, sanfter Stimme. Es habe ja auch
viele Muslime unter den Opfern gegeben. Aber welche von ihnen haben sich
der Wut von gewalttätigen Religionsfanatikern entgegengestellt, einer
Wut gegen harmlose Schriftsteller, Salman Rushdie, Taslima Nasreen (Übersetzer
sind umgebracht worden!), gegen muslimische Intellektuelle, deren Partnerinnen
man zur Scheidung zwingen wollte? Ich weiß nicht, ich versuche,
mich zu kontrollieren, ich will nicht sprechen wie Oriana Fallaci, ich
will keinen allzu raschen Reflexen nachgeben, ich will gegen Gewalt sein,
denn Gewalt findet immer irgendein Opfer, und wenn sie keins findet, wird
sich schon eins finden. Aber wer will mich daran hindern, dem islamistischen
Faschismus entgegenzutreten wie ich jedem Faschismus entgegentreten würde?
Warum soll ich nicht auch meine Werte militant vertreten dürfen?
Redefreiheit, die Gleichheit der Geschlechter, die Trennung von Religion
und Staat. Es ist, als wären diese Tausenden Opfer in New York Tiere
gewesen, die als Stellvertreter-Opfer willkürlich und blind ausersehen
wurden von wenigen, für wenige, die sich über alle anderen gestellt
haben, im Namen der Reinheit ihrer Religion. Nicht für Palästina,
nicht für die entrechteten Massen der Dritten Welt, sondern für
eine wahnsinnige Reinheit, der letztlich nur sie selbst entsprechen können,
indem sie sich opfern. Am saubersten wird, was nicht mehr existiert (der
Sauberkeitswahn in des Attentäters Atta Testament!). Das Los hat
getroffen. Ich höre bis heute kaum irgendwelche Bannflüche der
großen Gelehrten der islamischen Welt gegen diese rasenden Weltlehrer
mit ihren Stöcken, reitend in Flugzeugen, ich höre keine Schreie,
beinahe nur Flüstern. Die Objekte meines Hasses, die glaubten, ihre
guten Gründe zur Gewalt gehabt zu haben, zur Gewalt gegen sich selbst,
aber vor allem gegen andre, die sie in maßloser Selbstüberhebung
bestimmt haben, Unschuldige, die für irgendwelche eingebildeten Schuldigen
und für irgendeine Schuld, die von den Tätern willkürlich
behauptet wurde, zahlen mußten (und immer immer immer die Gewalt
gegen Frauen, die offenbar eines nie zu sühnenden Verbrechens schuldig
sind, bloß weil sie überhaupt da sind, daher muß man
sie verbergen, aber für Vergewaltigungen sind sie immer noch gut
genug, verborgen oder nicht), diese Objekte sind eben außerhalb
meiner Reichweite, aber ich werde mir keinen Ersatz für sie suchen.
Das ist der Punkt. Nicht einmal einen anonymen Bruder, eine anonyme Schwester
oder ein Tier werde ich opfern. Diese Zeiten sind vorbei. Ich werde Amerika
holen. Die werden jetzt die für mich nicht Erreichbaren für
mich zerstören. Das machen die. Meine Stellvertreter: ganz Amerika.
Ich bin dafür, aber ich weiß noch nicht, ob sie es richtig
machen. Ich hoffe es. Aber wissen kann ich es nicht.
Der Aufsatz erschien im Dezember 2001 in der taz
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