Finster wars, der Mond schien helle

Zu Eugène Ionesco

Nicht, als ob es nicht gesagt worden wäre, sondern: so, daß es wie nicht gesagt ist.

Die Sprache Ionescos breitet sich aus, zerfließt, verfestigt sich wieder, aber sie verbirgt sich vor jeder Art von Kommunikation in der eigenen Fallgrube. Sie duckt sich sozusagen, wenn der Ball auf sie zukommt, duckt sich drunter weg, damit die Sätze des Anderen die des Einen nicht treffen und diesen womöglich verletzen. Doch dabei ist es genau das, was der Sprecher will, den anderen auslöschen, gerade indem er ihn gar nicht aufs Korn nimmt, sondern wo andershin zielt. Die Sätze verletzen ja viel schmerzhafter, wenn sie nicht angenommen werden. Aber sie können doch auch gar nicht angenommen werden, das ist schon vorher beschlossen worden. Und es waren nicht die Kontrahenten, die es sich ausgemacht haben, es ist über ihre Köpfe hinweg entschieden worden. Von anderen. Haarscharf daneben ist auch daneben, sagt man. Aber ist es noch ein Daneben, wenn das Ziel gar nicht mehr anvisiert werden kann, gar nicht anvisiert zu werden braucht? Man kann die Wahrheit mit einem Bild verhüllen, und man kann sie, indem die Sprache sich selbst als untaugliches Element der Kommunikation immer wieder aufs neue entlarvt, als etwas, das nicht gesagt werden kann, erst recht aussprechen. Dazu braucht man keine Erfahrungen, die einfach abzubilden oder einem andren mitzuteilen sind, dazu muß man wissen, daß Sätze nie das Wahre sein können; und sie sind es gerade dann am wenigsten, wenn sie einem als wahr mitgeteilt worden sind. Aber genauso wenig kann das wahr sein, worüber sie aussagen. Manchmal scheint es sogar, daß gerade die Künstler, die Dichter, besonders leicht bereit sind, ihre Intelligenz zu verraten, sich selbst aufzugeben und, wie es sich erwiesen hat, in die Massenbewegungen des Jahrhunderts wie in einen Vulkan hineinzustürzen.

Hannah Arendt definiert eines der wichtigsten Elemente des Totalitären als eine radikale Abkehr von der Politik des cui bono, der Berechenbarkeit politischer Ereignisse nach ihnen zugrundeliegenden Interessen, und eine Hinwendung zur nie dagewesenen Unberechenbarkeit. Doch totalitäre Propaganda, die schon lange vor der jeweiligen Machtübernahme einsetze, werde wegen ihrer Demagogie nicht ernst genommen, da sie, die Propaganda, sich ja gegen den Selbsterhaltungstrieb richte, der "die Massen" plötzlich nicht mehr zu leiten scheine, wie es doch zu erwarten wäre. Sobald stabile soziale Gemeinschaften nicht mehr existieren, verschwinden "mit ihnen auch die Übertragungsbänder..., die individuelle Interessen in Gruppen- und Kollektivinteressen transformieren" (Hannah Arendt). Und dieser Sprachpfeil des Totalitären, den Ionesco schon sehr genau in seiner prognostizierten Wirkungsweise studiert hat, noch bevor er auf die tierische Sehne, an das tierische Sehnen des kollektiven Machtbogens gelegt wurde, um soziale und politische Körper zu treffen und zu töten, kann eben nur treffen, wenn die Menschen sich zusammenballen, wenn Millionen von untransformierbaren individuellen Interessen nicht, wie verrückte Kraftvektoren, in die verschiedensten Richtungen zeigen, sondern wenn sie gebündelt werden können zu einer fanatischen Masse von Volks- oder Parteigenossen. Nur dann kann ein ganzes Volk in den Krieg geführt werden, in seinen eigenen Untergang.

Die Subversion von Ionescos Dramen besteht darin, die totalitäre Sprachpraxis auf der Bühne darzustellen, indem er zeigt, daß nur, wenn die Sprache, wie ein Arbeiter um fünf, sofort jedes Werkzeug aus der Hand fallen läßt und blau macht, noch etwas gesagt werden kann. Das heißt, er läßt es nicht fallen, das Werkzeug, das fällt ihm schon ganz von allein aus der Hand, er kann es gar nicht erst greifen. Diese Sprachzange faßt nichts, dieser Sprachbohrer kann keine Hohlstelle erzeugen, wo etwas eingeschraubt werden könnte, dieser Sprachschraubenzieher holt nichts heraus. Diese Sprache richtet sich an kein Gegenüber, obwohl dieses vorhanden ist, denn sie ist dafür nicht gemacht, daß etwas gesagt werde. Die Protagonisten sprechen auch nicht "aneinander vorbei", das wäre ja einfach. Es muß gezeigt werden, daß selbst die eifrigen Lügen der Totalität, die über die Menschen ausgeschüttet werden, im Grunde keine Inhalte benötigen, es genügt, daß ein unfehlbarer Führer allwissende Voraussagen trifft, es ist egal, was diese sagen oder meinen, es genügt, daß sie stimmen müssen, weil ER es gesagt hat. Denn der Führer ist im Bund mit der Natur und der Geschichte, die wiederum auf Natur beruht, denn sie geht ja am liebsten über Leichen. Deshalb würde ich sagen, daß Ionescos Sprache die äußerste Ausformung von Unnatürlichkeit, Künstlichkeit, Gemachtheit ist, und diese äußerste Ausformung besteht gerade darin, daß diese Sprache auf ihr Gegenüber (und damit auf Natur) vollständig verzichtet, nein, sie nimmt ihr Gegenüber zwar zur Kenntnis, aber sie weigert sich, auf es Bezug zu nehmen. Ohne das Wissen um das Wesen der Totalität hätte Ionesco diese Absurdität der Kommunkation nicht fassen können. Für den Führer ist es nicht wichtig, etwas zu erklären oder zu begründen, ja, es ist nicht einmal nötig, irgendwelche Inhalte zu vermitteln, das alles hat er nicht nötig, und er ist Führer geworden, weil er es nicht nötig hat, es genügt, daß alle wissen, er ist unfehlbar. Und seine Voraussagen stimmen immer.

So muß der Künstler eine Nicht-Sprache er-finden, die dauernd etwas und dabei nicht nichts sagt, und dabei das Sagen selbst ad absurdum führt. Er muß beweisen, daß die Sprache selbst etwas Gemachtes ist, das sich jederzeit mißbrauchen läßt dadurch, daß sie scheinbar etwas sagt, aber nichts meint, oder: etwas anderes meint als sie sagt, und es ist immer der Tod, was sie meint. Wie "Die Unterrichtsstunde", die das am präzisesten beschreibt. Es findet ein Lehr- und Lernprozeß statt, an dessen Ende nur der Tod stehen kann, weil diese Sprache nicht wirklich etwas wissen will und auch gar nicht das Instrumentarium besitzt, etwas zu lehren oder zu lernen. Sie steht daher still, je geschwätziger sie sich gibt. Die Sprache will ja nicht einmal von sich selbst etwas wissen, weil ein anderer ihr gesagt hat, was es zu wissen, indem es nichts zu fragen gibt. Es würde auch nicht geantwortet, denn im totalitären Staat hat keiner mehr ein Recht, eine Antwort zu bekommen oder eine Frage zu stellen. So steht also folgerichtig am Ende politischer Äußerungen von Führern immer der Tod, und die Führer müssen nicht einmal lügen. Sie kö nnen ankündigen, Krieg zu führen und Millionen von Menschen umzubringen, und all das wird geschehen, der Führer muß nicht lügen. Begeistert zieht das Volk mit (ab), es ist endlich am Drücker. Prophezeiungen des Unfehlbaren werden wahr, indem der Unfehlbare sie persönlich wahrmacht. Das was angeblich ohnedies bald absterben wird, kann man auch gleich umbringen, dann ist es natürlich abgestorben. Und das alles wird ausgesprochen und damit ist es auch schon wahr. Solche Möglichkeiten der Sprache hat nicht jeder, und daher darf sie auf der Bühne überhaupt keiner haben. "Das kann ja nicht wahr sein", sagt man im Volksmund über etwas, das bereits wahr geworden ist, aber nicht sein darf.

Aber es kann wahr sein, weil es wahr ist. Bei Ionesco ist gar nichts mehr wahr, weil die letzte Wahrheit, der Tod, das Ziel der Totalität ist, und es daher, wenn es keine Wahrheiten mehr gibt, auch den Tod nicht mehr gibt. Doch der bleibt trotzdem übrig, kommt immer wieder an die Oberfläche, als unauflöslicher Rest. Auch wenn der Herr Lehrer seine Schülerin leichthändig liquidiert hat, kann sie nicht tot sein, weil er ja soeben noch mit ihr gesprochen hat. Aber er hat ja gar nicht mit ihr gesprochen, sondern neben ihr, er hat sich an keine gerichtet, er hat die Tatsachen verachtet, die er selbst geschaffen hat (und daher konnte er sie, als einziger, auch verachten!), jetzt kann er darangehen, die Wirklichkeit, die er geschaffen hat (hunderte tote Schülerinnen vor und nach dieser), im nachhinein wahrzumachen, damit seine Schöpfung, der Tod, auch in das hineinpaßt, was er ohnehin immer gesagt hat. "Es ist, als ob man mit einem potentiellen Mörder darüber debattiert, ob sein zukünftiges Opfer tot oder lebendig sei, und vergißt, daß ein Mörder jederzeit den Beweis für seine Behauptung durch die Tat antreten kann". (Arendt) Ionesco kehrt das um und sagt dasselbe, indem er es nicht sagt: Es muß nicht darüber debattiert werden, ob eins und eins zwei ist oder wie ein Wort zustandekommt, sondern das ist schon vorher so sicher gewesen wie der Tod, der, als ein letztes, mit einem routinierten Handgriff, den der Handwerker aus dem Handgelenk beherrscht, nur noch, wie zufällig, hergestellt werden muß.

 


Zu Eugène Ionesco © 1997 Elfriede Jelinek

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