Im Wettbewerb

Die Frau sitzt am Tisch und arbeitet. Erwartungsvoll schauen andre sie an, doch sie läßt den begonnenen Faden nicht los, nicht will sie von ihm lassen. Kaum halten kann sie den Zorn in ihrer Miene, schon geschwächt vom lastenden Alter ist sie, schlimm, wenn man so lang gelebt und nichts getan, oder zuviel getan oder zuwenig getan, oder das Falsche. So fades Gerede. So schleißiges Garn. Ein Wettbewerb mit einer andren soll es sein? Nein, das soll es nicht sein. Alles ist schon gewonnen, doch von jeder Seite aus betrachtet ist es: eine Ungerechtigkeit. Um die Wette, was ginge da schon?, da geht schon mal garnichts. Es geht nichts, und es geht nichts weiter. Das, was geht, geht nicht weiter als andere. Denn hören Sie, wenn man eine Schnur hat oder sowas, ein Garn, einen Faden, mit dem man arbeiten will, einen Knoten, den man knüpfen soll, oder wenn man ein Kind hat, egal von welcher Sorte, so findet man nicht mehr Rat genug in einem und für einen selbst, es muß dann anderes bedacht werden, obwohl ja auch das Kind ein Produkt ist. Doch man findet nicht Rat, und es müssen andere raten und urteilen. Daß ihre Mahnungen fruchten, könnte ich persönlich nicht bestätigen. Warum kommen sie nicht selbst und schauen? Warum müssen wir zu ihnen hingehen und zeigen? Na ja, beides ist irgendwie wahr. Es hat beides stattgefunden. Vor meinem alten müden Geländer ist jemand kurz stehengeblieben, dann ist er weitergegangen. Ein Wettbewerb findet nun statt, obwohl das Geländer längst nachgegeben hat. Der Klügere gibt nach. Das Wasser drunten wartet schon. Es wird gezeigt, daß das Auge übergeht, und noch ist nicht genug gezeigt. Der hat das zu zeigen, das hat den zu zeigen. Die Zeiger springen über einen gewissen Punkt, den überspringen Sie nie, wenn Sie uns was zeigen wollen. Da wird an einem Text gewebt, dort wird an einem Gesang gearbeitet, drüben geht es ans Eingemachte des Gesagten, das in seinem Glas nicht bleiben will, es möchte raus und andre anschmieren mit seiner Klebrigkeit. Alle möchten ja raus und sich zeigen, alle möchten ihre Körper zeigen, und, wenn sie keinen Körper haben, so wie wir Alten, dann wollen wir unser Gemachtes als Vermächtnis herzeigen, wer will es sehen? Das ist die Frage. Viele wollen es sehen, denn das Gesagte erscheint überall in der Luft, alles ist voll, weil die Leute überall hinmachen, man kommt nicht an ihm vorbei, man kommt an nichts vorbei. Es macht nicht viel Arbeit, das alles anzuschauen. Nur sitzen und schauen, mehr ist nicht nötig. Die Einladenden, diese Wohlmeinenden, die von den Strahlen der Sonne immer nur blaß werden, weil sie immer das Gegenteil von dem wollen, von dem sie nicht wissen, was es überhaupt sein soll, die Einlader, unsre Schutzgötter, sie beharren auf ihrem Entschluß, ich weiß jetzt, auf welchem, offenbar auf diesem, in dem auch wir vorkommen, doch sie werden sich auch rächen, und zwar werden sie das in der umgekehrten Reihenfolge der Auslosung tun – zuerst gutartige Eumeniden, dann zornige Erinyen, die einen wählten und dann in gemeinster Weise vor sich tanzen lassen. Sie werden sich rächen oder haben sich schon gerächt, vorher gerächt, dann gerechnet, mit uns gerechnet und für uns Fürsprecher gewesen und dann nicht mehr: und wir? Ungeschützt wie die Muttermörder, nur ohne Blut: Welche Ökonomie der Bewegungskraft schulden wir ihnen jetzt, welche vermehrte Produktion in derselben Zeit, welche Verbeßrung unserer Machwerke? Nach der blöden Palme begierig sind wir, ist jeder von uns, gierig danach, der Beste zu sein. Doch Palme gibts keine. Auch sonst keine Pflanzen zum Verstecken. Wie wilde Bestien rennen wir, die immer die Besten sein wollen, rennen wir in unser Verderb und lassen andre auch dorthin rennen, weil sie noch im letzten Moment von den Urteilssprechenden, den Einladenden, diese Palme, im folgenden: Gewächs oder gar nicht mehr genannt, bekommen möchten, damit sie auch erwählt wären, wie sie ja schon sind, danke bestens. Doch die Einladenden, diese Furien des Besserwissens, sie wissen nicht, wen sie da eingeladen haben, aber sie stecken dann doch die Finger so lang durchs Käfiggitter oder in die Steckdose, bis es auch wirklich stimmt, wenn auch nicht stimmig ist, daß wir es sein sollen, doch den Schlag, den kriegen dann wir ab.

So, der Wettbewerb wird nicht länger verschoben, dies ist der langen Rede kurzer Sinn. Er findet: jetzt statt, ohne Verzug. Die Menschen verziehen sich ja so oft, grade wenn man sie braucht, weil Schweres zu tragen wäre, sie verbiegen sich, die Kunst steht untätig daneben und schaut zu, sie verbiegen sich für den Wettbewerb, die Menschen, naja, jedenfalls jene, die was können mit ihren Körpern, und das sind alle. Unglaublich. Ein Wettbewerb zwischen allen, ja, das müßte es sein! Aber alle sind zuviele. Bin ja schon ich eine zuviel, sogar für mich selbst! Jetzt bespannen wir also unsren Webstuhl, ach was, wir gehen lieber in den Club, wo wir uns mit neuem Gesagten und neuem Gesungenen und neuem Gebrüll bespannen, mit dem Allerneuesten sogar, wir sind schon alle so gespannt, was diesmal wieder rauskommen wird. Es kommt ein Rahmen heraus, der eine Rahmenhandlung braucht, aber wenn er sie hat, weiß er nicht, was reintun, man bespannt ihn wieder, er ist selbst gespannt, was ist dort drinnen, was bleibt im Rahmen?, wenn was rausfällt, sind Sie schuld! Wir werden immer noch gespannter: wieder nichts! Das, womit wir ihn bespannt haben, war reine Luft. Wir ziehen da etwas quer durch, wir ziehen die Fäden quer durch, aber statt daß sie ein Gewebe ergeben, verschwindet das Gewebe im Rahmen dessen, was auszufüllen ihm möglich gewesen wäre. Das kann doch nicht so schwer sein, das auszufüllen und dann die Unterschrift unter die Schrift. Die Bässe wummern, daß es uns die Ohren wegreißt, da haben wir also diesen Rahmen, er wartet darauf, daß er endlich was reinkriegt, frische Ware, wahnwitzige Lautstärke, die beurteilt werden soll, die Musik reißt uns die ganzen Köpfe weg, da hätte sie die Ohren vorher ruhig dranlassen können, aber ruhig ist hier gar nichts, keine Ruhe in diesem Club, wo die Worte fliegen, so, jetzt aber mit Eifer eifere ich, das ist meine Spezialität:

Eine schüchterne Frau trägt etwas vor, doch ihre Hände sind leer, wo hat sie ihr Blatt gelassen, ist es schon runtergefallen? Das haben Sie sich so nicht gedacht, was? Sie haben geglaubt, die gibt Ihnen was!

Das Arbeitsmittel erschlägt den Arbeiter. Das ist ein Problem, das ich schon lang verstehe. Meine kleinen Handmaschinen müssen mit Betrieben konkurrieren. Immer dieses Theater bei der Auszahlung! Nie zahlt es sich aus! Entsetzlich! Die Maschinen werden ständig verbessert, nur meine leider nicht. Ich bin immer noch dieselbe, am Schlimmsten ist das für mich selbst! Die andren Maschinen laufen schon wie geschmiert, nur meine nicht. Habe ich mit meiner Produktion eine Frau, ein Kind verdrängt, die das nicht einmal so gut können wie ich und ausscheiden mußten? Habe ich vermehrte Produktion in derselben Zeit zu bieten? Wird eine Maschine dann mich ersetzen, so wie ich davor die Frau, das Kind ersetzt habe? Einen Mann kann ich nicht ersetzen, tut mir leid. Ich arbeite daran, aber: tut mir leid. Das geht nicht. Gegen den bin ich ein Nichts. Aber dort, wo das Kind und die Frau ersetzt worden sind, was mir möglich war, entsteht Konkurrenz, ich und ich, ich zwischen mir, ich zwischen zwei Stühlen, auf denen die vorher gesessen sind. Gleich falle ich! Gleich falle ich ins Dazwischen. Konkurrenz tut mir nicht gut, und ich habe alle ausgeschaltet, die eine sein könnten: Kinder und Frauen. Den Mann kann ich nicht ausschalten, so wie er mich niemals einschalten würde. Eine Gegenseitigkeit, die keine mehr ist. Eine Gerechtigkeit, die es nicht gibt. Ich bin trotzdem ein klasse Individuum der Klassengesellschaft, Ehrenwort! Konkurrenz belebt das Geschäft, aber nicht meines. Ich konkurriere nicht, ich schalte gleich aus, sofort, dazu habe ich genug Zeit, da ich ja selbst nicht mehr eingeschaltet werde. Ich arbeite daran, weiß jetzt aber nicht mehr, woran. Die inneren Gesetze der Konkurrenz, die Sie mir da aufzwingen, die Sie allen aufzwingen, die es gibt, das ist ein Zwangsgesetz, das uns aufgeherrscht wird, so wie ein Pferd aufgesattelt wird, und das mich zwingt, mein Kapital fortwährend auszudehnen. Es war ursprünglich sehr klein, jetzt wird es also ausgedehnt, Konkurrenzdruck hat dazu geführt, den ich sofort weitergebe, um mein Kapital zumindest zu erhalten, zu erhalten mein kleines Kapital ist das mindeste, ich habe es erhalten, und jetzt möchte ich es natürlich erhalten, und das kann ich nur, indem ich die Akkumulation immer weiter steigere, das sagt mir mein kleines Kapital, das mir Tun und Lassen nicht mehr lassen will, sondern mich zwingt, Ihnen hier hinzuschmeißen, alles hier hinzuschmeißen, was ich habe, und noch mehr dazuzulegen, wobei ich allerdings auch immer mehr zunehme. Mein kleines Werkskapital, ab Werk frei Haus, ab Werk frei in Ihr Haus hier, ist mit eigenem Bewußtsein und eigenem Willen ausgestattet. Ich wollte nicht hierher kommen, mein Betriebskapital aus Worten, aus sinnlosen Worten, die ich aber trotzdem verkaufen konnte, das wollte schon. Das wollte schon kommen. Hier ist es. So dehnt mit der Masse der auf die Bühne geworfenen Menschenmaterialien, Frauen und Männer, Kinder und Tiere, ein brüllender Knäuel, der abgespult wird, im Wettbewerb der Weber, der Handarbeiter, so dehnt mit der Masse zugleich die Herrschaft meines Werks sich aus, leider immer nur Herrschaft über mich. Was ich schaffe, vernichtet mich auch. Ich habe private Ausgaben, die ich anführen und abschreiben könnte, ich könnte gleich abschreiben, ich könnte mich von Stärkeren führen lassen, doch ich bin immer selbst die Angeführte und weiß nie, wohin ich geführt werde, wohin ich ausgeführt werde, wohin das führt, ich bin ja kein Hund, aber man sagt mir: Hierher! Und da bin ich also und blase mich auf. Hier blase ich mich auf, bis einer den Strohhalm aus mir rauszieht. Und ich wieder zusammenfalle. So. Es folgt eine Beschreibung des Werks, die ich mir spare, weil Sie sie eh sehen. So und soviel sehen Sie und aus. Schauen Sie ab und zu weg, damit es Ihnen wieder wie neu erscheint!

Nicht kann ich, wem gegenüber eigentlich?, da ist ja keiner, da ist niemand, dem gegenüber ich wäre, dem gegenüber ich was tun könnte, meinen Sie, Sie wären mein Gegenüber?, das können Sie nicht sein, weil Sie das nicht sein wollen, ich verstehe das, wer wollte schon mein Gegenüber sein?, nicht einmal mein Badezimmerspiegel!, alles klar, alles geputzt, nicht kann ich jedenfalls verkleinern meine Mißgunst, nein, das ist mir noch nicht gelungen, es ist mir nicht gelungen, über meinen Schatten zu springen, was für ein Glück, daß ich gar keinen werfe, ein Zwerg wirft kleine oder große Schatten?, je nachdem, je nach der Sonne, aber es kränkt der Erfolg der anderen, und das sind etliche, ja doch, wie Sie wissen, Sie haben sie ja selbst eingeladen, und jetzt hetzen Sie sie gegeneinander, doch es kränkt der Erfolg nur mich, immer nur mich, der Erfolg der andren kränkt nur mich, die vermännlichte Alte, und ich zerreiße das Gespinst der anderen, jeder anderen, aus Mißgunst zerreiße ich es, sehen Sie, genau dorthin führt der Wettbewerb, dorthin führt Konkurrenz, wenn man nicht gewonnen hat, wenn andre gewonnen haben: Ich bin kein Sieger, ich bin kein Siegertyp, und ich wäre auch nie der Typ für einen Sieger. Das geht nicht. Ich schlag sie auf die Stirn, die Gewinner, ich hau sie raus, ich trete ihnen gegen die Schienbeine, die sie gegen mich aber schon vorher geschient haben, und so komm ich nicht durch, ich kann ihre Knochen nicht erreichen, obwohl ich sie trete und trete, obwohl ich sie mit traurigem Gift berühre, mit meinen traurigen armen Gift, und sehen Sie, da geschieht eine wunderbare Verwandlung, wie sie nur die Kunst schafft, ich berühre andre mit Gift, aber mir schwinden die Haare, ich hab eh nicht mehr soviele wie früher, als ich noch jung war, mir schwindet alles, mir schwindet die Nase, mir schwinden die Ohren, mir schwinden die Sinne, klein einschrumpft mein Kopf, der keine Größe braucht über dem Innenraum, keine Größe, nie, klein wird alles an meinem Körper, es schrumpft, schmächtige Finger bekommt an der Stelle der Beine die Seite: sonst ist alles nur Bauch. Ich fresse und fresse. Ist ja klar, daß alles nur Bauch sein soll. Alles ist mein Inneres, aus dem ich jetzt freizügig spende, zumindest spenden würde, aber niemand ist da, es entgegenzunehmen. Keiner ist mehr da, der es sieht. Ich bin zu klein, um gesehen zu werden. Ich fresse, aber man schaut mir nicht zu. Alles ist Bauch. Alles übrige geschrumpft, der Rest ist Bauch. Aus dem noch sende ich immer Fäden, immer noch Fäden, ich weiß, das können Sie sich nicht vorstellen, diese Ausdauer bei so geringem Ertrag, aber ich esse ja alles, was mir in die Nähe kommt, ich bin eine Allesfresserin, ich sauge alles aus, alles Lebendige, das mir in die Nähe kommt, sauge ich Lebende wie Tote aus, die nichts mehr hergeben, aber ich sauge, mmmhm, schmatz, sauge sie aus, sende immer noch Fäden, die leeren Hüllen hängen irgendwo und irgendwie um mich herum, die interessieren mich nicht mehr, ich sende die Fäden und füge mit Fleiß, naja, nicht immer mit Fleiß, aber doch, als Spinne die alten Gewebe, aber die schauen dann ganz neu aus. Aus der alten Spinne die neuen Fäden, wäre das nichts für Sie? Nein, das wäre nichts für sie. Aber für mich ist es auch nicht.

Angabe, man muß es ja sagen: Karl Marx Ovid: Metamorphosen (nach der Übersetzung von Reinhart Suchier) Ich aber auch!

Anlässlich des Berliner Theatertreffens 2010

2010 / 27.6.2014


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