Da gibts nichts zu lachen
(im
Gedenken an Heiner Müller)
Die
Toten sprechen. Auch ich lasse am liebsten Tote sprechen, darin fühle
ich mich Heiner Müller auf jeden Fall verwandt. Die Toten, das sind die,
welche einem am wenigsten dreinreden, noch weniger als erfundene Figuren,
denn die sprechenden Toten sind ja zur Sicherheit doppelt tot, ihr Sprechen
ist Fiktion, und sie selbst, die einmal gelebt haben (z. B. Hitler, Stalin,
Goebbels in „Germania 3“), sind, als Tote, Medien der Enttäuschung, weil
man sich die Geschichte doch ganz anders vorgestellt hat, nein, nicht
anders, aber jedenfalls nicht so, so hätten sie nie handeln dürfen, nur
als Tote hätten sie das gedurft! Man kann ihnen jedes Sprechen an den
Körper klatschen, um sie, als Golems, als Popanze neu entstehen zu lassen,
mit vollkommen neuer Rede, eigens geschrieben vom Dichter. Heiner Müller
zeigt, daß die Vernunft, die der Geschichte innewohnt, das, was einst
alles „funktionieren“ hat lassen (meistens allerdings entsetzlich schlecht),
von der tierhaften Gesellschaft zur Vernichtung des Lebens veranstaltet
worden ist, ohne daß Täter und Opfer dabei je eins hätten werden könnten.
So, das Leben ist jetzt weg, das Sprechen ist aber noch da, und es ist
alles, was es gibt. Doch es ist bloß alles, was geblieben ist, ausgespuckt
von so vielen, und es ist immer eine Lüge, auch wenn es der Bühnenfigur
auf den Leib geschmissen worden ist wie feuchter Lehm. Wie funktioniert
dieses Bühnenleben? Das Anfällige, Mürbe, Angreifbare der Existenz von
Menschen, die einmal existiert haben (oder auch nicht, es gibt sie ja
sowieso nicht, auch wenn es sie als Namen für ein Sprechen gegeben hat,
was recht praktisch ist, so muß man sich keine Namen ausdenken), hat einiges
eingebaut: Ziele, Inhalte, etwas irgendwie Funktionierendes, das diese
Popanze torkeln und sprechen läßt, am Theater ist schließlich alles erlaubt,
was sie tun, im Leben war es das nicht, aber das war den Figuren egal;
und wie sie sprechen und handeln dort auf der Bühne, holen sie das, was
eigentlich an ihren Namensgebern funktioniert hat, hervor, bis nur noch
dieses Funktionieren, diese Schreckensherrschaft von Popanzen, übrigbleibt.
Ein Kind hat eine Stalin-, eine Hitlerschablone gezeichnet, und alles
Übrige ist das Ergebnis, ist der Farbauswahl dessen überlassen, der das
ausfüllt, ausmalt, der Bühnenautor als Malbuchausmaler. Und diejenigen,
die einmal waren und jetzt als sie selbst auf der Bühne stehen, ohne je
sie selbst oder andere oder überhaupt jemand gewesen zu sein – und das
ist die große Kunst Heiner Müllers, daß man sie als solche erkennen kann,
die nie sie selbst gewesen sind, obwohl sie einmal groß und schrecklich
waren – sie haben die Welt, die von ihnen einmal gestaltet worden ist,
verloren, gerade indem sie sie uns überlassen, na, sagen wir: übergeben
haben wie eine Tüte mit Hundescheiße. Damit soll zwar die Umwelt von Exkrementen
bewahrt und damit geschont werden, doch in dieser Unwelt ist die Scheiße
der Hauptdarsteller, und sie geht in keinen Sack mehr hinein, dieser Knüppel
ist aus dem Sack. Die Stücke Heiner Müllers entsorgen Geschichte, indem
sie zeigen, daß das Leben der handelnden Personen nichts mit dem Vollzug
und Verlauf der Geschichte zu tun hat, während, und das ist sicher paradox,
dieses reale Leben der historischen Unholde sein eigener Verlauf ist,
in dem diese Golems nicht fertiggemacht worden sind, und ihr schreckliches
Wesen kann nicht abgebrochen werden, auch nicht von der bewährten Abrißfirma
Krieg & Söhne, das geht nicht, weil sie eben nie fertig geworden sind,
und Untote kann man nicht töten und auch nicht beleben, jedes Leben würde
sich ja ständig in ihnen verlaufen, denn sie kennen keine Grenzen (oder
dann der Abbruch, wenn es viel zu spät dafür ist und das Unglück schon
angerichtet). Sie schleppen ihr Leben hinter sich her wie eine Nachgeburt,
aber man sieht schon, daß die Nachgeborenen nichts zu lachen haben werden.
Dieser Dichter läßt uns, auch dann, wenn er komisch ist, nichts zu lachen
übrig. Was er uns läßt, ist das Aushaltenkönnen, was nicht weiter schwierig
ist, da wir ja alles schon hinter uns haben, nur uns selbst noch nicht.
Und was danach aus uns wird, das können wir nicht wissen, und dieser Dichter
kann es uns jetzt leider auch nicht mehr sagen, damit wir es schon zu
Lebzeiten erfahren und noch was davon haben, bevor wir nicht davongekommen
sein werden.
Foto: courttheatre.org
Vorgetragen von Thomas Langhoff am 9.1.2009, anläßlich der
Veranstaltung der Berliner Akademie der Künste zu Heiner Müllers
80. Geburtstag.
29.1.2009
Da gibts nichts zu lachen © 2009 Elfriede Jelinek
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