Lost
Highway
Ich
kann zum Rätsel "Highway" nur wenig sagen, weil es ja ein
Rätsel ist und auch sein soll. Und bleiben muß. Es findet,
ich weiß ja auch nicht wie, ein seltsamer Vorgang statt, und zwar
daß man aus dem symbolischen Bewußtsein im Film eine Art reines
Bewußtsein extrahiert und das dann wieder auf eine symbolische Ebene,
aber eine andere, die der Oper, des Musik-Theaters, transportiert, eher:
transponiert. Es ist ein doppelter Bruch von etwas, das selbst schon mehrfach
gebrochen und umgewandelt ist. Ich persönlich kenne mich in diesem
Vexierspiel selbst nicht mehr aus. Ich habe ja für dieses Libretto
nicht einen realen Stoff gewählt, sondern die Realität des Bewußtseins
eines Künstlers bzw. zweier Künstler (Lynch, Gifford), also
die Realität einer Realität einer Realität. Ich weiß
in diesem Fall selbst nicht, was ich geschrieben habe, weil ich ja schon
die Vorlage als einen Boden betrachte, der bereits zerbrochen war, bevor
ich überhaupt noch meinen Fuß drauf setzen konnte.
Meine
Arbeit ist ein Rückzug vor dem Realen, den aber Lynch und Gifford
selber schon längst vollzogen haben. Sobald etwas real Gesetztes
erscheint, wird es sofort in Frage gestellt. Der Film, der ja das sichtbare
Vergehen von Zeit ist, kann das zeigen, indem er ist was er ist. Die Musik,
die das hörbare Vergehen der Zeit ist, läßt sich als einziges
Medium dagegen setzen, als Medium, das sich auch behaupten kann. Das wäre
z.B. mit einem Theaterstück, das man nach diesem Film verfassen wollte,
absolut unmöglich. Das Theater wäre kein angemessener Ort dafür,
es könnte nur hechelnd hinterher jagen. Und dabei kann es sich doch
überhaupt nicht bewegen, das arme Ding!
Patricia
Arquette in "Lost Highway" von David Lynch
Der
Film suggeriert reale Erlebnisse von Personen, die vom Zuschauer für
real genommen werden sollen. Dieser besondre Film aber zerschlägt
diese Realitätserwartungen immer wieder, weil nicht real sein kann,
was nicht real ist, aber auch nicht real sein soll. (Ich habe den Eindruck,
Lars von Triers "Dogville", das ich leider noch nicht gesehen
habe, und eigentlich dürfte ich darüber auch gar nichts sagen,
denn ich beziehe mich nur auf Gelesenes, geht da anscheinend noch weiter,
indem es, durch Mittel des Theaters, die anti-illusionistisch in den Film
eingefügt sind, z.B. Kreidemarkierungen, die Häuser etc. vorstellen
sollen, in einer Art post-brechtianischen Methode auszudeuten scheint,
daß Film zeigt, daß nicht real sein kann, was niemals real
sein sollen könnte bzw. sein dürfte, aber wahrscheinlich projiziere
ich selbst da zuviel hinein). Das reale Erleben also wird als solches,
gerade indem es eingeschaltet wurde, durch Licht auf Leinwand, gleichzeitig
wieder: ausgeschaltet. Was kann man daraus gewinnen? Jedenfalls nicht
das absolute reine und echte Leben. Man kann das nicht aus diesem Film
extrahieren. Fassbinder hat 'seine' Schauspieler, eine verschworene Gemeinschaft,
sich selbst als Figuren weiterschreiben lassen. Und er hat sie in sein
eigenes Konzept, als sie selbst, mit eingeschrieben. Das hatte Logik,
indem das Sein dieser Mitbewohner-Schauspieler von diesen selber dahergezerrt
wurde, in die jeweiligen Rollen eingehen durfte und damit eine Art Hyperrealismus
erzeugen konnte. Dieser Hyperrealismus wurde von den Fassbinder-Schauspielerinnen
und Schauspielern in die Kunst eingeschleppt, wie die Katze etwas Widerliches,
Blutendes ins Haus schleppt. Nichts davon bei Lynch, würde ich sagen.
Den interessieren Logik und Realismus nicht, und nicht einmal, wie schon
gesagt, deren Widerspiegelung auf der Leinwand, sondern er verweigert
das alles, er verweigert sogar den Gebrauch, den seine Erfindungen von
der Realität, in die sie gesetzt werden (und aus der er sie nimmt),
machen können, und er verweigert überhaupt den Gebrauch der
Figuren selber, die als Irrläufer (die aber wieder einer ganz eigenen
Logik, wenn auch z.B. nicht der logischsten, des Ablaufs der Zeit und
der Einheit der Person, folgen) herumrasen. Diese Reduktion, die die Wirklichkeit
auszustehen hat, um zur Kunst zu werden, zum Symbolischen also (und auch
Hinzufügungen sind meiner Meinung nach immer Reduktionen, weil die
Realität ja immer zu vielschichtig ist, um überhaupt abgebildet
zu werden – eine Binsenweisheit. Ich meine: Hinzufügungen sind
Reduktionen, weil sie sich bewußt von der Realität entfernen),
kann durch diese äußerste Reduktion und die Verweigerung jeder
Logik, die Lynch praktiziert, nicht als Realität erfahrbar gemacht
werden. Dieser Stoff ist also schon insofern konsequent antireal, als
die Geschichte nicht erklärbar ist und es auch von keiner Seite her
sein kann. Ich kann mir einen schizophrenen, also mitten durch sein Ich
gespaltenen Frauenmörder vorstellen, aber ich kann mir nicht vorstellen,
daß er wirklich ein Anderer wird!
Ich
habe nicht versucht, diese Nicht-Geschichte zu interpretieren, denn es
liegt im Wesen dieser Reduktion, daß Interpretation eben nicht möglich
ist. Die Grenzen scheinen am Anfang des Films in der Tat sehr klaustrophobisch-eng
zu sein, sie werden noch viel enger nach dem Mord, als der Protagonist
in der Todeszelle landet, die außer dem Grab das Engste ist, was
man sich vorstellen kann. Zeit und Raum sind zu einem leuchtenden Strich
zusammengeschoben, also, wie gesagt: reduziert, aufs Äußerste
reduziert, wie der Tod das Leben zunichte macht, die absolute Reduktion
selbst ist, und plötzlich öffnet sich diese zerknüllte
Papiertüte bzw. der leuchtende Strich weitet sich, fächert sich
auf, und die eigentliche Handlung, jenseits jeder Logik und Erklärungsmöglichkeit,
beginnt von neuem, beginnt nun erst richtig, wird aus der Tüte herausgeschleudert,
obwohl die Tüte samt Inhalt doch soeben noch dermaßen klein
zusammengeknüllt war. Oder war gar nichts drin? Es beginnt sozusagen
ein zweites Leben nach dem ersten, oder war das zweite vor dem ersten,
oder doch umgekehrt? Im Film ist das möglich. In der Kunst kann
es möglich werden, sonst nirgendwo.
Man
muß also, glaube ich, versuchen, von der Ebene der Realität,
und wäre es die künstliche des Films, wegzukommen, denn nur
wenn man sie hinter sich läßt, kann man sie als Realität
wieder wahrnehmen, und zwar mit dem Bewußtsein, das durch die Reduktion
des Symbolischen gewonnen wurde, und erst daraus WIRD das ausgedachte
Sein der Kunst erst wirkliches Sein. Es sind in diesem Fall eben nicht
Gespenster (natürlich ist Film "Gespenstersehen", aber
gerade bei Lynch, wo es nur Gespenster gibt, wird das Gespenstische aufs
äußerste real), die erscheinen, sondern das Symbolische erscheint
selbst als (wie gesagt, manchmal sogar "überhäufte")
Reduktion, die nicht nur von der Realität absehen kann und muß,
sondern die Realität nicht mehr braucht. Ja nicht einmal eine künstliche
Realität zu schaffen braucht. Gar nichts mehr braucht. Und daher
sind die in diesem Film ja reichlich vorhandenen Ereignisse oder wie man
sie nennen will: Mord, tödlicher Unfall, Geheimnisse, Pornofilm,
Sado-Masochismus, Flucht, Brutalität, Gewalt, etc., als Erlebnisse
gar nicht mehr gegeben.
Insofern
stimmt es natürlich, daß nicht so sehr Charaktere als vielmehr
Abstraktionen, Modelle, Figuren auftreten, aber dieser Film beweist, daß
sie das Auftreten als Charaktere nicht können und auch nie könnten,
ja nicht einmal irgendwann beherrscht haben können. Das Wie, das
immer das Entscheidende im Film ist, wird zum Was, oder besser: fällt
mit dem Was in eins zusammen. Das Ereignis fällt mit dem, was sich
nur im Psychischen abspielt, in eins zusammen. Und das Psychische materialisiert
sich dann wiederum als Person. Vielleicht spielt der ganze Film nur im
Bewußtsein des Protagonisten, und wir, die ihn anschauen, sind sein
Gehirn. Und alles, was geschieht, richtet sich, wie Eisenfeilspäne
nach dem Magneten, in dessen Einflußbereich sie geraten sind, aus,
sie richten sich selbst nach etwas aus, sie richten uns aber nichts aus.
Sie sind, auf sich bezogen, sie selbst, und sie können nichts anderes
sein als nur immer: auf sich bezogen.
erschienen im "Profil"
44/2003
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