Aus gegebenem Anlaß, aber ich habe ihn nicht gegeben, ich habe ja nichts zu geben, und ich habe nichts zuzugeben

(Handke/Heine)

Was soll man sagen? Ich überlege, was ich zu Handke sagen könnte, während das Geheul und Gebell rundherum anschwillt. Ich bin versucht damit anzufangen, daß ich politisch in Bezug auf Serbien nicht seiner Meinung bin, daß ich das Eingreifen fremder Mächte bei drohendem Völkermord, den ich damals am Balkan gesehen hatte, auch völkerrechtlich gedeckt fand und immer noch finde, aber schon das ist eine Falle, in die ich nicht laufen müßte, nicht einmal dürfte. Ich muß meine politische Position nicht darlegen, um meine Besorgnis über die wachsende hysterische Hetze gegen einen Dichter artikulieren zu dürfen. Auch sollte ich nicht eigens drauf hinweisen müssen, daß ich nicht seiner Meinung bin, aber, nein, sterben würde ich für seine Meinung nicht, das muß nicht sein, es sterben schon viel zuviele, aber daß ich jedenfalls alles täte, damit er diese Meinung äußern darf.  Ich muß auch nicht darauf hinweisen, wie oft Heine seine politische Meinung veröffentlicht – und wieder geändert -  hat, mit großer Leidenschaft, und darauf kommt es an. Er hat den Kommunismus begrüßt, im Wissen, daß Leute wie er (und ihre Werke) die Ersten wären, die ihm zum Opfer fallen würden. Also da gibt es im Schreiben immer das Trotzdem. Und das Dazwischen. Und dort hinein haben wir uns zu begeben, auch wenn es dort eng wird. Indem wir erkennen, was für jeden einzelnen von uns notwendig ist zu sagen. Aber soll nicht mehr drin sein als das zu bejahen, was allgemein Konsens ist, das, was doch nicht zu ändern ist („glücklich ist, wer vergißt!“) einfach zu übernehmen?  Was wäre das für ein Denken, ich meine ein Fortdenken im Hinblick auf das Hinschreiben, das nur im Hinblick auf ein feststehendes Ergebnis denkt und schreibt und nicht dagegen? Dagegen auch, wenn es weiß, daß es vielleicht falsch ist?  Das, was von der Allgemeinheit gesagt wird und also gesagt werden muß (der berühmte Konsens über etwas), läßt dem Dichter keine Möglichkeit mehr übrig, etwas zu sagen, da alles schon ausgerechnet, zusammenaddiert und saldiert ist. Das, was allgemein und der Allgemeinheit (und die Gemeinheit bereits enthält) gesagt werden muß, entscheidet nicht darüber, ob einem Dichter etwas zu sagen nötig scheint, und wäre es das absolut Unnötige, Überflüssige, Sinnlose.  Der Dichter hat, was er zu sagen hat, zu sagen, weil es ihm notwendig ist, es zu sagen, aber er hat nicht das Notwendige zu sagen, sonst hätte er gar nichts mehr zu sagen. Sonst hätte er nur noch zu erledigen, was erledigt werden muß. Das ist zuwenig. 

So, und jetzt darf ich mich endlich Handke und seiner Stellungnahme anschließen, die Lügen und Halbwahrheiten von der Rechnung abziehen (die rote Rose auf Milosevics Sarg – also wirklich! Vielleicht macht man aus ihm noch einen Sargspringer wie in der großartigen US-Familienserie „six feet under“!), die längst getätigten Klarstellungen noch einmal vom tiefen ins seichte Wasser ziehen, damit man sie genauer sieht (Handke hat das alles selber längst richtiggestellt, vor allem den entsetzlichen Vergleich des Schicksals der Serben mit der Vernichtung der Juden), das hätte man alles längst nachlesen können. Was an dem, was er geschrieben hat, richtigzustellen ist, ist nichts, denn er darf alles schreiben. Was an dem, was er gesagt hat, richtigzustellen war, hat er getan. Mich hat immer gewundert und auch geärgert, daß Handkes Schlüsselstück über das ehemalige Jugoslawien, „die Fahrt im Einbaum“, in der Debatte kaum je erwähnt worden ist. Ich habe das Stück gelesen und die Aufführung in Wien (in der Regie Claus Peymanns) gesehen: In diesem Stück ist doch alles drin. Es ist doch alles gesagt. Da steht es ja. Es ist mehr (und gleichzeitig weniger) als alles gesagt.

Der Dichter sagt alles, indem er nicht alles sagt, und gerade darin ist alles gesagt. So kann ich mit Handke nur das Mindeste erwarten, was zu erwarten ist, nämlich möglichst alles zu lesen, was er in den letzten Jahren zum Balkankonflikt und seinen blutigen Kriegen, Nachbar gegen Nachbarn, geschrieben hat. Lesen und dann reden, aber nicht hetzen. Sonst wagt man sich zu weit vor, und dann haben sogar die Hunde, die treuen, einen verlassen (ihr klagendes Gebell hört man allerdings noch lang), und die guten Geister verlassen einen auch irgendwann, und dann wird es nur noch geistlos.

30.5.2006


Handke/Heine © 2006 Elfriede Jelinek

 

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