Österreich. Ein deutsches Märchen

Man spricht nicht einfach wie man spricht, sobald man schreibt. Es treibt einen dazu, mit oder ohne Begeisterung, über sich hinauszugehen und gleichzeitig auf sich zurückzuschauen. Ohne immer genau zu wissen was man da schreibt. Das gehört zum Schreiben dazu, wie Heine es dem Cervantes auf den Kopf zusagt: eine große, die größte Satire gegen die menschliche Begeisterung geschrieben zu haben. Der lebenslang verschuldete, lächerliche Cervantes, der von seinen mühseligen Pilgerfahrten nur leere Muscheln nach Haus gebracht habe, wie Heine behauptet. So, jetzt wird eine Brust ordentlich durchdrungen, dafür muß man sich nicht einmal von seinem Sessel erheben. Außer man sucht sich dafür eine fremde Brust aus. Die kappentragenden österreichischen Feuerredner der schlagenden Verbindungen,  welche uns inzwischen schlagend bewiesen haben, daß sie es sind, die jetzt ihre Brandreden halten dürfen,  ohne je weniger versprochen zu haben als das, was sie jetzt endlich halten wollen, die nehmen ihre Gesichter dafür, ihre Begeisterung für das Deutsche auszudrücken, das sie allerdings mit jedem einzelnen Wort schänden, und sie nehmen ihre Mensursäbel in die Hand, mit denen sie Gesichter schänden, und sie nehmen das Deutsche, das sie nicht können und nicht einmal kennen, auch noch als Hilfspolizisten dazu, um einmal anständig durchzugreifen, um sich endlich einmal durchzusetzen. Einmal gehts bestimmt noch. Und das heißt immer: sich über andre zu setzen. Das nennen sie ihre Meinungsfreiheit, die über die „Diktatur der Gutmenschen" endlich siegen muß. Sie nehmen sogar ihre Frauen noch für die Begeisterung und lassen sie unaufhörlich abkindern, und das Weltkind in der Mitten rechts. Nein, immer nur sie allein sind in der Mitten, wo schon ein Loch ist, weil sich soviele dort gedrängelt und aus der Mitte einen Leerplatz gemacht haben - und heute gehört uns das Deutsche und morgen die ganze Welt . Die Welt reicht einem dann die Brust, damit man gut und gesund ernährt wird, sofern man Inländer ist und aus dem eigenen Blut und Boden die Niegelungen-Brut zieht, oder aber: die Brust wird einem gereicht, damit man sie immer wieder durchbohren kann. Dieses Durchbohren kann dem gelten, was in der Brust eines Menschen vergraben ist. Nur leider fällt das dann sofort heraus, falls endlich das viele Bohren, wenn auch nicht das nach dem Rheingold, gelungen ist. Der Tod kommt immer als Füllung hinein, egal was da vorher war.

Die Kämpfe von einem, der schreiben muß, weil er die Wirklichkeit schaffen will, bevor die einen allzu zusehr beeinflußt, daß man gar nichts mehr sieht: Heine fragt schon wieder so viel, und er glaubt noch an das Genie des einzelnen, der etwas über sich hinaus sagen will und kann. Dann tritt dessen Seele in den Kampf mit der Wirklichkeit ein oder, fragt er, beginnt die rohe Wirklichkeit einen ungleichen Kampf mit der edlen Seele des Dichters? Und Heine spricht natürlich über sich selbst, wenn er, gleichzeitig herablassend, denn das Genie läßt sich immer herab, gleichzeitig aber sich mit hinaufreißend, denn das Genie muß wissen, daß es einer von vielen, von allen ist, er spricht von seiner Überzeugung, wenn er also die Gesellschaft eine Republik nennt. Wenn der Einzelne emporstrebe, dränge ihn die Gesamtheit zurück durch Ridiküle und Verlästerung, klagt er. Dieser Einzelne wird mit so gnadenloser Verspottung und Verleumdung verfolgt, daß er sich endlich zurückziehen muß in die Einsamkeit seiner Gedanken. So spreche auch ich selbst, indem ich nicht mehr sprechen mag, nur leider ohne jede Grandiosität und ohne Genie. Ich will es, wie Heine, in dieser Hinsicht ist er mein Vorbild, nicht mit der Schwere, sondern mit der Leichtigkeit des Spotts versuchen, doch der Spott kehrt sich so oft gegen mich. Von Lächerlichkeit und sich lächerlich machen verstehe ich inzwischen etwas mehr, wenn ich überhaupt etwas verstehe, das ist mir oft sehr gut gelungen, und am besten ist es mir gelungen, wenn ich es am wenigsten erwartet hatte, weil ich doch etwas geleistet hatte. Ich hatte mir solche Mühe gegeben! Mich dabei so stark gefühlt! Überhaupt so stark und viel gefühlt! Mich auf die Höhe der Zeit hinaufgeschwungen, nur um, als ich oben war, zu sehen, daß alles ein Mißverständnis war. Ich hab mich schick als ein weiblicher Jesus hergerichtet, nein, bleiben wir bei Heine, als ein weiblicher Messias, - was für eine entsetzliche Überschreitung, denn der Messias ist ja, wie der große Rabbi Manasse ben Naphtali zu Krakau dem Heine beschrieb, ein schöner, sehr schlanker und doch starker junger Mann, der allerdings einen einförmigen Tagesablauf hat und dennoch, obwohl sowieso nie was passiert, mit goldenen Ketten gefesselt ist. Also wieso das denn, wenn sein Tagesablauf eh so eintönig ist, fragt Heine den Rabbi, und der antwortet ihm, das geschehe, damit der Messias, der ergrimmt darüber sei, wie man sein Volk mißhandle, von vier starken Staatsräten notfalls zurückgehalten werden kann, damit er, dessen Zeit noch nicht gekommen ist, die Rettung seines Volkes nicht zu früh beginne. Na ja, also ich fange auch immer zu früh oder zu spät, jedenfalls fange ich immer wieder an, irgendwen zu erlösen, aber immer jemand, der gar nicht erlöst werden will, jedenfalls nicht von mir; notfalls nehme ich dafür, damit ich mich gut fühle, und niemand hält mich zurück, obwohl viele wissen, daß ich mich danach noch viel schlechter fühlen werde, notfalls nehme ich also ein ganzes Volk aus Österreich, dessen Adler seine Ketten aber schon selber ganz alleine gesprengt hat, um es von einem einzigen schlichten Kärntner zu erlösen, der es sich grade gekrallt hat,  also wenn das keine Ironie ist, dann weiß ich nicht! Der Kärntner ist einmal hier, dann ist er wieder weg, ich weiß nicht, wo er im Moment ist, aber im nächsten wird er sicher wo anders sein.  Das ist jedenfalls keine Ironie, und wäre sie es, dann gewiß keine von Heine. Und ich hab da jetzt soviel Leidenschaft hineingelegt und etliches investiert, das glaubt man nicht, eine Leidenschaft, wie sie dem rechten Kärntner und seinen Glaubensgenossen, welche von der USA, der Globalisierung oder dem ganzen Judentum die ganze Zeit schon so gepeinigt werden, höchstens noch als Sportler verkleidet oder gleich ganz ohne alles vor irgendwelchen Kameras gelingt. Diese Leidenschaft, und die gelingt ihnen auch nur an Tagen, wo sie ordentlich jung, beschäftigt und nicht so alt ausschauen,  wie ihre Gedanken sind: Da habe ich also Jesus, von Jehovah will ich schweigen, von Jehovah will ich ganz anders sprechen, an Souveränität noch zu übertreffen versucht, nur indem ich was hingeschmiert habe in meiner Verzweiflung (und nicht einmal allein konnte ich mich wirklich allein fühlen, hunderte Journalisten waren gleich hinter mir und haben dasselbe wie ich, aber mit ganz andren Worten genauso geschrieben, nicht einmal eine echte Verzweiflung haben sie dabei verbrauchen  müssen, etwa acht Liter auf hundert Kilometer und ein paar Achterln dazu), ich hab mich in der eingebildeten Ösi-Ödnis gesuhlt, als einzige wirklich Bescheid zu wissen, wer da jetzt schon wieder, denn beim ersten Mal hats ja nicht ganz geklappt, obwohl es ausgerechnet an Begeisterung gewiß nicht gemangelt hat, nach diesem armen Volk gegriffen hat, dem schon so oft in seiner Geschichte entsetzlich übel mitgespielt wurde, sogar annektiert und ausgelöscht wurde es, zumindest vorübergehend, die paar, die es dann dafür selber ausgelöscht hat,  nicht nur vorübergehend, das war nur gerecht, das war Notwehr, weil die Juden fangen immer an und geben keine Ruh,  gerade eben gegen sie schon wieder keine Ruh, und sie sorgen noch dazu für die zersetzende Kritiksucht des sogenannten Fremdstämmigen; die germanischen Stämme rollen und rollen, die Holzfäller rennen hinter ihnen her, aber sie erwischen sie nicht mehr, und fremd sind sie und müssen sie bei uns immer bleiben, die Juden, ja, wo soll das enden, wo soll dieser Satz enden, frage ich mich im Moment; also da hab ich mich oft schon sehr allein, dabei aber sehr souverän, fast hochmütig gefühlt, sagen zu können was ich eben so sagen mußte. Und in dieser großen selbstüberhöhenden Leidenschaft, die mich nirgendwohin gebracht hat, außer vielleicht zu dieser oder jener Preisverleihung, in meiner hoffnungslosen Sehnsucht, etwas sagen zu können, was irgendeine Wirkung hat, mußte ich doch einsehen, daß ich eine Idiotin bin, um das altmodische Wort Närrin zu vermeiden, das leider schon für alle Zeiten Nietzsche gehört, und dem was wegzunehmen würde ich mich nie trauen.

Nichts zu sein  und sich dabei auch noch lächerlich zu machen, das ist das Gegenteil davon, jemand zu sein und grandios; und gleichzeitig ironisiert es diesen Zustand, den keiner will, aber jeder hat, nämlich eben: nichts zu sein; und jemand wie ich, der etwas sagen will, das vielleicht gültig sein soll, wenigstens für eine kleine Weile, der ist besonders lächerlich.  Das bedeutet, seine Person erheben zu wollen. Das bedeutet, eine Kriegsschuld zu machen, die die immer die andern haben. Das Gesagte stößt immer nur offene Türen auf. Und ausgerechnet hinter dem Verkünder, wie der grad in sein Horn stoßen will, fallen sie dann ins Schloß und hauen ihn in sein aufrechtes Rückgrat, auf das eine wie ich doch so stolz ist. Ist es eine Befreiung, endlich frei zu werden von der Herrschaft, die die Selbstbehauptung über die Dinge ausüben wollte oder sollte, fragt Georges Bataille. Und er fährt fort (na, er bleibt natürlich da, wir alle wollen immer fortfahren, doch wir bleiben ebenfalls hier), daß Herrschaft den Verzicht auf alle Privilegien bedeute. Daß ich hier stehe und spreche, das ist schon eins von diesen Privilegien, das jederzeit gegen mich verwendet werden könnte, bevor ich noch das heutige Preisgeld für etwas andres verwenden kann. Ich verwende mich hier einmal für mich selbst, darauf verzichte ich einmal nicht, aber ich weiß, daß es sinnlos ist, da ich, während ich mich für mich selbst verwende, bereits von andren zur persönlichen Verwendung eingeplant bin, und wieder weiß ich schon wofür: lächerlich zu werden. Immer wieder. „Das Allerweltsschicksal ist das allein ihm, (dem souveränen Künstler) angemessene", sagt Bataille. Er hat da schon mehr gewußt als Heine, der noch etwas für sich erhofft hatte. Vergeblich. Es ist immer vergeblich. Ich grabe, wie es Heine über Ludwig Tieck sagt, unaufhörlich, und ich gebärde mich dabei, wie Tieck, höchst närrisch, wenn wir schon mal beim Närrischen sind,  das wir uns von Nietzsche nun doch einmal kurz ausleihen und gleich wieder zurückgeben, ich grabe also meine toten Voreltern aus dem Grab heraus, schaukle ihren Sarg, als wär es eine Wiege, und mit aberwitzig kindischem Lallen singe ich dabei, nein, nicht wie Heine es dem Tieck unterschiebt: Schlaf, Großväterchen, schlafe! Nein, ich sage: Schlaf nicht ein, Großväterchen, bleib wach, ich brauch dich noch, um mit dir was zu beweisen! Alle sollen es hören! Heraus aus dem Grab, mach schon! Wirds bald, ich brauch dich! Mrs. Peel you are needed, heißt es in einer der beliebtesten 60er Jahre-Serien.  Ich muß, und dich, Opa, nehme ich dafür als Zeugen, ob du willst oder nicht, schon wieder jemand anklagen. Das mache ich besonders gern. Das Anklagen wie das Klagen, das liegt mir einfach im Blut, kommt mir vor, wenigstens versuche ich es, wie gesagt, mit Heine'scher Leichtigkeit zu tun, daß man nicht gleich merkt: es ist ein Klagen. Aber das sagt mir zu oft nicht zu, genügt mir nicht, und so schreie und tobe ich und schmeiß mich um die Erd, aus der ich vorhin grad meinen Großvater gezerrt habe, um ihn den Leuten vors Gesicht zu halten.  Aber das Loch von seinem Grab ist noch da, und nur ich selbst falle hinein. Und immer wird ein Anklagen daraus und wirft mir, wie frisch geschaufelte Erde, einen Ertrag ins Gesicht, so wie heute, dessen ich mich eigentlich schämen müßte, denn aus einer Klage darf erst Gewinn ziehen, der vor einem Gericht bestanden hat. Ich bestehe immer nur darauf, recht zu haben.  Großvater! Er muß zurückschauen, darf sich in seinem Grab nicht endlich ausruhen. So wie meine Tante Lotte immer zurückschauen muß, wie froh bin ich, sie lebt heute noch, und sie schaut und sie schaut, sie wird kein Engel der Geschichte dadurch, daß sie zurückschaut und ihr Gesicht verhüllt vor dem, was sie sieht, sie muß schauen und zurückschauen, aber sie ist in Auschwitz, und sie schaut und schaut, und was sieht sie? Sie sieht auf den Verbrennungsöfen ihren Namen geschrieben. Auf dem Ofen, für den sie bestimmt ist, in den sie aber zum Glück nicht hineingekommen ist, steht ihr eigener Familienname geschrieben: Topf. Firma Topf. Und Söhne.  Soll man also überhaupt schauen? Oder soll man nicht schauen und vor allem: nicht zurückschauen, wie es heute oft verlangt wird? Was sagt Heines Rabbi von Bacharach zu seiner Frau, während rings um ihn herum das Judenschlachten, eine liebe alte Gewohnheit hierzulande von altersher, anhebt, angesichts derer sogar Heine ernst wird? „Mach die Augen zu, schöne Sara!" Wieso kann ich das nicht und nicht nur ich? Wieso können es die einen und nicht die andren? Wieso stehen immer noch die auf, die Selbstaufgerufenen, die Meldegänger vergangener Zeiten,  in den altdeutschen, gut gebräunten Unterhosen, mit ihrer Volkstümelei, diese Teutomanen, sagt Heine, sursum bumm bumm, sagt wieder Nietzsche dazu, hoch die Humpen, runter das Bier, rein die Klinge, nein, nicht rein, blutig!, auf ein neues, und noch einmal und noch einmal, und sie müssen dann entsetzliche Aufgaben übernehmen und Lügen einstudieren und was nicht noch alles, ihren slawischen Ursprung verleugnen, wie Heine spottet, und die entsetzlichsten Arbeiten, die sie, wie die verurteilten Polen in einem russischen Bergwerk oder einer Bleigrube verrichten müssen, diese Arbeiten sind für Heine das Loben eines längst vergessenen heroischen deutschen Geschichtsschreibers,  und all diese Geschichtslügner und - Lleugner sind austauschbar, egal, manche von ihnen haben Geschichte mit Menschenfleisch geschrieben, die Humaneren haben sie bloß aufs Fleisch draufgeschrieben, aber dessen Verfallsdatum ist längst abgelaufen.

So loben halt auch die Stadlers, diese Volkstümlichen, diese Volksanwälte, die glauben, das Volk habe ausgerechnet auf sie gewartet, diese Vergötzer des Deutschen, die sich, in Ermangelung eines anständigen Krieges die Gesichter haben durchlöchern haben lassen, ein Herr Stadler also, Volksanwalt in österreich und damit rangmäßig noch über einem Staatssekretär,  bis heute,  der und seine blutig gezeichneten Kameraden, die ihre Bierhumpen auf das Korporationswesen heben, das ihnen im Suff über den Häuptern spukt, sie loben und loben, und andre fallen froh in ihren Chor mit ein. Sie wissen nicht, wen oder was sie da loben, aber sie loben es, das wunderbare Deutschtum, das allem andren Überlegene, deswegen muß es ja nie überlegen, bevor es was macht, denn es weiß ja alles immer schon vorher, egal vor was. Und der Wind pfeift ihnen durch die schmissigen Wangen, es entsteht ein Durchzug,  der Volkssturm bleibt noch ein wenig aus, wir warten derzeit aber auf ihn, er hat sich für diese unsre Sendung angesagt,  er kommt ganz sicher noch, ganze Germanenheere ziehen prompt und gehorsam als Vorhut durch, und der Sturm, wenn er endlich kommt, reißt ihnen allen das Hirn auf der andren Seite raus, wo noch gar kein Loch gebohrt ist. Und doch hören, beim Schein der Sonnwendflammen, immer noch so viele ihnen zu und verschweigen sich nicht, was sie denken, und verschweigen es auch andren nicht, die das sicher genauso  interessiert. Ich höre gerade ihre schweren Schritte vom Feuer weggehen und Brände mitnehmen, zumindest ein paar Hölzer zum Unterzünden, aber ich höre ja auch das Gras wachsen, da werde ich ihre schweren Tritte wohl kaum überhören können. Danke für den Hinweis, ich höre  schon selber, daß da nichts zu hören ist.

Ich übertreibe natürlich, denn die können es treiben mit wem sie wollen. Da geht gar keiner, und Stiefel trägt auch keiner mehr,  sie tragen bunte Kappeln und Brustbinden und Bierzipfel, und ihr Gerede ist das Gespeie von Biertischen, wie Albert Drach, der Schriftsteller und Emigrant, sich über sie erbittert hat, und doch mußte er vor ihnen davonrennen, seiner Mutter ist das nicht mehr gelungen, und sie tragen eben ihre Schmisse im Gesicht wie der Haifisch seine Zähne trägt. Nur braucht der sie.  

Ist ja nur Kunst. Ist ja nur Leben, und darin muß man ein Außenseiter sein und aus. Heine ist auch einer geblieben, ach wär ers doch nicht gewesen! Er hätte förderlich sein können, und ohne ihn sind andre, Gefährliche, gefördert worden, bis der Förderkorb zu schwer wurde und abstürzte, ins Nichts, das auch noch nichts ist, höchstens ein Gedicht, und weniger als ein Gedicht, das gibt es nicht. Und mehr als ein Gedicht, das gibt es noch weniger. Aber dieses Gedicht verteidigt das wirklich Wirkliche, das geschichtliche Subjekt, das als geschichtlich begriffen werden muß, weil es um sich selber ringen muß und das auch weiß und tut, und dann soll die Kunst das alles auch noch zurückwerfen, immer auf sich selbst, und auch noch als Widerspiegelung, die einen ins Gesicht schlägt. Man selbst bleibt übrig und seine nicht auflösbare Verbundenheit mit einem jenseits der erscheinenden Welt liegenden Wert, der aber ganz in dieser Welt verankert ist. Weltanschauung, die die Welt durchdringt, das Subjektive und gleichzeitig der nie nachlassende Drang nach Objektivität, der in die Lächerlichkeit der Deutsch-Stadlers dieser Welt blickt und um ihre Gefährlichkeit weiß und doch nur über sie spotten kann, als eine Parodie auf alle  Hambacher Hoffnungen, bis die Zunge im Kies zerquetscht wird: „Die altdeutschen Narren verdarben Mir schon in der Burschenschaft die Lust An den schwarz-rot-goldnen Farben", klagte Heine. Sie hätten ihn bis vor kurzem auch umgebracht, hätten sie ihn noch erwischt. Manche würden es wahrscheinlich heute noch gern tun, im nachhinein.  Aber zu denen will ich nicht hinüberschauen. Im Moment nicht, aber ich erhalte mir meine Aufmerksamkeit für sie. Es geht nicht anders. Ich weiß, und viele andre wissen auch, daß nur wenig zu erhoffen ist. Nur die unauffällige Deklassierung aller, die die Kunst leben. Und durch das Schweigen entzieht man sich allem ganz leicht. Aber ich spreche hier,  und ich spreche morgen dort und auf Papier und oft noch dazu papieren, und mein Sprechen wird für etwas verbraucht, das ich nicht kenne. Gut so. Lächerlich. Noch viel besser!

Und trotzdem, ich versuche, alles und jedes zusammenzuzwingen, um etwas zu sagen, denn das eigene Leben hat nur Sinn, wenn es mit dem der andern verbunden ist. Wer sich souverän fühlen will, kann sich niemals dem Anderen überlegen glauben, es sei denn, der Andre glaubt sich ihm überlegen. Und von Dingen kann sich Überlegenheit niemals herleiten. Aber auch nicht von der Selbstüberhebung der Thomas Bernhard'schen „Geistesmenschen", die einen geistigen Adel behaupten, den sie nicht haben und Einfluß, den sie auch nicht haben, obwohl sie oft genug getäuscht werden - manchmal sogar mit Fuhren von Mist - sie hätten ihn, und sie haben ihn dann am wenigsten, wenn man ihnen am eindringlichsten suggeriert, sie hätten ihn doch,  den Einfluß, verbunden mit Macht, die sie ohnedies nie haben dürften. Die Macht haben immer andre. Macht nichts.

Daß ich hier sprechen darf, ist  aber vielleicht schon wieder eine Art von Machtausübung, die mich über andre hinaushebt. Die Grandiosität und das Genie kann ich mir gar nicht leisten. Was ich mir vielleicht grad noch leisten kann, ist, daß mir nichts heilig ist, auch darin ist mir Heine ein Vorbild, aber wenigstens kann ich mir Kleider für mein kleines Kapital kaufen,  das ich hier zu erhoffen und zu erwarten habe, Kleider, um nichts zu bemänteln,  nichts Großartiges, aber immerhin. Keine Grandiosität, die gibt mir keiner, und die Zeiten, da man sich in sein Schwert gestürzt hat, sind auch vorbei. Für die Frau hat es seit Lukretia nicht einmal eine ordentlich scharfe Klinge mehr gegeben,  es sei denn eine aus Worten, aus keifenden Worten, das ist sehr beliebt auf den Frauenbildern, und die Lukretia hat sich vergeudet, weil man ihr etwas genommen hat, das ihr nicht gehört hat, ihre eigene Integrität,  die nicht darin besteht, daß sie etwas schaffen dürfte oder könnte, sondern bloß darin, daß sie einen Körper hat, in den man eindringen kann, und so hat sie sich wenigstens diesen Körper für sich aufgespart,  dessen Türen aufgestoßen worden waren, um ihn sich in der äußersten Selbstvergeudung, im Wegwerfen wieder anzueignen. Was will ich? Keine Macht erwerben, obwohl mir und vielen andren wie mir das oft mit größter Herablassung, denn nur damit wird einem begegnet, wenn man im Schreiben und nicht im Gebären andre Menschen aufstehen und ziellos torkelnd herumwandern läßt, zugeschrieben worden ist. Vor allem wenn ich nicht anders konnte, als mich zu den Zuständen in meinem lieben Vaterland zu entäußerln, als es selbst wieder einmal seine Hosen verloren hatte und dann  ein bisserl nach rechts, hinter eine deutsche Eiche versetzt worden war, damit man es nicht sieht so ohne Hosen, ach nein, da sind sie ja, die Hosen, um die Knöchel flattern sie knatternd,  wie Fahnenfetzen, ich hätte nicht so voreilig sein sollen und sagen, sie wären ganz weg, denn da sind sie ja,  im Moment hängen sie halt ein bissel runter, in müden Falten, da muß wieder mal ein frischer Wind rein, während das Land sich in den Kniekehlen abbiegt um sich hinzuhocken, als ob der Haufen nicht schon hoch genug wäre, auf den der Teufel scheißt. Da müssen wir wieder ein wenig voranschreiten und die Fackel an den Holzstoß halten. Lächerlich. Durch Macht ist Souveränität nicht zu erwerben, aber durch Souveränität ist erst recht nicht Macht zu erwerben. Das ist eine Aufhebung.

Ich habe mich selbst aufgehoben im Sprechen, aber da war nichts, was aufhebenswert gewesen wäre. Das ist es ja. Es darf auch nichts Bleibendes bleiben. Darauf ist als erstes zu verzichten, daß etwas bleibt. Erst muß man verloren gehen, dann muß man, indem man sich verloren hat, sicherstellen, daß man sich niemals wiederfinden kann, auf keiner Einladung, keinem Brief, keiner Ehrung, keiner Grußkarte (höchstens noch auf der Todesanzeige), es scheint einem das Leben ja ohnedies nie schöner als in dem Moment, da man es verliert, sagen uns eindringlich die, die schon tot sind und es hinter sich haben. Ist aber nur der Neid auf die Lebenden. Hoch wer auch immer! Sie sollen leben! Was für mich schon ein Augenblick der Überschreitung war, indem ich ein Kärntner Trachtenbübchen, das vielleicht bald kein Bub mehr und nicht mehr allein sein wird, sondern groß und zu mehreren und in der europäischen Politik rege und tätig,  nachdem die von sich selbst strotzenden europäischen Musterknaben in der Zwischenzeit so groß geworden sind, daß sie sich nur noch mit sich selbst verdecken können,  auf Burg Kranichstein in Niederösterreich im Mist herumgekratzt und ordentlich gekräht haben, die Herren Mégret, Dewinter, Haider, Czurka, Lummer und wie sie alle heißen, indem ich es also hundertmal angeprangert hatte, unser ewiges Buberl, den Ausnahmekletterer und Ausnehmer, der uns alle ausnehmen möchte, indem er vorgibt, uns was geben zu wollen; indem ich also geprangt und geprangert hatte, als müßte ich eine Strafarbeit schreiben, die mir keiner aufgegeben hatte, nachdem ich es jahrelang praktiziert hatte, dieses ewige Herausholen und Anprangern, sogar in der Kunst, damit wir wenigstens an der Wahrheit zugrundegehen, um Nietzsche abzuwandeln, der ja gesagt hat, die Kunst sei dazu da, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen, da hab ich endlich kapiert: Das war gar keine so tolle Überschreitung, dieses Anprangern, denn viele haben das auch gemacht und sich nichts drauf eingebildet, und deshalb war es natürlich auch keine Kunst, aber dafür heißt es jetzt bei manchen schon wieder: zu viele haben zuviele Fehler gemacht, indem sie angeprangert haben. Wir Prangerer mit den großen Prackern haben angeblich erst wichtig und mächtig gemacht, was wir doch immer verachtet haben, und jetzt verachtet das so Ermächtigte dafür uns. Bald ist es in der Lage dazu.  Einen kleinen Moment noch! Jetzt geht, was wir verachtet haben und jetzt uns verachtet, gemütlich dahin, ohne Gesicht, aber trotzdem lächelnd, und mit Hirschhornaugen und Menschenknochenknöpfen, es will ja nur ein bisserl bergwandern, das ist viel besser als gehen, gehen kann ja sogar unser Bundeskanzler, der aber auch ab und zu ein Stückchen wandert, wenns sein muß, in die Berg bin i gern, und dazu seine Lieder singt, denn sprechen kann er nicht, er  ist eher still,  der Herr Kanzler, der zu allem geschwiegen hat, denn Schweigen macht mächtig, und man blamiert sich nicht, wenn man singt oder schweigt, außer man wäre unmusikalisch,  und so wandern sie alle, von uns aus gesehen nach links, nein, rechts, nein, links, egal, gradewegs und schnurstracks nach ganz Europa hinein.

Das wäre nicht nötig gewesen, denn dort sind wir eh schon.  Dort  ist es schön, nicht so schön wie bei uns, aber auch schön. Wenn wir einmal mehr Platz brauchen, dann gehen wir doch glatt nach Europa, dazu ist es da. Wir sind ja nicht so.  Und wir sollten uns nicht so haben. Wir sind ja nicht nachtragend, weil die Chefs von Europa uns Österreicher einmal so geschimpft und geschandet haben. Und da bin jetzt ich, und ich überschreite, im Gegensatz zu vielen andren, die Großes wollen, nicht das Gebirg, sondern nur was Kleines, über das jeder mit etwas gutem Willen ganz leicht rüberhupfen kann.  Auch lächerlich. Da die Verachtung, die solchen wie mir gilt, die keine Macht wollen, nur schreiben,  immer mit der Macht verbündet ist, ist sie die gefährlichste, und die Überschreitung von festgeschrieben geglaubten Grenzen und Gesetzen wird von ihr mit Leichtigkeit aufgehoben und nicht von machtlosen Schmieranten wie mir und anderen, die das Schreiben als ihre Aufgabe sehen.  Man steckt uns Machtlust an den Hut, aber gleich schütteln wir sie wieder ab: wir wollen doch nur schreiben! Wir heben höchstens auf, was uns von unsrem eigenen Tisch runtergefallen ist. Ein paar Brösel. Ein paar Worte, mit Kreide aufs Pflaster geschrieben,  auch die Täter, einmalig waren die! Sowas hats nur einmal gegeben und dann nicht mehr, die haben das gekonnt und befohlen: Diese Worte putzt ihr jetzt mal schön weg mit euren Nagelbürsten! Das Schreiben geht ganz leicht, aber das Wegmachen ist oft schwer. Dieser und jener Schreibende hat auch noch ausdrücklich die Erlaubnis bekommen, etwas aufzukehren, aber bitte nur  vor seiner eigenen Türe, da liegen genug Worte herum. Man hat ihm lang suggeriert, daß das schon eine Kühnheit sei, ein Wagnis, weil er, durch die Verachtung der anderen, gar nichts mehr hat, das er noch überschreiten könnte. Die andern haben sich längst von ihm zurückgezogen, und jetzt kann er nirgends mehr drübergehen mit seiner Kritiksucht, der nichts heilig ist. Aber das Heilige ist ja heilig, weil es sich jederzeit in seine Privaträume zurückziehen darf, in die Kirche der Gläubigen,  die ihre Gläubiger schon längst selber vertrieben hat, und wo diejenigen, die an nichts glauben, überhaupt unerwünscht sind. Hier kommen wir also nicht weiter. Während die neuen Schreitenden in ihren Wanderhosen und Wanderschuhen, derweil längst viel weiter gekommen sind. Die bewegen sich wenigstens. Die sitzen nicht dumm herum und schreiben irgendwas, das keinen interessiert. Indem sie uns etwas verbieten wollen, dürfen sie es längst. Sie sind die einzigen, die es dürfen. Und indem sie sich anmaßen, ihre Überschreitungen zu loben und auszupreisen, was sie uns alle kosten werden, die Überschreitungen, die wir kaum noch sehen, weil wir immer noch die Brücke suchen, wo sie schon längst über uns drübergefahren sind,  aber wo wollen die  hin? Da ist doch nichts, da ist doch kaum noch was zu sehen von der Verhöhnung des Rechtsstaats durch einen österr. Minister, der ihr bester Anwalt war und auch lange flott mitregiert und mitgeredet hat, nein, ganz allein reden durfte,  und das Recht des Stärkeren mit seinem Recht des Amtes durchsetzen konnte;  indem sie sich also anmaßen, ihre kühnen, nein dreisten Überschreitungen mit ihren Verboten in Übereinstimmung zu setzen, setzen sie sich endgültig über uns und werden zu unsrer Gefahr. Und dabei sagen sie die ganze Zeit, wir, die nur schreiben, nicht volkssingend mitwandern, würden unsrerseits Grenzen überschreiten, mit denen man das nicht machen kann, sonst wären sie ja keine Grenzen, und daher wäre es dringend nötig, uns diese Grenzen wieder mal zu zeigen, denn so geht's nun wirklich nicht, bis hierher und nicht weiter, sonst zeigen wir es euch. Das sagen sie. Sie sagen, das ist nicht Schreiben, das ist schon Politik und daher Handeln, und dabei sind sie doch schon längst außerhalb unsrer Sichtweite. Wir sehen ihre Politik kaum noch, so weit ist sie von uns entfernt, wir müssen ja in unsren Grenzen bleiben, hat man uns gesagt, und da fällt uns dieser germanische Stamm schon wieder auf den Kopf und noch einmal, und unsre Sichtweise gilt nichts mehr und unser Gehirn ist erschüttert.  Ihnen hat sie ohnedies nie etwas gegolten, unsre Sicht, die sie uns jederzeit versperren können, denn sie sind größer. Sie dürfen sich groß zumindest fühlen, wir werden klein gemacht, zu Spänen geschnitten und müssen mit uns ein Feuer anzünden, das nur uns quält, sie dagegen dauerhaft ernährt und zum fröhlichen Flammenhupfen und Brandreden anspornt.  Sie sind jetzt schon große Kinder geworden, die an ihren Windeln in Trachtenhosenform zerren, weil sie eine richtige Uniform wollen, die sie schon zuhause bereitliegen haben. Wir verbrennen, vergeuden uns, und während wir (für etwas) brennen, halten sie schon ihre Sonnwendfeuerreden oder Totenreden, daß ein tausendjähriges Reich derzeit leider kaputt ist, von entmenschten Alliierten so gemein zertrampelt, die uns eine Katastrophe gebracht haben, die aber vielleicht heute repariert werden kann, wenn ein Volk, immer ihres, und sie sind seine Chefs, wenn das Volk also sich endlich selbst zu behaupten lernt. Was bedeutet, daß die alten Behauptungen stimmen, nur das, was aus dem Volk komme, sei das Wahre. Und wenn Deutschland nicht erwacht ist, dann trinkt Österreich schon längst gemütlich seinen Morgenkaffee und ißt sein Kipferl dazu, das ihm eingetunkt worden ist.

Ich habe leider nur gelernt, irgendetwas Unhaltbares zu behaupten, was noch dazu übertrieben ist und wahrscheinlich nicht einmal stimmt, und wenn ich es doch halten kann und es stimmt vielleicht sogar, dann haben es viele andre auch schon gesagt. Der Dichter soll lieber sagen, was sonst keiner sagt und er soll sein, wo sonst keiner ist, aber dabei immer schön die Grenzen beachten. Ist diese Kunst von mir gewichen? Wird man mich, natürlich in Grenzen,  irgendwohin heimholen, wo ich nicht sein will? Was sind das für Kämpfe?

Mit Heine darf ich mich natürlich nicht vergleichen. Ich will aber trotzdem, wie wahrscheinlich jeder, Spuren hinterlassen. Die breiten Rücken der Politikerherden ziehen vor mir über die Bildschirme, und ihre mit auswendig gelernten Formeln vollbeladenen Karren ziehen sie hinter sich her, sie wissen immer genau wohin es geht.  Es steht auch auf dem Schmierzettel drauf, den sie zur Sicherheit mitgenommen haben. Ich weiß das nicht. Auf Heines Witz, auf seine Zuspitzungen würden sie nur matt reagieren, sie würden sie nicht zur Kenntnis nehmen (müssen), wie Jürgen Habermas feststellt. Das ist etwas für die Literaturgeschichte. In der Geschichte, vor allem der der Weimarer Republik, wo sich alles entschieden hat, sind Heines Spuren Fußnoten geblieben. Und als die Weichen endgültig gestellt wurden,  als die Stiefel aufbrachen, und die wußten, auch ohne daß ihnen jemand etwas im Tiefschnee vorgespurt hätte, wohin es geht, da haben sie sich verloren.  Sind sie später wieder sichtbar geworden, seine Spuren? Werden sie werden noch sichtbar werden? Vielleicht war es immer schon zu spät für die Abdrücke, die Heine in unsren deutschsprachigen Ländern hinterlassen hat. Vielleicht weil danach eine ganze Menschenflut wie Wasser in sie hineingeronnen und sie  zumindest vorübergehend unsichtbar gemacht hat, nachdem so viele durch sie hindurchgetrampelt oder hindurchgetrieben worden waren? Wo war die Tradition Heines, als wir sie gebraucht hätten? Sie war nicht da, als wir sie am nötigsten gebraucht hätten. So ist das mit dem Spott. Er zersetzt, wo man gut hätte seinen Goiserer hinsetzen und sitzenlassen können. Da war eine andre Spur, neben dem Wasser, das alles fortgewaschen hat, und diese Spur war mächtig wie selbst nur das Wasser ist: die dunklen Energien des Volkes, wenn es von der Leine losgelassen wird. Damit kann man arbeiten. Dagegen ist der Dichter ein Dreck, und bestenfalls weiß er das auch.  Lächerlich. Die Überschreitung im Schreiben ist lächerlich, wenn das Leben längst mit volkstümlichem Schunkeln über uns drübergestiegen ist.

Das Sprechen kann man auch ablehnen, nicht aber das Schreiben, wenn es an einen herantritt und einem auf die Schulter klopft, keinesfalls als ein Freund. Man wollte etwas so schön sagen, aber man hat im Eifer, unbedingt dies oder das sagen zu müssen, vergessen, wie man es noch besser, noch schöner sagen könnte. Daß es jeder glauben muß. Aber man spricht halt weiter. Man spricht. Es tritt ein Stil auf, den man sonst nirgendwo findet. Und der Stil sucht sich sein Opfer, und oft ist es die Politik, die im allgemeinen besonders stillos ist, auch wenn sogar einer wie, Robert Walser, ein Bescheidener, nein, vielleicht eher ein auftrumpfender Bescheidener, etwas wie Stil im persönlichen Auftreten wie in der Politik irgendwann einmal ausgemacht zu haben glaubt und auch geglaubt hat zu wissen, was das ist. Hier führt sich einer so auf, dort ein andrer ganz anders. Das war vorher ausgemacht, daß man sich wo anders anders aufführen soll als hier. Man sollte überhaupt gleich wo anders sein, aber man ist es nicht. Man schreibt, als wäre man wo anders, aber man muß hierbleiben. Den Stil stiften still die Dichter, die einfach nicht still sein können, obwohl sie, verglichen mit anderen, und als Dichter findet man immer Vergleiche, still doch wieder sind. Sie stiften und gehen stiften, aber sie wollen nichts dafür haben. Andere sind immer lauter, und es sind nicht die Lautersten, die das sind. Der Stil. Er soll von ihnen bleiben. Er kann aber auch flüchten, wenn ers noch schafft.  Dann bleibt das Gesagte nackt da liegen, wie es die Journalisten tun oder tun sollen, aber auch das Nackte reizt niemanden mehr.  Es gibt zuviel davon, an jeder Ecke, an jedem Kiosk. Es kann ruhig da liegen, es wird nicht bestiegen. Man kann nicht auf jedes, was man sagt, auch stehen. Manches ist häßlich und unangenehm, und man will einfach nicht auch noch drauf, man will höchstens draußen stehen und es sich auf eine große Leinwand projiziert anschauen, das macht es irgendwie weniger wirklich. Und auch die Reaktion auf jemand, der sein Selbst in sein Schreiben hineinbohrt, weil er weiß, es geht um sein Leben, würde nur noch matte Reaktionen hervorrufen, wie Habermas für die Publizistik und Pointen Heines rückwirkend bedauert. Da hat einer einen Stil gehabt, er hat ihn an sich angeschraubt und dann hat er versucht,  über die Verhältnisse drüberzuwischen, sozusagen mit sich selbst als Besen, aber nicht um Ordnung zu machen, sondern die Unordnung zu erhalten. Er wollte die Ordnung nicht,  eine absolute Ordnung, wie die extreme Rechte sie will, die vielleicht bald wieder und wieder einmal von Österreich in die Welt hinausgehen wird, als ob die von den Opfern geputzten, nicht aufgeputzten Straßen Europas nicht eh schon von Stiefeltritten für immer zerstört wären, da kann man soviel heißen Asphalt und heiße Luft und scharfe Umweltpunkte hineinschütten wie man will, da kann man mit Eimern und Besen schrubben, diese Straßen bleiben für immer kaputt. Kein Wort ist den Marschierern lieber als die Wörter Ordnung und Sauberkeit, Ordnung, die sie dauernd machen wollen, indem sie andre fertigmachen, denn darauf läuft das Ordnungmachen immer hinaus. Aufräumen wollen sie. Nur der Boden unter ihren Füßen ist heilig. Kein andrer Boden soll es sein. Nicht nur deshalb ist es besonders wichtig,  jede scheinbare Ordnung auseinanderzureißen, damit man sieht, auf was sie sich gründet. Es kann im Schreiben keine Ordnung sein, deshalb werden die Schreibenden von den Saubermännern auch so gehaßt. Von den Sportsfreunden der Unordnung übrigens auch, weil diese den Willensausdruck von etwas Hohem und Großem, das die armen Schreiber für sich erwünschen, sonst hätten sie ja gar nichts, sonst würden sie sich gar nicht erst hinsetzen, nicht ertragen könnten. Runter also mit dem Schreibern! Selber viel besser schreiben! Lustiger! Leichter, und zwar eine andre Leichtigkeit, eine leichtere Leichtigkeit bitte! Für alle! Was alle verstehen! Rein damit ins Volk, damit es ein Volkstum wird! Ein Volkstrumm. Das Leichte ist ja überhaupt das Schwerste, also gehen wir das Leichte an, sofort! Das andre können wir schon, ich meine, das kennen wir schon.

Heinrich Heine hat in das politische Schreiben einen Stil gebracht, aber seither hat diesen Stil niemand mehr gesehen. Das ist kein Wunder, denn dieser Stil besteht, glaube ich, darin, daß sich das Geschriebene sofort wieder aufzehrt, kaum daß es einmal kurz stehengeblieben ist. Das Geschriebene nimmt sich selbst zurück, indem es etwas sagt, und zwar, weil er in jedem Satz schon weiß, daß der Satz vergeblich gewesen sein wird. Und das Gesagte ist das Gewußte, und beides nützt nichts. Zorn und Wut werden vergeblich gewesen sein wie überhaupt alles, was man mit dem Schreiben erreichen wollte. Der Denker strebt etwas an, aber er weiß, er sollte es nicht, und er weiß, daß er, selbst wenn er sollte, doch nie erreichen wird, was er angestrebt hat. Oft weiß er auch, er sollte es gar nicht anstreben, aber er muß. Er sieht riesige Schemen am Horizont, sie sprechen von Freiheit und meinen sie auch, vor ihm die dahinziehenden Horizonte der Macht, er kommt gar nicht nach mit dem Schauen, gegen welchen Horizont der Macht er jetzt wieder schriftlich vorgehen soll, es sind so viele, es ist ein Kampf gegen eine vielköpfige Hydra, hoffnungslos, die Macht saust herum und schaut im Dahinrasen, wen sie köpfen kann, um einen Kopf kürzer machen, aber das wäre doch nicht nötig gewesen, denn auch was dieser Kopf denkt in diesem ewigen Vormärz, der grade wieder angefangen hat, um nur ja nicht dem grausamsten Monat überhaupt, April, Platz machen zu müssen, auch was dieser Kopf denkt, wird unwichtig gewesen sein für die Macht. Die Feder soll ja noch mächtiger sein als die Macht, aber alle, die das Schwert um einen Kopf kürzer gemacht hat, glauben das nicht. Mein verstorbener Freund H.C. Artmann hat das auch immer gesagt, die Faust kommt vor der Feder, aber sie kommt über die Feder, und der Fritz Grünbaum, der große Spaßmacher, ganz gewiß einer in der Nachfolge Heines, der hat das auch gewußt, spätestens, als sie ihm in Dachau die Zunge in den Kies gedrückt haben, bis sie zu groß geworden war für seinen Spöttermund, und zuerst war die Zunge hin, mit der er so gesündigt hatte, und dann war er selber gar nicht und nichts mehr. Der Körper ist viel zu zerbrechlich finde ich, als daß man überhaupt zu den Gedanken weitergehen dürfte. Man müßte schon vor dem Körper so erschrecken, daß man still ist. Vielleicht hält der Körper sie ja gar nicht aus. Aber manche Gedanken denken eben, während der große Scheibenwischer schon die Sonne vom Horizont putzt und etwas Flüssigkeit hinterher spritzt, die er Scheibenreiniger nennt, die aber Scheibenkleister ist, und sie denken und denken, obwohl im Kleister der Wischer schon festklebt, der für klare Fernsicht sorgen sollte, und sie denken zum Beispiel: Gerechtigkeit für diese wie jene Person, für alle Personen, die es gibt, obwohl nie genug Gerechtigkeit für alle vorhanden ist. Aber wir verteilen sie, und wir verteilen unsre Vorstellung von dieser Gerechtigkeit einmal. Wir müssen das tun. Wir können von dem, was getan werden muß, nicht schweigen, schließlich sind wir Dichter, oder? Und wir sprechen oft in leichtem, spöttelnden Ton, weil wir ja, wie gesagt, wissen, daß es sinnlos ist, zu sagen und was gesagt wird. Aber was schleicht sich da ein, in unsre Vorstellung von Gerechtigkeit und Moral, die ja überhaupt das letzte ist und daher das erste, was wir hergeben müssen, weil wir sonst moralinsauer oder ungenießbar bitter wären, anstatt die gute frische Milch der unfrommen Denkart zu liefern,  und wer will das schon sein, wer will lächerlich werden, der mächtig sein will und den Willen zur Macht auch hat und den Schlüssel, den er grad aus der Hosentasche zieht, um ein sehr großes Auto aufzusperren? Wer will etwas sagen, der weiß, daß er nicht recht bekommen wird und unter den Verlierern sein muß, aber wer ist es, der das trotzdem sagen will? Denn wer mächtig sein will, der will auch immer übermächtig sein und sich über andere stellen. Die nicht mächtig sein, sondern die Macht herunterreißen wollen, aber nicht als Pullover für sich selbst, sondern weil er es tun muß, obwohl er weiß, dieser Pullover paßt ihm nie im Leben und im nächsten Leben auch nicht, und diejenigen, denen er passen würde, die wollen ihn gar nicht, und vielleicht haben sie sogar recht damit, aber es muß gesagt werden, es muß gesagt werden. Es muß die Gerechtigkeit angestrebt werden, obwohl sie wahrscheinlich das Grausamste ist, was es gibt, doch sie muß her, da gibts nichts, denn die Mächtigen, die geben nichts, nicht einmal Almosen, nur die Armen geben was her, obwohl sie nichts haben. Die Mächtigen geben den Tod, so wie einer meiner Namensvetter, Herschel Jelinek, erfahren mußte, der im Vormärz von Metternichts Schergen für ein paar Zeitungsartikel hingerichtet wurde, und noch mit seinem Henker diskutieren wollte, weil er nicht verstanden hat, daß man für etwas Geschriebenes umgebracht werden kann. Allerdings kann man, wenn man ein Jud ist und dazu noch schreibt, sowieso schon dafür allein umgebracht werden. Wer weiß, wer das liest und auch noch glauben wird! Dem machen wir ein Ende. Außerdem: der glaubt doch selbst nicht an das, was er schreibt! Das kann er doch nicht glauben. Und wissen Sie was: Es stimmt. Er glaubt selbst nicht daran, aber es muß geschrieben sein. Schreiben kann man alles,  Gerechtigkeit baut auf, aber sie vernichtet auch. Weil es zuviele Gerechtigkeiten gibt, denn jede wird vom Sein dessen bestimmt, der sie will, aber natürlich für sich selbst. Und sie vernichtet zuerst den, der sie anstrebt, das heißt, sie vernichtet alles und jeden. Was sagt Heine in der „Lutetia", obwohl er es glaubt und obwohl er glaubt, daß es sein muß, notfalls gegen ihn selbst, der das sagt? Er sagt eine berühmte Stelle, die gern zitiert wird, weil sie ganz besonders gut in all den Kram paßt, dessen Besitz sie ängstlich hüten, und er wird vielleicht damals schon gewußt haben, daß diese Stelle einmal berühmt sein und oft zitiert werden wird, "und diesmal hat er nicht gespottet: der Kommunismus, obgleich er jetzt wenig besprochen wird und in verborgenen Dachstuben auf seinem elenden Strohlager hinlungert, so ist er doch der düstre Held, dem eine große wenn auch nur vorübergehende Rolle beschieden in der modernen Tragödie, und der nur des Stichworts harrt, um auf die Bühne zu treten." Und so weiter, zu Heines Zeiten hat dieser spätere Hauptdarsteller noch geprobt, er ist noch nicht so berühmt gewesen, und natürlich ist er auch noch nicht tot gewesen, und viele Tote werden erst nach ihrem Tod berühmt, dieser aber nicht, und das ist gut so, und das hat auch Heine gewußt, der den Kommunismus angestrebt hat, aber gleichzeitig auch wieder nicht. Er hat ihn wider besseres Wissen angestrebt. Er hat gewußt, daß da Hoffnung sein wird für viele, Gerechtigkeit für viele, aber da es nicht für alle sein wird, wird es überhaupt nicht sein. Und indem man darum kämpft, ist es schon Geschichte und der Kampf vergeblich gewesen. Und nicht nur vergeblich, er wird schrecklich sein, und er wird keinem etwas bringen, dieser Kampf, und trotzdem wird er immer geführt werden müssen, auch wenn Heine mit Schrecken und Entsetzen daran denkt, daß das, was er anstrebt, indem er es nicht anstrebt, daß also das Geschriebene sich selbst wie ein Flammenmeer aufzehren wird, allerdings keins, über das irgendeiner noch würde hupfen wollen. Während er das also schreibt, sieht er schon die schwieligen Hände, die alle Marmorstatuen der Schönheit zerstören, allen fantastischen Kunstflitter zertrümmern und in den Lorbeerwäldern, die sie abholzen, werden sie Kartoffeln anpflanzen. Und das Geschriebene des Dichters wird zu Tüten gedreht werden, in die Kaffee und Schnupftabak geschüttet werden. Unsägliche Traurigkeit. Zerstörung. Das siegreiche Proletariat wird des Dichters Verse bedrohen. Die Welt wird sowieso zugrunde gehen, das ist ja klar, aber vorher wird noch die Kunst zugrunde gehen. Das ist es, was man von ihnen bekommen kann, wenn man, bevor man Gerechtigkeit schaffen möchte, wenigstens einmal, für kurze Zeit, das Recht einführen will. Und dann merkt man, daß das, was man für das Recht gehalten hat, nach dem Maß gemessen worden ist, dem man nie entsprechen wird, denn die Mächtigen, egal welche,  haben ihr eigenes Maß. Das macht sie ungerecht, aber mächtig, wenn sie ihre Schöpfer heben, als hätte der Schöpfer persönlich sie ihnen gegeben, und jedem sein Maß Bier zuteilen.

Darauf läuft es hinaus, wenn wir nicht schnell genug weglaufen. Und die Kunst, vor allem die Kunst des Spottens und der Ironie, wird wie ein Filter vorgeschaltet, mehr ist sie nicht. Und die Ironie, das sogenannte Zersetzende des Sarkasmus, sind auch wieder ein Filter. Mit der Tätigkeit hört der Trieb auf, weil man keine Zeit für ihn hat. Mit dem Fahren darf der Antrieb nicht aufhören, sonst bleibt man stehen. Das Große verkleinert sich immer mehr, bis es in einem letzten Witz verschwindet. Ein Filter vor dem, was auch nicht wahr ist, und noch ein Filter und noch einer, und hinter all den Filtern keine Welt. Aber ja, da ist sie ja. Dazwischen war sie nicht zu sehen, zuviel Rot, aber jetzt ist sie wieder da. Sie ist ja überall. Auch wenn man körperlich im Exil und das Sprechen durch die Zensur festgehalten wird, dazwischen gibt es diese vielen Farben und Formen, man betrachtet alles und erschöpft die Möglichkeiten, bis man selber erschöpft ist. Zwischen dem Denkenden und der Wahrheit sind schon genug Filter geschaltet, daß man sowieso nichts mehr sieht, aber trotzdem dauernd hinschauen muß, auch wenn man gar nicht will. Ein Filter ist kein Nebel, auch wenn er im ersten Moment so aussehen mag. Ein Filter ist ein Vorsatz für die Wirklichkeit. Ein Filter kann Klarheit schaffen durch Färbung. Jeder Filter eine offene Frage, die geschlossen wird, man kann beliebig viele Fragen hintereinander schalten, aber das Letzte, das dahintersteckt, bleibt verborgen, auch wenn es dazwischen immer mehr Klarheit durch gute Vorsätze gibt.  So. Und wo sind jetzt meine Vorsätze hin? Was ich gesagt habe, kann man doch niemandem vorsetzen. Also will ich der Wirklichkeit lieber nachsetzen, vielleicht erwische ich noch ein Stück, wenn ich mich beeile.

Heinrich Heine
(aus: Ich Narr des Glücks. Heinrich Heine 1797-1856, Bilder einer Ausstellung,
Herausgeber Joseph A. Kruse, J.B. Metzler Verlag)

Rede gehalten zur Verleihung des Heinrich-Heine-Preises am 13.12.2002 in Düsseldorf

16.12.2002 / 17.2.2006 - zu Heinrich Heines hundertfünfzigstem Todestag


Österreich. Ein deutsches Märchen © 2002 Elfriede Jelinek

 

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