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Hanna Schygulla erinnert mich in ihren frühen Fassbinder-Filmen
immer an ein Seidentuch, das jemand in die Luft geworfen hat, und
während es in der Schwebe hängt, werden Bilder darauf
projiziert, es muß ja nicht immer Leinwand sein. Das Tuch
reagiert darauf nicht mit der Gelassenheit, mit der Kinder, die
an Schläge gewöhnt sind, diese hinnehmen, es zeigt nichts
Verknülltes, Gefaltetes, nicht einmal das Gespenstische, das
Tücher in der Luft manchmal haben, es sind eben nur Bilder
drauf, und es kann jedes, wirklich jedes Bild sein. Hanna ist eine
fliegende Fläche in diesen Schwarzweiß-Filmen, noch bevor
sie zu der schönen Ikone der späteren Farbfilme wurde,
da war dann aus dem Stofftuch wunderbare Kleidung geworden, aber
eben Kleidung, wenn auch die einer anderen Zeit, etwas, das immer
zu einer gewissen Verfremdung und Stilisierung führt (Maria
Braun, Lily Marlen etc. Ich würde aber auch Effi Briest, noch
in Schwarz-Weiß, dazu zählen), etwas Festes ist sie da
geworden, zumindest etwas Festeres als ein Tuch, nicht mehr geworfen,
sondern beinahe schon 'ordentlich' hingestellt, zum Fenster hinausschauend,
rauchend, in der festen Korsage der Diva, die den Körper formen
soll und ihn doch nur umso deutlicher vor-stellt, als etwas, das
vor der Wegwerfung bewahrt bleibt, etwas, das auf sich selbst pocht.
Und auf das man pochen kann, es ist ja fest.
Mich
interessieren die frühen Filme der Schauspielerin mehr, zum
Beispiel "Liebe ist kälter als der Tod", einer meiner Lieblingsfilme,
wo sie die junge Nutte spielt und in dieser Gleichgültigkeit
eines beliebig geworfenen Tuchs förmlich versinkt und alles
wird, alles sein kann, alles, was der Regisseur will. Diese Nachgiebigkeit,
in der Projektion auf etwas selbst schon Geworfenes, Weggeworfenes,
in die Luft Geschleudertes macht das Gesicht Hanna Schygullas dann
auch selbst wieder zu einer Projektionsfläche, auf die später
dann die berühmtesten Fotografen ihre Bildervorstellungen von
einer Frau werfen konnten, denn dieses Gesicht konnte, kann alles
sein, weil es sich nicht so und so verhält oder dies oder das
macht, nicht eine Miene verzieht, nicht zur Betriebsamkeit erstarrt,
was das Gesicht normalerweise tun muß, um auf ein Foto zu
kommen und anzudeuten: jeden Moment kann etwas Entscheidendes passieren,
im Moment noch nicht, aber gleich!; sondern weil es über die
Möglichkeit des Alterns, der Verwirrtheit, der Zerstörung
hinausreicht, aber nicht, indem es damit rechnet und die Veränderung,
die droht, oder auf die man hoffen kann, bereits in der Gegenwart
des kurzen Klickens eines Kameraverschlusses vorwegnimmt. Dieses
Gesicht macht nichts, es ist einfach da. Ich glaube, deshalb hat
Fassbinder diese Schauspielerin so geliebt: Er konnte alles mit
ihr machen, er konnte alles auf sie werfen, und selbst die Macht,
die sie über Männer hat, ist eine träge, gleichgültige
(Gleichgültigkeit ist die größte Macht überhaupt),
denn da Fassbinder schon alles getan hat, mußte seine Schauspielerin
nichts mehr machen. Daher drohten keine Verwüstungen, sie hat
die Verantwortung über sich abgegeben, die Hanna S. Keine
einzige Standaufnahme aus dem Film bereitet auf irgendeinen Übergang
vor, sie ist deshalb da, die Frau auf der Leinwand, weil sie auch
überall sonst sein könnte, aber halt zufällig von
ihrem Regisseur jetzt dorthin geworfen worden ist, auf etwas, das
selbst geworfen wurde, eben: ein Tuch. Vergleicht man sie mit der
Nana S. Godards (gespielt von Anna Karina, sie spielt da ebenfalls
eine junge Nutte), dann kann man diesen interessanten Vorgang verfolgen,
nein, nicht verfolgen, das wäre schon zuviel Aktivität,
man muß ihm auch nicht folgen, denn es wird nichts von einem
verlangt, in keinem dieser Filme, man kann: schauen. Am Ende wird
Nana ein Gegenstand, ein Stück Pfand, das die Zuhälter
einander zuwerfen, bevor dieser Menschengegenstand etwas nachlässig,
scheinbar auch keinem Willen folgend, nicht einmal einem fremden,
wie nebenbei erschossen wird. Erinnern Sie sich an die Szene, in
der Anna Karina als Nana S. zur Musik der Jukebox tanzt? Vor einem
einzigen Mann? Sie trägt eine Bluse mit einer starren Rüschenkaskade
vorne, einem obszön weit aufgespreizten Rüschenwasserfall,
der sich plustert und beim Tanzen (in diesem Film übernimmt
die Musik, das Tanzen den voranschleppenden Willen, einen Sturm,
in dem Nana sich noch behauptet und sogar scheinbar ihr eigenes
Subjekt wird, ein Ich, das sie jedoch längst nicht mehr ist,
sie ist das Ergebnis des Willens ihres Zuhälters, ohne es wirklich
zu wissen und ohne es wissen zu wollen) wippt wie das Gefieder einer
Henne. Na, auch Hanna S. trägt eine Rüschenbluse in "Liebe
ist kälter als der Tod", aber hier sind die Rüschen kein
zu einer Art Kamm aufgerichtetes Brustgefieder, hier tut die Schauspielerin
nichts, absolut nichts, sie tanzt nicht, sie fickt nicht (sie legt
sich nur einmal, ruhig und nackt, zum völlig angezogenen Ulli
Lommel, ein andermal rollt sie die Strümpfe, immer unter den
kürzesten Miniröcken, hervor, rollt sie von den Strapsen
ab, man hat das berühmte Fleisch-V zwischen Strumpfrand, Strapsen
und eben, ja, dem Fleisch gesehen, diese vollkommene Parabel, von
der auch der US-Romancier Thomas Pynchon besessen war, sie rollt
gleichgültig, in einem Haushalts-Vorgang, man rollt die Strümpfe,
damit sie keine Laufmaschen kriegen, die Strümpfe werden in
einer gleichmütigen Bewegung ihrerseits bewegt, man geht mit
Strümpfen vorsichtig um, damals waren sie noch recht teuer,
und deshalb schont man sie, wenn man schon sich nicht schont, aber
doch, Hanna S. schont sich, aber nicht als Vorsatz, nicht, weil
sie es sich vornimmt, sondern weil sie ja doch nur Bild auf Stoff
ist, ein Fetzen Seide, ohne Verantwortung für sich), sie ist
halt zufällig da. Sie könnte auch wo anders sein. Sie
ist manchmal erschöpft und schleicht, schleppt sich, wie ausgeronnen,
zu dieser heulenden, mit Zwitschern und Nachhall elektronisch ohne
jede Mühsal beladenen Sphärenmusik (das ironisierte Terzett
der drei hohen Frauenstimmen aus dem "Rosenkavalier"-Finale) mit
Ulli Lommel durch diesen fast leeren Supermarkt, ab und zu stecken
sie was ein, der pelzgefiederte Mantel liegt im Wagen, am Ende haben
sie nichts als eine Großpackung Klopapier an der Kasse zu
bezahlen, es hätte auch etwas anderes sein können, vielleicht
lenkt ein so großer leichter Gegenstand wie so eine Packung
Papier von den Gesichtern ab, die normalerweise ohnehin nur Mogelpackungen
sind, man weiß nie, was man unter der Schminke kriegt, aber
dieses Gesicht der Hanna S. gibt sich, auch in seiner Schönheit,
die ja beinahe nur aus der extrem stilisierenden Schminke der Zeit
besteht, unter der die Züge wie ausradiert sind, also sehr
stark umrandete Augen, helle Liddeckel, dunkle Lidfalte, heller
Lippenstift – sie alle malen das Gesicht überhaupt erst
in die Luft – es gibt sich nicht her, dieses Gesicht, das
kann es ja auch gar nicht, weil es sich gar nicht hat. Es ist eine
Spiegelung. Dieses Gesicht gibt es nicht, auch die dicken Locken
sind ja dazu da, daß es überall um den Kopf herum verschwimmt,
ausfranst, manchmal, wenn die Schauspielerin von hinten aufgenommen
wird, werden die gelockten, nicht ausgekämmten Strähnen
fast zu Teufelshörnern und dazwischen ist nichts, dann eine
kleine Drehung, Viertelprofil von hinten, man sieht die im Kaufhaus
geklaute Sonnenbrille, die scheinbar Kontur verleiht, aber nein,
man sieht eigentlich nichts, das etwas sein oder tun könnte.
Aber das Seltsamste und Paradoxeste daran ist, daß dieses
Gesicht, das zumindest in diesen jungen Jahren eben jedes Wort aus
einer anderen Position sagt, trotzdem lebendig ist, weil es ja dauernd
im Ankommen oder Weggehen ist, denn das Tuch unterliegt der Schwerkraft,
es schwebt nur manchmal ein wenig hoch, scheint dieser Naturkraft
zu spotten, wenn der Wind es wieder ein Stück nach oben trägt,
letztlich ist es aber doch in einer sehr starken Körperlichkeit
aufgehoben, auf der es ruht und sogar besonders fest verortet wird.
In der Natur. Auf einem beinahe bäuerlichen Körper (und
das Gesicht hat ja auch mit seinen breiten Backenknochen und dem
spitzen, recht großen Kinn durchaus auch wieder etwas sehr
Materielles, das der Flüchtigkeit seines Erscheinens wieder
entgegenwirkt, zumindest versucht es das, aber es bleibt hingeworfen,
so wie Fassbinder es wollte, und vielleicht gar nicht absichtlich
wollte, nein, wahrscheinlich doch, vielleicht in diesem Film sogar
ganz besonders, der ja fast nur aus Zitaten der Nouvelle Vague besteht),
da ist schon wirklich ein Hintern in den hautengen Jeans, da sind
Hüften, auch Oberschenkel, da ist nichts von der körperlosen
Knochigkeit des Models Anna Karina. Das ist Fleisch in seiner Gelassenheit,
das eben alles hinnimmt, weil das so von ihm gewollt wird. Oder
weil es so auf den Knochen gewachsen ist? Auch Hanna S. spielt eine
junge Nutte, die (mir fällt dazu noch "Außer Atem"
ein, auch von Godard, wo Jean Seberg ebenfalls die Polizei anruft,
um ihren Liebhaber zu denunzieren, ebenfalls weil man es ihr so
eingeschärft hat, weil man sie bedroht hat - sie wird sonst
aus Frankreich abgeschoben - und Jean Seberg ist natürlich
keine Nutte, sie ist ein anständiges, elegantes, amerikanisches
Mädchen, und dieser Anruf bei der Polizei hat für mich
immer schon den Sieg der USA über den Rest der Welt verkörpert
-und was für ein Körper! - , zumindest den über Europa,
alles andre hatten sie ja schon vorher, und Europa torkelt noch
ein paar Schritte spinnenhaft in sich verdreht und verkrümmt
auf seinen Mörder zu, auf den langen, schon einknickenden Beinen
des schlaksigen Belmondo, aber dann ist es wirklich und endgültig
aus) die Gang und ihre Bankraub-Pläne an die Polizei verrät,
aber bei Fassbinder steht da ein Körper aus Fleisch in der
Telefonzelle, einer unsichtbaren Macht bereits unterlegen, so wie
ihr Gesicht dieser Macht unterlegen ist und sich in diesem Wissen
eben schon vorher davongemacht, "aus dem Staub" gemacht hat, aus
dem es je schon gemacht war, also Körperlichkeit und gleichzeitig
Körperlosigkeit, wie soll ich diese losen, diese körper-losen
körperlichen Enden je miteinander verknoten?, wie soll ich
sie zusammenbringen, sie müssen allerdings auch nicht zusammengebracht
werden, wenn ich es nicht zusammenbringe, dann vielleicht ein andrer.
Diese Schauspielerin ist daher geworfen, zu uns her meine ich, aber
sie macht nichts, und sie ist nicht, auch wenn sie etwas macht oder
ist, da ist dieses unendliche Phlegma, ja, ich glaube, das ist es,
sie sagt etwas, aber sie könnte es genausogut auch lassen,
sie ist immer so, daß sie etwas tun oder lassen kann, beides
ist gleichviel und gleich viel wert, sie macht eigentlich gar nichts,
aber sie löst Betriebsamkeit bei anderen aus, nicht bei der
Gangster-Bande, die genauso träge dahingezerrt wird, fortschleicht,
aus der völligen Ruhe aber ganz plötzlich in Bewegung
gerät und einen Freier schlägt und tritt, in den Steinbruch
fährt und dort erschießt (Ulli Lommel schießt,
Fassbinder schlägt und tritt), sogar die Polizisten lümmeln
vor der Bank herum, lehnen sich gegen die Mauer, als könnten
sie nicht allein stehen, und da ist dieses Gesicht, das seinen Stand-Ort
in einem festen Körper hat, und es muß sich nicht gehaben,
auch nicht wohl, das sowieso nicht, es ist alltäglich und gleichzeitig
alles andre auch, es ist beweglich und unbeweglich, je nachdem,
aber es ist, gerade im Flug dieses Tuchs, des Ichweißnichtwas,
auf das es gemalt oder geworfen oder was auch immer ist, weit jenseits
von dieser Verwirrtheit und Verstörung, dieser Störung,
die die Gang auslöst (und in der sie selbst ausgelöscht
wird, was man aber - im Gegensatz zu "Außer Atem" - nicht
sieht, aber im voraus weiß) es ist also nur eine entfernte
Folge von etwas, dieses Gesicht, die Folge von Kausalgesetzen, nicht
die Folge von Taten, vielleicht die Folge der Existenz schlechthin,
nein: guthin? Keine Folge von nichts? Dort Einrichten, wo immer
das ist, kann man sich nicht, es gibt ja so gut wie keine Einrichtung,
und es wird auch keine geben, und was verworfen wurde, ist nicht
dieses Tuch, es ist eine Wahrheit, von der man weiß, daß
es sie nicht gibt, weil es sie nicht geben kann, weil es überhaupt
keine geben kann. Dieses Nichts, das sich nie als ein Etwas verkleidet,
ist das Gesicht von Hanna S. Ja, das ist es fraglos, weil es eben
nichts fragt, auch sich selbst fragt es nichts, aber aus dieser
Fraglosigkeit wird nie Fragwürdigkeit, überhaupt keine
Würdigkeit. Es ist was es ist. Es wiegt was es hat. Wir können
es an uns nehmen und damit in den Bedeutungszug springen, um es
dort in Ruhe zu lesen, während die Felder und Wiesen an uns
vorbeigezogen werden. Aber es gehen ja soviele Züge, wie ein
Schlager dieser Zeit angibt, doch Hanna Schygullas Gesicht gibt
nichts an und gibt nicht an. Auch keinen Preis, den ohnehin nicht,
aber es gibt auch nichts preis.
Beitrag
für "Du ... Augen wie Sterne", das Hanna Schygulla
Album, 2004 Schirmer/Mosel
5.1.2005
/ 29.5.2005
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