Von Ewigkeit zu Ewigkeit
Das Entscheidende am Erlöser ist, daß er kommt, daß er im
Kommen ist. Nie geht er. Der Erlöser ist unsterblich, weil er im Kommen gewesen
ist und nicht gehen konnte, obwohl er schließlich gegangen ist. Aber ein
ordentliches Gehen ist das nie! Wird das nie! Der Erlkönig rast so spät, bei
Nacht und Wind, über die Straßen, und die Nebel steigen. Vielleicht streckt er
eine Hand, die nicht Halt sucht, nach seinem Handy aus, das wie für seine Hand gemacht
ist. Der Geliebte, der vom Erlöser erlöst werden möchte, sein Lieblingsjünger,
der Johannes, ist dran, ja, am Apparat, wer denn sonst?, das ist ein
Individualtelefon, der Erlöser, ein Meister des Dazwischen und Inzwischen, aber
nie des Daseins, nie des Angekommenseins (und er wird auch nie ankommen!),
streckt sein Wesen in die Höhe wie ein verspieltes Tier seine Pfoten, ein Tier,
das seinen Körper genießt, aber nicht mehr wirklich braucht (und es braucht
doch in Wirklichkeit den Körper mehr als das Wort, der Körper ist ihm
wichtiger): Da ist ein Jünger, er spricht, um den Erlöser noch zu erreichen,
der ihn verlassen hat. Noch heute möchte er mit ihm im Paradies sein, aber das
geht nicht. Er will ihn wieder zurückbekommen, denn nur von ihm, dem Erlöser,
kommt das Heil, das immer sein Heil ist, und jeder hat in ihm seinen eigenen
Erlöser gefunden, der ein Mensch war, ein Mensch, der er gern oft gewesen ist.
Aber ein Mensch ist er nun nicht mehr, der Erlöser. Wollte er auch nie sein:
Mensch. Indem er menschlich war, zu allen, indem er ein Mensch war, war er kein
Mensch. Sein Lieblingsjünger hat vielleicht mit seinem Klingeln, mit seinem
Rauschen den Dahinrasenden gestört, aufgeschreckt im Rasen, den Altersjüngling,
der sein Blut noch dazu eigens gedopt hat, für die Schnelligkeit des Phaeton
zurechtgemacht, wie es Sportler eben tun müssen, um mithalten zu können, um
siegen zu können. Jetzt hat er den Erlöser aber gestört, der Lieblingsknabe,
hat das Erlösungswerk, dessen wichtiger Teil er doch war, dieser Jünger, hat
das Werk gestört und den Erlöser gleich mit zerstört. Der ist jetzt kaputt.
Damit er noch besser erlösen kann? Jetzt kann ihm ja keiner mehr was anhaben.
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Wer faßt sich nicht kurz, wenn er zu
den Menschen spricht, wer faßt sich nicht kurz ans Gemächt, um die Menschen zu
übermächtigen? Die Bauernbuben strömen zusammen, von den Höfen strömen sie
herbei, in die Discos strömen sie, wo auch sie erlöst, aber keinesfalls
enderlöst werden, sie werden ja noch gebraucht, sie bringen nicht viel Erlös,
aber erlöst wollen sie werden, der eine will diese Erlösung, der andre eine
andre, einen guten Job, eine Überbrückungshilfe, bei der man die Brücke aber
verschmäht und in den Fluß springt, man kann schließlich schwimmen!, ein paar
Brocken Kindergeld, doch die Kinder werden davon nicht mehr. So. Eine
schützende Hecke vor dem Einfamilienhaus, das man sich wünscht, wie es sich
jeder wünscht, ein Betonsockel, getarnt mit Thujen, oder Thujen, getarnt mit
Beton?, und da kracht der Erlöser dann dagegen und wird mitsamt dem wunderbar
schönen, schweren, starken Auto zerfetzt. Manchmal müssen auch Starke dran glauben. Und hättet ihr den
Glauben nicht, so wäret ihr tönendes Erz und klingende Maulschelle. Niemand
hätte einem solch starken Gefährt ein Leid zufügen können. Der Betonsockel, die
Hecke, die konnten es aber. Die Bauernbuben sind zurückgelassen worden. Sie
werden nicht hervorgeholt werden können, denn hervortreten muß der Erlöser ja
immer allein. Frau und Töchter weinen, aber er tritt nicht mehr hervor, indem
er immer deutlicher hervortritt, sich immer deutlicher abzeichnet. Er kann es
nicht. Selber hervortreten. Er tritt als ein andrer hervor, denn er kann sich
nicht entbehren, und niemand kann ihn entbehren. Er kann nicht weg sein. Er hat
genug erlöst, doch jetzt muß er weiter erlösen, man läßt ihn nichts andres tun,
das versteht sich, erlösen kann er am besten. Menschen mit Herz, die nicht ohne
zu schluchzen über ihn sprechen können, sind um ihre Erlösung geprellt worden,
die wollen doch noch drankommen! Andre sind in einem Lokal stehengelassen
worden, ganz allein, sie sind jetzt ganz alleine, der Erlöser wollte in ein
andres Lokal, wollte sie nicht mitnehmen, nicht einmal den Lieblingsjünger
mitnehmen wollte er. Es gibt Orte, an die sogar ein Kaiser zu Fuß geht, aber
dann fährt er wieder, der Landeskaiser, was er nicht hätte sollen. Die
Grundstimmung des Erlösers ist heiter gewesen. Heiter, wenn er Hilflose,
Ortlose auf eine Alpe schickt, mitten in die gute Luft hinein, was kann man
sich mehr wünschen?, man kann sich nichts mehr wünschen, so deportiert in eine
Sonderanstalt, wie man jetzt ist, ja, der Erlöser ist ein besondrer Mensch,
eigentlich gar kein Mensch, ein Jesus, ein Erlkönig mit rasenden Pferden unter
den Füßen, eines allein genügt ihm ja nicht, die aufs Gas treten und gern noch
mehr Gas geben würden, wenn es da wäre, aber das ist verboten. Er tut es
trotzdem. Das Angasen ist sein Hobby, das Gasgeben war schon das Hobby seiner
Vorfahren, alle tun es, er kann es besser, hier wird auf Tradition gehalten,
weil einen sonst nichts hält. Das Land ist schön, aber was kann einen hier
halten? Die Menschen im schönen Land würden nur zu gern mit ihrem Erlöser auf-
und davongehen, aber das Entscheidende ist ja, daß er sie erlöst, wo sie sich
bereits befinden, und von allen andren nichts wissen wollen und nichts wissen
müssen, es sei denn, sie machten Urlaub, einmal im Jahr, bei andren, die aber
Freunde sind. Sonst würde man sie nicht besuchen. Dazu das Schifahren, das
Radfahren, das Mountainbiken, das Wandern, das Klettern, das Kommen, nein
kommen tun die Fremden, man selber geht, man geht in die Berg, wo i gern bin,
andre nicht, die wollen nicht auf die Saualpe, aber sie müssen. Der treue
Wanderkamerad spricht von der Freude der Gipfel, das ist kein leeres Kommen,
das sind keine leeren Kilometer, die man abspult, wenns in die Berge geht, wo
die Höhepunkte stattfinden; da werden Orte zugeteilt, an die Fremde sich
flüchten, dort können sie allein unter sich und nicht mehr fremd sein, doch der
Erlöser ist nur für uns zuständig, für uns allein, und seine Worte fangen immer
an, denn die Worte eines Gottes fangen immer an und finden dann wieder kein
Ende, auch wenn das Ende längst dagewesen und wieder gegangen ist und der
Erlöser mit ihm. Es zeigt sich keine Spur des Erlösers mehr, doch seine Spuren
sind so unentfernbar, sie sind größer als er!, daß sie niemals fern sein
werden. Noch eine kleine Weile, und ich bleibe bei euch, und wieder eine kleine
Weile, und ich bin nicht mehr bei euch, und wieder eine kleine Weile und so
fort, und ich muß fort. Viele kleine Weilen sind oft Langeweile. Die wollen wir
nicht. Was wir wollen, darf uns keinesfalls versagt werden, an dem, was wir
nicht wollen, versagen wir selbst. Der Rest kommt für die Endlösung in die
„Sonderanstalt“, und von dort kommt er nur weg, auf die Deponie, das steht auf
der Kippe, daß die bei uns bleiben dürfen, aber dafür unerlöst, auf ewig.
Erlöst nur die Unsrigen, mit Anspruch, ohne Maß, die sich ihm fügen, dem
Erlöser, der sie entmachtet, denn er braucht alle Macht für sich allein.
Überall hinterlassen sie ihre Losung, die Erlösten, die Maßlosen, die sich in
vom Erlöser Entschiedenes fügen, die bringen was, die bringen es, die bringen
den Erlös, aber leider nur wenig. Diese Erlösten sind zu klein für den Erlöser.
Er will noch mehr erlösen. Der Erlöser täuscht nicht mehr darüber hinweg, daß
hier nur wenig Losung zu erzielen ist. Die Knaben von den Bauernhöfen mit ihren
roten Gesichtern, die unter der künstlichen Sonne erbräunt sind, die sind die
Losung, mit der immer und überall bezahlt werden kann, ihre Liebe ist die
Losung, die übrigbleibt, die Hinterlassenschaft. Sie sind jetzt verwaist,
obwohl sie genauso erlösen wollen. Jetzt wissen sie ja, wie das geht. Sie
werden es nie können. Es gibt nur einen Erlöser, aber viel Losung von
irgendeinem Kleinvieh. Das glänzende Sonnenfahrzeug hat Anker geworfen, im
Schlamm, im braunen. Der Schlamm, der Dreck ist es, wo der Erlöser gewurzelt,
Anker geworfen hat, worauf er gründet und gegründet wurde mit seiner heiteren
Grundstimmung, die immer gestimmt hat, denn der Erlöser ist auch Sänger, seine
Stimme gehört schon mal ihm, seine Stimme stimmt, und die andren Stimmen
stimmen sich auf ihn ein. Der Lieblingsjünger weint. Er ist beim Letzten Abendmahl
zu kurz gekommen, und dann ist er fürs Dessert nicht mitgenommen worden. O weh!
Schmach! Zum Dessert hat sich der Erlöser schon woanders gewälzt, in einer
andren Panier, für eine andre Flamme, er kann ja hin, wohin er will, er
bestimmt das selbst. Die Fremden: weg!, sie werden nicht erlöst und bestimmen
nichts selbst, sie kommen auf die Alm, wo sonst nur Tiere ihre Losung
hinterlassen. Man kann sie einfach nicht auf andre Menschen loslassen, die
Fremden. Sie sind ja selber Tiere, die müssen von den Menschen weggebracht und
gesondert eingepfercht werden. Sie haben kein Produkt, das ein Mensch brauchen
könnte. Wer reitet so spät? Wer ist bedürftig, wer hat noch nicht, wer ist
schon, wer war immer? Das größte Ereignis ist der Erlöser, seit es Ereignisse
gibt. Er ereignet sich in einem sehr kleinen Land, aber bitte, immerhin. Er
ereignet sich, und dann wandert er, klettert er, fährt er, so schnell er kann.
Sein Sein ist einzig, weil er sich nicht als einen Einzelnen sehen kann, wohl
aber als einen Einzigen. Wir hatten nur einen wie ihn. So einer kommt nicht
wieder. So einen kriegen wir nie wieder. Er kommt vielleicht wieder, aber man
wird ihn nicht erkennen können: die Tragik des Erlösers, er kommt immer wieder,
auch als ein andrer, doch er muß immer er bleiben, und man erkennt ihn bald
nicht mehr. Man erkennt ihn womöglich in einem anderen. Entsetzlich! In einem
anderen! Man hat ihn nur dieses eine Mal erkannt, und dieses Mal ist vorbei, es
hat ihm das Genick gebrochen und das Herz herausgerissen. Aber vielleicht wird
man ihn später in einem anderen wiedererkennen? Nein! Nacht und Wind und
Geschwindigkeit haben das vollführt, daß er jetzt ewig da ist, indem er fort
ist. Da ist er eingezogen ins Kleine, das ihm zu klein war. Dieses Auto war ihm
zu groß und zu schnell. Der Knabe fleht, als ob er mit auf dem Pferd säße, der
Vater mit seinem Kind, er erreicht den Hof nicht mehr, auch mit Müh und Not
nicht. Die Fremden sind untergebracht, was für eine Ungerechtigkeit, denn der
Erlöser wird sein Unterdach nicht mehr erreichen. Der Knabe zieht an ihm und
fleht, er will mit, doch dieser Erlöser rast allein davon, mit Alkohol im Blut,
wider besseren Rat, keiner hält ihn auf, er ist keiner, der sich aufhalten
läßt; das einzige, was ihn außer sich geraten lassen kann, der Knabe, der kann
es jedenfalls nicht, ihn aufhalten, und jetzt ist er schon außer sich, der
Jesus, man kann ihn nicht mehr erkennen, weil er sich ja auch gar nicht mehr
hat. Er hat seinen Körper nicht mehr, aber der Körper des Erlösers ist
vielleicht das Wichtigste an ihm, ohne Körper ist er nichts, deshalb zeigt er
ihn ja ständig, in wechselnder Verhüllung, manchmal auch ohne, was zeigt, daß
er auch ohne Verhüllung ein Erlöser ist. Keine versteckten Taschen, keine
versteckten Tatsachen. Die Almosen reißt er sich direkt aus dem Leib. Er ist
mit allen im Streit, er ist der Streit selbst, um ihn selbst zu schlichten, nur
mit manchen bleibt er unversöhnlich, das gehört dazu, damit seine Güte und
Versöhnlichkeit besonders deutlich hervorstechen können. Seine Ankunft ist
immer das Kommen selbst. Seine Gipfeltouren sind immer das Kommende, das er
noch vorhat, er wird irgendwann oben stehen, aber damit ist das Ereignis schon
wieder vorbei, sein Land wird dann ein besseres geworden sein, weil es das
immer schon war, durch ihn nämlich, der immer schon zuvor da war, wie es war in
aller Zeit, so sei es in Ewigkeit. Obwohl es das ärmste und schwächste ist, das
Land, so wird es das beste sein, weil der Erlöser es sagt. Die teuren Knaben
sind die Zukunft, aber die Gegenwart schon auch. Sie strömen von den
Bauernhöfen und aus den Kleingewerbebetrieben herbei, aus Schulen und
Arztpraxen und Apotheken und Universitäten schon auch. Die Jünger. Einer der
Lieblingsjünger. Die sind konkurrenzlos. Keine Frau, keine Alten können die Körper
der Knaben je ersetzen. Keiner kann das. Der Erlöser will immer das meiste und
das Beste, er will es für sich, aber er will es auch für sein Bundesland, das
arm ist und klein, aber wenn es dereinst erlöset wird sein, wird es groß sein
und reich. Aber das Großsein und Reichsein ist eben immer das, was kommt, nie
das, was da ist. Die Bewohner glauben, das alles wäre schon da, aber sie ahnen,
daß es doch erst kommen wird, aber für sie ist es jetzt schon da. Indem der
Erlöser es verheißt, ist es schon da. Indem der Erlöser seinen Körper den
kostbaren Knaben verheißt, haben sie ihn, sie haben den Körper des Erlösers als
Geisel. Noch eine kleine Weile, und ich bin nicht mehr bei euch, und wieder
eine kleine Weile, und ich bin wieder bei euch. Die kleine Weile wird diesmal
lange dauern. Und doch hat der Erlöser
auf die Weile gegründet, während andre auf die Langeweile gründen, andre
Menschenführer, auf die Langeweile. Nicht so der Erlöser, der gründet, der holt
und schafft fort. Der schafft auch an. Ich bin bei euch, alle Tage bis zum Ende
der Welt. Nur eine kleine Weile, und ich werde bei euch gewesen sein, indem ich
euch sage, daß ich immer noch immer da sein werde. Sonst wäre ich der Erlöser
nicht, sonst wäre ich ein guter Kumpel, was ich natürlich auch bin, denn ich
bin alles. Ich rase dahin, sagt der Erlöser, ich muß ja überall sein, bis ans
Ende der Zeiten, und jetzt klingelt mein Handy und händigt mir die Zeit aus,
die mir zugemessen, aber nicht angemessen ist. Angemessen wäre mir eine größere
Zeit als die, die ich habe, eine wie sie meine Eltern noch selbst erlebt haben.
Diese Zeit ist klein, machen wir sie groß, indem ich bei euch bin, bis ans Ende
der Zeit, die mir schon jetzt zu klein geworden ist, deswegen muß ich ja so
rasen, kein Vater mit keinem Kind, mit der Droge im Blut rasen, denn ich muß
irgendwo sein, ich muß hier sein, ich muß dort sein, das geht nur mit wirklich
sehr sehr hoher Geschwindigkeit. Bis zum Ende der Welt jung und mit hoher
Geschwindigkeit unterwegser sein als andre, so wie mit einem Karamellbonbon
alle zusammener sind, so ist der Erlöser allein, indem er nie allein ist, indem
er immer mit jemand zusammen ist, er ist unterwegs, damit er möglichst viel von
seinem Weg mitnehmen kann, nicht nur einen Betonsockel, diverse Verkehrsschilder
(die er schließlich selber aufgestellt und beschriftet hat, damit jeder sie
versteht) und dann sich selbst. Ich bin bei euch. Jünger, Berge, Zweifel, Macht
und das schöne Jüngermachen, das Beste am Erlösersein, da kann man sich doch
auch selbst jünger fühlen und jünger machen, oder? Zumindest sich verhalten wie
ein Jüngerer, dann bekommt man die Jünger. Doch mit der Macht bekommt man sie
schon auch dran. Man nimmt sie sich vor. Der Erlöser muß jung sein und ewig
jung bleiben. Wer zweifelt noch? Sie alle? Sie dürfen nicht mehr zweifeln, der
Erlöser bringt die Weite der Straße zum Untergang und sich selbst auch, doch er
lebt weiter, er paßt für sich selbst auf sein Bundesland auf, und er hat
gesagt, wahrlich, wahrlich: Paßt mir auf mein Land auf! Das ist aber nicht
nötig, denn er wird immer da sein, bis ans Ende der Zeit. Und andre werden
immer weg sein, dafür sorgt er schon, bis ans Ende einer bestimmten Zeit, und
dann werden sie wieder abgeschoben, die Fremden, die nicht zu uns gehören. Wer
zweifelt? Sie alle? Nein, Sie vielleicht, aber alle nicht! Keiner zweifelt. Die
Erde verschließt sich nicht, sie ist verschlissen, doch der Erlöser macht sie
wieder neu. Alles macht er wieder neu. Der Erlöser öffnet die Welt und fügt
sich selbst der Erde hinzu, ohne die es keine Welt geben kann. Die Heimaterde,
zu der nur die Zugehörigen gehören, das gehört sich so. Die Geschichte der Welt
ist aufgetragen der Besinnung, und eine wahre Besinnung ist nur die Besinnung
des Deutschen. Nur das Deutsche hier, das andre woanders. Das fügt der Erlöser
alles zusammen, Erde und Welt, und deren Ursprung ist der Streit, sagt der
Denker, der Ursprung dieses Erlösers war der Streit um Erde, von der die einen
weg müssen und nur die andren, allein die anderen dürfen bleiben, denn die Letzten
werden die Ersten sein, das Letzte wird Erster werden. Jünger, Berg, Zweifel,
Macht, und das Sich Jüngermachen, das aber nicht geht. Die Bauernbuben von den
Berghöfen als Jünger. Ihre ungeformten Gesichter: Jüngergesichter. Das Handy
klingelt. Herr, verlaß mich nicht! Keine Sorge, ich bleibe bei euch, wenn auch
nicht bei dir!, bei einem allein kann ich nicht bleiben, ich bleibe bei euch,
bis ans Ende der Tage. Wer zweifelt? Sie? Ich nicht! Niemand also, denn ich bin
alle. Der Jünger ist alle andren Jünger, jeder Jünger ist alle. Wer kein Jünger
ist: weg! Auf die Alpe! Dort entsteht ein Lager für Sondermüll, man kann ihn
nicht in die gute Heimaterde hineinmischen. Vermischung: überhaupt nicht gut!
Die Jünger glauben, aber andrerseits zweifeln sie, doch der Erlöser hat alles
in der Hand, er hat sie alle in der Hand (allerdings hat auch mancher ihn in
der Hand, doch das ist nicht zu ändern, im Stadtkämmerer wird jeder ausgekämmt,
der noch gerade gehen, aber nicht mehr fahren kann), der Erlöser hat sie in der
Hand, und er hat alles an der Hand: Jobs, Zuschüsse, Hilfsmaßnahmen, für jeden
etwas andres, und der Erlöser hat alles in der Hand und teilt es aus, er behält
sich dabei trotzdem in der Hand, er hat sich in der Hand, aber nicht immer. Das
Handy klingelt, das Auto ist zu schnell, und da ist ein Betonsockel und dort
ein Verkehrsschild gegen alles und jeden, das können wir nicht beachten. Wir
behalten alles im Auge, aber alles können wir auch nicht beachten. Wer
zweifelt? Die Jünger zweifeln nicht. Andre zweifeln, aber das sind keine
Jünger, für diesen Gott sind das nicht die richtigen Jünger, für diesen Erlöser
bringen die nicht genug Erlös. Weg! Es ist kein Grund zum Zweifel, denn der
Erlöser hat die alleinige Macht. Er hat sie bekommen. Er hat sie von seinen
Jüngern bekommen, und jetzt erlöst er, da kann kommen, was will, und wäre es ein
Betonsockel. Es wird erlöst. Notfalls erlöst man sich selber, wenn kein andrer
da ist. Das Handy klingelt schon wieder. Kleingläubige: weg! Alle andren: auch
weg! Nur die Jünger dürfen bleiben, auch wenn sie nicht mehr jung sind, auch
dann dürfen sie ausnahmsweise bleiben. Nur wer Jünger ist, darf bleiben. Sonst
werden aber keine Ausnahmen gemacht. Die schweren alten Herren aus den
Verbindungen, ewig Junggebliebene von den Paukböden (sogar ihre Enkel pauken
schon!), sie sind nicht mehr jung, aber sie dürfen auch jung bleiben, durch
IHN. Kleingläubige: weg! Wir machen Jünger, und wir machen Jünglinge, und die
Jünglinge machen uns wieder jung. Ich bin bei euch, bis ans Ende der Zeit, bis
ans Ende der Tage. Welcher Gott, welcher Mensch könnte sich aber dem Wesen des
Nichts widersetzen? Manche können sich dem Erlöser widersetzen, bitte, werden
sie halt nicht erlöst, aber dem Nichts kann sich dann doch keiner widersetzen.
Und das Nichts wird schöner mit jedem Tag, da es an die Auferstehung gehen mag.
Mir ist alle Macht gegeben, sagt der Erlöser auf einmal, da ahnt er vielleicht
schon das Nichts, das auf ihn wartet, das er aber auch noch bezwingen wird, im
Namen des Vaters, der tot ist. Wir werden auch tot sein, doch gleichzeitig
nicht tot. Untot. Erlöser sind Untote, sie steuern den ewigen Kampf zwischen
den Lebensinteressen der Menschen und der ewigen Seligkeit des Drüben, in das
ER vorausgegangen ist, zu schnell, aber immerhin, er ist dort, über die Straße
und dort. Mir ist alle Macht gegeben, überall, auch auf der Saualpe, dort ganz
besonders, die Macht über Machtlose ist nichts gegen die Gegnerschaft zum Berg,
der bezwungen werden will, vielleicht will er nicht, aber er wird, doch die
Ungläubigen: auf die Alpe! Ins Sonderlager, zum Sondermüll, denn wer kein
Jünger ist, der ist kein Mensch, und manche dürfen nicht Jünger werden und
können es auch nicht. Sie haben die Voraussetzungen dafür nicht, so setzen wir
sie raus. Man schafft sie fort, und durch diese Machenschaft befestigt der
Erlöser seine Herrschaft über die Kärntner Erde. Aber auch überall sonst. Es
ist so. Es war so. Der Erlöser steht auf und droht den Winden und dem
Wörthersee und der Saualpe und der Straße und dem Phaeton, dem Sonnenwagen, den
Verkehrsschildern, den Vorgärten, den Betonsockeln, den Thujenhecken, den
langsameren Autofahrern, die man überholen muß, denn der Erlöser ist immer
vorn, sonst sieht man ja nicht, von wo die Erlösung kommt, der geht immer
voran, in seinem Schlepptau die Bauernsöhne, die Göttersöhne durch ihn, den
Erlöser, das Handy klingelt, und es tritt völlige Stille ein, nachdem der
Erlöser allen noch einmal gedroht hat. Keiner darf auch nur zweifeln. Sie
müssen alle glauben. In Ewigkeit amen.

22.10.2008
Bilder:
1: Haider-Begräbnis, Der Standard, 2: Fremdenverkehrswerbung
aus Kärnten
Von Ewigkeit zu Ewigkeit © 2008 Elfriede Jelinek

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