Schamlos: die ZeitJohann Gudenus, ein Abgeordneter der äußersten Rechten im Wiener Gemeinderat, hat in einer Rede zum Thema Integration angemerkt, wahrscheinlich weil er nie etwas anderes sieht als das, was er sehen will, sich nichts anderes merken kann und auch nicht merken soll, wer und was er selber ist: „Der Faschismus von heute sagt, ich bin der Anti-Faschismus“. Egal, von wem er das abgeschrieben und in seinem Sinne abgedeutelt hat (wahrscheinlich Ignazio Silone, aber das Zitat wird in wechselnder Abwandlung von Rechts-Extremisten immer wieder verwendet, ich habe auch schon „political correctness-Faschismus“ gelesen und ähnliches), er spuckt es uns so hin, ja, die „Linksveranlagten werden aufjaulen wie getretene Straßenköter“, sehe ich in einem Posting folgerichtig dazu. Wird durch Scham ein derart unbekümmertes Sprechen zugedeckt? Der Sprecher mit seinem zufriedenen Gesicht weiß natürlich nicht, warum er sich für sowas schämen sollte. Nehme ich solche Aussprüche zu wichtig, damit ich mich für sie schämen kann, wenn es schon sonst keiner tut?, ist es überhaupt Schämen, das ich empfinde, wenn ich solche Aussprüche lese (sie scheinen sich mir jetzt in Österreich zu häufen, wo fast ein Drittel der Wähler die extreme Rechte gewählt hat) ?, es gibt ja das relativ neue Wort Fremdschämen (eher ein deutsches Wort, es wird in Österreich wegen dort vorherrschender großer Herzenslust an allen Gemeinheiten eigentlich nicht benutzt, ich habe es dort jedenfalls noch nie gehört), aber ich finde es auch ekelhaft, das Wort, weil es ein doppeltes Schämen andeutet, für sich und für einen anderen, und einmal sollte genügen. Doch von der eigenen Scham kann man auch wieder nicht sprechen, weil man sich dabei am liebsten von sich abstoßen, und sich lossagen möchte, man möchte lieber endlich loslegen mit sich, man hat sich doch so lieb, man hängt an sich und möchte gemeinsam mit sich fortfahren, man möchte einen vernünftigeren, freundlicheren Umgang mit sich als sich zu schämen! Scham verfolgt einen oft ein Leben lang, vielleicht sogar länger, vielleicht bleibt sie in der Luft stehen, nicht wie ein Lächeln?, und auch Kafkas Josef K. ahnt es, ihm ist ja, als sollte die Scham ihn überleben, über seine Zeit (und seine Lebenszeit, da ihm das Messer schon in die Kehle fährt) hinausgreifen, noch nach seinem Tod nach ihm greifen. So wie Josef K. nicht weiß, warum er, ohne etwas Böses getan zu haben, eines Morgens verhaftet wird (jemand mußte ihn verleumdet haben), so weiß er, daß die Scham über etwas, von dem er nichts weiß (er ahnt vielleicht etwas, aber er weiß nichts) über ihn hinausreichen und an seiner statt bleiben wird, wenn er schon längst weg ist. Wie ein Wort, das, einmal ausgesprochen, nicht mehr zurückgenommen werden kann. Es ist ungehörig und obszön von Dingen zu reden, derer man sich schämt (ich zum Beispiel dafür, daß ich meinen Vater ermordet habe, nachdem die anderen das nicht getan haben; macht ja nichts, geht niemand was an, es war ja nicht Ihr Vater), und so etwas wie die eigenen Verbrechen oder auch nur Ekelhaftigkeiten treten auch nicht oft, ob mit oder ohne Umschlag, an die Öffentlichkeit. Ans Licht der Öffentlichkeit, wie man so sagt, na, ich sehe nichts Lichtes an ihr. Und Fremdschämen in der Haut eines anderen, der sich eigentlich, wirklich schämen sollte, ist eben etwas Ekelhaftes, denn in der Haut von andren wühlen, das ist, wie in alten, ungewaschenen Unterhosen Herumkramen. Es ist ja hoffnungslos, aber warum sagt einer etwas wie das, was J. G. von sich gegeben hat, außer aus dem Grund, daß er das wirklich so sieht? Ist das ein Grund, sich zu schämen? Wer sagt so etwas? Einer, der keinen Abstand zu sich selbst hat und alles glaubt, was andre sagen, wenn sie nur sagen, was er glaubt? Einer, der sich nicht kennt und auch sonst nichts, außer dem Ausland, auf schönen Reisen? Einer, der selbst, als Ich, nicht in der gemeinsamen Zeit mit allen andren ist, sondern ohne Grund (den Grund finden wir schon noch, wir finden ihn notfalls nachträglich, eine Scham, die uns überleben wird, stört uns nicht weiter, denn wir werden sie genausowenig kennen wie wir unsere Vergangenheit kennen wollen, die wir ja kennenlernen hätten können, hätten wir nur gewollt, aber das haben wir nicht, wir haben gewollt, was geschehen ist, wir haben es nachträglich gewollt, ja, das geht, denn die Vergangenheit hat sich und uns längst überlebt, und wir wollen nichts davon wissen) schon losschlägt, mit Worten losprügelt für eine vergangene Zeit und deren Verteidigung, obwohl die Zeit das gar nicht braucht und nichts damit anfangen kann? Aber das wäre ja genau das, was er andren unterstellt, aus einer vergangenen Zeit den Terror der Rechtschaffenheit abzuleiten, nachdem der Terror und die Ermordung der Menschen in dieser andren Zeit alleine zurückgeblieben sind. Die Anschauung von J.G. nimmt hin, was gewesen ist, ich gehe nicht so weit zu sagen, daß er es wiederhaben will (das braucht er auch nicht, es scheint ja alles in seinem Sinn zu laufen, dieser Motor ist frisch überholt, der überholt alle!), denn schlechter wäre das Nicht-Hinnehmen, das fortwährende, das Sich Aufbäumen dagegen. Erkenntnisse sind endlich, man hat sie endlich, oder man hat sie nicht. Das, was ihnen entgegensteht, kann nur benannt werden, wenn man das, was gewesen ist, hinnimmt, es bleibt einem ja auch nichts andres übrig, denn das Vergangene läßt sich nicht mehr ändern, warum es also nicht noch einmal machen in der Zeitlichkeit des Ich, das eine Zeitlosigkeit ist, aus der das Ich, zunehmend verzweifelt, über sich hinausgreift? Die Rechte verewigt sich immer, indem sie die „alte“ Zeit akzeptiert und sich in ihrem Bett wohlig wälzt, es geht nicht anders, ja, sie sind wirklich immer obenauf. Wenn das Bett schon dasteht, legen wir uns doch hinein, auch wenn wir uns diesen oder jenen Schuh nicht anziehen wollen! Im Bett braucht man keine Schuhe. Der Abgeordnete der extremen Rechten, J.G., nimmt also das, was gewesen ist, genauso hin, wie es gewesen ist, denn auch er kann nicht anders, so wie die Zeit nicht anders konnte, da es in ihr schließlich geschehen ist. Aber sein Anschauen dessen, was andre verurteilen, öffentlich, wo andre eine Gefahr kommen sehen, die sie eben genau deshalb sehen, weil sie ja schon einmal dagewesen ist, sonst würden sie die Gefahr vielleicht nicht erkennen, ist nicht ein hinnehmendes Anschauen, er hat nichts hinzunehmen (und auch nichts herzugeben), alles was geschieht, ist mit ihm, und er ist immer mit dem, was geschieht und dem, was geschehen ist. Das öffentliche Verurteilen der sogenannten Gutmenschen, Tugendterroristen, political correctness-Fanatiker, oder wie man sie sonst abwertend nennt und in den letzten Jahren immer häufiger genannt hat, ist ein nicht hinnehmendes Anschauen. Beide nehmen die Zeit als Anschauungsmaterial in ihre Dienste, die sogenannten Korrekten und diejenigen, die sie verachten und bewirken, daß diese Korrekten sich schämen sollen, weil sie zu laut, zu dringlich, zu pathetisch, zu warnerisch, zu hysterisch aufgetreten sind: Ekelhaft, wie die strampeln und die Fäustchen schütteln!, sich schämen sollen sie! Die Unkorrekten also, die auf ihre Unkorrektheit dermaßen stolz sind, daß sie genau wissen, wohin damit, am besten überall hin, die J.G.s, sind ja genauso erfahrungsfrei von den Schrecken der Vergangenheit wie ihre Gegner, aber sie können die reine, wertfreie Anschauung der Zeit, der Vergangenheit (und auch sie kann ja wieder verfälscht werden, aber nicht an ihren genau dokumentierten Schrecknissen, daran ist nicht zu deuteln, da kann man nichts machen, damit müssen wir uns nicht aufhalten, da müssen wir halt die Umfahrungsstraße benutzen, wofür haben wir sie denn gebaut?) sehr gut mit sich vereinbaren, nein, vereinbaren ist ganz falsch, sie können Termine vereinbaren, und sie können auch durchaus mit sich vereinbaren, daß furchtbare Dinge (na, so furchtbar werden sie schon nicht gewesen sein, meinen die J. G.s, sonst wäre ja niemand mehr da, der davon berichten könnte, daher wollen wir diese Ereignisse jetzt berichtigen, aber eigentlich haben wir das nicht nötig, es ist, wie es ist, und es war wie es war) geschehen sind, das können sie mit sich und ihrer Anschauung vereinbaren, das geben sie geläufig zu, diese „furchtbaren“ Dinge, für die man sich „wenn Sie wollen, entschuldige ich mich halt“ eben irgendwie entschuldigt, gehen ihnen oft sogar geläufig von der Zunge, die Lippen bekennen mit derselben Leichtigkeit, mit der sie Essen verschwinden lassen, sie können sich auch entschuldigen, weil sie selbst das Maß dessen sind, was sie erfahren (und was andre erfahren haben), und eine Entschuldigung kann ihnen nichts anhaben, die kratzt sie nicht, sie sind das Maß, und sie haben keine Distanz zu sich selbst, weil sie keine brauchen. Sie sind ganz sie. Sie wären nie gern andre, wenn irgend möglich, weil sie am liebsten sie selbst sind. Ihr liebstes Hobby: sie selber sein! Ihr Ich ist das eigentlich bleibende (da muß nichts über sie hinausreichen, da muß sie nichts überleben, denn sie leben sehr gut so, wie sie sind), und nicht das, was andre verbrochen haben und mit dem sie sich nicht beschäftigen wollen und auch nicht müssen. Sie sind die ungeschliffene Manier, mit der sie öffentlich auftreten, und sie schleifen die anderen durch den Dreck. Das macht ihnen großen Spaß.
So wie die Zeit sich nicht verläuft, sondern nur verläuft, so verlaufen die J.G.s sich auch nie in ihren Meinungen, denn sie glauben, die Zeit läuft in ihrem Sinne, sie kann gar nicht anders verlaufen. Und wenn die Zeit bleibt und nicht wechselt, wenn man nicht plötzlich in einer andren Zeit sein kann, dann ist das Wissen ausschließlich etwas, das aus einem selbst kommt, und das ist das, was einem gesagt worden ist (fast alle können nur mehr zu einer Erkenntnis kommen, die einem gesagt worden ist, denn selbst erlebt haben es nur noch wenige), und Fanatiker, vor allem die der Rechten, haben zu dem, was gesagt worden ist und was sie sich ausgesucht und angeeignet haben, keinen Abstand, sonst wären sie nicht mehr fanatisch. Und auch Scham würde nur entstehen können, wenn da ein Bruch wäre, ein Abstand. Aber einen Abstand sehen die rechten Fanatiker nicht (die linken, wenn es sie überhaupt noch gibt, sind zu Brüchen gezwungen worden, zur Distanzierung vom Stalinismus, obwohl sie mit dem meist überhaupt nichts zu tun hatten, die Linke hat sich durch diese erzwungenen Haken, die sie schlagen mußte, vor allem, seit es den realen Sozialismus so gut wie nirgends mehr gibt, geschwächt, die Rechte mußte nie von ihrer Meinung abweichen, und ihre Distanzierungen von Verbrechen „ihrer“ Leute, „ihrer“ Gesinnungskameraden, ihrer Gesinnungsgemeinschaft – eins der Lieblingsworte des verstorbenen Jörg Haider – bleiben immer sehr oberflächlich, sind nicht wirklich so gemeint, denn die Rechte kann eine Kontinuität der Zeit sehen, wo andre, die kritischer sein müssen, die sich nichts durchgehen lassen, denn die Zeit ist ihnen ja schon davongerannt, Brüche, Eselsohren, Kniffe in die Zeit zu machen versuchen – das wird auch permanent von ihnen verlangt, sie müssen sich entschuldigen, ob sie wollen oder nicht, sie müssen – , was aber natürlich nicht möglich ist, denn die Zeit hat ihre eigenen Kniffe, sie kneift selbst nie, sie kneift uns zumindest nie im Schritt, obwohl sie uns oft zu eng ist. Sie kann uns genausowenig aufhalten wie wir sie). Die Linke kann nicht geradeaus gehen, nicht weil ihr Zustand so kritisch wäre, das ist er auch, aber weil sich die Linken immer schämen müssen für etwas, für das sie eben nicht verantwortlich sind, was sie am liebsten ungeschehen machen würden, „Entartungen“, wie sie es nennen, die der großen Idee aber nichts anhaben können, während die Rechte stolz ist auf das, was geschehen ist, ungebrochen, ungelogen, unbesehen, unentartet wie die Kunst ihrer Zeit und die Zeit ihrer Kunst. Nicht zwischen sich und der Zeit sieht die Rechte einen Bruch, denn die Zeit wäre ja eine, die sie ohne weiteres wieder begrüßen würden, sogar in derselben Form wie damals, ach, wäre das schön!, und das Wissen über diese Zeit, die Vergangenheit, das Wissen um die Unveränderbarkeit von Zeit, die sich eben nie verläuft, sondern nur verläuft, ist ihre Stärke. Und Stärke ist der allerletzte Grund für Scham. Kein Abstand also und daher auch keine Distanzierung, denn die Zeit geht immer über die volle Distanz, und diejenigen, die mit ihr mitschwimmen und alles nehmen, wie es kommt, die haben am wenigsten Grund, sich zu schämen. Was immer der Rechten vorgeworfen wird, die Wehrsportvergangenheit ihrer jungen, jugendlichen oder junggebliebenen Führer (auch: der „Alten Herren“ der schlagenden Verbindungen, die ihrerseits wieder die besten Verbindungen haben), antisemitische Spottlieder, die Pfeife, in der der Haider Jörgl die paar Juden raucht, die noch übrig sind (bald wird die Zeit bewirken, daß er selber Rauch ist, aber nicht Schall, der Schall hallt jedoch noch lange nach, wie der gefrorene Ton eines Jagdhorns), sie schämen sich dessen nicht, im Gegenteil, sie sind und erleben das Gegenteil von Scham, sie erleben Stolz!, weil sie das, was sie tun und verbreiten, als das verbreiten, was in der Zeit liegt, was, nein, nicht zeitlich ist, was nie früh genug kommen kann, aber trotzdem in der Zeiteinheit, nur Idioten nehmen nicht mit, was die Zeit ihnen bietet, denn die Vergangenheit zählt paradoxerweise ja nicht, die Zeit bestätigt sich immer nur selbst, und sie bestärkt sich darin, ein reines Nacheinander zu sein, ein Nacheinander des Jetzt, verweile doch, Augenblick, du bist so schön, nein, das tu ich nicht, das täte ich nicht einmal, wenn ich es könnte, sagt der Augenblick, ich muß weg, egal, was passiert, denn die Zeit ist unabänderlich, und jede Zeit ist halt irgendwann mal Vergangenheit, ohne daß man das ändern könnte, und ihr Ich, das Ich der stets frei von der Leber weg sprechenden G.s, ist mit der Zeit zur Zeit selber geworden, in der solche wie sie immer obenauf schwimmen. Sie haben sich die Zeit also genommen, und das ist der Zeit recht, wie ihr alles andere auch recht wäre, die Zeit geht brav mit ihnen mit wie ein Tier am Strick, und man sieht nicht, daß die Zeit sowieso gehen würde, wie sie eben geht. Und da die Zeit alles ist, was es gibt, und da sie eben bleibt und nicht in eine andre wechselt, sind die Rechten, die Rechtsgeflügelten, nein, das geht nicht, sind die vom rechten Flügel, die nichts zu bedauern und zu bereuen haben (oder eben bloß höchst oberflächlich, als sogenanntes Lippenbekenntnis, denn Scham ist ihnen eben unmöglich, sie ist wesensunmöglich für sie, so unmöglich wie die Veränderung der Zeit, denn eine denkmögliche Veränderung der Zeit würde ja suggerieren, daß etwas auch falsch sein könnte und man aus ihr hätte aussteigen können. Da man das aber nicht kann, hat man gewollt, was geschehen ist, auch wenn man es selbst aus Altersgründen nicht ausführen konnte, als junger Mann ist man aus einer andren Zeit, die aber dieselbe ist wie die alte und es auch sein soll), mehr in ihr sind als andere je in ihr sein könnten. Sie sind die Herren der Zeit, die Rechten, denn es ist immer ihre große Zeit (die manche gekannt haben, als sie noch soo klein war!, aber so jemanden habe ich noch nie kennengelernt, ich kenne niemanden, der die Zeit von Anfang an schon gekannt hat), und da diese Zeit groß war, in der die Rechte groß war, ist sie es immer noch für sie: groß. Da von der extremen politischen Rechten immer etwas verlangt wird, das sie nicht leisten kann, eine Distanzierung von einer Zeit, die vergangen ist, von der sie aber zu wissen glaubt, daß sie die ihre ist, gerade weil sie ihr Ich nicht als zeitlich begreifen, sondern als eine Norm, als die Zeit selbst, die eben mit ihnen ist, weil sie gar nicht anders kann, sie kann aber sowieso nicht anders (die Linke hat gesungen: Mit uns zieht die neue Zeit, aber das war die Autosuggestion einer Zeit, die wirklich neu hätte sein können, während die Rechte ist, wie die Zeit ist: unveränderlich, in ihrem eigenen Sinn, da ist keine Differenz, Faschismus, Antifaschismus, das eine wird zum anderen, nicht, weil die Zeit sich geändert hätte, sondern weil sie eben immer dieselbe ist, und daher ist es wirklich egal, ob die Antifaschisten von gestern die Faschisten von heute sind oder die von morgen oder umgekehrt, das ist egal, denn ihr Ich ist nicht zeitlich, indem es die Zeit selber ist. Die Rechte hat keinen Sinn mehr für Zeitlichkeit, weil das, was war, immer noch ist und nicht anders sein oder werden soll). Für die Rechte bleibt das Ich ein Ich, und das Andere muß weg, und zwar alles und noch mehr davon, alles muß raus, wir haben keine Lagerräume für etwas, das sie überleben, das über sie hinausgreifen könnte. Alles muß jetzt sein. Achtung! Sofort! Das Ich ist ein Unveränderliches, das genauso bleibt wie die Zeit, die ja auch nicht stehenbleiben kann oder woandershin gehen. Wo sollte da Scham herkommen? Wo es keine Gegnerschaft zur Zeit gibt (im Sinne des aus der Geschichte Lernens), gibt es auch keine Differenz, aus der Scham überhaupt entstehen könnte. Das Ich der Rechten ist ein zeitloses Ich, und wer sich als ewig empfindet, schämt sich dessen natürlich nicht, denn der gehört zur neuen Avantgarde, der ist immer schon vorneweg, und die Zeit nimmt ihn mit, denn warten kann und will sie nicht, sie kann sich nicht aufhalten, sie kann nicht aufgehalten werden. Und solange diejenigen, mit denen die Zeit ist, die selbsternannten Herren der Zeit, ihr Sein nicht als ein zeitliches begreifen, sondern, da die Zeit eben unveränderlich ist, sich selbst als in der Zeit unveränderlich, als Herren der Zeit, als unendliches Selbst sehen und sehen dürfen, woran wir sie nicht hindern können (und alle andren sind Dreck, verfallen, vermodert in den Zeitläuften, und sogar die Läufe der Zeit, die Irrläufe der Linken, die sich ja dauernd geirrt hat, wo hingegen die Rechte immer recht hatte und in sich nicht differenziert, weil sie das nicht nötig hat, o je, jetzt haben sich die Läufe der Zeit auch noch etwas eingetreten, doch die deutsche Zeit beißt die Zähne zusammen, reißt sich das Stück Fleisch heraus, das sie grade erwischt hat, und rennt weiter, ohne sich aufgehalten zu haben, das Blut rinnt ihr vom Kinn, wen störts), als Herren über alle und alles andere, indem sie, sie allein, „mit der Zeit gehen“ (als wäre etwas andres je möglich!), sind sie, diese Herren, immer in der Zeit, vielleicht nicht pünktlich, aber mit der Zeit und in der Zeit. Wie sollte man da Scham über etwas empfinden, das unabänderlich war wie die Zeit? Schämen müssen sich nur die andren, die geglaubt haben, aus der Zeit aussteigen, dem Nacheinander entspringen, eine andre Zeit begründen zu können. Nicht einmal eine Kerbe in die Zeit konnten sie machen und auch nicht ihre Namen hineinritzen. Die Zeit entspringt nicht, sie präsentiert vielleicht eine Rechnung, die man dann die Zeitrechnung nennt, und sie läuft uns nicht davon, jedenfalls nicht, bevor wir bezahlt haben, aber was sollen wir bezahlen?, wir sind die Zeit, in der keine Schulden entstehen!, wir sind sie, und wir sind in ihr, wir sind zugleich mit der Zeit, der Antifaschismus ist der neue Faschismus, weil man die Zeit nicht verlassen kann, und weil das, was war, ist und nicht zu ändern ist. Glücklich ist, wer vergißt. Wie sollte man sich dessen schämen sollen? 2.11.2008 Bilder
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