Sie haben gut reden!

 

Ich fordere Ausdruckswaffen gegen meine Angst, ja, genau, wenn ich etwas zu fordern hätte, würde ich fordern, daß ich besser ausdrücken könnte, wovor ich Angst habe. Der Arzt wartet darauf, was soll er mir denn verschreiben, wenn er nicht weiß, welche Macht mich mein dreiviertel Leben lang schlecht behandelt hat. Ich weiß es doch nicht. Ich kann es nicht sagen. Den Arzt, den ich nicht habe, scheint mein Leiden zu erheitern, doch er tut so, als bliebe er ernst. Kann es sein, daß Sie jetzt denken: Tier, Pflanze oder Mineral, was andres gibts nicht, wie können die sich fürchten? Gut, aber das Tier kann es, das Tier will z. B. vorm Gewitter weg, das gestern die 800 Schweine gegrillt, nein, gegart hat, weil ihr Klima im Stall vollständig ausgefallen ist, unsres fällt auch bald, das Klima wird außer sich geraten wie ein Zerstreuter, der seine Teile zur feierlichen Bankrotterklärung und deren Aufklärung nicht mehr finden kann (er ist Fußballfunktionär), also wenn das kein Grund für Angst ist! Ich darf darauf hinweisen, daß es nicht das Klima ist, das sich fürchtet. Ich weiß auch nicht, wieso grade ich mich so gut fürchten kann, wenn auch nicht vorm Klima. Das Klima ist so ziemlich das einzige, wovor ich keine Angst habe. Im Klima kenn ich mich zwar nicht aus, im Klimakterium: schon besser!, doch ich fürchte mich normalerweise auch vor Sachen, mit denen ich mich nicht auskenne, denn die Angst ist meine Welt, aber hallo, was sagt sie mir da, was schüttet sie mir auf die Waage meines Empfindens, die gleich verrückt spielen wird und jetzt schon schwankt und schwankt? Ich habe kaum Zeit, es mir in meinem Schicksalswagerl hier gemütlich zu machen, weil ich vor Angst leider dauernd wegrennen möchte, vielleicht gar schon weg bin, keine Ahnung, ich bin auch schon gar, wie die armen Schweine in Nordrein–Westfahlen, nein, Nordrhein–Westfalen, nein, es war eh in Sachsen – Anhalt, wo sie halt jetzt fahl herumliegen müssen unter keinen Wolken, denn die hat das Gewitter längst wieder weggeweht. Doch die Schweinekörper bleiben uns. Ich möchte auch wegrennen, weil ich schon längst vor etwas anderem Angst habe, es fällt mir aber doch auf, ich kann nichts dafür: daß man Angst nicht erzwingen kann. Man hat sie oder nicht. Sie kann kommen, sie kann gehen, aber zwingen läßt sie sich nicht. Sie kommt von außen und geht nicht mehr weg. Sie läßt sich nieder, um sich über mich zu amüsieren. Was brauche ich jetzt den Arzt, der mich auch noch verspottet? Das kann ich auch ohne ihn! Verspottet werden. Da ich aber immer in Angst bin und mich auch nicht ins Wirtshaus hineintraue, da ich überhaupt keinem traue, kann ich nicht wissen, wie die nette, biergläsertragende,  erzherzogjohannjodelnde Angst von außen aussieht, denn dort bin ich ja nie, ich trau mich nicht hin, ich weiß nicht, ich renne und renne dauernd weg, aber dort, egal wo ich ankomme, bin ich dann nie; wie soll ich es sagen, ich weiß andrerseits auch nicht, wie sie von innen ausschaut, die Angst, denn innen, in ihr, bin ja immer ich selbst, und außer mir sehe ich dort niemanden, na ja, außen bin ich selbstverständlich auch, nicht angekommen, aber trotzdem da, wie ich schon sagte: Ich dulde niemand in meiner Nähe, weil ich mich doch gleich vor ihm fürchten würde, aber was außerhalb von mir ist, das wage ich nicht anzuschauen, es kann also ruhig jemand in meine Nähe kommen, ich würde ihn nicht sehen wollen und daher auch nicht sehen. Das ist sehr häßlich gesagt, doch der Gegenstand ist ja auch nicht schön. Also dort draußen kommt irgendwann garantiert der mit dem blutenden Herzen, auf das er auch noch eigens zeigt, als würde man es nicht als erstes sehen, als Mittelpunkt unserer Anerkennung, daß er Gott ist, und diese Dornenkrone dazu, also ich würde sowas nicht tragen, ich ahne, daß ein rehstaunendes Schauen keinen Sinn hätte, denn das Unheimliche, ob Gott oder nicht, ob die Maria oder eher nicht, ist vollkommen durchsichtig, es ist vollkommen, vielleicht weil es durchsichtig ist, ja, auch seine Kleidung, nein, die vielleicht doch nicht, sonst könnte man das Unsichtbare ja überhaupt nicht sehen, wenn es nicht seinen dazupassenden (wozu passenden?) Schleier übergestülpt hätte, äh, soll ich nicht doch einen Blick riskieren? Nein, lieber nicht, obwohl Kleidung mich immer interessiert hat, auch die Accessoires, doch dieser Kopfputz, dieser Aufbau, der oben auf dem Haar aufragt wie eine frisch montierte Mansarde, deren Fenster unverhofft zu strahlen beginnen, ganz ohne Sonnenschein – unmöglich! Waren für mich nie unwichtig, diese Beigaben, aber man soll doch den Menschen darunter auch noch sehen, oder? Soll ich etwa in mich hineinschauen? Sinnlos, denn das, worin ich bin, sehe ich nicht, ich will es nicht sehen, das wäre ja vielleicht ich selber, Moment, wenn ich in mich hineinschaue, sehe ich mich ja gar nicht (ich bin doch die Umgrenzung! Die Hülse, die übrigbleibt, nachdem ich abgeschossen worden bin, aber es geht nicht, egal was, nichts geht), sondern meine Organmandate, die dann womöglich alle mir schreiben, diese total kaputten Organe, die alle Zettel ausfüllen werden, welche letztlich mir auf der Tasche liegen. Wo sind sie jetzt hin, die Strafzettel, auf denen diese blöden Krankheiten stehen? Ah, hier sind sie! O Gott! Was in mir ist, das will ich gar nicht wissen. Wenn es die Angst ist, was ich da sehe, dann kenne ich sie schon, dann brauch ich sie gar nicht erst zu sehen, sie sieht ja vielmehr mir zu und freut sich sehr, wie gut sie auf mich wirkt. Sie sieht, wie ich aus dem Körperhäuschen gerate und freut sich über ihren Erfolg. Sie will mir nichts zeigen, diese Phase haben wir hinter uns, ich weiß, daß ich vor allem, was es gibt, Angst habe, die Mühe kann sie sich sparen, sie muß nicht ins Detail gehen (Dornenkrone blutig oder nicht, Heiligstes Herz mit Flamme oder ganz ohne, mit Stacheldrahtreif oder ohne), denn ich hätte viel zuviel Angst, die Augen zu öffnen, um zu sehen, was die Angst selbst, die Angst als solche, mir zu zeigen hat, sehen Sie, bisher hat sie mir ja nur gezeigt, daß draußen alles ist, was ich nicht sehen kann, und daß das alles furchterregend ist, gerade weil es unsichtbar und daher besonders unheimlich ist. Es könnte ja sein, daß es das Unsichtbare gar nicht gibt! Wenn sie sich mir aber selber zeigte, die Angst, ich glaube, das wäre dann der Notausgang zum Aus–der–Welt–Gehen, gefangen wie ich wäre zwischen zwei Zuständen, die einem beide nichts mehr zu sagen haben, nicht die Außenwelt und nicht die Innenwelt, und vor einer dritten hätte ich ja noch viel mehr Angst, bloß das nicht!, denn ich weiß ja gar nicht, ob es sie gibt, ich hoffe: nein, aber was ich mir erhoffe, geht eh nie in Erfüllung. Und ob es sie gibt, wetten?! Sie sehen, sogar der Ängstlichste macht Fehler, denn es gibt viel mehr, das seine Angst schürt, als er sich vorstellen kann, er weiß es erst nachher, wenn er tot ist, wie schrecklich das diesmal wieder gewesen ist, das nächste Mal möchte er gewiß nicht mehr erleben. Aber etwas anderes wäre noch viel entsetzlicher, da bin ich mir sicher, aber ich sage es ihm nicht, dem Ängstlichen, der geht mir sonst ein vor Schreck. O Gott, ja, du bist gemeint, mit den blutigen Fetzen, mit denen du mich abwaschen willst, mit denen hast du dich doch vorher abgewischt, hast den Eiter von deinen Pickeln reingedrückt und gesagt, das wär dein ganzer, absolut wahrer Gesichtsabdruck, hier auf dem Tuch exklusiv in erster Auflage abgedruckt!, aber diesen Dreck will ich nicht ausgerechnet in meinem Gesicht haben, o Gott, wie würde ich mich erst fürchten, sähe ich etwas, das es überhaupt nicht gibt, also dich, lieber Gott! Ich bin meine eigene Grundlage, habe ich beschlossen, und zu meinem Bedauern zeigt mir die Welt (laß, o Welt, o laß mich sein, ja, laß mich doch endlich sein, ich scheiße von vornherein auf deine Liebesgaben! Nicht einmal das gönnst du mir, nicht einmal das will sie, mich sein lassen, denn sie will selber sein, sie will alles sein, bloß nicht mir, die depperte Welt, mir will sie nicht alles sein. Sie hätte damit ja weiter gar nichts zu tun, sie müßte nur ihre Hand von mir endlich abziehen, wie bei einem Abziehbild, die Folie abreißen und mich da hinpicken, meinetwegen auch einen Magneten aktivieren, damit das Zeugs hält, egal wohin mich heften, wie die Liebe ihre Augen, keine Ahnung, kenne ich nicht, ich würde dort sowieso nicht sein wollen, egal wo, nein, auf die steil aufragende Kühlschrankwand will ich auch nicht drauf, womöglich auch noch in der Form eines Marienkäferchens!), daß sie gerade in diesem wackligen Zustand, in dem sie mir erscheint, da ich einen Fuß schon draußen aus ihr, einen noch drinnen in ihr habe, eben die Welt ist, die ich nicht kennenlernen konnte, als ich noch lebte, als ich mich noch nicht verzweifelt aus ihr herausarbeitete, ohne es zu wollen. Also das ist Quatsch. Wenn ich zu Lebzeiten gewußt hätte, wie super toll die Welt ist, hätte ich doch gleich in ihr drinnenbleiben können! Der bekannte Schrecken ist bekanntlich weniger schrecklich als der unbekannte, das bekenne ich hier, an dieser Stelle, die ich bekommen habe. Die größte Angst habe ich davor, daß die Welt vielleicht gar kein Schrecken gewesen wäre. Ich habe nicht die Wahl, denn andere haben sie schon gewählt, die Welt. Von der Speisekarte gestrichen. Zuviele haben sie gewählt, zuviele haben sie bestellt wie einen Acker. Doch dieses Land ist unwirtlich. Schöner Zustand Angst: Daß du mir ja nicht durch mein ständiges Fürchten zunichtegemacht wirst! Halten Sie mich bitte nicht auf! Ich muß raus aus der Welt, auf der Stelle, nein, nicht auf dieser, aber auf einer anderen Stelle, um wenigstens einmal kurz diese Welt zu sehen, die ich zu Lebzeiten niemals anzuschauen wagte, dort, in meinem kleinen Pfefferkuchenhaus, wo ich gewohnt habe, das war mein Lebzelter, mein Lebenselixier, obwohl ich nicht in einem Zelt gelebt habe, gewiß nicht. In einem Einfamilienhaus ohne Familie, allein. Wer sagt, daß es darum geht, in der Angst, wenigstens in der Angst, sein Sein als etwas zu begreifen, dem es um sich selber geht und um sonst nichts? Egal, wer das sagt, ich glaube ihm, denn wenn es um mich geht, geht es um nichts. Das ist mir angenehm. Ich glaube nämlich nicht, daß ich Angst habe, damit es um mich selber geht. Ich würde gern woandershin gehen, damit es etwas anderes wäre, worum es mir ginge. Vielleicht auch zu einem anderen Menschen. Aber leider, es geht mir in meiner Angst immer nur um mich herum, aber nicht in mich hinein. Nicht einmal dorthin trau ich mich. Ob ich das nun will (nein!) oder nicht: in mich gehen. Das Sein selbst kann seine Flügel gar nicht mehr ausbreiten und kreischend, einen alten Apfelbutzen im Schnabel, der durchs Kreischen prompt rausfällt, davonfliegen, denn davon wäre ich ja weg, ohne zuvor in mir gewesen zu sein, ja will ich das denn nicht, will ich denn nicht weg? Also so will ich es auch wieder nicht. Ich weiß nicht, was ich will, doch ich will es anders. Ich wäre davon, wir müssen doch alle davon, alle, aber wo alle sind, dorthin würde ich nicht wollen, ich will ja nicht einmal dorthin, wo, außer mir, noch sagen wir etwa 45 andere Personen wären, die alle ihr Sein herumtragen, wohin sie wollen, den Eingang in den Krebsenkeller finden Sie aber schon noch, oder soll ich Sie nach Graz begleiten?, sicher wollen auch sie einmal davon, und davon müssen sie ja auch, sie dürfen also dorthin, wohin sie sowieso müssen. Herr, lehre mich, daß ich davon muß, das gilt für alle, das stört diese Leute doch gar nicht, daß sie weg müssen, sie sind ja ganz in sich zuhaus, bevor auch sie abhauen müssen, aber ich, bitte, bitte, bei mir ist es anders, mein Sein gehört nicht ausgerechnet dorthin, wo ich bin, ich lehne mein Sein nämlich komplett ab und will ein anderes, bevor es zu spät ist, das wäre dann aber womöglich dort, wo ich nicht hin will, was noch nicht der Weg wäre, das Weg (das Hinweg, nein, nicht der Hinweg, der ließe ja noch einen Rückweg denken), das wäre kein bewohnenswertes Haus mehr, wo es um mein Sein ginge, das mir endlich zeigen könnte, wovor und warum ich eine solche und keine andere Angst habe.

Der Text war in einer gekürzten Fassung in den Manuskripten abgedruckt

2.2.2008


Sie haben gut reden! © 2008 Elfriede Jelinek

 

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