Randbemerkung eines weiblichen Setzerlehrlings

zur Autobiographie von Günter Grass: „Beim Häuten der Zwiebel“

Es wollen sogar Uhrzeiten (die des Kriegsbeginns) unvergeßlich sein. Aber kann der, der etwas will, es auch  bekommen? Wer muß derjenige, der spricht, sein, um zu bekommen, was er sagen will und  zu bekommen, was er einmal sagen wird wollen, denn die Dichtung streckt die Hand über den Dichter aus, bis ein Entwurf vor ihn  geworfen  ist, den er einholt wie eine Angelschnur, er ist ganz er selbst, und er spricht, er hat schon, bevor er es hat, bekommen, worüber er spricht; kann er also, was er spricht, auch bekommen, nachdem er sich vorausgegriffen, aber nicht vergriffen hat (um dann darüber zu herrschen, also zu gebieten, die Dichtung ist ja sein Gebiet und sein Gebet)? Kann er bekommen,  um  es andren geben  zu können, möglichst vielen, allen? Wie kann er nur?

Es ist völlig unerheblich, wenn sich ein halbes Kind zum Militär meldet (früher wurden die Rekruten: ausgehoben. Ausgehoben ist nicht immer aufgehoben), vom Militär einziehen läßt, ein Halbwüchsiger, nicht einmal volljährig, eigentlich müßte man, wenn man noch könnte, die Eltern zur Verantwortung ziehen, aber da ist ohnehin niemand zur Verantwortung zu ziehen, da ist niemand, die meisten sind ohnehin weg, die Opfer sind ganz besonders weg, denn man spricht von ihnen immer nur als Menge, jedenfalls: es ist heute unerheblich, wenn dieses halbe Kind, um der Enge des Elternhauses zu entfliehen, sich ausheben läßt, um in die Weite eines U-Boots oder eines Panzers zu kommen, das Geld, egal in welcher Münze, kann nicht mehr eingehoben werden und soll es auch nicht. Zur Verantwortung eingezogen wurden auch Massenmörder nicht (der liebe Gynäkologe Aribert Heim z.B., der in Baden-Baden bis zur wohlverdienten Pension ordiniert hat, und der jetzt immer noch lebt, keine Ahnung wo), es sind nur Menschen eingezogen worden, egal, wohin sie zogen. Die konnten es nicht bestimmen, daher sagt man ja: sie wurden eingezogen oder eingehoben. Die einen haben sich, egal in welcher Münze, wieder zurückbekommen, die andren eben nicht mehr. Meist verlor sich ihre Spur. Aber was ist mit jenen, von denen nur die Spur ihres Sprechens noch da ist, nichts mehr als Sand, der durch einen andren Sand wandert und sich mit Sand vermischt (ja, auch als Sand in den Urnen, wo er überschaubar bleibt, allerdings von Menschen stammend), wer spricht? Nein, das darf ich jetzt nicht sagen: Wer spricht? Es ist von ihnen seit Jahrzehnten die Rede. Auch ich habe oft von ihnen geschrieben, obwohl es, wie ich oft erfahren durfte, gesagt bekommen habe, überflüssig war (und zwar, weil es schon zuviele getan haben und es niemand mehr interessiert und einmal muß Schluß sein), und flüssig verflüchtigt sich noch viel leichter als Sand,der immer übrigbleibt, egal welcher Sand.

Also gut. Da ist die Biographie. Die Uhrzeit will etwas von uns, sie will unvergeßlich sein, na, das möchte ich auch, aber es gelingt mir nicht. Mich interessiert also nicht, was der Schriftsteller damals getan hat, sondern die Selbstgewißheit und Sicherheit, mit der er spricht, und die nicht zu erreichen ist für die Unsicheren, aber wer ist schon sicher, und wer ist unsicher? Wer ist seiner selbst sicher, und wer nicht? Wer ist denn schon, bezüglich seiner selbst, er selbst? Wer ist am Apparat? Das sagt man heute nicht mehr. Ich frage nicht, wie der Denker: Wer sind wir? Ich frage: Wer ist wer? Warum schreibt sich einer ein und ein andrer kann es nicht, nicht einmal in Sand? Selbst wenn er schreibt wie der Selbstbiograph? Wer, wenn ich schriebe, hörte mich in der Engel Unordnung? Woher kommt diese unerschütterliche Gewißheit, die doch aus der Freiheit des für sich selbst Entscheidens und des allen Mitteilens herrührt und rührt und rührt, nicht mich, aber den Geschichtsteig, den so viele Hände schon geknetet haben, also ich freß das nicht mehr, Milliarden von Bakterien!,  ich mag nichts mehr dazu sagen, ich mag zu gar nichts mehr etwas sagen und sage doch, aber warum will ich inzwischen, daß mich keiner hört? Weil ich weiß, daß mich keiner hört? Weil ich mir selbst vorgreife, aber durch dieses Greifen aus dem Gleichgewicht gekommen und jetzt am Sand bin? Und warum will ein andrer, ein Selbstbiograph, daß ihn möglichst viele hören? Es ist ja nicht so, daß diejenigen, die außen bleiben, die draußen bleiben müssen, die Frauen, die keine eigene Sprache haben und die Kinder, die noch keine eigene Sprache haben und diejenigen, „deren Sprache du nicht verstehst“ (Marianne Fritz), wieso müssen die draußen bleiben? Weil es für sie nur das Draußen gibt. Ich frage mich das schon lange, weil ich ja die unzähligen Fußtritte höre gegen die Mauer, die die einen von den andren trennt, diejenigen, die dazugehören und die andren, die ja die Mehrheit sind, die sprachlose, die sich von Abfallsprache ernähren müssen, wieso dürfen die nicht ran an die eigene Biographie und diese auch schreiben und wieso müssen wir nicht ununterbrochen alle Biographien aller andren Menschen lesen? Es wäre, aber es ist ja: keine Geschichte mehr zu sehen, wo es nur noch Anhäufungen von Daten, Zahlen und Tatsachen gibt. Und der Verarmte stürzt ins Bodenlose, und Sand sonder Kornzahl (und ein paar Glas Korn dazu) rieselt ihm nach und begräbt ihn.

Was sagt der Autobiograph heute? Ich lese vor, es ist Nachkriegszeit, und wir sind alle in Paris, weil es geschrieben steht, und der Herr ist kein Hirte, der Herr ist der Herr und bleibt es auch, für immer und ewig, denn es steht ja geschrieben: „ Und während ich in den Cafés des dreizehnten Arrondissements und im Heizungsraum Kapitel nach Kapitel kritzelte, dann in die Olivetti tippte und zeitgleich die Freundschaft mit Paul Celan anhielt, der von sich, dem Unsäglichen in seinen Gedichten und von seinem Leid nur feierlich in Engführungen und wie zwischen Kerzen gestellt sprechen konnte, machten uns die Zwillingssöhne Franz und Raoul zu Eltern, also zu etwas, das zu sein wir weder in Berlin noch in Paris gelernt hatten.“  Die Uhrzeit will nicht vergessen werden, die Freundschaft zu Paul Celan wird nicht angehalten wie eine Uhr, deren Ticken einen beim Schreiben stört, nein, sie hält an. Gemeint ist eine anhaltende Freundschaft mit einem, dessen Vater im Lager an Typhus gestorben ist, dessen Mutter erschossen wurde, der (nicht um der Enge seines Elternhauses zu entfliehen) im Straßenbau geschuftet hat, im Arbeitslager, einer, der an allem, wirklich allem, an einem lächerlichen Plagiatsvorwurf, daß von einem andren gekommen sei, was doch von ihm, dem Zerstörten (nicht zerstört, weil er auf einem  Zerstörer „gedient“ hätte! Und wieso sagt man: gedient?) stammte, sein eigen Fleisch und Wort war - aber es ist ja alles lächerlich angesichts des Todes, wie wir von Thomas Bernhard wissen (was lernen wir daraus? Ein lächerlicher Plagiatsvorwurf kann den einen töten, den andern anspornen, sich so etwas Lächerliches vom Hals zu schaffen, ja, was den einen tötet, da fängts bei einem andern überhaupt erst an), aber da fängts ja noch einmal an und noch einmal  und immer wieder: der Tod ist nicht gleich der Tod, ein Tod ist nicht jeder Tod, aber jeder Tod ist ein Tod, nur welcher? (aber sogar diese Sentenz ist der Spruch eines Herrn, nicht eines Knechtes, denn der Knecht selbst ist lächerlich und sein Sprechen ist sinnlos) – einem Dichter (Celan), der buchstäblich auseinandergeborsten ist, sich im Wasser aufgelöst hat, die eigene Spur nicht mehr sehen konnte (oder sehen wollte), ein Dichter, der zwar auch Vater war, einmal, einmal hat er auch das geschafft, zu  zeugen,bevor er, aus dem Sand, ins Wasser gegangen ist, ein verzweifelter Niemand (obwohl von vielen hochgeachtet, gerühmt und geschätzt, auch vom berühmten Denker, um dessen einziges Wort der Dichter gebettelt hatte – also in diesem Fall ist das nicht zusammengegangen, das Dichten und das Denken, die wollten einfach nicht miteinander, ja das Schreiben und das Lesen sind nie mein Sach gewesen, das Dichten und das Denken, das kommt noch vor dem Henken, etwas verspätet kommt noch der Hochmut dazu, aber der  kommt noch vor dem Fall, der aber nie eintritt - , aber der Dichter hat vom Denker immer nur sehr viele Worte zurückbekommen, keins davon das Richtige, soviele, aber keins brauchbar für den Dichter, nicht einmal so weit, daß er, der Dichter, einer Erklärung für das Verhalten des Denkers, für das Verhalten des Denkens, nein, für das Nichtverhalten des Denkens, für das Unaushaltbare des Denkens erhalten hätte, damit er, der Dichter, dieses Denken hätte aushalten können, wer hält schon wieviel aus, man hält es nicht aus, sich das vorzustellen), wo war ich, diese Randbemerkung wuchert aber aus, na Grüßgott,  jetzt ist schon der ganze Rand vollgeschmiert, wurscht, also, glücklicherweise muß ich hier, wo ich zu Hause bin, nicht ordentlich ausformulieren, das können die anderen, diejenigen, die ihre Mitteilungshefte zur Hand haben und sich selbst die Noten hineinschreiben und die Beurteilung, wie praktisch. Ich komme immer noch  nicht  zur Sache, aber jetzt, ich bin ja eben leider keine  Macherin, jetzt mache ich die Sache nicht, ich komme zu ihr, denn sie macht nicht, daß sie zu mir kommt, weil solche wie ich, Frauen Kinder Alte (die ersten und letzten Kriegsopfer immer und überall), lächerlich sind, weil sie nichts machen, weil sie nichts machen können und weil sie nichts dagegen machen können. Und sie sind schon lächerlich, während sie sowas sagen, glauben Sie, ich bin mir dieses Dilemmas bewußt, ich sage und sage, aber es ist wie nicht gesagt. Ich kann nichts dagegen machen. Die Opfer (ich bin keins! Zum Glück bin ich keins! Ich gehöre nicht zu ihnen, wie schön für mich! Ich wollte, jeder, der kein Opfer ist, wüßte das so zu schätzen wie ich!)  können ja auch nichts dagegen machen. Bitte, was hätte der Celan denn machen sollen, als seine Eltern, als er selbst zum Opfer wurde? Was hätte er denn andres machen sollen als entweder Sand in der Urne oder eine Leiche im Wasser zu werden? Es sprechen so viele, ich sagte es schon, und viel zu oft, ich vermehre die unnütz und unnützlich Sprechenden mit mir selbst,  aber wer, wenn sie schrieben, hörte sie? Und wer wird lächerlich, wenn er vom Leiden spricht, und wieso sind es immer dieselben, die lächerlich sind und bleiben (auch wenn sie hochgeachtet sind, sind sie immer nur lächerlich, das klebt wie ein Stigma an ihnen, denn sie beten zwar, aber sie sprechen die Sprache des Herrn nicht, und daher hört sie keiner, denn die Engel sind in Ordnung gebracht, schon lange, und aus dieser Ordnung tritt keiner hervor, um jemand liebreich aufzunehmen), wir müssen leider draußenbleiben, wuff. Der Autobiograph, den seine Kinder zu einem Vater gemacht haben, sogar die Kinder machen schon was, kaum daß sie draußen sind, zwei Stück Kinder, schon machen sie Eltern zu Eltern, wie die Uhr die Zeit macht (und zwar alle, weil sie es WOLLEN, ich will auch was, aber wieso bekomme ich es nicht, wieso bekommen Millionen zwar vieles, aber wer, wenn sie nach etwas anderem schreien, hörte sie?), und was machen die zwei Kerzen, diese virtuellen Kerzen, zwischen die der Autobiograph das Sprechen Celans gestellt sieht, was offenbar eine Irritation ergibt, zu welchem Sagen sind sie nötig, die Kerzen, wollen sie selbst uns etwas sagen, oder sind sie ein Rahmen für ein Sagen, das den Altar braucht, damit dieses Sagen näher an die Engel herankommt, die aber ohnehin nie zuhören? Da kann man schreien, soviel man will. Warum sagt der Freund nicht einfach, was er zu sagen hat? Er ist da, sein Zuhörer ist auch da, wieso sagt Celan nicht einfach, was er zu sagen hat? Der Autobiograph sagt ja auch alles, was er über sich weiß, bewundernwürdig gradeaus, wie man eine asphaltierte Straße entlanggeht, und schweigt dann, wenn er fertig ist, nicht früher, nicht später, und er redet wieder, wenn er wieder etwas anderes zu sagen hat, was zu sagen er vergessen hat. Und man hört ihn, man hört, was sich zusammengefügt hat, durch ihn, und man spricht darüber nicht nur unter den Engeln. Man hat das Trommeln gehört, und es war ein Trommeln, das aus schöner, interessanter Literatur gekommen ist, man hat es gehört, egal in welcher Ordnung und welcher Dimension, es war nicht zu über-hören, und darüber hat man nichts kommen lassen, da waren keine Totenkerzen links und rechts, denn da wollten Kinder jemand zu Eltern machen, und das Leben gelingt, und es gelingt einem andren nicht, dessen Kummer ist offenkundig immer nur für Stunden zu beschwichtigen, und ein andermal sind die Zwillinge auf der Avenue d’Italie, jeder in eine andre Richtung, davongerannt, der arme Vater mußte sich kurzfristig in der Mitte durchreißen, um sie wieder einzufangen, Celan fängt sich nicht, es wird mit ihm versucht, aber man kann ihn nicht festhalten, und man kann ihn auch nicht auseinanderreißen, das tut er alles schon selbst, man kann ihn nur für kurze Zeit herausreißen, aus Kreisläufen, in denen er sich verfolgt fühlt (aber natürlich nicht verfolgt ist, das war er einmal, das ist jetzt aber vorbei und kommt nicht mehr zurück). Es agieren die Menschen, und manche sprechen, andre sprechen auch, aber wer hört wen? Wer hört wen und warum? Wer kann sich einschreiben, und wer ist draußen und muß draußenbleiben, wenn auch manchmal „hochgeachtet“, wenn auch nicht besonders hoch gehandelt. Das Handeln ist bei manchen wie ihr Sprechen, aber mit dem Sprechen läßt sich nicht handeln. Worum handelt es sich bitte? Der eine braucht zwei Kerzen zum Sprechen, und es hört ihm trotzdem keiner zu, über dem andren strahlt die ganze liebe Sonne. Für diejenigen, die die Sonne sehen können, ist sie da, für die andren nicht. Der Große Denker, an dessen Tür Celan geklopft hat, nur um: nichts zu hören, kein Wort, macht nichts, die Worte hatte Celan selber (aber, wie gesagt, sie haben ihm nichts genützt, während sie anderen genützt haben, nein, nicht Celans Worte, die andren hatten ihre eigenen Worte, wieder andre Worte, jedem seine Worte, das ist nur gerecht, da wird keiner gerächt), der Große Denker spricht vom Zweck der Dichtung, der Kunst: der Mensch soll nicht an ihr ein Vergnügen  oder einen Genuß haben, sondern der innerste Sinn des künstlerischen Gestaltens ist: offenbar zu machen das Mögliche, die Kunst ist der freie schöpferische Entwurf dessen, was menschlichem Sein möglich ist. Ja, das ist es. Aber ich frage mich (nein nicht, wie Jesus: Aber ich sage euch, denn ich habe nichts zu sagen, nichts zu melden, ich melde mich also ab, da ich nichts zu melden habe, obwohl man viel von mir vermeldet, ich habe nichts zu melden, das ist die Wahrheit, ich schwöre es), wie kommt es, daß es jedem menschlichen Sein möglich ist zu sprechen, jedem auf seine Art, denn genau das ist ja Kunst, die niemandem eine Freude machen soll, schon gar nicht ihrem Hervorbringer, der ist ja kein Autobahnzubringer, der bringt uns nirgendwohin, der Hervorbringer, wie kommt es also, daß der eine wie zwischen Kerzen spricht  und der andre wie unter ständig funkelnden Kronleuchtern? Da ist der Boden dafür, wofür auch immer, und der eine steht am Parkett, und der andre verschwindet im Sand in den Urnen, während andre vorturnen dürfen, der andre von den einen, den Einserschülern, verschwindet, im Wasser, wo keine Spur bleibt, auch wenn die Leiche für ihre Lebzeltwerke, ich meine Werke zu Lebzeiten, von manchen verehrt wird, wieso hat jeder die Möglichkeit etwas als Wirkliches zu begreifen als das, was es ist, für ihn, im Licht, nein, nicht zweier Kerzen, dieses Licht würde man ja kaum sehen, vor allem, wenn es Tag ist, sondern eben im Licht der Möglichkeiten (und die einen haben die Möglichkeiten, aber was ist mit denen, die keine haben? Ist es denn die Möglichkeit, daß sie keine haben? Nein, ist es nicht, es ist nur die Möglichkeit zu nichts). Und der Dichter greift vor sich hin,aber er trommelt nicht, egal auf was, er sagt nicht was ist, sondern er greift über sich hinaus, und der eine greift in den Sand oder ins Wasser, und er erzeugt einen Schlag ins Wasser, der verschwindet, und der andre erzeugt ein Buch und nebenbei Zwillinge, der eine greift sich voraus, wo das Nichts ist, der andre greift höchstens vor, aber die Wirklichkeit wird ihn brav einholen und ihm Recht geben, auch wenn sie ihm manchmal Unrecht gibt. Die Wirklichkeit tut nicht Unrecht an ihm. Er ist in ihr, und wir sind auch in ihr, wir dürfen mit ihm in der Wirklichkeit sein, sollten uns aber dabei nicht  vorgreifen. DA ist der freie Platz, und an ihm kommen die Dichter zur gut gedeckten Dichtertafel zusammen, zumindest ab 1947, und sie schreiben mit Kreide etwas, das eine bleibt stehn, das andre muß vergehn. Da hat einer eine Idee, da hat ein andrer nur zwei Kerzen und sich selbst, da hat ein Dritter das Licht von überallher und die Freiheit, es zu nutzen, so daß es jeder sieht, und die eine Wahrheit bleibt verborgen und die andre kommt ans Licht, wenn auch manchmal reichlich spät. ABer es ist egal. Es ist das Wesen des Lichts sowieso egal, denn Hauptsache, man sieht es. Oder nein: Das Licht gibt die Möglichkeit zu sehen, was auch immer. Das Licht wird gemacht. Das Licht macht, daß man sieht. Die Uhr macht die Zeit. Diejenigen, die sprechen, machen die Sprache. Die Wahrheit macht sich selbst und staunt, daß es soviele von ihr gibt, nicht nur Zwillinge, die uns zu Eltern der Wahrheit machen. Die Kerzen brennen herunter. Die Menschen auch. Die einen verschwinden. Die andren bleiben da.

 

20.8.2006
Bild: Deutsches Historisches Museum


Randbemerkung eines weiblichen Setzerlehrlings © 2006 Elfriede Jelinek

 

zur Startseite von www.elfriedejelinek.com