Gesicherte Pflegschaft![]() Landesnervenklinik Sigmund Freud, Graz
Ein 48-jähriger Patient mit einer Aufstrichdose und einer
halben Semmel im Mund tot aufgefunden. Fall erregt Diskussion. Der Pflegling
der Landesnervenklinik war an fünf Punkten fixiert, aus seinem Mund ragte
eine halbe Semmel. Es war lautes Röcheln zu hören, und so wurde herbeigeeilt.
Ein Angestellter entfernte die Semmel und rief nach Rettung, die gleich
als ganzes Team kam. Sofort wurden Hilfsmaßnahmen ergriffen, denn in einer
solchen Situation greift man nach jedem Strohhalm, bevor er zum heimeligen
Nest werden kann. Reanimationsversuche. Zuerst wurde die Semmel entfernt,
welche aus dem Mund ragte. Jedoch immer noch nach Atem ringt auch der
Fixierte, der Fünfpunktsicherheitsgurtfixierte. Er ringt und ringt. Er
ringt um etwas, das ihn retten kann und einfach ist. Atmen. Jeder kann
es. Er kann es doch! Er hat es schon so oft getan, 48 Jahre lang! Er atmet
immer noch nicht, das gibts doch nicht. Was ist der Grund für das Nichtatmen,
das tödlich ist, während das Atmen so einfach wäre? Der Grund ist, daß
hinter der Semmel höhnisch eine kleine Dose mit Leberaufstrich steckt,
hockt, lauert, der auf die Semmel gehört hätte. Es ist eine kleine Dose,
nein, es ist ein kleines Aluminiumschälchen, das dort steckt, es wurde
eine kleine Dose mit Leberaufstrich im Rachenraum des 48-Jährigen entdeckt
und entfernt. Sie wurde entfernt. Ich meine, eine in einem Aluminiumschälchen
verpackte Frühstücksportion, eine kleine Dose mit Leberwurstaufstrich
und eine halbe Semmel, in den Rachen geschoben, reingestopft und dann
dort vergessen. Nur einer kann sie nicht vergessen, dessen Atem stockt,
bis er alles vergißt, was er nie gewußt hat. Bis er alles gegessen hat,
was er schon oft gegessen hat. Eine kleine Aufstrichdose, nur eine kleine
Aufstrichdose hat das bewirkt, daß einer nicht mehr atmen kann. Vielleicht
seine Lieblingsspeise der Doseninhalt, vielleicht seine einzige Freude
des gesamten Tages? In der Nacht schon auf den Morgen freut sich der Kranke,
daß er den Doseninhalt auf einer Semmel essen kann. Aber angepunktet an
fünf Sicherheitsleinen, an denen sich keiner entlanghangeln kann, nein
fixiert an fünf Sicherheitspunkten, nein, gesichtet an fünf Punkten zugleich,
wie soll das gehen?, der soll ja gar nicht gehen!, ich meine, gesichert
an fünf Punkten, damit er sich nicht bewegen kann, aber wenigstens atmen
noch könnte, was jetzt nicht mehr geht. Die Dose von einem Irrenkollegen
in den Hals gestopft, die Semmel hinterher, dann alleingelassen der Pflegling,
das Pflegschaftsobjekt, allein im Bett an fünf Punkten ruhiggestellt,
wo es doch sicher viel mehr Punkte gibt, an denen Ruhe herrschen sollte,
vor meinem Fenster beispielsweise, da könnte von mir aus gern Ruhe herrschen,
aber nein, sie will immer woanders herrschen, Ruhe will herrschen, herrscht
aber nie, weil an ihrer statt überall der Lärm herrscht. Endlich darf
sie das mal ausprobieren, die Ruhe: zu herrschen. Der Rachen des Pfleglings
schreit nach Luft. Nach Essen schreit er nicht, das hat er bekommen, doch
nicht so, wie es sich gehören würde. Das Essen soll verschluckt werden,
Luft soll ein- und ausgeatmet werden. Aber es geht nicht, es kann nicht
gehen, die Luftwege sind vermint, die Landwege sind verstopft, sie machen
gute Miene zum bösen Spiel, Essen ginge, Atmen geht nicht mehr, obwohl
dafür ein und dieselbe Öffnung zumindest geeignet, doch beides gleichzeitig,
dafür ist der Mensch ungeeignet, so gern er auch Leberaufstrich auf seiner
Semmel essen mag. Er ist festgebunden nicht in der Erden, auf seinem Bett,
viele Irre ringsumher, dieser Irre ein Kindheitsfall von Hirnhautentzündung,
seither behindert, nach der Kindheit stets und immerwährend behindert,
die Kindheit selbst schon großes Hindernis, Hirnhautentzündung in der
Kindheit: zusätzliche, unnötige Erschwernis. Eine Semmel mit einer kleinen
Dose Leberaufstrich kann die Kindheit keinesfalls ersetzen, nicht einmal
einholen, ein fröhliches Herz dazu, das wäre schön, doch worüber sollte
es sich freuen? Richtig. Da bleibt nur die kleine Dosis Leberaufstrich
und die halbe Semmel, eine ganze Semmel hätte vielleicht auch noch hineingepaßt,
zumindest dort nicht hineingepaßt, aber der Mörder, der seiner gewiß nicht
gewiß ist, aber wer ist das schon?, der, womöglich nicht Herr seiner Sinne, hat sie in den fremden Schlund gestoßen,
die Schwestern weg, die Ärzte nicht da, die Schwestern nicht da, die Ärzte
am Weg, aber schon zu spät, haben sich zu spät auf den Weg gemacht zu
den Reanimationsversuchen, um den Röchelnden zu animieren, wieder selber
zu atmen, die Semmel ist ja nun weg, die Dose wird auch bald weg sein,
derzeit verlegt sie noch, verlegen, weil sie nicht weiß, wohin mit sich,
die Atemwege, aber nicht mehr lang, dann ist auch sie weg, die einzige
Freude des Tages, der Frühstücksaufstrich in einer kleinen Portionierung,
Leberaufstrich, so schnell gegessen, der Geschmack: so schnell verraucht,
verrauscht, verschwunden, nur der Luftschnapper bleibt, er kann die Semmel
nicht essen, der ruhige geduldige Patient, der nur manchmal tobt, er hat
auch allen Grund dazu, doch heute nicht, er tobt nicht, er kann nicht
toben, er ist angegurtet am Bett, wo denn sonst, ja, am Bett, er ist an
fünf Punkten fixiert worden, was sicher nötig war, einem aber die Freude
am Essen verdirbt, dessen Bestimmung es nicht sein kann, eingeatmet zu
werden, sondern, wie schon der Name sagt: gegessen, nicht inhaliert, sondern
absorbiert, eingenommen, zu sich genommen zu werden, in die eigenen weichen
Arme, nein, ins Weiche dieses Armen, der hätte das gebraucht, dieses Lieblingsessen,
nein, das kann ich nicht wissen. Aber egal, dieses Essen seiner Bestimmung
nicht zugeführt werden konnte, wir konnten heute zwar liefern, aber nicht
an die richtige Adresse; diese kleine Aluminiumportionspackung mit Leberaufstrich
kommt nicht in die Tüte, kommt nicht auf die Semmel, die Semmel ohne Aufstrich,
wem schmeckt sowas denn, eine trockene Semmel!, in den Rachen gestopft,
den Leberaufstrich nicht vorher draufgetan, soviel Zeit hätte sein müssen,
um dem Sterbenden, der ja gar nicht weiß, daß er stirbt und davon erst
informiert werden sollte, eine letzte Freude zu machen, die Henkersmahlzeit
sozusagen, das Lieblingsessen vielleicht, vielleicht auch nicht, die einzige
Freude des Tages, der Leberaufstrich auf Semmel in der Alu-Portionspackung,
eine kleine Dose wäre zuviel gesagt, obwohl für Dosen wie Portionierungen
Energie nötig, um sie herzustellen, hier durch Dose, nein, durch Portionspackung
wird Energie vernichtet. Energie des Schwerbehinderten, des seit seiner
Kindheit Kranken – einmal erkrankt, bis auf weiteres immer krank – wird
nicht aufgebaut durch gute Semmeln mit gutem Aufstrich, dieser Aufstrich
schreit, aber er kann es nicht richtig, weil die Semmel davorsteckt und
ihn dämpft, seine Stimme isoliert, seine Stimmung reduziert, der Aufstrich
möchte raus und ordnungsgemäß auf die Semmel drauf, um dem Kranken wenigstens
die einzige eine kleine Freude des Tages zu bereiten, da muß nichts zubereitet
werden, da genügt es, eine Leberaufstrichpackung zu öffnen, oben, den
weichen kleinen Deckel an seiner weichen lieben kleinen Lasche abzuziehen,
nein, kein Nippel, um durchzuziehen, nur eine Art Zunge, ja, eine weiche
Zunge, die nach dem guten Lebendaufstrich, nein, Leberaufstrich giert,
nein, das ist eine andre Zunge, Moment, sie kriegt ihn ja auch, aber so
hat sie sich das nicht vorgestellt, die Zunge, bitte, was soll sie tun,
sie würde so gern den lieben Leberaufstrich als Lebendige schmecken, Leberaufstrich
gibt Kraft und macht lebendig, die Semmel gibt das ihre dazu, sie gibt
ihre Kalorien dazu, sie wirft ihre Kohle zum Hydrat, zum Quadrat, in die
Schlacht, um den Kranken, der keine Kalorien braucht, er ist ja fixiert,
an fünf Punkten fixiert, er kann sich nicht bewegen, und er kann auch
nicht schreien, da sei die Semmel und die kleine Dose, nein, nicht Dose,
Portionspackung mit Leberaufstrich, vielleicht das Lieblingsessen, keine
Ahnung, vor!, der kann sich nicht bewegen, zu seinem eigenen Schutz nicht
und zum Schutz andrer schon gar nicht, er ist an fünf Punkten seines Leibes
auf dem Bett fixiert, er fixiert die Decke und will schreien, will zumindest
atmen, aber es geht nicht, das vielleicht Lieblingsessen steckt ja zwischen
dem Kranken, der hier fixiert wurde, was ihm nur guttut, und der Luft,
es steckt zwischen dem Kranken und der Luft das Lieblingsessen fest, das
herausgezogen werden muß, aber das reicht noch nicht, das reicht füs Leben
noch nicht, aber fürs Sterben gewiß, denn da ist noch die kleine Dose,
die kleine Dose, die kleine Dose mit Leberaufstrich, vielleicht das Lieblingsessen,
ohne Unterlaß das Lieblingsessen hier beschrieben, aber es wurde unterlassen,
es ordnungsgemäß im Schlund des Kranken unterzubringen. Es war deplaciert,
dieses Essen war völlig deplaciert dort, wo es war, es hätte woanders
hingehört, aber vielleicht hat es diesem Kranken gar nicht gehört, vielleicht
einem anderen, der es ihm gab?, wir sagten es schon oft, daß etwas nicht
am rechten Fleck, ja, das Herz schon, aber sonst nichts, weil dieses gute
und jetzt vergeudete verschleuderte Essen den Schlund nie erreichte oder
nicht im richtigen Verkehrsmittel erreichte, Sie fahren ja auch nicht
mit der U-Bahn mitten ins große Geschäft hinein, durch die Auslagenscheibe
hindurch, damit man Sie von drinnen wie von draußen sehen kann, Sie haben
schließlich selber Auslagen gehabt! Doch die Bahn fährt nicht bis in Ihren
Schlund, in den sie nie hineinkäme, auf keinem Weg. Es geht auch anders,
wenn man sich irgendwo hineinzwängen will, und wir können auch anders,
aber wir können nicht anders essen als zu kauen, zu schlucken, aber man
kann nicht atmen und schlucken zugleich. Wenn man atmet, erwacht die Welt,
wenn man schluckt, hält sie inne, hier aber geht gar nichts mehr. Das
haben wir schon vorher gewußt und den Patienten an fünf Punkten ans Bett
gefesselt, ich war auch schon ans Bett gefesselt, Sie gewiß auch, aber
nicht an fünf Punkten zugleich, keiner hat sich bei uns die Mühe gemacht,
uns an fünf Punkten ans Bett zu fesseln, viele machen sich die Mühe, den
Sicherheitsgurt nicht anzulegen und werden es vielleicht noch bereuen
und nie wieder ihre Lieblingsspeise, vielleicht ein Wiener Schnitzel,
vielleicht ein Gulasch, vielleicht was ganz andres, zu sich nehmen könne,
doch dieser Patient hätte etwas zu sich nehmen gedurft, wir haben es ihm
sogar in den Rachen gestopft, er bekam seinen Lieblingsaufstrich, nämlich,
wie schon der Name sagt, den Leberaufstrich, aber er bekam ihn nicht raus,
er hat ihn nicht rausgekriegt, wie auch, wenn man an fünf Punkten total
bewegungslos fixiert ist und keiner da, der einen dabei fixiert, mit den
Augen festnagelt, die Augen zumindest heftet wie die Liebe, nein, keiner
da, wenn er schreit, was er aber eh nicht kann, er kann nur röcheln, weil
ihm die Portionspackung Leberaufstrich, heruntergerissen von einer hellen
Schar mehrerer, einer Palette mit Leberaufstrichpackungen, ein Endlosband,
eine Tapete aus Leberaufstrich, von der man einzelne vorportionierte Leberaufstrichwarzen
abreißen kann wie von der Brust einer liebenden Mutter, jawohl, das soll
der Patient essen, und er ißt es gern, es ist vielleicht der schönste
Augenblick des Tages für ihn, den Leberaufstrich aufs Brot, auf die Semmel
geschmiert zu kriegen, er soll essen, sonst kriegt er eine geschmiert,
sonst kriegt er es von uns aufs Brot geschmiert, aber wie denn, wie denn?,
der Mund ist offen, der Mund ist oft größer als der Magen, ich weiß nicht,
wie in diesem Fall, weiß nicht, ob Leberaufstrich wirklich die einzige
Freude des Tages, aber sicher macht Essen große Freude jeden Tag, solange
man lebt, die einzige Abwechslung; und damit der Unbewegte, Unvergleichliche,
damit dieser Mensch die Freude auch wirklich sicher auskosten kann, hat
man ihn an fünf Punkten am Bett fixiert, angegurtet und ist dann weggegangen.
Alle sind weggegangen, aber einer scheint gekommen zu sein und hat ihm
zuerst die Leberaufstrichwarze in ihrem kleinen kühlen Grab, direkt aus
dem Kühlschrank, und die Semmel, vielleicht eine frische, die halbe Semmel
darüber in den Rachen gestopft, friß Vogel oder stirb, friß, bitte friß,
wenn du kannst. Er kann nicht, da selbst fixiert, der Leberaufstrich auf
der Semmel jedoch nicht. Ja, es stimmt, der Leberaufstrich befindet sich
nicht auf der halben Semmel, wie seine Bestimmung ihm ausdrücklich gesagt
hat, sondern außerhalb der halben Semmel, einzeln verpackt, in den Schlund
gestopft, man hätte nicht kauen und schlucken können, selbst wenn gewünscht.
Schrei oder schrei nicht, diese gute Semmel, der Höhepunkt des Tages,
vielleicht, denn das Baden wird eher nicht der Höhepunkt gewesen sein,
denke ich mir, eher der gute Leberaufstrich in der Minidose, die gar keine
Dose ist, nicht einmal eine Dose, ich war nicht einmal eine Dose, ich
war nur eine kleine unbedeutende Portionspackung, dafür aber mit leckerem
Inhalt, Leberaufstrich, mmmmh, mit Semmel besonders fein, zuerst die eine
Semmelhälfte, Bissen abbeißen, schön, so, dann die andre, nein, der Aufstrich
gehört nicht unter die Semmel, der gehört auf die Semmel, die Semmel gehört
diesem ans Bett gefesselten Mann, sie gehört in ihn hinein, sie gehört
aufgegessen, nein, nur gefesselt ist der Mann, schon auch ans Bett gefesselt,
aber wirklich, fest gefesselt, wie soll man da die Semmel richtig essen
können, das Lieblingsessen vielleicht, nur einmal am Tag, vielleicht aber
auch abends, ich weiß es nicht, aber so kann eine Semmel von jemandem
nicht gegessen werden, der ans Bett gefesselt ist, das heißt, die könnte
schon, aber der Gefesselte war wirklich echt gefesselt, wie wir vom Fernsehn,
nein, wir sind nicht vom Fernsehn, wir sind vom Fernsehn aber gefesselt,
ich kann hier leider keine fesselnde Darstellung liefern, nicht einmal
eine faßbare, kann gar keine Fassung liefern, denn dieser Mensch wäre
eine hervorragende Fassung für seine vielleicht Lieblingsspeise gewesen,
das schließe ich aus den Umständen, viele haben das gewußt, denke ich
mir, die Semmel mit dem Leberaufstrich aus einer kleinen Portionspackung
(Alu), die wärs gewesen, dieser Mensch und kein andrer hätte möglicherweise
eine hervorragende Fassung für sein Lieblingsessen abgegeben, aber er
hat den Löffel abgegeben, er hat müssen, er ist eher gestorben als sein
Lieblingsessen zu verdrücken, wie kann man denn eine verschlossene Portionspackung
verdrücken? Man kann es nicht, man kann sie zerdrücken, der Leberaufstrich
quillt hervor, aber man kann sie nicht verdrücken, dazu muß der Aufstrich
erst aus der Dose. Aber der ans Bett gefesselte Mann, der nicht von sich
aus ans Bett gefesselt war, sondern von andren an fünf Punkten ans Bett
gefesselt wurde, der hat nicht gewußt, wie er sein Lieblingsessen, die
einzige Freude des Tages, hinunterbekommen soll, wo er doch schon seine
Fixierung bekommen hat, er ist möglicherweise fixiert aufs Essen, total
fixiert, aber er ist zu stark fixiert worden, um überhaupt essen zu können.
Das war ein Fehler. Jetzt hat er nichts mehr davon. Jetzt hat er nichts
mehr von seinem Essen. Jetzt hat er nichts mehr von der guten hoffentlich
frischen knusprigen halben Semmel und dem kleinen Leberwurstaufstrichpatzen,
dem kleinen Leberaufstrich, das kleine Sackerl aus der Werbung, das mit
dem Billigtarif fürs Handy und fürs Surfen und überhaupt für alles, das
hat uns Menschen zu Tränen gerührt, aber andre werden schon von einem
gut gerührten Leberaufstrich sehr gerührt, möglicherweise zu sehr, aber
sie bekommen ja den Hals nicht voll. Wir kriegen den Hals nicht voll,
aber dieser Mensch hat den Hals ausnahmsweise einmal vollgekriegt, er
hat es voll gekriegt, er hat seinen kleinen Leberaufstrich gekriegt, aber
anders, anders als er es sich vorgestellt hat. Ich kann mir das nicht
vorstellen, wie man seine Lieblingsspeise nicht essen kann. Die kann man
doch immer essen. Nein, immer nicht. Nicht, wenn man an fünf Punkten,
welche vorher bestimmt wurden, angegurtet ist. Dann muß man vielleicht
sterben. Leberaufstrich mag ja Lieblingsspeise sein, vielleicht einzige
Freude, aber das wird jetzt einmal ein Anlaß, Vorkehrungen zu prüfen,
prüfen wir, prüfen wir, ob wir schlucken können und gleichzeitig atmen,
nein, es geht nicht, dann prüfen wir halt die Vorkehrungen, daß sich ein
Knorpel im Hals hervorkehren muß, damit der Mensch atmen kann oder so
oder so ähnlich stelle ich mir das vor, der Knorpel kommt und geht beim
Atmen, beim Schlucken, hier kam die Semmel und der Leberaufstrich, noch
in seinem kleinen Gehäuse, in seinem kleinen Alu-Gefängnis, in der Portionspackung,
aber er kam nie an. Er kam, aber er kam nie an. Der Kranke kam nie an,
er war schon da, er war schon angegurtet, aus Vorsicht und Rücksicht,
angegurtet an fünf entscheidenden Punkten, und die haben genügt. Die Punkte
haben funktioniert. Die haben genügt, daß der Kranke seine Lieblingsspeise,
was weiß ich, ob sie das war, nicht mehr essen konnte. Er ist erstickt.
Er ist nicht erstunken und erlogen, er ist erstickt, da gibts nichts,
das ist nicht zu leugnen. Es ist nicht daran zu rütteln, wie der Mensch
essen und atmen muß, nie beides gleichzeitig, aber er muß beides, er muß
irgendwann beides, atmen öfter als essen, aber er muß beides, er muß beides,
doch man läßt ihn manchmal nicht. Man läßt ihn nicht. Man läßt ihn willkürlich
nicht, und so kann er auch unwillkürlich nicht mehr atmen. Das Essen:
ein Akt reiner Willkür! Das Atmen: unwillkürlich, aber leider nicht immer
möglich. Man überläßt, man übergibt ihm eine gute halbe Semmel und einen
guten kleinen Leberaufstrich in einer guten kleinen Packung, aber man
läßt ihn nicht essen, den Kranken. Man läßt ihn nicht. Man überläßt ihn
seinem Schicksal, aber man läßt ihn nicht essen und atmen, atmen wäre
öfter nötig gewesen, aber man läßt ihn nicht, man läßt ihn auch nicht
essen, bitte, das Essen hätte man leicht verschieben können, aber das
Atmen nicht, das Atmen nicht. Fürs Atmen gibts kein Später, das Atmen
läßt sich nicht aufschieben. Das Essen aufzuschieben ist schon unangenehm
genug. Fünf Punkte hinderten den Kranken am Genuß einer halben Semmel
und einer kleinen Packung Leberaufstrich. Das Hindernis war ein Fünfpunktgurt.
Das ist nicht viel, aber wenig ist es auch nicht. Es ist nicht einmal
ein Sixpack. Die Gesellschaft ist jetzt zur Erklärungsablegung verpflichtet,
aber sie muß auch essen und atmen. So. Jetzt atmet und ißt die Gesellschaft
auch schon, brav, Gesellschaft!, aber nicht beides gemeinsam, da muß man
aufpassen, nein, man muß einen nicht zur Sicherheit angurten an fünf Punkten,
damit die Gesellschaft schön atmen und essen kann, das ist nicht nötig,
sie soll beides, bitte, alle sollen alles, aber nicht auf einmal. Nicht
auf einmal im Sinn von gleichzeitig. Immer schön eins nach dem andren.
Das ist der Grund, warum man diesen Menschen vor sich selbst geschützt
hat und vor andren auch, aber das hat nicht funktioniert, nicht kurz und
nicht auf Dauer. Die Semmel hätte nur mit dem Leberaufstrich oben drauf
ordentlich funktioniert. In diesem Zustand hätte sie funktioniert, in
einem andren nicht, so wie sie war hat sie nicht funktioniert. Der Funktionsgurt
hat an fünf Punkten nicht versagt, er hat gehalten, aber das Atmen hat
nicht gehalten, was es versprochen hat, nein, das Essen auch nicht, was
für eine Enttäuschung, was für eine Enttäuschung, Semmel und eine kleine
Dose mit Leberaufstrich so nahe zu haben, aber sie nicht hineinzukriegen,
schon gar nicht in der richtigen Reihenfolge. Die richtige Reihenfolge
ist atmen, essen, atmen, essen, atmen, essen und so weiter. Die richtige
Reihenfolge darf keinesfalls gestört werden, auch von Gestörten nicht,
die richtige Reihenfolge muß eingehalten werden, und dazu müssen die Atmenden
und Essenden an fünf Punkten angegurtet sein, nein, zur Sicherheit müssen
sie es, nicht zum Essen. Ach was! Von mir aus. Ich kenne den Menschen
nicht, das hat schon Petrus gesagt, sogar dreimal. Ich kenne niemanden.
Ich höre nur und atme dabei ein und aus, ohne es zu merken. So schwer
kann das also nicht sein. 11/12.06.2008 Bilder: www.lsf-graz.at
(1), de.wikipedia.org (2)
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