Wie der Herr, so sein Krieg

Nachbemerkungen einer Unmündigen zu den Vollmundigen

Da nun alles aus und vorbei ist und die Autos die Titelseiten der Magazine zurückerobert haben, was nur korrekt ist, denn die Maschinen haben schließlich über die Menschen gesiegt; da nun die letzte Schlacht geschlagen ist und aus deutschen Giftlieferanten wieder brave Häuselbauer geworden sind, die sich um Aufträge anstellen, (und das haben sie und ihre Kameraden ja schon seit Ausbruch dieses Krieges getan. Die erste Stufe haben sie glatt übersprungen: die Deutschen haben keine Menschen geliefert, sondern gleich Maschinen!) müssen auch WIR FRAUEN langsam unsre kleinen Bauchläden anwerfen und an die Nachproduktion denken. Aber bitte, bedenken auch Sie bei Ihrer Nachbestellung unsre Lieferfristen von 9 Monaten (daher sind wir am Markt auch so unflexibel!), früher gehts wirklich nicht, bevor Sie unser schönes Produkt, mit dem wir uns wirklich Mühe gegeben haben, wieder in Fetzen reißen! Für die moderne Kriegsführung scheint es ja als Aktivum nicht mehr benötigt zu werden, nur noch als Passivum. Das tut uns leid. Wir hätten uns einen besseren Verwendungszweck denken können, aber unser Material ist schließlich vielseitig und kann vielerlei Belastungsproben unterzogen werden, wenn auch die Ausfallsrate hoch ist. Macht nichts, bestellen Sie sich halt was Neues! Feiern Sie jetzt, verfeuern Sie uns und unsre Brut später! Los! Lassen Sie jetzt Ihre Korken knallen!

So ist es mit unser kleinen hausgemachten Ökonomie. Doch über unsren Bäuchen wölbt sich der universelle Markt, und auf dem haben wir nichts zu bestellen. Aus diesem ökonomischen Machtkreislauf sind wir ausgeschlossen. Aus diesem umfassenden, weltumspannenden Warenkreislauf von Kaufen, Bezahlen und Abschlachten, Kaputtmachen und sofort wieder was Besseres Kaufen und den ganzen Krempel wieder Aufstellen sind wir ausgeschlossen (obwohl: Lastwagenfahrerin oder Pilotin dürfen wir inzwischen schon werden, vielen Dank!). Es ist, als würden die Männer ihre Kinder (der Kinder Samen) in einem Supermarkt einkaufen oder nach Listen bestellen, so wie sie damit umgehen. Die Frauen sind nicht vorhanden, es sei denn als mickrige Detailhändlerinnen für lebendiges Fleisch. Aber sie sind natürlich überall, die Frauen.

Sie sind da und nicht da. Es gibt mehr von ihnen als von der andren Sorte Geschlecht. Und da in diesen Kriegen auch die alten Männer die jungen gnadenlos verheizen, denn es steht geschrieben, die jungen Männer sollen nicht bewaffnet sitzen an ihrer Väter Tischen, denn sie sind schöner und stärker als diese Väter, Freud hat das besser gewußt als jeder andre, werden diese Frauen noch einmal überhandnehmen, wenn sie (und ihre Vorgesetzten) nicht aufpassen, daß sie rechtzeitig dezimiert werden. Sie sind überall, aber man darf sie nicht sehen. Sie müssen unsichtbar werden. In diesen islamischen Gesellschaften darf dieses ANDERE, das weiblich ist, nicht gesehen (und nicht gezeigt) werden, es wird daher verhüllt. Überall ist dieses weibliche Nichts und doch Nirgends. Wie die Sexualität, deren Zeichen überall von den Wänden starren, bis die Luft von ihr elektrisch geladen, die Sexualität aber verschwunden ist. Denn etwas, das überall ist, ist nirgends. Und so gehen die iranischen Revolutionswächter auf die Suche nach ein paar Zentimetern nackter Haut, einer Haarlocke, nach Lippenstift und Nagellack, denn das muß alles weg, damit es auch die Frau schließlich nicht mehr gibt, sie aber andrerseits stets zur Verfügung steht. Denn es soll nicht nur ein höheres Wesen über uns sein, es besteht auch Bedarf an einem niedrigeren Wesen unter uns. Und persische Waffenhändler reden in deutschen Talkshows über die Verhüllung des Weiblichen durch die Kleidung. Die eigenen Hälse haben sie aus den Krawatten gezogen, die sie in ihrer Heimat als Schlingen denen, die anders denken und schreiben als sie, um den Hals legen.
 
Und dieser Krieg

Kehren wir zu ihm zurück, was wir inzwischen gefahrlos tun können, denn wir haben ihn schon oft im Fernsehn gesehen und wissen, woraus er bestanden hat. Nur keine Angst! Die Bilder waren sauber, zumindest im Anfang, chemisch gereinigt. Es war der Kampf intelligenter Maschinen gegen das Fleisch der Menschenprodukte. Die Tasten der unzähligen kleinen Laptops klappern, die Daten werden EMPFANGEN, die Insemination ist gelungen, und schon fliegen die Geschosse leuchtend und erleuchtet um die Ecken. Ihr Gehirn ist eine Landkarte, und artig vergleichen sie die ihnen eingespeisten Bodenformationen mit dem, was sie da vor sich sehen, fliegen elegante kleine Kurven, werden bestaunt und schon gehts weiter, unbeirrbar, denn sie haben ein ZIEL. Die Jungs, die sie gemacht und erzogen haben, jubeln. Wie beim Videogame gibt es in diesem High Tech-Krieg keine Gegner mehr, auch wenn die überall sind. Sie sind da und sind doch nicht da. Als Menschen wie wir selbst eben nicht wahrnehmbar. Und diese Enttäuschung, wenn der amerikanische Junge mit der neuesten schicken Kriegerfrisur (die Haare nur oben, dicht am Deckel des Kopfes), für den der Krieg doch ein Abenteuer hätte sein sollen (you can always geht what you want), feststellen muß, daß vom Gegner, den als Menschen- wie- er- selbst- einer- ist wahrzunehmen er gar nicht mehr imstande ist, sondern nur als Ziel, als target, keinerlei Gegenwehr mehr kommt. Das ausgeschlossene ANDERE! Das ein ANDERER schon nicht mehr sein kann, weil der Gedanke ausgeschlossen wird, er könnte ein Wesen sein wie man selbst es ist. Und die amerikanischen Soldaten sind "caring people" (Bush). Sie werfen den halb verhungerten gefangenen Irakis Butterbrote und Dosen mit Schweinswürstchen (siehe unser Foto in Newsweek!) zu, mmhm, das ist gut gegen den Islam! Vielleicht waren es ja doch Kalbswürstchen. Aber der Gegner ist da, vor Ihnen, und er sieht Ihnen sogar irgendwie ähnlich, merken Siedas denn nicht?



Es ist nicht einmal mehr die selektive Wahrnehmung des Gegners wie im Kalten Krieg, die Vernachlässigung des Wandels auf der Gegenseite, die Annehme des denkbar schlimmsten Falls. Nein, es gibt ihn nicht mehr, den Gegner, und alles Verhandeln mit ihm war Schein, Schall, Rauch. Jetzt ist er selber Schall und Rauch. Diese Begeisterung General Schwarzkopfs über jenen im Fernsehen bis zum Erbrechen gezeigten Film über die Bombardierung des irakischen Verteidigungsministeriums: beim einzig möglichen LOCH, auf den Millimeter genau, ist dieses Geschoß in dieses Haus eingedrungen und hat es penetriert! Bravo! Die Frau ist eben überall, und sie ist nirgends, vielleicht ist sie in uns oder wir sind in ihr, jedenfalls kommt sie manchmal in schönen Beispielen aus Industrie und Technik wieder zum Vorschein, an den unerwartetsten Stellen, die aber vor unsren Augen immer wieder verhüllt (und gezeigt) werden sollten



Andre Kriege, andre Gegner. Wie der Herr, so sein Krieg. Der Dschungelkrieg in Vietnam: Scheinbar alte, bewährte Heimarbeit mit der Laubsäge (und dem Entlaubungsgift): Das direkte Töten von Mann zu Mann, bei dem die Trennung der Kämpfer und Nichtkämpfer aufgehoben war. Die Leutnants Calley und andere (damals waren die Computer noch zu groß, als daß man sie hätte mitnehmen können im Marschgepäck!)- wie oft waren sie vor ihrem Kriegsverbrecherprozeß nicht belobigt worden, von höchster Stelle!- haben bei ihren exzessiven Gewalttaten auch gegen die Zivilbevölkerung des Landes letztlich aus Angst geschossen, weil sie nicht mehr in der Lage waren, zwischen Zivilisten und Vietkong zu unterscheiden. Gelernt hatten sie, der Gegner sei das ganz ANDERE, aber der ist plötzlich Fleisch geworden und hat mitten unter uns gewohnet, und deshalb erkennt man ihn nicht rechtzeitig.: "Vietnam hat mir Spaß gemacht. Immer was zu tun. 24 Stunden am Tag." (ein US-Soldat)

Es kann aber auch geschehen, daß der Gegner weit weg ist, aber in einem Flugzeug ist man über ihm. Man hat alle technischen Möglichkeiten, kann schnell fortfliegen von ihm, und er muß dort unten allein bleiben mit den Auswirkungen unsrer neuesten Erfindungen. Verbrechen machen dann nicht mehr viel Arbeit. Schon in Hiroshima ist die technische Mitwirkung an der Massenvernichtung von größter Bedeutung gewesen (Herbert Jäger "Makrokriminalität"): "Indem der Einzelne sich mit technischen Prozessen identifiziert und aus ihrer perfekten Durchführung Befriedigung zieht, verliert er das, was sie bewirken, leicht aus den Augen."


Andre Kriege, immer neue Gegner. Die entsetzlichen, biblischen Greuel des noch in Manufaktur hergestellten Krieges gegen die kuweitische Zivilbevölkerung: Ja, wenn ich die Wahl habe, die Augen ausgerissen zu kriegen oder den Bauch bei lebendigem Leib aufgeschlitzt, dann entscheide auch ich mich für die schonende Aerosolbombe, bei der es mir in Sekundenbruchteilen die Lungen zerreißt: Empfehlen Sie uns weiter, wir arbeiten schonend und zuverlässig, Patente in allen Unkulturländern!

Dann haben endlich die Richtigen gesiegt. Treten vor den Vorhang, verbeugen sich, beugen uns. Wir haben sie inzwischen alle im Fernsehen kennengelernt. Aber achten Sie bitte auch auf jene, die ganz im Dunkeln, dahinter, stehen! MAN SIEHT SIE NICHT, UND DOCH SIND SIE DA. Spielgeld sind wir in ihren Händen. Die Bankschalter sind jetzt geöffnet. Wir können jederzeit eingelöst werden.






Nachbemerkung:

Inzwischen kennen wir die Folgen. Völkermord an den Kurden, Exodus aus deren Gebieten, Verhungern, Erfrieren, an Krankheiten Sterben. Die jetzt von vielen der Einäugigkeit beschuldigte Friedensbewegung hat genau diese Folgen vorausgesehen, als sie gegen den Krieg und für andere Sanktionen gegen den Irak eingetreten ist. Wer gegen das qualvolle Sterben der Kurden ist, muß auch gegen das qualvolle Sterben der Zivilbevölkerung in Bagdad, Kuweit und Israel sein. Die scheinbare Schwäche der Friedensbewegung liegt ja nicht darin, daß sie das Unrechte ihrer Position hätte einsehen und erkennen müssen, sondern darin, daß sie, ohnmächtig, wieder einmal recht behalten hat: Aus Krieg entsteht immer nur neues, schlimmeres Übel. Das Töten pflanzt sich fort. Der Stein ist ins Wasser geworfen worden, niemand kann die Wellen und Kreise mehr aufhalten, keine menschliche Hand. Schon gar nicht die, die geworfen hat. Die Bush-Administration hat die Resolutionen gegen den Irak durchgesetzt und gleichzeitig verhindert, daß die UNO dann auch die Kontrolle und das Kommando über die militärischen Maßnahmen erhielt. Der Golfkrieg bedeutet Schwächung, nicht Stärkung der UNO. Zur Sicherung der Kurden kann sie nun nichts oder nur wenig beitragen. Das Schicksal der Kurden ist den Kriegsparteien immer gleichgültig gewesen, aber ein geschwächter Saddam Hussein ist ihnen (und war ihnen wohl immer) das geringere Risiko als das, was die USA einen "libanonisierten" Irak nennen. Mrs. Rockefeller und die Multis haben eben keine wirtschaftlichen Interessen im Land der Kurden, die zu schützen sie sich aufgerufen fühlen könnten. Wir können helfen. Wir haben, durch den Druck unserer öffentlichen Meinung, immerhin erreicht, daß die Alliierten Flüchtlingslager errichten und diese schützen muBten. Das ist nicht viel, aber es ist etwas. Bis einmal der Tag kommt, da wir nur noch wie die Hunde vor unseren Häusern sitzen und heulen können, weil wir alle uns einig sind, aber rundherum ist schon Wüste, und alles ist längst vorbei, obwohl wir alle nicht hingegangen sind.


 

(Der Aufsatz erschien am 29.3.1991 in der ZEIT)






Wie der Herr, so sein Krieg © 1997 Elfriede Jelinek

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