Das
Schöpfergeschöpf
*27.9.1936, 19.2.2010
"Mein keusches Thema Mutter..." B.G.
Zu
Bruno Gironcolis Plastiken
Es
sausen die Streitwagen, als hätten sie nie angehalten. Es schmettern
die Peitschen. Die Luft rast brüllend links und rechts an ihnen
vorbei. Diese tobenden Altäre, von nichts gezogen, sind dazu da,
Luft zu verdrängen, in die sie sich weit hineinschrauben. Oder
ist die Luft, die sie von sich abhalten, die eigentliche Plastik? Es
wächst unaufhörlich, kann nicht aufhören, das liegt in
seinem Wesen. Riesig.
Die Wagen tragen Äxte, mit denen sie durch die Luft sicheln, die
gepeinigt aufschreit. Wind kommt auf, pfeift, ein Wind, der immer das
Gewesene grüßt, das nie mehr sein wird. Das Gebilde verändert
sich ständig, wird auseinandergerissen, klafft blutig auf und wird
wieder neu zusammengesetzt. Es wächst ja immer noch! Die Äxte
sind gräßliche Schweine, wie Messer montiert, zusammengespannt
zu Quadrigen (auf den Zeichnungen oft zu spiraligen Faschiermesserschneiden
zusammengedreht), sie sind zu Rasierklingen gebogene Kornähren,
nicht von Fäulnis eingerollt, nein, es sind Pflanzengebilde, die
sich zischend zum Angriff aufrichten, Königsschlangen knapp vor
dem Zustoßen. Oder zu Prügeln, Knüppeln erhobene Traubenfrüchte.
Ins Feuer sind sie getaucht, fast verbrannt in etwas Fremdem, bevor
sie entstanden sind. Jetzt sind sie aus diesem Fremden geholt und sind
geworden, was sie sein müssen, nämlich, was vorher geträumt
worden ist. Sie sind DA und ziehen andres nach sich.
Das Kommende grüßen und an das Gewesene denken, das, unsichtbar
in seiner Form erstarrt, noch da ist. DIE MUTTER. Die immer war und
einen aus der Form hinaushebt, damit man sich ewig machen kann. Sie
schweigt. In ihrem blutigen unergründlichen Loch kann alles sein
und nichts, es kann alles herauskommen. Daher umgibt der Künstler
sich mit allem, damit er noch mehr Alles schaffen kann. Die Frau rettet
das Erscheinen. Ihre einzige gesellschaftlich sanktionierte Form zu
erscheinen ist: DIE MUTTER. Sie gebärt die Schöpfer. Die einzig
sanktionierte Form des Schöpfers ist: DER MANN.
Diese Fruchtbarkeit, ihr nicht endenwollender Schrecken verführt
den Mann zum Maßlosen, das aber immer ein Gemachtes ist. Die mütterliche
Macht wird durch das Ge-machte ersetzt.
Die Kunst, die Technik ist das Gemächte des Menschen, der ein Mann
ist. Wollen wir das Wesen der Dinge begreifen,müssen wir die Augen
zum Entsetzen des Menschenmachens heben. Diese golden angestrichenen
dahinsausenden Altäre, Stätten des Geborenseins, gleichzeitig
aufs äußerste glattpolierte Denkmäler der Vergesellschaftung,
des Eingepaßtwerdens in das Wuchern, den Wildwuchs der gesellschaftlichen
Institutionen: Nur Kafka, der ewige Beamte, (er hat sein Beamtensein
gehaßt und doch: Nur als Beamter, hockend auf seinem Adlerhorst
aus winzigen Zweigen, konnte er WISSEN und FASSEN) hat solche monströsen
Gebilde aus Wachstum errichtet, um sich aus ihnen unbemerkt davonstehlen
zu können. Und nur mehr das Gebilde bleibt da, in das DER VATER,
DER LEHRER wie Blitze das Leben verschleudert, das die Mutter gemacht
hat.
Entwurf, Zeichnung (Tempera) 140x120 cm, 1974
Der
Schöpfer beschenkt sich selbst mit diesen silbernen, goldenen Altären,
die auf ihren Kufen dahingleiten. Er steht im Wind, im Wandel. Er hat
sich selbst geboren und duckt sich doch unter der Peitsche der Mutter,
die ihm die triefende Nachgeburt aus den Händen reißen und
immer etwas noch Größeres daraus machen könnte. Oder
ihm seine Macht wieder nehmen, die er sich angemaßt hat. Ihre
Scheren und Messer schnappen durch die Luft. Heftiger noch als die Freudsche
Kastrationsdrohung, die den Künstler zum Schaffen peitscht, ist
das Grausen vor diesem un-einsehbaren Loch, aus dem immer etwas noch
Größeres kommen könnte, da man ja selbst draus hervorgekommen
ist! Das von Anfang an Alles enthalten hat. Die goldenen Riesenfetische,
nach dem Vorbild keines Menschen gemacht, sind ja nur was man SIEHT.
Was kann sich hinter ihnen verbergen, das Leben ausmacht, da sie selbst
doch nicht lebendig sind? Es muß das Geheimnis sein, ein Zweites
aus sich zu machen, etwas, das dargestellt werden kann aus etwas, das
man er-faßt hat, da der Mann aus sich kein Leben herstellen kann.
Er muß, gefräßig wie ein Raubtier, vorher Leben erst
aufnehmen, um das Eigene aus dem Fremden mit Klauen und Zähnen
herausfetzen zu können. Und jeder Fetzen Dargestelltes ist vorher
zugeschickt worden:
Die Mutter macht, was ist und was möglich ist. Ihr Schaffen ist
furchtbar, weil alles, was sie zeigt, ihr Geschöpf herausreißt
aus dem Wirklichen und hineinwirft in die Schrecken des Unwirklichen,
denen ihr Geschöpf, das Schöpfergeschöpf endlos Gestalt
verleihen muß. Was er bisher für unwirklich gehalten hat,
muß er wirklich machen. Er muß wirken, um Wirklichkeit zu
machen, an die er sofort wieder Hand anlegt, um etwas anderes draus
zu machen. Er traut keinem seiner Schritte, denn sein eigener Ursprung
ist der ungewisseste. Aus dem Un-Gewissen kommt er ja! Er darf nur eins
nicht: er darf nicht NICHTS machen! Er muß seine goldenen Formen
überall hineinstellen, und sie sollen oben endigen in bösen
Tieren und Früchten, damit man diese Enden nicht aus den Augen
verlieren kann. Und stieren diese Enden, die weit über unsren Köpfen
in die Luft ragen, starren sie nicht ins Unwirkliche, diese grausige
letzte Behausung des Wirklichen? Tausende, Millionen Möglichkeiten
des Noch-Nicht-Seins, die sich im Sein verbergen, denn diese Gebilde
tragen in ihrem Sein immer ihr Nichtsein mit sich. Was sie an Luft verdrängen,
schaffen sie auch in dieses Nichts der Luft hinein. Immer lauert im
Noch Nicht Wirklichen dieser Plastiken (und morgen schon könnten
sie ETWAS geworden sein. Dann werden ihre klaffenden Glieder verbunden:
geheilt und ver-bunden) schon ihr neues und vielleicht endlich wahrhaftiges
Sein. Damit der Vater zur Mutter werden, den Schritt ans Ufer machen,
gerettet werden kann. Das was ist, ist immer nur ein Mögliches.
Vielleicht ist gerade dieser Zustand des Auseinandergefetzt Werdens
der eigentliche Zustand dieser Ge-Bilde. Zwischen Nichts und Nichts,
hart zwischen Nichts und Nichts (Kleist), zwischen Sein und Nichtsein
ist vielleicht die einzige reale Möglichkeit, die aber nie zu erreichen
ist. Wie furchtbar ein träumender Gott zu sein, da man ja keine
Mutter werden kann. Dieser Künstler kann sich nie aufhalten. Kaum
ist ihm etwas vertraut und wirklich geworden, das er gemacht hat, schon
muß er es zerreißen und zum Möglichen machen! Denn
das Leben, das Zum Leben Erwecken könnte ja genau einen Millimeter
davon entfernt sein, und er hat es verpaßt, und die Früchte
faulen an ihren goldenen Stielen, die er auch gemacht hat. Vielleicht
sollte er zugleich mit dem, was er sagt und uns zeigt, auch Das Was
Kommt schon einschließen, also das was war und das was kommt in
dem was IST einfangen. Damit die rasenden Lüfte zum Stillstand
endlich kommen, sich an den goldenen Armen nicht länger brechen
und Wirbeln schlagen, sondern endlich den Weg sehen, den sie entlanggehen
können. Ruhig.
siehe
1997
20.2.2010
Das
Schöpfergeschöpf © 1997 Elfriede Jelinek