Arrested in GenuaUlrich BrandZu siebt nahmen wir am Samstag, 21. Juli an der Großdemonstration in Genua während des G 8- Treffens teil. Wir entschlossen uns gegen 15:30 Uhr mit dem Demonstrationszug durch das Zentrum zu laufen. Die Stimmung war sehr gut, trotz der Vorfälle vom Freitag. Entfernt waren erste Auseinandersetzungen mit Rauchbomben zu beobachten, jedoch in sicherer Entfernung der Demonstrationsroute. Wir schlossen uns einem Teil des Demonstrationszuges an, in dem auch eine Gruppe italienischer Gewerkschafter mitliefen und kamen so an eine Strassenkreuzung im Zentrum der Stadt, an der die Veranstalter die TeilnehmerInnen aufforderten, schneller zu gehen, damit der Zug nicht stockte. Plötzlich wurde sowohl hinter als auch vor uns Tränengas in die Menge geschossen. Unter den Demonstranten brach Panik aus. Ich blieb mit zwei anderen Mitgliedern meiner Gruppe zusammen, wir wollten zurück gehen. Dann entdeckten wir eine offene Haustür und suchten zusammen mit etwa einhundert anderen Menschen Schutz. Wir waren alle relativ ruhig, damit beschäftigt, mit Wasser die Augen auszuwaschen und das Gesicht abzuwischen. Eine Hausbewohnerin öffnete die Tür und bot Hilfe an. Nach etwa 20 Minuten ging die Meldung durch den Flur, dass unten die Polizei stehe und uns rauslassen würde. Wir gingen hinunter und im Erdgeschoss - ich dachte an überhaupt nichts Böses -riss mich plötzlich ein wütender Polizist an meinem schwarzen T- Shirt, zeigte auf das darauf abgebildete Porträt von Marcos, und schrie: "Terrorista". Ich versuchte weiter zu gehen, wurde aber festgehalten und musste dann meinen Ausweis zeigen, der mir sofort abgenommen wurde. Etwa 5 Minuten lang wurde ich im Hauseingang festgehalten, meine beiden Begleiterinnen mussten weitergehen, im Flur hinter mir wurden Leute geprügelt. Ich musste den Rucksack öffnen, er wurde auf den Boden geworfen, zwei Kniebandagen, Fotoapparat, den Rucksack selbst und eine Uhr sah ich nicht wieder.
Zu zweit
wurden wir festgenommen, ein Italiener (Maracielli o.s.ä. - ich nennen
ihn in Unkenntnis seines Namens Massimo) und ich. Wir waren diejenigen
gewesen, die schwarze Kleidung trugen: er war ganz in schwarz gekleidet,
ich trug ein schwarzes (Marcos-) T-Shirt, blaue Hose und Turnschuhe. Vor
einem Polizeiwagen mussten wir auf den Boden knien und uns wurden Handriemen
angelegt, die wir bis zur Einlieferung in Bolzaneto umhatten. Mit einem
Kombi wurden wir in etwa 5 Minuten zu einem Gebäude (der Questura?)
in der Innenstadt gefahren. Man spürte bereits die Wut und den Hass
der Polizisten, Massimo wurde permanent mit einem Polizeiknüppel
geschlagen, mein "Nachbar" war zahmer. Dann wurden wir vom Auto in das
Gebäude geführt. Der Polizist neben mir drohte (die Verständigung
war die ganze Zeit auf Englisch), wenn ich fliehen würde, würde
er mich umbringen (I will kill you). Dann summte der hinter mir laufende
Polizist ein Lied, worauf der neben mir fragte: "Do you know this song?
No? It's a fascist song." Vor dem Gebäude standen zig uniformierte
und zivil gekleidete Polizisten. Drinnen wurden wir in einen schmutzigen
Raum ohne Möbel und mit Kachelboden geführt und ich wusste sofort,
was jetzt passieren würde. Wir wurden auf den Boden geworfen, dann
erst Massimo und danach ich verprügelt, dabei die ganze Zeit in Handschellen
gefesselt. Um mich herum standen etwa 10 bis 15 Polizisten, etwa 5 von
ihnen kamen nacheinander an mich heran und traten zu: Kopf, Gesicht, Rücken
und Beine. Es war ein hasserfülltes Treten. Gleich zu Beginn wurde
mir die Brille abgenommen, neben mich gelegt und jemand trat drauf. Dann
lagen wir - die ganze Zeit gefesselt - in Ungewissheit auf dem Boden,
uns wurden sie letzten Sachen abgenommen (Geld, Adressen, Gürtel),
wobei zwei Hosentaschen nicht geöffnet, sondern aufgerissen wurden.
Die Schuhe wurden mir ausgezogen, ich bekam sie auch nicht wieder, sondern
war die nächsten etwa 1 5 Stunden nur auf Socken. Es kam irgendwann
ein Arzt, der meinte, jetzt sei alles in Ordnung. Er leuchtete
in die Augen und maß den Puls. Ich dachte aber schon, wofür
das gut sei. Irgendwann wechselten recht schnell die Leute im Raum, der
Arzt und sein Gehilfe waren weg, es kamen Polizisten mit schwarzen Handschuhen:
die zweite Runde. Diesmal wurde mir das T-Shirt zerrissen, wir wurden
- wie die gesamte Zeit - beschimpft, und nochmals mit Fäusten geschlagen
und getreten. Dann wurde mir das T-Shirt abgeschnitten und ein neues über
den Kopf gezogen - und zwar eines mit EZLN-Aufdruck. Doch dies wurde mir
wieder abgenommen und durch ein farbiges ersetzt. Darüber war ich
froh, denn ich hoffte, es würde in den nächsten Stunden "de-eskalierend"
wirken. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt extreme Angst, da die Polizisten
alles mit uns hätten machen können. Hass und Willkür waren
überwältigend. Falls Massimo herausgeführt worden und ich
alleine geblieben wäre, hätte ich wohl Panik bekommen. Plötzlich
wurden wir rausgeführt, auf dem Weg zum Auto nochmals geschlagen,
mein Kopf schlug gegen eine Wand. Dann ging es - in getrennten Autos -
mit hoher Geschwindigkeit durch die unbelebte Stadt, dann über die
Autobahn in ein Sammelgefängnis. Wie ich später erfuhr, war
es Bolzaneto. Die Handriemen wurden abgenommen und ich wurde in eine Zelle
(Nr. 7) geführt, auf dem Flur standen Polizisten wieder Spalier,
von denen einige nach Belieben zuschlugen und -traten. Ich wurde mit den
Worten "trattamento speciale" zu einer Zelle geführt und bekam Angst,
dass es gleich so weiter ging. Es bezog sich aber wohl auf die vorherige
"Behandlung". In der Zelle (etwa 6x6 Meter) waren wir zu acht und mussten
mit dem Gesicht zur Wand stehen, die Nase an die Wand, die Hände
nach oben. Die Aufpasser schrien dauernd "alto gli mani!" (die Hände
hoch), gingen immer wieder durch die Zelle und zwangen die Gefangenen,
die Hände noch höher zu strecken, hämische Rufe waren etwa
"Comunista", "Bastardi", "gl obal", "Manu Chao" u.a. Das Lieblingswort
der Polizisten war "Cazzo" (Schwanz). Hinter dem
Fenster standen ebenfalls hämisches Zeug redende Polizisten. Irgendwann
ließ einer von dort Tränengas in den Raum ziehen, sich am Husten
der Gefangenen erfreuend. Nach etwa zwei Stunden, es war noch hell, musste
ich raus (wieder das Spießrutenlaufen über den Flur) und nochmals
etwa 30 Minuten warten, dann kam ich zum Erkennungsdienst. Elektronischer
Fingerabdruck, normale Fingerabdrücke, Fotos, Daten angeben. Übrigens
sehr gut ausgestattet mit Computern; ein irischer Gefangener erzählte
mir anschließend, dass er bezüglich seiner Personenangabe auf
dem Bildschirm gesehen hätten, dass er vor einem halben Jahr die
Zeitung "The Internationalist" abonniert hätte. Beim Rausgehen wusch
ich mir die Hände auf dem Hof als plötzlich ein Polizist neben
mir stand, etwas sagte, mir etwas 20 cm vors Gesicht hielt und abdrückte:
Es war Tränengas; glücklicherweise konnte ich mich wegdrehen
und die Augen schließen. Abwaschen konnte ich nicht, weil sich gleich
der nächste Polizist sich von der anderen Seite näherte und
ich Angst vor einem weiteren Übergriff hatte. Es tat in den kommenden
Stunden höllisch weh. Dann kam ich in dieselbe Zelle zurück,
wo mittlerweile nicht mehr acht, sondern über dreißig Leute
standen, eine Frau sah ich auch. Es wurde dunkel, neben mir standen ein
Deutscher aus Stuttgart und ein Italiener. Wir konnten uns leise verständigen.
Der Italiener wurde irgendwann rausgeholt und kam nach 15 Minuten stöhnend
zurück - "trattamento speciale". Man hörte immer wieder Schreie
über die Flure von offenbar gefolterten Menschen. In den kommenden
Stunden wurden einzelne Gefangene rausgeholt und mussten offenbar ihren
Verhaftungsgrund sich anhören und unterschreiben (setenzia). Es kamen
immer wieder Leute rein, die mit einzelnen Gefangenen über Anwälte
sprachen. Es herrschte eine absolute Unklarheit, wie lange ich wo bleiben
w ürde, was mir zur Last gelegt wird. Dann passierte noch einmal
die widerliche Sache mit dem Tränengas. Zusammen
mit Massimo, der in einer anderen Zelle war, wurden wir vor ein Büro
geführt. Offenbar müsste es nun auch um unsere Anschuldigung
gehen. Wieder Tritte und Knuffe auf dem Flur. Massimo musste mehrmals
laut "Viva il Duce (Mussolino) sagen. Wir kamen aber direkt zurück
in die Zelle ohne Verhör, Gespräch o.ä. Dann konnten wir
uns nach Stunden zum ersten Mal auf den Boden setzen - mit schmerzenden
Armen und Schultern. Nach zehn Minuten mussten wir allerdings wieder aufstehen,
uns zur Wand drehen und wieder die Arme hoch halten. Der Raum leerte sich,
offenbar wurden die Gefangenen entweder frei gelassen oder weg gebracht.
Wir mussten wieder vor das Büro, kamen wieder nicht rein, jetzt aber
in eine andere Zelle und unsere Sachen ausgehändigt (in meinem Fall
nur der Ausweis und Geld, andere auch Rücksäcke u.ä.).
Die Zelle wurde von einem Sadisten überwacht, der nochmals schlug
und peinigte. Wir mussten später aufrecht auf Knien sitzen, was höllisch
schmerzte. Ich dachte aber, bald seien wir frei, malte mir schon aus,
ob vor der Tür wohl Leute vom "Genua Social Forum " seien, ob ich
auf Socken zurück gehen müsste, hoffte, dass mich nicht Polizisten
in die Stadt zurück fahren würden. Irgendwann, vielleicht nach
einer weiteren Stunde, es war wohl nach Mitternacht, kamen wir in das
Büro. Dort mussten wir alles mögliche unterschreiben, als ich
etwas durchlesen wollte, wurde ich zur Eile getrieben. U.a. unterschrieb
ich wohl, dass die Polizei mich gut behandelt hat. Dann noch mal zum Arzt
(hier erfuhr ich, dass ich nicht frei kommen würde, sondern in ein
Gefängnis), noch mal in die Zelle und schließlich - ohne Massimo
- in Handschellen (zu zweit aneinander gekettet) in einen Bus mit Zellen
für je vier Personen. Irgendwann ging es im Sonnenaufgang los. Wohlgemerkt
verließ ich Bolzaneto ohne Verhör und ohne Anklage. (Im Bus
nickte ich mehrmals kurz weg und tr&a uml;umte mich sofort in ganz drastische
Gegenwelten von Urlaub und ruhigen Szenen.) Nach etwa
30- 45 Minuten Fahrt kamen wir im Gefängnis von Alessandia an. Beim Ein-
und Aussteigen ließen es sich die Bewacher nicht nehmen, nochmals
zuzuschlagen. Dann kamen wir zu sechst oder siebt in kleine Zellen, mussten
einen Meter von der Wand entfernt stehen, durften uns nur mit zwei, später
mit einem Finger abstützen. Hier bekam ich wieder Angst, weil über
den Flur dauernd etwas von "german" (was nicht Deutscher/tedesco, sondern
Germane heißt) zu hören war und ich an die 1.200 DM dachte,
die mir zu Beginn abgenommen worden waren und auf die die Polizisten evtl.
scharf sein könnten und es mir im Gefängnis oder später
mit Gewalt abnehmen wollten. Relativ spät kam ich dran (auf dem Weg
von der Zelle zum Aufnahmebüro wurden wieder einzelne Leute geschlagen),
im Aufnahmebüro saßen zwei offenbar Verantwortliche und standen
noch mal acht bis zehn Polizisten. Ein Verantwortlicher zählte gerade
mein Geld, was meine Befürchtung zu bestätigen schien. Einer
direkt neben mir zischte mir immer wieder Sauereien ins Ohr. Ich sagte
auf Englisch, dass ich auf das Geld verzichten würde, dass es keine
Anklage gegen mich gäbe, dass ich einen Rechtsanwalt und mit der
deutschen Botschaft sprechen wolle. Ich gab eine Nummer in Frankfurt an,
doch die interessiert sie nicht. Statt dessen sollte ich auf einer Liste
der deutschen Botschaft einen Anwalt ankreuzen. Warum ich denn in Genua
gewesen sei. Weil ich an den friedlichen Protesten gegen das G 8-Treffen
teilnehmen wollte; ich sei Mitglied einer Dritte-Welt-Gruppe in Frankfurt.
"Stop talking, please." Von Richter war keine Rede, sondern von mindestens
fünf Tagen Gefängnis. Eine für einen Rechtsstaat absurde
Situation, wie ja die gesamt Zeit über schon. Aber es wurde noch
nicht mal der Anschein eine geordneten Verfahrens erweckt. Immer noch
herrschte Willkür - und Hass. Ich kam noch mal zum Arzt, dann in
eine Zelle mit einem Römer (ich erinnere seinen Namen nicht; wohnt
in Città Vecchia bei Rom; Tel. konn te ich mir merken). Er wurde
festgenommen, weil er die Polizei fotografierte, war noch nicht einmal
Demo- Teilnehmer, sondern eher Tourist. Wir konnten duschen, bekamen Essen,
wurden mit Bettwäsche und Geschirr eingedeckt, konnten uns ein Buch
ausleihen (man mußte wählen zwischen Hofspaziergang und Buch).
Der Tag verging, ich schlief immer wieder unruhig und sprach mit meinem
Zimmerkollegen. Gegen Abend kam jemand und teilte uns auf Italienisch
mit, dass ich frei sei. Zusammenpacken, dann zum "Auschecken". Das Perfide
war, dass teilweise dieselben Leute, die uns morgens noch verachteten,
nun ganz freundlich waren. Zigaretten wurden angeboten, umtriebige, aber
lockere Stimmung. Meinen Ausweis fanden sie nicht gleich, dann bekam ich
aber sogar mein Geld zurück. Ein Polizist sagte: "Forget all. It
was a bad dream." Zu siebt samt Polizeibegleitung gingen wir zum Ausgang,
einer musste zurück, weil noch Sachen fehlten. Andere hörten,
dass er oben wieder geschlagen wurde. Nach etwa 30 Stunden war ich wieder
frei. Wir gingen etwa zwei Kilometer Richtung Alessandria, um einen Zug
nach Genua zu nehmen. Dann hielt eine Frau mit Auto, die vom Genua Social
Forum benachrichtigt worden war. Sie nahm uns mit nach Hause, ich telefonierte
mit Frankfurt, wir warteten noch auf andere, die etwas später frei
gelassen wurden - u.a. der Deutsche, der in Bolzaneto neben mir stand.
Dann ging es mit dem Auto nach Nervi bei Genua, da meine Gruppe nicht
mehr da war, auf den Zug um 5:50 Uhr am Montagfrüh nach Mailand -
bloß weg von Genua. In Innsbruck ließ ich mich am Dienstagvormittag
von einem Arzt untersuchen, am Freitagabend war ich in Frankfurt in der
Unfallklinik. Eine Platzwunde am Kopf ist am Verheilen, meine Kopfschmerzen
gingen nach einer Woche weg, meine Blutsäcke unter den Augen, ein
sog. Brillenhematom, sind auch weitgehend verschwunden. Bis heute schmerzt
mein linker Brustkorb, in den ich Tritte bekam. Rechtliche Schritte werde
ich zusammen mit anderen ergreifen, sobald al le noch Inhaftierten draußen
sind. aufgeschrieben
am 31.7.200 (leider habe ich die Notizen, die ich im Zug anfertigte, verloren) Ulrich Brand
works as an Assistant Professor at Kassel University (Germany) (entnommen aus: attac-austria.org) zur Startseite von www.elfriedejelinek.com
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