Gewidmet:
        Floppy
       
      Das
        Tier ist das Zukunftslose, weil es sich seiner Gegenwart nicht bewußt
        ist, denke ich. Es ereignet sich jeden Moment, aber eben nicht auf etwas
        hin, es richtet sich an uns, spricht uns an, da können wir schon
        froh sein, wenns uns nicht beißt oder kratzt, aber weiter geht es
        nicht mit dem Tier, außer so weit wie möglich. Das heißt,
        ich hoffe schon, daß mein Hund Floppy lange leben wird; aber das
        Tier selbst endet sozusagen immer unentschieden, weil es keine Lebensrichtung
        hat, auch wenn es das Holzerl zurückbringt, das ich geworfen habe
        - selber eine Geworfene, aber mit einem Ziel. Floppy tut, als wüßte
        sie von nichts, nicht indem sie, mich als ihre Zuflucht stets zur Hand,
        sich einfach verweigern würde dem Befehl, der von mir kommt, sondern
        indem sie sich viel lieber jede Sekunde neu ereignet für mich, einen
        selbst immer wieder zurückgewiesenen Menschen, der dafür aber
        eifrig bestrebt ist, auf etwas zu verweisen. Ich versuche also jede Minute
        ein Verhältnis zur Zeit einzugehen, indem ich etwas mache, was möglichst
        einzigartig ist. Ich lasse etwas aus mir entspringen, zumindest versuch
        ichs. Ich hoffe, dieses Tier wird mir nicht entspringen, obwohl es das
        immer wieder tapfer versucht. Nehmen wir an, daß sich in diesem
        Tier etwas ereignet, das immer verborgen war und immer verborgen bleiben
        wird, und ich kann mir einbilden, daß nur ich als einzige es ganz
        durchschaue, gerade weil es so vollkommen unentschieden ist, was dieses
        Tier eigentlich ist: Es ist, glaube ich, eine Projektion für eine,
        die ohne Halt und Zuflucht ist, und zwar weil das Tier ja gehalten werden
        kann. Also ich besitze Floppy, vor dem Gesetz ein Gegenstand, daher ist
        sie stets bei mir, die ich nicht immer bei mir bin. Wen könnte man
        sonst besitzen? Da geht sie hin, den Wald hüten, vor dem andre sich
        besser hüten sollten. Dort grüßt er mich schon aus seinem
        grünen Laub, der wartet nur drauf , daß ich in ihm verlorengehe,
        der Wald, unten auf seinem Fußboden liegen viele Stöckchen
        zum Geworfensein herum. Dazwischen, hüpfend, schnüffelnd, pinkelnd,
        diese einzige Selbstverständlichkeit des Existierens, das Tier, nach
        dem man nicht fragen muß, außer es rennt weg, denn die Zeit
        scheint für mein Tier: Spiel-Raum! zu sein, ich warte endlos in ihr,
        bis es wiederkehrt. Am besten, man fragt nicht lang, sondern fängt
        gleich an, den Namen des Tiers zu schreien, es wird einem aber nichts
        nützen. Man kann immerhin hoffen, das Tier kennt seinen Namen noch,
        was man von den Wörtern, mit denen unsereins zu arbeiten versucht,
        nicht immer erwarten kann. Ich weiß genau, meine Worte kennen mich
        von irgend woher, aber, finde ich sie, tun sie so, als hätten sie
        mich noch nie gesehn. Allerdings, selbst wenn das Tier seinen Namen kennt,
        muß es deshalb noch nicht auf ihn hören. Jaja, dieses verkörperte
        Sein in seiner Einmaligkeit, denke ich mir noch, und da merke ich auf
        einmal, daß es sich beliebig wiederholen läßt, wenn es
        zufällig wieder einmal bei mir vorbeikommt, nur anders, aufsässiger,
        fast fremd, was zu seiner Natur zu gehören scheint. Gehört die
        Wiederholbarkeit also stärker zur Natur des Tieres als zu der des
        Menschen? Das Tier begrenzt, Auftritte wo von ihm gewünscht, der
        Mensch beschränkt, überall schreckliches Auftreten? Da kann
        man nichts machen als warten, bis etwas Plötzliches eintritt und
        der Hund sich endlich wieder vor einem materialisiert, entweder als er
        oder als er in seiner Abwehr, als ob er einen nicht mehr erkennt. So.
        Es ist jetzt zehn Grad unter Null. Da kann die Metaphysik oder das Denken
        dauerhaft und zäh sein soviel sie wollen, der Hund ist zäher
        in seinem Fell, der gibt nichts auf meine Meinung, der meint auch nichts
        selber, der wird nicht von seinem Wesen entmachtet und von mir schon gar
        nicht. Der ist wo er will, wo er sein Wesen fest an sich gepreßt
        hält, was keinerlei Arbeit für ihn, den Hund, bedeutet, denn
        er ist eben so. Da kann ich hundertmal versuchen, mich von mir abzustoßen,
        um etwas andres zu werden, in diesem Fall ein Stein, weil der nicht frieren
        kann, es hilft mir nicht, das steinerne Herz dieses Tieres zu erweichen.
        Es kommt und kommt nicht. Kann ich es noch anders sagen? Das Tier als
        etwas, das mir ausgehändigt wurde und mich damit selbst in mein Wesen
        zurückwirft, eigentlich verwirft, da ich diese reine Seinsstufe selbst
        nie erreichen werde können. Das Tier, das nicht fragen kann, manchmal
        jedoch mit wuff antwortet, bevors das Stöckchen erwischt (Jagdinstinkt!),
        das Tier, das was ungefragt eben: da ist oder halt weg, das sich ans Sein
        nicht anhalten muß, weil es immer da ist, solang bis es leider einmal
        weg ist, während ich mich an mir festkralle, damit ich mir nicht
        verlorengehe und damit ich Richtung und Bestimmtheit in mein Leben bringen
        kann, um überhaupt anwesend zu sein. Also eine solche Selbstverständlichkeit
        des Seins wie Floppy sie hat, die werde ich nie bekommen. Mein Gott, meine
        Geduld liegt am Boden! Ich habe Floppy soeben gerufen, sie kommt mir entgegen,
        anwesender als sie kann niemand sein, aber sie folgt mir nicht. 
       
        
        
      Floppy 
         17.6.2006 
         
        
      
       
       
         
      
      
        Gewidmet: 
        Floppy © 1999 Elfriede Jelinek  
         
          
      
        
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