Floppy2
Der
Hund Floppy ist nicht mehr bei mir. Warum hat er dann erst mein Leben
betreten? Zuerst bin ich ihm eine Schule gewesen und habe gelernt, für
ihn zu sorgen. Das konnte ich, hatte ja vorher schon zwei andre Hunde
gezogen, wie Rüben, faktisch ohne Kenntnis von Hundebehandlungsweisen.
Ich dachte, das geht, warum soll denn das diesmal nicht gehen? Ich wollte
mir das Leben mit diesem neuen Hund, von dem ich viele liebe Fotos gesehen
hatte, nicht von ihr, sondern von Nebenschönheiten ihrer Gattung,
ich wollte mir also irgendwie das Leben wieder öffnen, nachdem seine
Vorgängerin gestorben war. Das Tier war so hübsch und weich.
Ich wollte, daß meine Spaziergänge einen Sinn und einen Zweck
hatten. Allein zu gehen ist wie das Spazieren von Pensionistinnen. Nichts
dagegen einzuwenden, aber man kommt dabei zu nah an sich heran. Wenn man
ein Tier bei sich hat, kann man von sich ordentlich Abstand halten. Aber
es war von Anfang an, ja, schon ganz von Anfang an so, als wollte sie
mich um sich selbst enteignen. Nicht mit sich bereichern wollte sie mich,
sie wollte mir was wegnehmen, von dem sie keine Ahnung hatte, was es war.
Wie sollte sie auch. Ich wußte ja selber nicht, daß ich noch
etwas hatte, was man mir hätte wegnehmen können. Mein Leben
war in die Hände meiner Mama entschwunden und von dort nicht freigelassen
worden. Das Glück ist vielleicht ein Vogerl, ich jedoch war keins. Was
hätte da noch fehlen können, ich mußte ja für die
kleine Familie da sein, durfte also selbst nie fehlen, aber dieser Hund
konnte mir sich selbst nehmen. So hat sie sich mir halt weggenommen, die
Floppy, mehr als sich hatte sie schließlich auch nicht. Und sie
hat das getan, noch bevor ich sie richtig hätte haben können.
Aber wieso? Ich verstehe es nicht. Ein seltsames Tier, Floppy. Andre Hunde
verschenken ihr Wesen und sind großzügig damit, dieser aber
wollte sich immer nur behalten, und zwar so, daß man das Wesen gar
nicht richtig sehen konnte, um sich dafür oder dagegen zu entscheiden.
Dieses kleine Gespenst von einem Hund (nie richtig weg, erst am Schluß,
als sie nur noch fort wollte, dafür aber auch nie richtig anwesend)
wollte nicht, daß man es womöglich behalten und nicht mehr
hergeben wollte. Wer hat das gesagt, daß man mit der Pistolenkugel
der Liebe getroffen werden kann? Auch die Erschossenen, nachdem die Kugel
endlich geflogen ist, nachdem man sie lange dazu provoziert hat, sieht
man nur als Verletzte oder Tote, also nur an den Auswirkungen. Auch diesen
Hund sah man nur an seinen Auswirkungen. Wie bei einem Sturm. Man konnte
es nicht richtig sehen, dieses Wesen. Na, Ihres kann ich ja auch nicht
sehen, sonst würde ich mir nicht die Mühe machen, das zu schreiben,
ich würde es Ihnen erzählen. Man konnte die Schutthaufen sehen,
die Floppy hinterließ, wenn sie versuchte, das Haus einzureißen.
Aber sie, auch wenn sie sich von der Sonne und dem kleinen Garten zu wohligem
Seufzen bringen ließ, sie war nie ganz da. Man sah sie und sah sie
nicht. Eben gespenstisch. Sie war das Tier pur, aber sie war kein Hund,
dem es Freude macht, sich seinem Herrn zu schenken. Sie war das Tier,
und sie war nicht das Tier, das Tier lieber nachher sein wollte, immer
nachher, nach dem Fressen, nach dem Spazierengehen, nach dem Spielen mit
andren Hunden. Das Tier. Das sich nicht hat und sich nicht gibt. Eigentlich
mehr eine Katze als ein Hund. Sie war mein Eigentum, aber fast immer hat
sie mich um sich eigentlich nur noch ärmer gemacht. Ich war immer
weniger sie. Und dann noch minus sie. Ich war nichts, und davon mußte
ich sie noch abziehen. Das ging offenbar so leicht, wie einem in der vollbesetzten
U-Bahn die Brieftasche gezogen werden kann. Dabei hätte ich sie mir
so gern aneignen wollen, nicht als Eigentum, nein, besitzen wollte ich
sie nicht, im Gegenteil, da mußte doch ihr Wesen irgendwo sein,
und das hätte sie von mir aus nur zu gern behalten dürfen. Ich
war doch selber eine langjährig, eine im Grunde lebenslang Besessene
und wußte, daß man sich das für kein Wesen wünschen
soll. Ich wollte sie bloß als Wesen besitzen, also mehr als besitzen,
ja, leider konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, ich wollte sie
besitzen, DAMIT SIE SEI, eine schöne, bekannte Definition von Liebe.
Gerade, indem sie mein Eigentum war, sollte sie zwar meine Armut ohne
sie kleiner machen, aber dieses Wesen, das sie war und hatte, gleichzeitig
ausbreiten. Nicht wie einen Teppich, auf dem ich hätte herumgehen
wollten, sogar herumtrampeln. Sie ist mir nicht geschenkt worden, denn
eine Schenkung wäre ja nie abgeschlossen gewesen, nein, sie war kein
Geschenk für mich, nicht weil ich sie als Rassehund bezahlt ("gekauft")
hatte (im Gegensatz zu meinen früheren Hunden, einer aus der Mülltonne
geborgen, die zweite aus dem Tierschutzhaus gegen eine kleine Unkostengebühr
heimgeführt) und sie mir daher hatte selber schenken können,
in einer doppelten Enteignung dieses Wesens - zuerst zahle ich Geld, dann
soll sich der Hund dafür mir schenken, ganz besonders: meiner sein,
dankbar, daß er bei mir sein durfte und nichts arbeiten mußte,
keine Wächterschaft über Herden verlangt, keine Hilfsdienste,
keine Kunststücke, nur Anwesenheitspflicht und Inständigkeit
in Liebe, die mir geschenkt werden sollte und die ich sowieso nicht hätte
kaufen können. Wie schön hätte das werden sollen. Es hätte
mich vielleicht selbst noch schöner gemacht, so ein liebes kleines
Schätzchen.

17.6.2006
Dieser
Hund hat meine Gefühle nicht erwidert, sage ich hier einmal so frech
dahin. Das ist seltsam, denn ich habe immer nur gehört, daß
Hunde an ihren Besitzern hängen. Sie hing aber vielleicht zu sehr
an ihrem eigenen Wesen, das nichts war (von mir, die ich doch etwas war,
was, das wußte sie noch nicht, seinen Stempel bekommen sollte in
dem Sinn wie man eine Eintrittskarte ent-wertet, indem man ihr ihren Wert
durch Bezahlung verleiht und gleichzeitig nimmt, dieser Wert gilt nur
für dieses eine Mal, hier und jetzt, für diese eine Tierveranstaltung,
Kunststücke kosten extra). Das war ja interessant an ihr, denn unser
Wesen war, ihres wie meines - was heißt Wesen? etwas, das ohnedies
nie da ist, wenn man es braucht, jedenfalls sein Name war: Furcht. Vor
allem andren Furcht. Angst auch. Vor Geräuschen besonders, vor Gewittern:
entsetzliche Panik. Sie hat mehrmals mein halbes Haus niedergerissen.
Besinnungslos vor panischem Entsetzen mit den Vorderpfoten gegen die Wand
getreten, in kürzester Zeit Putz, Styropor-Wärmedämmung
weggescharrt (um hinauszukommen?, genau dorthin wo das Gewitter selbst
sich ungemütlich viel Zeit zum Toben genommen und natürlich
auch bekommen hat?, denn die Natur bekommt immer was sie will, und sie
will viel Zeit und viel Raum für sich. Sie will allen Raum und alle
Zeit für sich, beides hatte ich dem Hund durch die Mauern meines
Einfamilienhäuschens unzulässig eingegrenzt). Sie ist nie in
die Sorglosigkeit des in die Arme genommenen und im Glück geborgenen
Tiers auch nur ansatzweise hineingekommen. Sie hat nicht einmal an der
Schwelle des Glücks gekratzt. Sie hat innen an meiner Hausmauer gekratzt,
nie außen, um hereinzukommen. Sie war lieber draußen. Ich
weiß nicht, wie ich es sagen soll, ich weiß das leider meistens
nicht, aber ich habe mir selber gedient, indem ich sie z.B. stubenrein
gemacht habe (ging sehr leicht!), indem ich sie an Trockenfutter gewöhnt
hatte (ging sehr leicht, alles dran, alles drin), indem ich sie von ihrem
Lager neben meinem Bett weggescheucht habe, bevor sie noch über die
Stiege gehen konnte (neinnein, ich hätte es schon gern gehabt, daß
sie bei mir bleibt, aber sie hat das nicht gewollt, ich weiß noch
genau, da war sie ein Welpe, acht, neun Wochen alt, und da ist sie in
ihr Hundebettchen - ziemlich teuer das Dings - hineingesprungen, und zwar
um, wie auf einem Skateboard, darin durch den halben Raum zu schlittern,
war das ein Spaß!, aber wiederholen hätte sie ihn nicht wollen,
sie ist dann sofort ausgezogen und hat ihren Platz auf dem Stiegenpodest
eingenommen und behalten, solange sie bei mir war), und da ich habe für
sie gesorgt, indem ich ihr beigebracht habe, auf meine Liebesdienste auch
zu verzichten, wenn ich nicht da war.Das war öfter. Ich war aber
auch sehr viel da, als Veranstalterin in der Bewegungsanstalt Floppy.
Ach, Spielen, das war wieder so schön. Darauf war sie versessen.
Man konnte keine Minute im Garten ruhig sitzen, man mußte das Tier
mit Wurfgeschossen beschäftigt halten, das hat sie als das Passende
angesehen. Müßiggang ist aller Laster Anfang, aber die haben
wir halt auch recht gern, die Laster, die uns von uns wegbringen. Dieses
Tier hat mich irgendwann zu einem Gegenstand gemacht. Es hat mich degradiert.
Ich wurde eine Wurfmaschine, und so maschinenhaft wie sie in ihrer Panik
gegen die Wände getreten hat, riesige Schutthaufen hinterlassend,
ihr Blut verschmierend, denn wissen Sie, da Sie es sicher nicht wissen:
Diese Styroporplatten werden mit einem dünnen Drahtmaschengitter
an der Wand des Hauses festgehalten, damit sie nicht runterfallen und
das Haus sich erhitzt oder verkühlt, und an dem Draht hat sie sich
die Pfoten aufgerissen, ohne es in ihrer Panik überhaupt zu merken.
So maschinenhaft also wie sie in ihrer Furcht war, so maschinenhaft war
sie in ihrer Leidenschaft fürs Laufen und Ballibringen (irregeleitete
Arbeitswut des um seine Pflichten enteigneten Arbeitshundes?, der Bearded
Collie treibt normalerweise unermüdlich die Schafherden herum wie
eine Windhose, indem er zur Not auch in diverse wolligen Hosen beißt).
Man kann Floppys Wesen nicht fassen, denn sie hat es dauernd abgeschlagen
wie ein wackliges Zelt, das auch noch schlecht verankert ist. Und sie
hat es nicht mitgenommen, sie hat es also abgebrochen, ihr Wesen, und
sie hat es mir weggenommen und nicht mitgenommen, und sie hat mich in
die Armut, die dauerhafte Armut ohne sie, hineingetrieben. Auch wie sie
noch da war, war ich arm. Sie hat es mir alles entzogen, sogar alles auf
einmal, ihre Aufmerksamkeit, ihren eigenen Bezug zu mir (dabei hat sie
nicht einmal an der Leine gezogen, was doch viele liebe Hunde tun, die
an ihren Besitzern hängen und das durch Ziehen und Zerren zum Ausdruck
bringen. Sie zerren nicht um wegzukommen, sie zerren, um ihr Frauchen,
ihr Herrchen mitnehmen zu können, dorthin wo es schön ist),
sie hat sich andren nicht versagt, denn sie hat auch etliche andre Menschen
geliebt, nein, nicht geliebt, ich weiß nicht was sie gemacht hat,
die Nachbarn, ihre Sitterin, deren Eltern "geliebt" (so nennt man, was
man nicht benennen kann), bitte, das wäre mir ja nur recht gewesen,
aber auch denen allen hat sie nicht gehört. Sie war das Andre, das
sich versagt hat, auch indem es selbst versagt hat (Panik, Fluchtkatastrophen,
Durchgraben unter dem Zaun zuletzt, zielloses Herumirren im Gewitter zwischen
fahrenden Autos auf der Hauptstraße, Ausweichen vor jedem nach ihr
greifenden Arm), aber das hätte mir ja nichts gemacht, daß
dieses Andre neben mir versagt. Ich hätte es dafür nur noch
mehr geliebt. Und was ich unter lieben verstehe, das weiß ich, weil
ich es nicht weiß, aber es ist eine Art Wohltätertum, bei dem
man sich entäußert, obwohl man doch gar nichts besitzt. Sie
aber, sie hat selbst nichts entbehrt, während sie sich mir versagt
und mich in die Entbehrung in ihrer reinsten Form verstoßen hat.
Ich war so angewiesen auf das, was sich mir da entzogen hat, und dabei
wußte ich nicht einmal, was es war. Schon, sie hat sich mir entzogen,
aber ich hätte wenigstens zum Abschluß noch gern gewußt,
was das ist, dieser Mangel, der nicht einfach die Innenseite von Reichtum
(oder vielleicht die Außenseite?) ist, sondern ich konnte diesen
Mangel nicht in mir verwahren als einen Reichtum, als mein Verständnis
für sie, die Floppy, denn da war nichts, was ein Verständnis
verlangt hätte, und da war nichts, dem Verständnis hätte
helfen können. Da war: nichts. Über die lieben Augenblicke muß
ich schweigen, weil ich nicht darüber sprechen kann. Ich kenne sie
aber immer noch, diese Augenblicke. Ich weine dann nur. Wenn sie Streicheln
erlaubt hat - dieses laute schweinehafte wohlige Grunzen, vor allem in
der Früh, da muß selbst Floppy der Tag als etwas Schönes
und Neues erschienen sein, freilich, der Spaziergang mit dem Balli würde
ja bald folgen, wie hat sie immer drauf gewartet! In diesen Momenten ist
natürlich die Drohung vor der Leere der Panik, in der sie aus sich
herausgestiegen ist, aus ihrem in Fetzen gerissenen Inneren - und im Sommer
sind sehr viele Gewitter - die Drohung ist also, allerdings unbescheiden,
in den Hintergrund getreten, vor mir kurz zurückgewichen, wenn auch
nicht aus Respekt, und ich konnte es fast als ein Geschenk betrachten,
daß sie sich mir nie geschenkt hat, die Floppy. Auch in solchen
Augenblicken nicht. Sogar unter Schmerzen hätte ich sie haben wollen,
aber sie hat dafür mich nicht haben wollen, nur dann, wenn sie zu
einer Art Maschine wurde - werfen, Balli holen, wieder werfen, wieder
Balli holen, ein Automatismus, bei dem wir beide auf bloße Funktion
reduziert waren, ohne jedoch je zu funktionieren, auch wenn sie das Balli
immer gebracht hat, und ohne eine Funktion, irgendeine Funktion wirklich
zu haben. Wir hatten nichts, und es war wie ein Werfen ins Nichts, und
da hab ich ihr immer auch mein Wesen hinterher geschmissen, am Schluß
schon resigniert und unaufmerksam und nachlässig, ich wollte wohl
zwischendurch auf ihrer eigenen Trampelpfad-Spur ihr nachlaufen und sie
an mich drücken, aber wie unwillig hat sie mich abgeschüttelt!
Am Schluß habe ich aufgegeben, auch wenn ich immer noch mechanisch
geworfen habe. Wo ist der Ball? Wohin wird er wohl diesmal fliegen? Sie
hat es fast immer vorher schon gewußt. Das ist doch kein Spiel mehr!
Wenn jeder alles weiß! Werde ich, trotz versuchten Täuschungen,
in die richtige Richtung rennen? Aber sicher doch! Wann werden meine Pfoten
wieder den Boden betrommeln können in einem sinnlosen (na, sie wird
den Sinn schon gesehen haben, es war ja Arbeit für sie, eifrige Pflichterfüllung,
irregeleitete Arbeitswut) Pfadeschlagen durch den Schnee im Winter, im
Sommer durchs Gras? Ihr Wesen hat sich mir, wie gesagt, bis zum Schluß
verborgen. Und seine Spuren hat es auch noch verborgen, obwohl das gar
nicht mehr nötig gewesen wäre, verborgen, indem es sie direkt
vor mir ausgelegt hat, ein fliegender Ball hat in der Luft unsichtbar
die Bahn vorgezeichnet, die dann auf der Erde in rasender Eile abgemessen
wurde, als müßte ein Stück Stoff von einer ungeduldigen
Kundin der ihn eben noch sorgfältig abmessenden Verkäuferin
aus den Händen gerissen werden, während noch der Maßstab
an ihm dran liegt, aber an den hält sich eh keiner.
Warum
hat sie also mein Leben betreten, die Floppy? Hat sie ja gar nicht. Nie.
Ich habe sie ausgewählt und zu mir genommen, aber sie hat nicht mich
gewählt. Sie hat mich nicht in ihren Kreis der Arbeitenden einberufen.
Ich erinnere mich an diesen Auswahltag, in einem skurrilen, in Olivgrün
gehaltenen Frisiersalon in einer der großen Trabantensiedlungen
der Stadt. Sie und ihre Geschwister, zwei Schwarzweiße, die sich
unaufhörlich gebalgt haben, ihr wunderschöner großer Bruder,
zehn Zentimeter größer als sie, ganz ähnlich gefärbt,
schon in der siebenten Lebenswoche viel größer, und sie, die
Kleinste im Wurf, die Unfertigste im Entwurf, eine Einzelgängerin
schon damals. Statt mich zu alarmieren hat mir ds natürlich gefallen,
weil ich sie mir schon damals anverwandelt hatte, als könnte sie
je mir gehören und werden wie ich: allein, nur indem sie mit mir
zusammen war, und das auch noch gern: allein. Dann, als ihre Geschwister
durch eine Art Laufgang wie im Zirkus (in Wirklichkeit war es die Tür
zu einer Art Abstellkammer für Shampoos) verschwunden, entfernt worden
waren, blieb nur sie allein übrig in dem Friseurgeschäft, von
dessen Boden man die Hundescheisse gut entfernen konnte und an dessen
Wänden vereinzelt Menschen mit Umhängen oder unter Trockenhauben
saßen, und da hat sie plötzlich, als wäre ihr etwas eingeschossen,
keine Ahnung was, mit einem wilden Freudentänzchen begonnen, ganz
für sich allein, ist drehend und bockend durch den Raum gefrolict,
als ob sie alle Schmerzen ahnen würde, die sie nicht haben wollte
und von denen sie wußte, daß man sie von ihr fernhalten würde,
egal wer. Hab ich mir damals gedacht, daß sie gedacht hat. Dann
hab ich mir wiederum eingebildet: Der Hund ist so fröhlich und glücklich,
weil er sofort kapiert hat: Mit dieser Frau kann ich aber auch wirklich
alles machen, und es wird mir, wenn ich alles gemacht haben werde, bei
ihr immer noch gut gehen. In Wirklichkeit war da nichts. Ich habe diesen
Hund widerrechtlich betreten und bin genug dafür bestraft worden.
Dieser Hund hätte mich nicht haben wollen. Nicht weil ich ihn unbedingt
haben wollte, sondern, nein, weil er unaufhörlich von seinem Platz
aufsprang, um wo anders sein zu dürfen. Und wenn ich das einfach
nicht beachtet hätte? Na, ich habe es ja auch nicht beachtet. Ihr
Schein hat wie ein Heiligenschein diesen kleinen, mit sich selbst herumwerfenden
Körper verlassen und mir etwas vorgegaukelt (im wahrsten Sinn des
Wortes), nämlich daß ich nach diesem Tier greifen könnte
wie nach einem Gegenstand, ihn mir aneignen und mit ihr verfahren wie
eine geübte Verfahrenstechnikerin. Aber wenn ich eine Technikerin
war, dann eine der Möglichkeit, die ich immer, wie ein Auto, herumreissen
wollte, damit sie endlich wirklich gegenständlich würde, Bestand
hätte, Dauer (die Liebe soll ja immer ewig dauern, anders kann man
sie sich gar nicht vorstellen, auch wenn man immer weiß, daß
sie endet, und wärs mit dem Tod), als hätte ich dieses herumtanzende,
beinchenwerfende, sich in der Luft drehende Irrwisch-Sein einmal berechnen
können (aber diesen Ehrgeiz hatte ich doch gar nicht!), und unter
dem Strich wäre immer ein Plus für mich herausgekommen (und
damit selbstverständlich auch für sie! Je lieber sie mich gehabt
hätte, umso lieber hätte ich sie gehabt. Am Schluß habe
ich sie sehr lieb gehabt und sie mich überhaupt nicht. Sie hat mich
nur noch ignoriert. Sie kannte mich buchstäblich nicht mehr. So kehrt
sich jeder Schein unerbittlich gegen uns, nein, nicht gegen uns, gegen
manche von uns, also gegen mich sicher). Dieses laufende Scheinen (sie
war in ihrem Herumrasen und -tanzen in diesem Frisiersalon ja fast eine
Fata Morgana, unkörperlich, ein Trug, ein Mich-Betrügen. Ein
Mich-Um -Sie-Betrügen, na ja, mich um mich selbst betrügen konnte
sie nicht, denn das muß sie gespürt haben: mich gab es nicht.
Ich habe Ansprüche an sie gestellt, aber dabei gab es mich gar nicht,
woran sollte das arme Tier sich denn halten?) hat sie immer neu und immer
schneller immer neuer gemacht, als hätte sie sich in ihrem Tänzchen
selbst erschaffen, aus dem Nichts herausgebohrt, ohne daß sie dadurch
jemand geworden wäre. Eine Tautologie. Sie war sie, aber nur durch
sich, und durch sich war sie, lieb und nett mit den Leuten: nichts. Sehen
Sie, und da hat sie mein Wesen wirklich getroffen, und insofern ist sie
mehr mein Hund gewesen als je einer es hätte sein können. Sie
hätte das Ungleiche zu mir gleich machen müssen, also entweder
hätte sie mehr mir gleich sein müssen oder ich ihr. Vielleicht
hat sie es ja versucht und ist dabei ins Leere gefallen, die wo anders
von einer richtigen guten Hundeschule ausgefüllt wird. Da war nichts.
Sie hat vielleicht gesucht, aber da war nichts. Das muß sie gespürt
haben, daß meine Anwesenheit nur Schein war. Und dieses Scheinen,
das ich doch auch nur dargestellt hatte (es gab ja keine Birne, die mich
hätte abstrahlen können, keine Lampe, kein Licht), in seiner
ganzen Unbedingtheit des Nicht- und Nichtsseins, dieses Scheinen von mir,
ich meine dieses, mein Scheinen hätte von ihr verlangt, wollte sie
nicht sofort, auf der Stelle, die sie vielleicht durch ihren wilden Solotanz
ununterbrochen verlassen wollte, was natürlich nicht ging, nur nicht
zu lang am Platz bleiben!, wollte sie nicht auf dieser Stelle untergehen,
dieses Scheinen also hätte von ihr verlangt, daß sie sich irgendwann
einmal, endlich, in mich einsetzt, einschraubt, eben wie eine Birne, daß
sie sich in meinen Lebensfortgang einsetzt und eine Leere füllt,
die ich selber war und leider immer noch bin. Sie hätte sich in mich
und für mich einsetzen müssen, aber als sie das vielleicht wollte
(ich hätte ohnehin nichts bemerkt davon), da war nichts, keine Fassung,
die sie festgehalten hätte. Ja, ich glaube, so war es. Das Scheinen
und das Erscheinen kann sich nicht erkennen, weil ihm das Licht fehlt
(es hat sich ja nicht einschrauben und einschalten lassen, da war schließlich
nichts, nichts Festes und auch sonst nichts), ja, dieses Halten und Gehaltenwerden
hat nicht "gegriffen", und so konnte das Gewinde sich auch nicht selber
um sich herum winden und auch nicht zulassen, daß etwas hineingeschraubt
würde, im Gegenteil, dieses Scheinen war ein ständiges Ausweichen
vor etwas, das es nicht gab, etwas, das es weniger gab als das schreckliche
Gewitter (das man wenigstens an seinen Auswirkungen erkennne kann, den
Blitzeinschlägen, dem Donner, den Vermurungen und Überschwemmungen),
das sie so gefürchtet hat, aber mehr noch hat sie diese Leere, dieses
Nichts gefürchtet, das ich war, eine Leere, die verhindert hat, daß
sie jemals ein Bewußtsein ihrer kleinen Hundeperson bekommen konnte,
denn da war eben nur dieses Leere, von der sich abzugrenzen vollkommen
unmöglich war. Dieses Scheinen, das ich mir von ihr gewünscht
hatte, und das ein bezeichnendes Licht auf mich hätte werfen sollen,
das hat nur ein ständiges vor mir Ausweichen gebracht, um nicht hinter
die Zeit, hinter sich selbst zurückzufallen und weniger zu werden
als Nichts, das ja schon von mir besetzt war. Ja, besetzt die Position
des Nichts, und zwar von Frauchen. Weniger als Nichts konnte Floppy nicht
mehr sein. Der einzige Gegenstand, der sie ablenken konnte, war ein schlichter,
rot gekleideter Gummiball an einer Schnur. Und so ist sie einmal, auf
eigenen Wunsch hin, hinter sich gegangen und nicht mehr hervorgekommen,
zu mir.
Sie
lebt jetzt bei einem großartigen Menschen und vielen anderen Tieren.
Und es ist alles in Ordnung mit ihr. Ihre Birne ist eingeschraubt, ich
weiß nicht, mit wieviel Watt sie strahlt, ich werde es nie erfahren,
aber ich danke diesem Menschen, der einen Hund aus ihr gemacht hat, und
der sie von mir (und damit von sich selbst, denn anders konnte ich sie
und sie sich daher auch selbst nicht denken als das Nichts, das hinter
ein Nichts zurückfällt) befreit und vor mir gerettet hat. Jetzt
ist sie glücklich, sagt man mir. Vielen Dank dafür.
18.7.2003

im Gut Aiderbichl
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