Floppy2

für Michael Aufhauser

 

Der Hund Floppy ist nicht mehr bei mir. Warum hat er dann erst mein Leben betreten? Zuerst bin ich ihm eine Schule gewesen und habe gelernt, für ihn zu sorgen. Das konnte ich, hatte ja vorher schon zwei andre Hunde gezogen, wie Rüben,  faktisch ohne Kenntnis von Hundebehandlungsweisen. Ich dachte, das geht, warum soll denn das diesmal nicht gehen? Ich wollte mir das Leben mit diesem neuen Hund, von dem ich viele liebe Fotos gesehen hatte, nicht von ihr, sondern von Nebenschönheiten ihrer Gattung, ich wollte mir also irgendwie das Leben wieder öffnen, nachdem seine Vorgängerin gestorben war. Das Tier war so hübsch und weich. Ich wollte, daß meine Spaziergänge einen Sinn und einen Zweck hatten. Allein zu gehen ist wie das Spazieren von Pensionistinnen. Nichts dagegen einzuwenden, aber man kommt dabei zu nah an sich heran. Wenn man ein Tier bei sich hat, kann man von sich ordentlich Abstand halten.  Aber es war von Anfang an, ja, schon ganz von Anfang an so, als wollte sie mich um sich selbst enteignen. Nicht mit sich bereichern wollte sie mich, sie wollte mir was wegnehmen, von dem sie keine Ahnung hatte, was es war. Wie sollte sie auch. Ich wußte ja selber nicht, daß ich noch etwas hatte, was man mir hätte wegnehmen können. Mein Leben war in die Hände meiner Mama entschwunden und von dort nicht freigelassen worden. Das Glück ist vielleicht ein Vogerl, ich jedoch war keins. Was hätte da noch fehlen können, ich mußte ja für die kleine Familie da sein, durfte also selbst nie fehlen, aber dieser Hund konnte mir sich selbst nehmen. So hat sie sich mir halt weggenommen, die Floppy, mehr als sich hatte sie schließlich auch nicht. Und sie hat das getan, noch bevor ich sie richtig hätte haben können. Aber wieso? Ich verstehe es nicht. Ein seltsames Tier, Floppy. Andre Hunde verschenken ihr Wesen und sind großzügig damit, dieser aber wollte sich immer nur behalten, und zwar so, daß man das Wesen gar nicht richtig sehen konnte, um sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Dieses kleine Gespenst von einem Hund (nie richtig weg, erst am Schluß, als sie nur noch fort wollte, dafür aber auch nie richtig anwesend) wollte nicht, daß man es womöglich behalten und nicht mehr hergeben wollte. Wer hat das gesagt, daß man mit der Pistolenkugel der Liebe getroffen werden kann? Auch die Erschossenen, nachdem die Kugel endlich geflogen ist, nachdem man sie lange dazu provoziert hat, sieht man nur als Verletzte oder Tote, also nur an den Auswirkungen.  Auch diesen Hund sah man nur an seinen Auswirkungen. Wie bei einem Sturm. Man konnte es nicht richtig sehen, dieses Wesen. Na, Ihres kann ich ja auch nicht sehen, sonst würde ich mir nicht die Mühe machen, das zu schreiben, ich würde es Ihnen erzählen. Man konnte die Schutthaufen sehen, die Floppy hinterließ, wenn sie versuchte, das Haus einzureißen. Aber sie, auch wenn sie sich von der Sonne und dem kleinen Garten zu wohligem Seufzen bringen ließ, sie war nie ganz da. Man sah sie und sah sie nicht. Eben gespenstisch.  Sie war das Tier pur, aber sie war kein Hund, dem es Freude macht, sich seinem Herrn zu schenken. Sie war das Tier, und sie war nicht das Tier, das Tier lieber nachher sein wollte, immer nachher, nach dem Fressen, nach dem Spazierengehen, nach dem Spielen mit andren Hunden. Das Tier. Das sich nicht hat und sich nicht gibt. Eigentlich mehr eine Katze als ein Hund. Sie war mein Eigentum, aber fast immer hat sie mich um sich eigentlich nur noch ärmer gemacht. Ich war immer weniger sie. Und dann noch minus sie. Ich war nichts, und davon mußte ich sie noch abziehen. Das ging offenbar so leicht, wie einem in der vollbesetzten U-Bahn die Brieftasche gezogen werden kann. Dabei hätte ich sie mir so gern aneignen wollen, nicht als Eigentum, nein, besitzen wollte ich sie nicht, im Gegenteil, da mußte doch ihr Wesen irgendwo sein, und das hätte sie von mir aus nur zu gern behalten dürfen. Ich war doch selber eine langjährig, eine im Grunde lebenslang Besessene und wußte, daß man sich das für kein Wesen wünschen soll. Ich wollte sie bloß als Wesen besitzen, also mehr als besitzen, ja, leider konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, ich wollte sie besitzen, DAMIT SIE SEI, eine schöne, bekannte Definition von Liebe. Gerade, indem sie mein Eigentum war, sollte sie zwar meine Armut ohne sie kleiner machen, aber dieses Wesen, das sie war und hatte, gleichzeitig ausbreiten. Nicht wie einen Teppich, auf dem ich hätte herumgehen wollten, sogar herumtrampeln. Sie ist mir nicht geschenkt worden, denn eine Schenkung wäre ja nie abgeschlossen gewesen, nein, sie war kein Geschenk für mich, nicht weil ich sie als Rassehund bezahlt ("gekauft") hatte (im Gegensatz zu meinen früheren Hunden, einer aus der Mülltonne geborgen, die zweite aus dem Tierschutzhaus gegen eine kleine Unkostengebühr heimgeführt) und sie mir daher hatte selber schenken können, in einer doppelten Enteignung dieses Wesens - zuerst zahle ich Geld, dann soll sich der Hund dafür mir schenken, ganz besonders: meiner sein, dankbar, daß er bei mir sein durfte und nichts arbeiten mußte, keine Wächterschaft über Herden verlangt, keine Hilfsdienste, keine Kunststücke, nur Anwesenheitspflicht und Inständigkeit in Liebe, die mir geschenkt werden sollte und die ich sowieso nicht hätte kaufen können. Wie schön hätte das werden sollen. Es hätte mich vielleicht selbst noch schöner gemacht, so ein liebes kleines Schätzchen.


† 17.6.2006

Dieser Hund hat meine Gefühle nicht erwidert, sage ich hier einmal so frech dahin. Das ist seltsam, denn ich habe immer nur gehört, daß Hunde an ihren Besitzern hängen. Sie hing aber vielleicht zu sehr an ihrem eigenen Wesen, das nichts war (von mir, die ich doch etwas war, was, das wußte sie noch nicht, seinen Stempel bekommen sollte in dem Sinn wie man eine Eintrittskarte ent-wertet, indem man ihr ihren Wert durch Bezahlung verleiht und gleichzeitig nimmt, dieser Wert gilt nur für dieses eine Mal, hier und jetzt, für diese eine Tierveranstaltung, Kunststücke kosten extra). Das war ja interessant an ihr, denn unser Wesen war,  ihres wie meines - was heißt Wesen? etwas, das ohnedies nie da ist, wenn man es braucht, jedenfalls sein Name war: Furcht. Vor allem andren Furcht. Angst auch. Vor Geräuschen besonders, vor Gewittern: entsetzliche Panik.  Sie hat mehrmals mein halbes Haus niedergerissen. Besinnungslos vor panischem Entsetzen mit den Vorderpfoten gegen die Wand getreten, in kürzester Zeit Putz, Styropor-Wärmedämmung weggescharrt (um hinauszukommen?, genau dorthin  wo das Gewitter selbst sich ungemütlich viel Zeit zum Toben genommen und natürlich auch bekommen hat?, denn die Natur bekommt immer was sie will, und sie will viel Zeit und viel Raum für sich. Sie will allen Raum und alle Zeit für sich, beides hatte ich dem Hund durch die Mauern meines Einfamilienhäuschens unzulässig eingegrenzt). Sie ist nie in die Sorglosigkeit des in die Arme genommenen und im Glück geborgenen Tiers auch nur ansatzweise  hineingekommen. Sie hat nicht einmal an der Schwelle des Glücks gekratzt. Sie hat innen an meiner Hausmauer gekratzt, nie außen, um hereinzukommen. Sie war lieber draußen. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, ich weiß das leider meistens nicht, aber ich habe mir selber gedient, indem ich sie z.B. stubenrein gemacht habe (ging sehr leicht!), indem ich sie an Trockenfutter gewöhnt hatte (ging sehr leicht, alles dran, alles drin), indem ich sie von ihrem Lager neben meinem Bett weggescheucht habe, bevor sie noch über die Stiege gehen konnte (neinnein, ich hätte es schon gern gehabt, daß sie bei mir bleibt, aber sie hat das nicht gewollt, ich weiß noch genau, da war sie ein Welpe, acht, neun Wochen alt, und da ist sie in ihr Hundebettchen - ziemlich teuer das Dings - hineingesprungen, und zwar um, wie auf einem Skateboard, darin durch den halben Raum zu schlittern, war das ein Spaß!, aber wiederholen hätte sie ihn nicht wollen, sie ist dann sofort ausgezogen und hat ihren Platz auf dem Stiegenpodest eingenommen und behalten, solange sie bei mir war),  und da ich habe für sie gesorgt, indem ich ihr beigebracht habe, auf meine Liebesdienste auch zu verzichten, wenn ich nicht da war.Das war öfter. Ich war aber auch sehr viel da, als Veranstalterin in der Bewegungsanstalt Floppy. Ach, Spielen, das war wieder so schön. Darauf war sie versessen. Man konnte keine Minute im Garten ruhig sitzen, man mußte das Tier mit Wurfgeschossen beschäftigt halten, das hat sie als das Passende angesehen. Müßiggang ist aller Laster Anfang, aber die haben wir halt auch recht gern, die Laster, die uns von uns wegbringen. Dieses Tier hat mich irgendwann zu einem Gegenstand gemacht. Es hat mich degradiert. Ich wurde eine Wurfmaschine, und so maschinenhaft wie sie in ihrer Panik gegen die Wände getreten hat, riesige Schutthaufen hinterlassend, ihr Blut verschmierend, denn wissen Sie, da Sie es sicher nicht wissen: Diese Styroporplatten werden mit einem dünnen Drahtmaschengitter an der Wand des Hauses festgehalten, damit sie nicht runterfallen und das Haus sich erhitzt oder verkühlt, und an dem Draht hat sie sich die Pfoten aufgerissen, ohne es in ihrer Panik überhaupt zu merken. So maschinenhaft also wie sie in ihrer Furcht war, so maschinenhaft war sie in ihrer Leidenschaft fürs Laufen und Ballibringen (irregeleitete Arbeitswut des um seine Pflichten enteigneten Arbeitshundes?, der Bearded Collie treibt normalerweise unermüdlich die Schafherden herum wie eine Windhose, indem er zur Not auch in diverse wolligen Hosen beißt). Man kann Floppys Wesen nicht fassen, denn sie hat es dauernd abgeschlagen wie ein wackliges Zelt, das auch noch schlecht verankert ist. Und sie hat es nicht mitgenommen, sie hat es also abgebrochen, ihr Wesen, und sie hat es mir weggenommen und nicht mitgenommen,  und sie hat mich in die Armut, die dauerhafte Armut ohne sie, hineingetrieben. Auch wie sie noch da war, war ich arm. Sie hat es mir alles entzogen, sogar alles auf einmal, ihre Aufmerksamkeit, ihren eigenen Bezug zu mir (dabei hat sie nicht einmal an der Leine gezogen, was doch viele liebe Hunde tun, die an ihren Besitzern hängen und das durch Ziehen und Zerren zum Ausdruck bringen. Sie zerren nicht um wegzukommen, sie zerren, um ihr Frauchen, ihr Herrchen mitnehmen zu können, dorthin wo es schön ist), sie hat sich andren nicht versagt, denn sie hat auch etliche andre Menschen geliebt, nein, nicht geliebt, ich weiß nicht was sie gemacht hat, die Nachbarn, ihre Sitterin, deren Eltern "geliebt" (so nennt man, was man nicht benennen kann), bitte, das wäre mir ja nur recht gewesen, aber auch denen allen hat sie nicht gehört. Sie war das Andre, das sich versagt hat, auch indem es selbst versagt hat (Panik, Fluchtkatastrophen, Durchgraben unter dem Zaun zuletzt, zielloses Herumirren im Gewitter zwischen fahrenden Autos auf der Hauptstraße, Ausweichen vor jedem nach ihr greifenden Arm), aber das hätte mir ja nichts gemacht, daß dieses Andre neben mir versagt. Ich hätte es dafür nur noch mehr geliebt. Und was ich unter lieben verstehe, das weiß ich, weil ich es nicht weiß, aber es ist eine Art Wohltätertum, bei dem man sich entäußert, obwohl man doch gar nichts besitzt. Sie aber, sie hat selbst nichts entbehrt, während sie sich mir versagt und mich in die Entbehrung in ihrer reinsten Form verstoßen hat. Ich war so angewiesen auf das, was sich mir da entzogen hat, und dabei wußte ich nicht einmal, was es war.  Schon, sie hat sich mir entzogen, aber ich hätte wenigstens zum Abschluß noch gern gewußt, was das ist, dieser Mangel, der nicht einfach die Innenseite von Reichtum (oder vielleicht die Außenseite?) ist, sondern ich konnte diesen Mangel nicht in mir verwahren als einen Reichtum, als mein Verständnis für sie, die Floppy, denn da war nichts, was ein Verständnis verlangt hätte, und da war nichts, dem Verständnis hätte helfen können. Da war: nichts. Über die lieben Augenblicke muß ich schweigen, weil ich nicht darüber sprechen kann. Ich kenne sie aber immer noch, diese Augenblicke. Ich weine dann nur. Wenn sie Streicheln erlaubt hat - dieses laute schweinehafte wohlige Grunzen, vor allem in der Früh, da muß selbst Floppy der Tag als etwas Schönes und Neues erschienen sein, freilich, der Spaziergang mit dem Balli würde ja bald folgen, wie hat sie immer drauf gewartet! In diesen Momenten ist natürlich die Drohung vor der Leere der Panik, in der sie aus sich herausgestiegen ist, aus ihrem in Fetzen gerissenen Inneren - und im Sommer sind sehr viele Gewitter -  die Drohung ist also, allerdings unbescheiden, in den Hintergrund getreten, vor mir kurz zurückgewichen, wenn auch nicht aus Respekt, und ich konnte es fast als ein Geschenk betrachten, daß sie sich mir nie geschenkt hat, die Floppy. Auch in solchen Augenblicken nicht.  Sogar unter Schmerzen hätte ich sie haben wollen, aber sie hat dafür mich nicht haben wollen, nur dann, wenn sie zu einer Art Maschine wurde - werfen, Balli holen, wieder werfen, wieder Balli holen, ein Automatismus, bei dem wir beide auf bloße Funktion reduziert waren, ohne jedoch je zu funktionieren, auch wenn sie das Balli immer gebracht hat, und ohne eine Funktion, irgendeine Funktion wirklich zu haben. Wir hatten nichts, und es war wie ein Werfen ins Nichts, und da hab ich ihr immer auch mein Wesen hinterher geschmissen, am Schluß schon resigniert und unaufmerksam und nachlässig, ich wollte wohl zwischendurch auf ihrer eigenen Trampelpfad-Spur ihr nachlaufen und sie an mich drücken, aber wie unwillig hat sie mich abgeschüttelt! Am Schluß habe ich aufgegeben, auch wenn ich immer noch mechanisch geworfen habe. Wo ist der Ball? Wohin wird er wohl diesmal fliegen? Sie hat es fast immer vorher schon gewußt. Das ist doch kein Spiel mehr! Wenn jeder alles weiß! Werde ich, trotz versuchten Täuschungen, in die richtige Richtung rennen? Aber sicher doch! Wann werden meine Pfoten wieder den Boden betrommeln können in einem sinnlosen (na, sie wird den Sinn schon gesehen haben, es war ja Arbeit für sie, eifrige Pflichterfüllung, irregeleitete Arbeitswut) Pfadeschlagen durch den Schnee im Winter, im Sommer durchs Gras? Ihr Wesen hat sich mir, wie gesagt, bis zum Schluß verborgen. Und seine Spuren hat es auch noch verborgen, obwohl das gar nicht mehr nötig gewesen wäre, verborgen, indem es sie direkt vor mir ausgelegt hat, ein fliegender Ball hat in der Luft unsichtbar die Bahn vorgezeichnet, die dann auf der Erde in rasender Eile abgemessen wurde, als müßte ein Stück Stoff von einer ungeduldigen Kundin der ihn eben noch sorgfältig abmessenden Verkäuferin aus den Händen gerissen werden, während noch der Maßstab an ihm dran liegt, aber an den hält sich eh keiner. 

Warum hat sie also mein Leben betreten, die Floppy? Hat sie ja gar nicht. Nie. Ich habe sie ausgewählt und zu mir genommen, aber sie hat nicht mich gewählt. Sie hat mich nicht in ihren Kreis der Arbeitenden einberufen. Ich erinnere mich an diesen Auswahltag, in einem skurrilen, in Olivgrün gehaltenen Frisiersalon in einer der großen Trabantensiedlungen der Stadt. Sie und ihre Geschwister, zwei Schwarzweiße, die sich unaufhörlich gebalgt haben, ihr wunderschöner großer Bruder, zehn Zentimeter größer als sie, ganz ähnlich gefärbt, schon in der siebenten Lebenswoche viel größer, und sie, die Kleinste im Wurf,  die Unfertigste im Entwurf, eine Einzelgängerin schon damals. Statt mich zu alarmieren hat mir ds natürlich gefallen, weil ich sie mir schon damals anverwandelt hatte, als könnte sie je mir gehören und werden wie ich: allein, nur indem sie mit mir zusammen war, und das auch noch gern: allein. Dann, als ihre Geschwister durch eine Art Laufgang wie im Zirkus (in Wirklichkeit war es die Tür zu einer Art Abstellkammer für Shampoos) verschwunden, entfernt worden waren, blieb nur sie allein übrig in dem Friseurgeschäft, von dessen Boden man die Hundescheisse gut entfernen konnte und an dessen Wänden vereinzelt Menschen mit Umhängen oder unter Trockenhauben saßen, und da hat sie plötzlich, als wäre ihr etwas eingeschossen, keine Ahnung was, mit einem wilden Freudentänzchen begonnen, ganz für sich allein, ist drehend und bockend durch den Raum gefrolict, als ob sie alle Schmerzen ahnen würde, die sie nicht haben wollte und von denen sie wußte, daß man sie von ihr fernhalten würde, egal wer. Hab ich mir damals gedacht, daß sie gedacht hat. Dann hab ich mir wiederum eingebildet: Der Hund ist so fröhlich und glücklich, weil er sofort kapiert hat: Mit dieser Frau kann ich aber auch wirklich alles machen, und es wird mir, wenn ich alles gemacht haben werde, bei ihr immer noch gut gehen. In Wirklichkeit war da nichts. Ich habe diesen Hund widerrechtlich betreten und bin genug dafür bestraft worden. Dieser Hund hätte mich nicht haben wollen. Nicht weil ich ihn unbedingt haben wollte, sondern, nein, weil er unaufhörlich von seinem Platz aufsprang, um wo anders sein zu dürfen. Und wenn ich das einfach nicht beachtet hätte? Na, ich habe es ja auch nicht beachtet. Ihr Schein hat wie ein Heiligenschein diesen kleinen, mit sich selbst herumwerfenden Körper verlassen und mir etwas vorgegaukelt (im wahrsten Sinn des Wortes), nämlich daß ich nach diesem Tier greifen könnte wie nach einem Gegenstand, ihn mir aneignen und mit ihr verfahren wie eine geübte Verfahrenstechnikerin. Aber wenn ich eine Technikerin war, dann eine der Möglichkeit, die ich immer, wie ein Auto, herumreissen wollte, damit sie endlich wirklich gegenständlich würde, Bestand hätte, Dauer (die Liebe soll ja immer ewig dauern, anders kann man sie sich gar nicht vorstellen, auch wenn man immer weiß, daß sie endet, und wärs mit dem Tod), als hätte ich dieses herumtanzende, beinchenwerfende, sich in der Luft drehende Irrwisch-Sein einmal berechnen können (aber diesen Ehrgeiz hatte ich doch gar nicht!), und unter dem Strich wäre immer ein Plus für mich herausgekommen (und damit selbstverständlich auch für sie! Je lieber sie mich gehabt hätte, umso lieber hätte ich sie gehabt. Am Schluß habe ich sie sehr lieb gehabt und sie mich überhaupt nicht. Sie hat mich nur noch ignoriert. Sie kannte mich buchstäblich nicht mehr. So kehrt sich jeder Schein unerbittlich gegen uns, nein, nicht gegen uns, gegen manche von uns, also gegen mich sicher). Dieses laufende Scheinen (sie war in ihrem Herumrasen und -tanzen in diesem Frisiersalon ja fast eine Fata Morgana, unkörperlich, ein Trug, ein Mich-Betrügen. Ein Mich-Um -Sie-Betrügen, na ja, mich um mich selbst betrügen konnte sie nicht, denn das muß sie gespürt haben: mich gab es nicht. Ich habe Ansprüche an sie gestellt, aber dabei gab es mich gar nicht, woran sollte das arme Tier sich denn halten?) hat sie immer neu und immer schneller immer neuer gemacht, als hätte sie sich in ihrem Tänzchen selbst erschaffen, aus dem Nichts herausgebohrt, ohne daß sie dadurch jemand geworden wäre.  Eine Tautologie. Sie war sie, aber nur durch sich, und durch sich war sie, lieb und nett mit den Leuten: nichts. Sehen Sie, und da hat sie mein Wesen wirklich getroffen, und insofern ist sie mehr mein Hund gewesen als je einer es hätte sein können. Sie hätte das Ungleiche zu mir gleich machen müssen, also entweder hätte sie mehr mir gleich sein müssen oder ich ihr. Vielleicht hat sie es ja versucht und ist dabei ins Leere gefallen, die wo anders von einer richtigen guten Hundeschule ausgefüllt wird. Da war nichts. Sie hat vielleicht gesucht, aber da war nichts. Das muß sie gespürt haben, daß meine Anwesenheit nur Schein war. Und dieses Scheinen, das ich doch auch nur dargestellt hatte (es gab ja keine Birne, die mich hätte abstrahlen können, keine Lampe, kein Licht), in seiner ganzen Unbedingtheit des Nicht- und Nichtsseins, dieses Scheinen von mir, ich meine dieses, mein Scheinen hätte von ihr verlangt, wollte sie nicht sofort, auf der Stelle, die sie vielleicht durch ihren wilden Solotanz ununterbrochen verlassen wollte, was natürlich nicht ging, nur nicht zu lang am Platz bleiben!, wollte sie nicht auf dieser Stelle untergehen, dieses Scheinen also hätte von ihr verlangt, daß sie sich irgendwann einmal, endlich, in mich einsetzt, einschraubt, eben wie eine Birne, daß sie sich in meinen Lebensfortgang einsetzt und eine Leere füllt, die ich selber war und leider immer noch bin. Sie hätte sich in mich und für mich einsetzen müssen, aber als sie das vielleicht wollte (ich hätte ohnehin nichts bemerkt davon), da war nichts, keine Fassung, die sie festgehalten hätte. Ja, ich glaube, so war es.  Das Scheinen und das Erscheinen kann sich nicht erkennen, weil ihm das Licht fehlt (es hat sich ja nicht einschrauben und einschalten lassen, da war schließlich nichts, nichts Festes und auch sonst nichts), ja, dieses Halten und Gehaltenwerden hat nicht "gegriffen", und so konnte das Gewinde sich auch nicht selber um sich herum winden und auch nicht zulassen, daß etwas hineingeschraubt würde, im Gegenteil, dieses Scheinen war ein ständiges Ausweichen vor etwas, das es nicht gab, etwas, das es weniger gab als das schreckliche Gewitter (das man wenigstens an seinen Auswirkungen erkennne kann, den Blitzeinschlägen, dem Donner, den Vermurungen und Überschwemmungen), das sie so gefürchtet hat, aber mehr noch hat sie diese Leere, dieses Nichts gefürchtet, das ich war, eine Leere, die verhindert hat, daß sie jemals ein Bewußtsein ihrer kleinen Hundeperson bekommen konnte, denn da war eben nur dieses Leere, von der sich abzugrenzen vollkommen unmöglich war. Dieses Scheinen, das ich mir von ihr gewünscht hatte, und das ein bezeichnendes Licht auf mich hätte werfen sollen, das hat nur ein ständiges vor mir Ausweichen gebracht, um nicht hinter die Zeit, hinter sich selbst zurückzufallen und weniger zu werden als Nichts, das ja schon von mir besetzt war. Ja, besetzt die Position des Nichts, und zwar von Frauchen. Weniger als Nichts konnte Floppy nicht mehr sein. Der einzige Gegenstand, der sie ablenken konnte, war ein schlichter, rot gekleideter Gummiball an einer Schnur. Und so ist sie einmal, auf eigenen Wunsch hin, hinter sich gegangen und nicht mehr hervorgekommen, zu mir.

Sie lebt jetzt bei einem großartigen Menschen und vielen anderen Tieren. Und es ist alles in Ordnung mit ihr. Ihre Birne ist eingeschraubt, ich weiß nicht, mit wieviel Watt sie strahlt, ich werde es nie erfahren, aber ich danke diesem Menschen, der einen Hund aus ihr gemacht hat, und der sie von mir (und damit von sich selbst, denn anders konnte ich sie und sie sich daher auch selbst nicht denken als das Nichts, das hinter ein Nichts zurückfällt) befreit und vor mir gerettet hat. Jetzt ist sie glücklich, sagt man mir. Vielen Dank dafür.

18.7.2003


im Gut Aiderbichl

 


Floppy2 © 2003 Elfriede Jelinek

 

zur Startseite von www.elfriedejelinek.com