Ein Volk. Ein Fest

So, jetzt steht es schön bunt, wie sichs gehört, an der Wand, das Menetekel, und was wir uns immer schon gewünscht und wofür wir gearbeitet haben: gewogen und für zu leicht befunden worden zu sein, das ist doch nett, weil wir unser Gewicht um jeden Preis halten und vielleicht sogar verbessern wollen, wir sind ja Sportler! Wir haben es also wieder bekommen, wir haben sogar eine zweite Chance bekommen, denn beim ersten Mal ist es ja leider schiefgegangen, gescheitert am Sprecher, nein, am Sager der "ordentlichen Beschäftigungspolitik" der Nazis. Es war, zumindest in Kärnten, der Wählerwille, aber die Schrift haben gefällige Himmelsboten aus einem Flugzeug heraus auch in Wien bereits ans Firmament gesprayt. Sie sagen zwar dauernd, wir sollen firm sein gegen den jungen Führer, manche Journalisten, oft die besten des Landes, Erzieher des Volkes, sagen es jeden Tag, wo sie es dürfen, aber der ist trotzdem wieder einmal voll da und mischt die Karten fürs große Bauernschnapsen. Mit fast fünfzig schaut der ja noch wie ein Firmling aus, jünger als seine Töchter. Der hat sich überhaupt noch nicht abgenutzt! Das Alte, das soll jetzt doch endlich abgelöst werden, wir gehen jetzt alle lieber ein bisserl auf die Clubbings der Buben von Kärntner Bratwurstkönigen. Und nur ein kleines bisserl böse möchten sie auch sein, die feschen Söhne der Alpen auf ihren leichtgebaueten Skatebahnen, oh, wie gern wär ich noch dabei, ich wäre außerdem die einzige Frau dort, wie angenehm. Das Braune, das einmal da war, ist jetzt in den Gesichtern und kommt von den Sonnenbänken, dort, wo die Sonne sich immer hinsetzen und ausruhen darf von ihrem Dienst am Fremdenverkehr, aber natürlich auch von den echten Sonnenbankerln an den Hängen der österreichischen Berge. Wenn einmal eine Lawine abgeht, weil die Natur es so will und wir nicht auf sie gebaut haben, sondern auf den falschen, den gefährdeten Hängen, werden wir alle ganz weiß, und darunter waren wirs sowieso immer: sauber geschrubbt. Das Braune wird im Mund herumgetragen wie eine Beute von einem Tier, und wenn wir etwas Besseres, ein knusprig paniertes Schnitzerl zum Beispiel, zu fressen bekommen, spucken wirs vorher aus, das Braune. Aber während wir noch an den Stammtischen sitzen, wo die Krone das Sagen hat, und es muß stimmen, denn der Bomber Franz, der Fuchs aus Gralla, Steiermark, sagt es ja auch, wenn auch manchmal mit andren Worten, nehmen wir das Ausgespuckte schon wieder vom Boden auf. Danach müssen Frauen mit Fetzen herumgehen und alles wieder abwischen. Mit Wir meine ich nicht: Wir!, rufe ich nun ein paar intellektuellen Kollegen zu, denn ich will nicht verallgemeinern, weil man das nicht darf. So etwas sagen mir die Intellektuellen hier seit Jahren, und ich folge ihnen auch heute wieder geduldig in das von ihnen immer wieder beschworene "stinknormale" Land, weil ich durch Folgsamkeit punkten und verhindern will, daß man sich über mich lustig macht. Ich halte mich für fein, mache meine Ich-Übungen, um nicht ein weiteres Mal Staatskünstlerin genannt zu werden, und halte mich raus. Denn immer wenn ich mich nicht rausgehalten habe, bin ich reingezogen worden und sogar auf Plakaten gelandet. Welche Ehre! Sie wollten nicht mich, die Plakatkleber, sie wollten mehr als einer jemals schaffen kann, sie wollten Kunst und Kultur! Ohne Fäkalien! Lieber unverdaut! Jetzt werden wir sie bekommen, ihre Kunst und ihre Kultur, und zwar weil wir sie bereits haben, es ist die liebe Volkskultur, und bitte beachten Sie das alles, wenn Sie nach Kärnten fahren, denn spätestens beim Bachmann- Wettbewerb werden Sie es wissen müssen: Kunst und Kultur sind Bergschi, Talschi, Wasserschi und fünftausend urige Gasthäuser als Sammellager für die Tränen der Sportversehrten. Wenn Sie hier bereits leben, wissen Sie das eh. Denn selbst wenn sie schl afen, schlafen sie nicht, sondern gehen in die Bierzelte und Discos, dort möchte ich nicht unter ihnen sein. Ich würde dann wo anders sein wollen. Ich möchte nicht unter ihnen sein, aber sie gewinnen offenbar immer, egal was sie tun, und so bin ich halt wieder einmal nicht bei den Gewinnenden mit ihren Brettln und ihrem gefügigen Schnee, das heißt, wenn der Schnee nicht gerade betonhart geworden, weil er abgestürzt ist. Die aber stürzen nicht ab! Ich weiß auch nicht warum, außer, daß die andren sie nicht abstürzen lassen. Ich weiß nicht warum. Sie sagen wer gehen soll, wer springen, fahren oder gleiten soll. Sie machen Ausländervolksbegehren, weil sie begehren, daß alle außer ihnen weg sein sollen. Gleichzeitig sagen sie: hereinspaziert! Die nassen Biere fliegen herbei. Jeder wohnt wie es seine Umstände wollen, der eine im Einbett-, der andre im Zweibettzimmer. Sie können ruhig bleiben, aber sie bleiben nicht ruhig. Man sieht und hört immer nur sie. Und man sieht ihre aufgespreizten Mäuler, wenn der Villacher Fasching sie ins Gnack (ins Genick) gehaut hat, die Menschen vom Bundeskanzler abwärts, aber sehr tief gehts nicht hinunter, ich meine: nur die Oberen sind der Untergriffe überhaupt würdig. Nach den Unteren ist schon längst gegriffen worden. Das ist nur gerecht. Und dann fahren sie alle wieder nach Wien zurück und lassen sich wo anders fotografieren für die Krone: die ist, was wir alle gern auf dem Kopf hätten, aber es war leider eine Butterfahrt, und jetzt schmilzt das Zeugs auch noch. Der Herr Kanzler und die Herren Minister fahren, wenn alles vorbei ist, vom Villacher Fasching also wieder weg, und dann fahren sie mit ihren Gattinnen zum Opernball, und am Aschermittwoch wird man sie mit einem Hering im Mund fotografieren, damit sie wenigstens einmal einen guten Grund haben nichts zu sagen. Ein Gefühl soll man für Schnee, für die Natur und für den Wettbewerb haben, aber wirklich groß ist man, wenn man kein Gefühl hat. "Empfindsamkeiten machen klein", sagt Robert Walser, der größte, der sich immer nur klein gemacht hat. Was soll man noch zu diesem Politiker, ich will seinen Namen nicht sagen, nachdem ich gerade den Namen Robert Walser geschrieben habe, aber ich muß, was soll ich hier über Jörg Haider sagen, über den seit Jahrzehnten jetzt schon alles tausende Male gesagt worden ist? Am besten sagt es natürlich der Antonio Fian, dem die Ausreise aus Kärnten geglückt ist, er sagt es in einem Dramolett, mit Literatur geht alles besser. Leider kann ich das nicht. Von diesen Seen, wo die milliardenschweren Menschen mit ihren Steuerschonern an den Schienbeinen und dem Privatstiftungsrecht direkt in ihrem Rücken, mit ihren kostbaren Kindern und ihren kostbaren reinkärntnerischen Frauen in ihren kostbaren gepanzerten Raubritterburgen sitzen, vor denen die Touristen staunend stünden, ließe man sie auch nur annähernd so nahe wie den Schlingensief an Exkanzler Kohls Urlaubsdomizil heran. Sonst steigen die Abfangjäger auf, die zum Glück noch fliegen können. Man läßt die Gewöhnlichen nicht einmal so nahe an dieses großartige betonierte Vorhängeschloß (also davor muß einfach alles verstummen!), die neue Flick'sche Festung, heran, daß sie einen Stein schmeißen könnten, aber kommen können sie ja trotzdem und alles von ferne bewundern, es ist ja so schön am Wörthersee, wo die Hotels aus dem Fernsehn ihre eigene Pension in Ruhe verzehren, und wo die Waffen-SS als eine Organisation der Braven und Anständigen vom jetzt sargnagelneu gewählten Politiker einst ausdrücklich belobigt worden ist. Der glaubt, die Waffen-SS war anständiger als es die meisten Österreicher heute sind. Jedenfalls sind die Anständigen alle für ihn! Ich weiß nicht was ich sagen soll, ich weiß nicht was soll es bedeuten, aber bedeuten tut alles immer in einem anderen Land, wo es Bedeutungen noch gibt, wo man zumindest noch nach ihnen fragt. Wo noch genug Leute da sind, die danach fragen. Über keinen ist andrerseits, gefragt wie ungefragt, soviel gesagt worden wie über diesen Politiker (ein berühmter Journalist hat ihn ungestraft zweimal einen "Nazibuam" nennen dürfen, obwohl der Politiker sonst alle und jeden klagt, das Klagen ist überhaupt sein liebstes Hobby) und über seine Partei der Hodengreifer und der Machtgrapscher (sie hupfen nach der Macht wie beim Bratwurstschnappen, alles ein großer Spaß, ob sie sie nun erwischen oder nicht). Bald kommt jetzt auch der gütige Defraudant Rosenstingl, der mit den Lachfältchen und der blonden jungen Freundin, blond, nicht braun, sind stets deren Fraun!, wieder zu uns nach Haus zurück, egal was er sagen wird, auch das wird nichts ändern. Die erotisch aufgeladenen und zum ewigen Männerbund zusammengeschmiedeten Feschaks, die, ihre bleichen ausgeronnenen Gefährtinnen an den Hüften hängend wie Pistolen, zu denen man greift, wenn man sie mal braucht, dürfen jetzt endlich legal nach ihrem Burschi greifen und "Jörgi! Jörgi!" schreien bei der Siegesfeier. Kein Wunder, daß sie sich freuen, wenn sie vor die Kamera dürfen, was sie immer dürfen, denn sie bringen Spiel, Unterhaltung und Spaß in die Politik. Und immer was Hartes im Mund führen, notfalls einen deutschen Spruch, sonst sprengt ein Sprengmeister auf seinem weißen germanischen Roß (leider ohne eine Brünhilde) daher und sprengt dann wirklich und bekommt dafür lebenslänglich Irrenhaus, jeder weiß wofür, keiner weiß warum, aber die Geschworenen haben es einstimmig beschlossen. Wenigstens mit Kanzler Klima ist der Fuchs jetzt zufrieden, weil "der noch mit der Lederhose aufgewachsen ist". Der Vorhang zu und keine Fragen offen. Ja, der Bajuware hat gesagt was viele sagen im Grenzland, nur in besserem Deutsch, darauf war er stolz. Allerdings hat er dann gemacht was man nicht macht. Man darf es höchstens in der Zeitung schreiben. Der Führer hat schon alles richtig gemacht, aber so viele Leute hätt er auch wieder nicht umbringen müssen. Der Sprengmeister hat auch nur gesagt was alle sagen. Wenn ich alle sage, meine ich natürlich nicht alle, bitte nicht schimpfen mit mir, ich meine selbstverständlich eine kleine Minderheit, zu der wir nicht gehören, nur 42% von uns Kärntnern, das ist doch fast gar nichts. Nein, selbstverständlich sind das nicht alles Nazis, das sind nur Protestierer, gefangen wie Blumen im Bukett in ihrer Protestpartei, viele Einzelne, verstreute Leute, die sich zusammengefunden haben und wie Herbstobst dem Führer in die Hände fallen, der auf seinem Kopf als eine Art Abzeichen das Schweißband trägt zum Marathonlaufen und unter seinen Füßen einen Porsche trägt, damit er in seiner jugendlichen Unschuldigkeit bestätigt werden kann, denn wir alle hätten doch gern einen Porsche, und der Burschi hat beim Marathonlaufen ja bewiesen, daß er genauso gut auch zu Fuß gehen könnte. Wenn wir (und mit wir meine ich nicht: wir) zur Abendzeit unter den Linden uns finden, dann finden wir ja auch nicht uns, sondern jeder findet immer nur sich, und das findet er ursuper! Gemütlich. Wir sind ein gemütliches Volk, keine Sorge, kommen sie nur her ins Schloßhotel am Wörthersee, und es sind auch sonst noch überall Zimmer frei, damit wir, und mit wir meine ich nicht wir, nicht merken, daß wir leider besetzt sind und die übrigen alle draußenbleiben müssen. Wir zahlen dafür, aber wir sind es nicht, die zahlen müssen, die zahlenden Gäste sind es, die dafür da sind. Wir sind einfach nur so da, wir haben ja nichts gemacht. Die anderen, auch die andren Parteien, haben es gemacht, daß der Bub jetzt von 42% Kärntnern gewählt worden ist.

 

Illustration: Gerhard Haderer, aus der ZEIT vom 18.3.1999

 

(Der Aufsatz erschien am 18.3.1999 in der ZEIT


Ein Volk. Ein Fest © 1999 Elfriede Jelinek

 

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