Vom Volksbegehren zum Volk der Wahl

Rechthaben und Spaß haben

Wie Bäche vereinigen sich jetzt die Reden, rinnen von den Bergen runter. Die Trachtenpärchen - Flaschen tanzen am Strom, es grinst das geschnitzte Geländer, an das sie sich lehnen. Schräglage für alle: Schifahrer, marsch, ins Gelände, wo ihr gewiegt werdet von der Mutter Heimat, die euch die Stiefel mit wildem Menschenwuchs einfettet! Wie es sich an den Grenzen staut! Das geht uns glatt runter! Sie wachsen uns ja zu, und sollen doch Wachs sein in unseren Händen, wenn wir ihre Formen der Natur wieder zurückgeben, vom Feuer zu Brotwecken gebacken, ist ja rasch getan, in ein paar Minuten! Frech heben die Lehrlinge die Köpfe, weils unter ihnen knattert, knistert von Bränden, die sie in diesem Alter schon schleudern dürfen, jeder von ihnen ein kleiner Gott, dessen Hirn ein Krieg entspringt. Keine Göttin käme ihnen auch nur auf Surfbrettlänge in die Nähe. Die Eierschalen reißen sie sich unbekümmert vom Kopf, die Schier von den Füßen. Brauchen sie jetzt auch nicht mehr, wo sie doch schon aufrecht stehen können hinter den Theken und zehn Deka Wurst verkaufen an Würstchen, die zu fest in ihren Hosen stecken, als daß sie ihre eigene Größe noch richtig abschätzen könnten. So ein schöner Leerplatz, wo man auch tanzen kann! Ja, der Fels gibt jedem seine Tritte auf Wunsch zurück, oder er wirft sie den ewig Unbehausten ins Kreuz. Es kann sie auch der Jörgl in seiner Pfeife rauchen, der zieht sie sich glatt rein, und dann geht er nach Haus in sein stilles Tal. Lacht, bis er sich einen Blitz fängt. Damit spielen die blonden Burschen in seinem Büro herum, mit der Naturkraft, die sie, als Waschmittel für die Vergangenheit, ins Zimmer gelassen haben. Sie besorgen es sich gegenseitig, ihr Haus, ein Fremder würde da nur den Betrieb stören. Buben, es brennt! Rein ins wilde Zimmer, damit ihr euch ausgiebig verfeuern könnt! So jung und schon aufgeregte Stimmen über den Lenkern der Mopeds, als gäbe es was in der Höhe, das euch bald gehören wird, nur ein paar Raten und ein bißel gären noch!

Und ein kleines Trinkgeld an die Geschichte zahlen, das ist für euch zum Leben zuwenig, für andre zum Sterben genug! Die Zeit hat nämlich ihr Haus über euch gestülpt, damit sie beobachten kann, für welchen Schund ihre Schuldner ihr Geld rausschmeißen, diese Knallkörper! Sind ja noch Schulbuben! Können sich ja kaum selber in die Läufe der Gewehre stopfen, aber sich gegen andre kehren, als Waffen, das können sie schon! Wie diese jungen Stimmen sich beuteln beim Tanzen und bündeln zum Rechthaben und Spaß haben, kaum daß sie sprechen und T-Shirts auswählen gelernt haben. Es hört etwas auf sie, auf unsre Jugend - etwas, das sich mühsam erhebt, ein Echo, für das es das erste Mal längst gegeben hat. Und die Stimme wird fremd wie von einem andren Unwesen, das es schamlos mit jedem treibt. Mit jedem, der das Eigene hoch über den Kopf hält, um es dem anderen über den Zaun zu schmettern. Und nichts wie ein Kleintier, vom Nachbarn mühsam gebändigt und angeleint, ist dann hin. Und ein gut erzogenes Blumenbeet noch dazu! Da wird der Vater aber schimpfen! Und seinen großen Schluck trinken von den Schuldigen, den Schulkindern, die er auf seinem Grund und Boden gezüchtigt hat. Jetzt wird brav abgezahlt, Bub, jetzt schlagen wir los, denn wir haben es damals nicht zu Ende führen können. Jetzt machen wirs in Heimarbeit, zuhaus, wo wir heute als Jäger zusammengetreten sind. Denn man weiß nicht: Warum sind diese Fremden, die sich selber mitsamt den Wurzeln ausgerissen haben, überhaupt da? Sollen in ihr Glied zurü cktreten, bevor wir es tun. Und die Reihen schließen! Kommen sie uns in den Blick, diese Späne, die aus dem Aug gehobelt werden müssen, bevor uns die Tränen kommen, dann werden sie weggewischt. Erst in fünfzig Jahren frühestens wollen wir wieder weinen! Es ertrinkt unser Land im deutschen Beispiel, das heißt, wir wollen selber mit dem Eigenen fangerlspielen, um das Große in uns noch schnell zu erwischen, bevor es auf die kleine Seite geht. Irgendwo in uns und unsrer Zeit muß es ja versteckt sein. Wir brauchen jetzt kein Vorbild mehr, das uns in die Stiefeln hilft. Wir sind selber groß genug. Und da ist schon einer, ein Vorsitzender, der was uns jetzt aufsammelt, zumindest die, die er brauchen kann. Der was vom Berg gekraxelt ist und sich uns in der Futterkrippe vorlegt, ein guter Bissen für die Nachgeborenen, die auch möglichst schnell blutig werden wollen. Da muß man erst die eigene Nachgeburt fressen. Es tropft uns vom Kinn, das Fett. Wir prasseln auf die Tanzböden, wir schmeißen die Haxen in der Disco herum, wo wir Früchterln geschüttelt werden und vor uns hinfallen: Auf diese Mahlzeit haben wir uns geeinigt, diesen Schluck haben wir uns genehmigt, wir jungen Kompottesser im Kompost der Hinterzimmer in den Gaststuben. Die sind für Fremde gesperrt, aufgepaßt, wir Deutschen müssen endlich einmal Laut werden dürfen, der in die Zukunft weist. Wir müssen einmal auch für uns offen sein dürfen, damit man sieht, was in uns steckt: zornige Gedanken, die, wie Türen, jetzt aufgesperrt sind. Wir fallen mit der Tür ins Freie hinaus. Und alles wird bald wie wir sein und am gedeckten Tisch Platz nehmen: Gast und Gastgeber, Wein und Weinheber. Genug, aber mit Genuß beim Henderlessen, denn die meisten Tiere sind besser als ein Mensch, den man nicht kennt. Und der sich dann ängstlich in den Sitz drückt, im Zuge dessen, daß er seine Heimkunft längst ausgeschlossen hat. Im Zug nach Osten. Wohin er auch kommt, wir werden sofort das Schloß auswechseln, mit dem unsere Handschellen an ihm hängen, den wir nicht anschauen wollen. Er könnte ja sein wie wir! Ja, wenn wir bis zum Äußersten gehen wollen, dann schauen wir in den Spiegel, endlich allein.

 

Vorrede zur "Wolken.Heim."-Lesung in Wiener Volkstheater. Am österr. Nationalfeiertag 1999


Vom Volksbegehren zum Volk der Wahl © 1999 Elfriede Jelinek

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