Eine kleine Weihnachtsgeschichte

In der Nähe der romantischen Datenhighways liegen die friedlichen Serverfarmen, wo diese warmen, wenn auch nicht atmenden Geschöpfe wiederkäuend vor sich hindämmern, während ihre Neuronen auf Dauerfeuer geschaltet sind. Die Serverfarm für meine homepage liegt bei Verio Inc., Englewood, CO, USA.

Das durchschnittliche Verkehrsaufkommen der homepage lag bisher bei 100-200 Besuchern pro Tag, die insgesamt etwa 700-1400 Seiten aufgerufen haben, um in Ruhe damit einzuschlafen. Das summierte sich zu einer Übertragungsmenge von 1-2 Gigabyte pro Monat. Sowas frißt der Schatz von Server mit Leichtigkeit, und es kostet sein Futter nicht viel. Als dann jedoch mein Literaturnobelpreis bekannt wurde, steigerte sich das Verkehrsaufkommen auf elfriedejelinek.willcommen innerhalb einer Stunde auf das Fünfhundertfache. Die Server konnten gar nicht soviel fressen wie sie auf einmal von sich geben sollten. Obwohl sich der traffic nach ein paar Stunden auf dem etwa hundertfachen Niveau stabilisiert hatte, war abzusehen, daß Server und Geschäftsplan (der Weihnachtsmann weiß ja auch nicht vorher, wieviel und was er bringen soll, es wird ihm schriftlich gesagt, und wenn er ins Netz geht, das er auch noch selber schleppen soll, dann erfährt er, was er im Netz dann gleich bestellen und ausliefern kann) das nicht lange durchmachen würden können. Etwas würde unter diesem Ansturm durchglühen, es waren zwar keine Anwälte in Sicht, aber es waren hohe Kosten im Kommen.

Irgendwo in Colorado leuchtete ein Licht auf, aber nicht der Weihnachsstern, und auch kein Licht, das mir aufgegangen wäre. Aber es war so. Warnung! Das monatliche Verkehrsaufkommen wird auf 35 GB emporschnellen, dort vielleicht verharren und mich ungefähr $2790 mehr kosten als bisher. Alarm! Der bisher gültige, selbstverständlich der billigste Verkehrsplan „Bronze" sieht ein monatliches Übertragungslimit von 7,5 GB vor. Überschreitungen sind immer teuer, diesmal besonders, und irgendjemand wird sie ahnden, wenn die Feiertage vorbei sind. Aber man kann jetzt schon upgraden, rät die Farm, die Tiere mampfen derweil still, aber stetig. Die Wege Gottes sind grade und müssen ab und zu saniert werden. Die Wiege füllt sich mit Halmen, und dann soll nochwas reinkommen, dazu sind diese Farmen ja da.  Also legen wir ihnen das Jesuskind hinein, bevor es uns reinlegt, und sagen wir den Amerikanern, daß wir einen Nobelpreis bekommen haben, den wir auch behalten und nicht für Serviererinnen an irgendwelchen Datenhighways ausgeben wollen. Die Verkehrszunahme ist nur vorübergehend, haben wir gesagt. Vielleicht kurzfristige Übergangslösung? Nach ein paar Wochen geht ohnedies keiner mehr über diese Bahn, dann schlafen auch die User wieder ein. Vielleicht eine Art pauschaler Abgeltung möglich? Ratenzahlung? Teilzahlungslösungen? Rabatte? Nein? Nix? Nein. Nobelprize?? Elfriede Jelinek??? Elfriede who? Nobel what? Sorry, no "Nobel"-Prize.

Naja, dann halt den "Platinum"-Plan gewählt. Rasendes Umkopieren der Daten auf einen leistungsfähigeren und per Gigabit-LAN am Verio Backbone angebundenen Server veranlaßt. Jetzt, Ende Dezember, ist das durchschnittliche Verkehrsaufkommen auf das etwa Fünfzehnfache des früheren zurückgegangen, damit aber immer noch so hoch, daß meine homepage weiter auf dem „Platinum"-Server liegen muß. Aber jetzt kann ich mir das ja leisten und bin wieder beruhigt.

Der Aufsatz erschien am 24.12.2004 im "Berliner Tagesspiegel"

9.1.2005


Eine kleine Weihnachtsgeschichte © 2005 Elfriede Jelinek

 

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