Diese Maschine ist unschuldig!

Ich klage andre an

 


Fakir Hobby TLB


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Es muß der kleine Heizlüfter der Firma Fakir, Modell Hobby TLB, von dem Makel des Verbrechens befreit werden, und seine Schuld an dem Unglück vom 11.11. 2000 in Kaprun (die Gletscherbahn-Katastrophe, bei der 155 Menschen verbrannt sind) muß getilgt werden, denn auch Maschinen haben ein Recht auf Gerechtigkeit. Sie sind die vollkommen guten Seelen, die von Menschen geschaffen wurden, und die den Menschen nur helfen wollen: geistlose, aber dienstbare Geister, die die Aufgabe haben, uns in allem zu unterstützen. Ich habe selbst schon zwei Stück Fakire in zwei Stück Klo eingebaut, und was habe ich laut und deutlich, sogar unterstrichen, in der Gebrauchsanweisung gelesen: nicht zum Einbau in Fahrzeugen geeignet! Und was haben die Menschen in Kaprun ohne jedes technische Verständnis, ohne jede Ahnung von den Bedürfnissen dieses anstelligen, gutwilligen und fleißigen Geräts gemacht? Sie haben die Fakire in eine Gletscherbahn eingebaut, damit der Fahrer keine kalten Füße kriegt, wenn die Bahn steht. Und sorgsam eingebaut wurden die Fakire, die, wie schon der Name sagt, einigen Kummer gewohnt sind, auch das Leid, verstümmelt zu werden, damit sie in den Fußwärmraum der Bahn auch hineinpassen (da schneiden wir halt ein Stück weg von dem Gehäuse. Paßt schon), in dämmende Lärchenholzkästchen, als wäre jeder von ihnen  Teil einer Einbauküche gewesen, und technische Öle haben diese Kästchen dann langsam, aber sicher durchtränkt. Die findigen Kapruner haben die Gehäuseschale beim Selbsteinbau-Pfusch so zurechtgeschnitzt, daß der Kleine, der Fakir, ungeschützt dem hereinsickernden Hydrauliköl ausgesetzt war. Bemerkt haben wir das nicht, tut uns leid, aber wir können nichts dafür.

In der andren Bahn, die gesund geblieben ist, hat man sie auch gefunden, die Öle, dort sind sie auch eingedrungen. Mit der andren Bahn auf ihrer Gegenbahn wäre irgendwann dasselbe passiert. Sie wäre früher oder später ebenfalls in Flammen aufgegangen. Es ist nicht recht, und das ist auch nicht richtig gewesen, den Hobbyheizer in ein fahrendes Vehikel einzubauen. Aber man kann dem etwas entgegensetzen, ist man ein leckeres Ösi-Gericht, das den Unsrigen immer Recht geben wird, als gäbe es Vorräte an Recht unbeschränkt, aber halt nur für uns: Man sagt einfach, eine Gletscherbahn sei kein Fahrzeug im eigentlichen Sinn! So. Was ist sie dann? Was macht sie, wenn sie nicht fahren kann? Es war ihm natürlich gar nicht recht, dem Hobby-Fakir, daß man so mit ihm verfahren ist und er dauernd hin- und herfahren mußte, daß er trotzdem, obwohl kein Fahrzeug, immer fahren mußte, immer fahren und seine Glühwendel erschüttern, bei jeder Fahrt ein bißchen mehr, und so konnte er dann nicht mehr wirklich atmen, um die Luft wieder wegzufächern, die er eingesaugt hatte, und atmen muß auch die Maschine. Damit sie ausatmen kann, dazu muß sie erst mal einatmen können. Er hat eine Pein in der Seele, der Fakir, nimmt man ihm, was ihm zusteht, den guten Strom, die gute Luft, die guten Berge. Im Haushalt gibt es ja nur wenig Erschütterung, außer man dreht den Fernseher auf, nein, das ständige Fahren hält auf die Dauer der stärkste Fakir nicht aus, auch wenn er in keinem Fahrzeug fährt. Denn das war ja gar kein Fahrzeug, in das er eingebaut worden ist! Was hat ihn dann so erschüttert, wenn er gar nicht gefahren ist? Was war das? War da was? Wir Herren der Maschinen können Erschütterungen wegstecken, der arme Hobby aber konnte es nicht. Der Fakir kann nichts dafür, wenn ihm sowas angetan wird, wenn er in ein Fahrzeug, das gar keins ist, eingebaut wird, und dann kann er nicht mehr funktionieren, denn es ist nicht recht, es ist vielleicht billig und heilsam, aber es ist nicht recht (für den Fahrer der Bahn vielleicht schon, er hat dann warme Füße, verkühlt sich nicht, für alle andren nicht), dignum et justum est, ja, vielleicht für den Fahrer, für den ist die Wärme gut und angenehm, aber für alle andren nicht, aber es ist sowieso ganz allgemein nicht richtig, einen Heizlüfter in eine Bahn, die keine ist, aber dennoch auf ihrer vorgezeichneten Bahn auf- und abfährt, einzufügen, und damit erübrigt sich schon alles weitere. Jedes Wort überflüssig, das kann nur schiefgehen.

Der Fakir war ganz in Ordnung, er war, wie er war, und er hat getan, wofür er gedacht war, nur am falschen Ort, in einem falschen Fahrzeug, das gar keins war. Doch es muß gesagt werden: Es ist nicht sachgerecht mit ihm umgegangen worden, und das wird zu beweisen sein, und das wird auch bewiesen werden können, vorausgesetzt, die Hinhaltetaktik der Republik Ösiland kann noch rechtzeitig durchkreuzt werden. Hier ist es eh nie zu zeitig, hier ist es meist schon zu spät, bevor etwas überhaupt angefangen hat. Wir waren es nicht, wir waren es immer nicht, wir waren es nie. Hier steht ein Fahrzeug, das fährt, aber es kann ja gar nicht fahren, weil es schließlich gar kein Fahrzeug ist. Zum Zweck der Rehabilitation des kleinen Heizers namens Fakir, Modell Hobby TLB, ist vom Opferanwalt der Angehörigen der Toten von Kaprun in Straßburg beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (und Maschinenrechte hoffentlich auch) ein Antrag auf beschleunigtes Verfahren gestellt worden. Denn die Anzeigen der deutschen Sachverständigen, der Anwälte des kleinen Fakir, der vollkommen unschuldig ist, dem selbst Schlimmes angetan wurde, Verstümmelung und Erschütterung, sodaß er nicht mehr funktionieren konnte, was er doch immer wollte und auch klaglos getan hätte, wäre er nur sachkundig behandelt worden, wie es auch Maschinen zukommt (Menschen werden in die Fresse gehauen, mit Maschinen tun wir das auch, aber über die denken wir nicht nach, bis einmal wer tot ist), diese Anzeigen also liegen im Justizministerium von Ösistan, doch keiner schert sich um sie und hat sich um sie geschert. Wir scheren lieber die Touristenschafe. Wir verurteilen, wen wir wollen, aber uns nicht. Es sind ja alle Beteiligten sowieso unschuldig. Also muß die Maschine schuldig sein. Es hat beim Prozeß Freisprüche für die 16 Angeklagten gegeben, Freisprüche, die inzwischen rechtskräftig sind, denn man hat alle Schuld doch dem kleinen, unschuldigen Fakir zugeschoben, der sich nicht wehren konnte. Er soll angeblich defekt gewesen sein, seine Rotorblätter sollen sich angeblich festgefressen und dabei die Hitze verursacht haben, die zur Katastrophe geführt hat, zur Entzündung, zum Verbrennen von Menschen (immer schon unsere Spezialität! Das muß eine Moraliseurin wie ich, an dieser Stelle, die vollkommen ungefährdet ist, sie kann ja nicht entlassen werden!, das muß sie also sagen, daran kann sie einfach nicht vorbeigehen oder -fahren. Damit verbrennt man sich auch nicht mehr den Mund und auch sonst nichts. So, und jetzt sollen arme Maschinen für unsre Gemeinheiten gradestehen, und da hört sichs auf, das ist nicht mehr lustig. Das ist ernst).

Defekt soll er also gewesen sein, der Heizlüfter von Fakir, der gar nicht hätte sein dürfen, wo er war. War er im Nichts, da ja die Bahn keine Bahn war, kein Fahrzeug? Ja, wenn wir gewußt hätten, was passieren kann, dann hätten wir aber auch nichts getan! Vielleicht war er ja gar kein Heizkörperl, wenn die Bahn gar keine Bahn gewesen ist? Und wenn man sonst nichts wußte, das eine, einzige, was wir sicher gewußt haben, damit wir nämlich nicht schuld gewesen sein werden, stand beim Prozeß fest: daß er kaputt war, Fabrikationsfehler, und für seinen Einbau (der gar nicht hätte stattfinden dürfen, siehe Gebrauchsanweisung) und seine Wartung (die sowieso nie stattgefunden hat, das glaube ich gern, wir warten auf unsere lieben Gäste, aber unsere Maschinen, die warten wir nicht, da können die warten bis sie schwarz werden und alles übrige auch) ist wer verantwortlich? Natürlich niemand persönlich. Nein, auch nicht alle gemeinsam. Niemand. Keine persönliche Verhaftung, nein, Haftung, nein, Verantwortung möglich, also schon grundsätzlich: persönliches Haften unmöglich. Wenn wer haften muß, dann die Firma Fakir in Deutschland. Die ist schuld. Wir haften nicht. Wir heften unsre Fremdenverkehrsplakate überall an, aber haften tun wir nicht und nirgends. Vieles haftet irgendwo, aber das da nicht. Nicht an uns. Also an uns bleibt das nicht hängen! Das lassen wir nicht auf uns sitzen! Sehen Sie sonst jemanden, der schuld sein könnte?, nein, hier sehen wir niemand, die Maschine war es, sonst war ja keiner da!, sie kann nichts dafür, ihre Hersteller können alles dafür, die haben nicht alles dafür getan, daß sie funktioniert, so sagen sie hier, die Ösi-Sachverständigen, der Defekt ist von ihnen genauso festgestellt worden, genauso, wie er nicht war. Vom nicht zugelassenen Hydrauliköl und den undichten Leitungen und Ventilen können und wollen wir schweigen, denn der Auslöser war der defekte Fakir, das wissen wir genau. Nur er kann es gewesen sein. Sonst war ja keiner da, außer den Fahrgästen, 155 davon jetzt tot. Den Angehörigen zahlen wir ein bisserl was dafür, und gut ist es. Dabei hat das Öl das Lärchenholz-Einbaukästchen durchdrungen, das den kleinen Heizer vor der staunenden Öffentlichkeit abgeschirmt hat, und dem armen Kerl wurde es dort drinnen heißer und heißer, er hat noch tapfer Luft gefächelt, aber das Öl, das wollte brennen, das mußte brennen, weil der Fakir eben nicht genug Atemluft bekommen hat. Und das Öl, das macht tropf tropf, das rinnt hinein, dafür haben wir ja ein Stück vom Fakir-Gehäuse herausgeschnitten, damit das Hydrauliköl schön hineinrinnen kann. Das Wort unsachgemäß kennen wir auch nicht. Wir warens nicht. Keiner war es. Die Bahn ist kein Fahrzeug. Es folgte viel Hitze, zuviel, Entzündung, dann das Feuer für die Katastrophe.

Ich aber sage, und die deutschen Sachverständigen sagen es auch: Der Fakir ist unschuldig. Diese Maschine war total in Ordnung. Welche Gutachter haben ihm die Schuld gegeben? Es waren einer mit stark eingeschränkter Sehkraft, noch dazu nicht adäquat ausgebildet, wie nachzuweisen ist, es war ein andrer, der nicht glaubt (der Richter dolmetscht es für uns, er schließt sich an, vollinhaltlich), daß eine Gletscherbahn überhaupt ein Fahrzeug ist. Da steht ja ihr ausgebranntes Gerippe, da steht es ja!, wie kann die je gefahren sein, so wie die ausschaut!, es steht ja!, das sehen Sie doch!, ja, der Richter schließt sich diesen goldenen Worten an, ein andrer Gutachter, der vom Verkehrsministerium wirtschaftlich abhängig war (das sagt nicht viel, denn hier ist jeder irgendwie von jedem abhängig, und er ist froh, wenn er von einem möglichst Mächtigen abhängig ist, das ist das Höchste, das er erreichen kann, das Wort Unabhängigkeit kennt man hier nicht, man benutzt es, aber man kennt es nicht), war auch dabei, und das waren sie auch schon, die (nachdem die einen Gutachten im Kofferraum, die andren in einem Keller gelagert worden waren, wo sie lange unbesehen und unbescholten ruhen und schimmeln und schummeln durften, weil keiner sie benötigt hat) gegutachtert haben, bis sie endlich sahen, ja, der Richter sah es auch, daß es gut war und alle Angeklagten selbstverständlich unschuldig. Das ist genau das, was auch herauskommen sollte bei dem Prozeß. Alle unschuldig. Gletscherbahn: kein Fahrzeug. Der arme Hobby-Fakir: schuldig. Er war ja vollkommen verbrannt, wie 155 Menschen auch, aber nur er kann es gewesen sein. Keiner hat ihn eingebaut, keiner gewartet, keiner sich beim Warten mit heißer Luft gewärmt, welche eine tapfere kleine Maschine ihm blies, schließlich, als keiner sie hörte, den Abmarsch ins Totenreich kündete. Achten kann man sie dafür nicht, diese Gut-Achter, die immer nur auf das Gewünschte achten. Hochachtungsvoll. Keiner ist schuld. Freisprüche für alle, Freisprüche satt.

Aber jetzt hat der kleine Fakir endlich Anwälte erhalten, die beweisen werden, daß er keinen Mangel hatte außer dem, am falschen Ort unerlaubt eingebaut worden zu sein. Nicht zum Einbau in Fahrzeugen geeignet. Da steht es doch! Überzeugen Sie sich selbst! Kaufen Sie einen und lesen Sie die Gebrauchsanweisung! Das hat er doch laut und deutlich immer gesagt, aber sie haben nicht auf ihn gehört. Aber leider hat man ihm nicht gesagt, daß das gar kein Fahrzeug war, in dem er da wohnte. Und überhaupt: Die Maschine soll auf uns hören, nicht wir auf sie. Aber das rächt sich. Die Maschine hat auch Bedürfnisse, die man nicht unterdrücken darf. Wie kann die kräftige, aber vollkommen unbewußte Natur der Maschine, die Menschen sinnreich erdacht und hergestellt haben, für die schwächliche Natur der Menschen, für ihr schwaches Fleisch, plötzlich zu einer solchen Pein werden? Maschinen können töten, und manche tun das gern, weil sie es sollen, diese aber nicht. Die Maschine weint, weil sie sich der Natur nicht verständlich machen kann. Aber jetzt sprechen wir für sie. Wir sprechen für den kleinen, tüchtigen Heizlüfter der Firma Fakir, öffnen Sie ihm Ihre Herzen! Und das ist auch den Angehörigen der Opfer zu wünschen, daß jemand für sie spricht. Daß jemand die Wahrheit spricht, was in Ösopotamien ziemlich ungewöhnlich, aber möglich ist. Ich hoffe, es wird sich Gelegenheit dazu bieten. Denn der nette Heizlüfter ist unschuldig. Ich sage das, und ich bin damit nicht allein. Gottseidank, denn wäre ich allein, würde mir ja kein Mensch zuhören können. Und er trägt auch kein Verlangen in sich, der Fakir, die Schuld auf sich zu nehmen. Er wartet auch auf seinen Freispruch. Der Heizlüfter wollte uns immer nur wärmen, aber alles am rechten Ort und zur rechten Zeit. Das hätte er auch brav getan. Ich bin die eine Seele mehr, ihn zu preisen, und jede Seele mehr, die Technik als Gott zu preisen, ist eine gewonnene Seele. Ich hoffe, die unglaubliche Vertuschung, Verschleierung und Erstickung von Tatsachen durch die österreichischen Sachverständigen beim Kaprun-Prozeß, wird nicht weggeweht werden können, nicht einmal von einem kleinen unschuldigen Heizlüfter. Ich stehe ihm zur Seite, still und unerkannt, wenn auch etwas erhitzt, so reich ich ihm die liebe Hand. Mit mir kann er immer rechnen. Ich stehe für ihn ein, er steht ja auch für meine Wärme auf dem Klo ein.

 

 

Inzwischen sind alle, nach Aufruf ihrer jeweiligen Nummer, durch die Tür verschwunden. Ich weiß auch nicht, was wir jetzt machen sollen, denn der Tod tritt mit einem Zeichen der Verlegenheit auf dem Gesicht zu mir, tja, er weiß es auch nicht, vielleicht könnte man das in Rauch- und Flammenschrift an der Wand lesen, oder es sprechen nur noch Maschinenstimmen aus Rauch, Flammen, Schreien, sinnlosem Atemholen und Inferno, immer noch lammfromm, weil Menschen halt viel aushalten, aber nicht alles, zu uns. Eine Schriftstellerin wohnt in mir, vielleicht will sie auch mal was sagen, nein?, aber was hier gesagt wird, stammt doch aus ihrem Mund, oder? Na, nicht alles. Ich neige im Moment mehr zu der Heizungsthese, aber ich will mich auf keine Spekulation festlegen. Ich spreche von Heimat und Fernweh, aber ich werde sterben, ohne die Welt gesehen zu haben, das steht nun mal fest, so früh schon, na ja, so früh auch wieder nicht. Ich weiß es einfach. Es ist spät. Ich möchte in mich hineingehen, denn morgen, morgen möchte ich endlich aus mir hinauswandern. Die Anforderungen an mich sind so platt, wieso soll ich mich schämen, wenn auch die Antworten platt sind, die aus meinem Wohnzimmerfensterchen quellen. Ich bin die Wehrlosigkeit selbst, man wirft mir etwas vor, ich räume mir ein Recht ein, aber kaum ist es in seinem Fach, will es schon wieder heraus, zu den anderen. Die gefallen ihm halt besser. Ich bin jetzt gerührt, weil so viele tot sind, mein derzeitiger Gesichtsausdruck ist dazu unpassend, macht nichts, Sie sehen ihn ja nicht. Sie sind ein gebildetes Gebilde, Sie wollen mit mir nicht teilen, sie wollen ihren Eindruck allein für sich behalten. Ich leihe meinen wenigstens her. Sie wollen sich in Sterbende einfühlen, aber das sind ja nur 155 Stück! Da bleibt doch nicht einmal ein Knöchelchen für jeden von Ihnen, da bleibt uns ja gar nichts andres übrig. Ich lasse halt, Genauigkeitsfanatikerin, die ich bin, die Stimmen sprechen, die wirklich gesprochen haben, einmal, dann nie wieder. Jeder, der ab jetzt noch spricht, ist bereits tot. Die Nacht kommt herauf, aber nur für ihn, denn draußen ist heller Morgen, und schon sind sie abgängig, nein, das kann man nicht sagen, wir wissen ja, wo sie sind, können sie aber von dort derzeit nicht herausholen. Die Zeit geht zurück, weil sie was verloren hat. Wir haben hier nichts verloren. Wir haben uns eine neue helle Bluse gekauft, eine braune Schoß, wie man früher zum Rock sagte, klassische Pumps und eine schwarze Strumpfhose. All das enthält nichts, denn es ist nichts mehr da. Die Stunden verfliegen zu schnell, wir würden nicht in den Spiegel schauen können, wüßten wir, daß wir das sind.

Finsternis. Computerstimmen:

Tut was, wir ersticken.

Es wird alles getan, wir sind bei der Arbeit.

Warum habt ihr abgeschaltet?

Ich habe von dir ein HALT bekommen.

Der Zug brennt.

Sofort Türen öffnen! Bergen!

Tut was, wir ersticken!

Es wird alles getan, wir sind bei der Arbeit.

Rotes Dämmerlicht. Der Rauch verzieht sich langsam. Zwei Männer in alpiner Kleidung treten aufeinander zu, sie begrüßen sich und halten einander dann gegenseitig immer ein Mikrophon vor, in das der jeweils andere hineinspricht (jeder hat ein Mikro, das zu einer anderen privaten Sendestation gehört)

A: Die Klärung der Brandursache hat wohl Vorrang vor allen anderen Analysen. Nur unter dieser Voraussetzung kann schlüssig untersucht werden, ohne daß mir andere die Spurenlage zunichte machen können.

B: Tage aus blauer Seide, an denen der Föhn das Blut unruhig macht, doch noch keine Frühlingswolken, noch nicht zarten Gespinsten gleich, noch nicht über die Stadt segelnd, noch kein dunkelsüßer Amselschlag am Morgen als noch kein Weckruf aus noch keinen Gärten. Noch blüht der erste Flieder nicht, noch nicht berühren die Hände zum erstenmal zaghaft und selig zugleich keine weißen Felsen.

A: Danke. Die bisherigen Untersuchungen, die ausschließlich im Tunnel erfolgt sind, haben ergeben, daß der Gletscherdrache und die Kitzsteingams in jedem Fall aufgrund eines technischen Gebrechens zur tödlichen Falle geworden sein dürften. Dabei kommen vor allem drei Bereiche in Frage: die Bremsen, das Radlager sowie die Heizung. Ein Defekt eines dieser Systeme, so meine These, haben den Brand in der unbesetzten Führerkabine des bergwärts fahrenden Zuges ausgelöst und sich binnen weniger Minuten zum Inferno entwickelt.

B: Danke. Wir wissen tief, daß alle Wanderungen ziellos sind, denn wenn auch jede ein Ziel in sich schließt, so wird es, wie wir es erlangt haben, nur zum Altar, auf dem sich schon wieder eine neue Sehnsucht entzündet. Warum nur können wir nicht lassen von unserm Tun, das doch nur ist wie ein Haschen nach ziehenden Wolken! O je, jetzt ist mir noch ein weiterer Gesamtzusammenhang erloschen und ich kriege ihn nicht mehr an, wie den vorhin, ich meine, ich kann ihn nicht mehr anfachen.

A: Danke. Die Bahn stoppte plötzlich so stark, daß man im Wagen kaum noch hätte stehen können, hätten sich nicht so viele Personen drinnen befunden, die ein Umfallen verhinderten.

B: Danke. Ich lächle kurz, dann kommt von meinen Lippen die Antwort: Du fragst nach dem dunklen Warum unsres Dranges? Ich sage dir darauf: Wir müssen wandern, um unsere Sehnsucht zu töten, sonst würde sie uns den Tod geben. Jeder Gipfel ist nur eine Stufe, über der schon die nächste auf uns harrt, denn in uns wohnt Fausts Geist, wir sind ruhelos bis zum Ende. An der Wand stinken die Schuhe, auf dem Kleiderständer die Anoraks und Mützen, am Heuboden die Decken, zwischen den Beinen die Säfte, die uns mit Vergnügen erfüllen sollen, aber derzeit noch  auf den nächsten Doppelliter warten, der dazukommen soll, in den Kehlen die Bemerkungen, die ich Ihnen nicht vorenthalten, im Kopf die Gedanken, die ich befürworten kann.

A: Danke. Von meinen Lippen kommt darauf folgende Antwort: Die Bahn fuhr mit hoher Beschleunigung weg, die nach wenigen Sekunden wieder nachließ und dann wieder einsetzte. Dieser Vorgang wiederholte sich zirka dreimal.

B: Danke. Ganz in Schweigen eingehüllt stehe ich plötzlich, doch ich schweige nicht. Sie haben ja Recht: Wir müssen unsere Sehnsucht töten, immer wieder, wenn sie uns ruft, wir müssen sie betäuben durch die Tat, die uns zu immer neuen Zielen führt. Und so ist alles nur ein Weg.

A: Danke. Der Rauch war am Heck des Zuges außen sichtbar. Die Rauchentwicklung sah so aus, wie wenn ein Formel 1-Wagen während des Rennens über eine bereits mit Ölbindemittel präparierte Ölspur fährt.

B: Danke. Wer war das, der ein Kleidungsstück über einem Heizstrahler über einem Lärchenkästchen vergessen hat? Wahrscheinlich war es ein Toter, der inzwischen selber beinahe schon vergessen ist. Vielleicht gab es kein Kleidungsstück. Vielleicht gab es kein Strahlen. Vielleicht gab es die Lärche nicht. Vielleicht gab es keine Menschen. Hätten wir uns diese Frage am Anfang gestellt, hätten wir uns viel ersparen können. Und ich hätte mir erspart, durch zuviel Sprechen Gewalt auszuüben. Ganz in Schweigen eingehüllt stehen dafür Sie plötzlich. Danke.

A: Danke. Ich hörte metallisch scheppernde Geräusche, so wie wenn man mit einem Hammer auf ein Rohr einschlägt.

B: Danke. Die Welt zieht uns in die Ferne mit ihren Abenteuern, doch die Heimat steht hinter uns wie ein Mann, ein seltsames, bindendes Wunder. Die Heimat hat uns zusammengezogen, und dann hat sie uns geöffnet. Ich glaube, die Heimat hat uns fallengelassen, wie so viele andre auch. Wieso wären wir sonst hier? Die anderen lehnen regungslos am Stein, abgewandten Gesichts. Sie haben Recht. Ich wußte doch, daß sie Recht haben, endlich habe ich es gefunden, ich hatte es schon so lange gesucht. Danke.

A: Danke. Ich konnte in der linken hinteren Ecke am Boden des Führerstandes ein kleines Feuer feststellen. Zu diesem Zeitpunkt hatte das offene Feuer ein Ausmaß von ca. 10 mal 10 Zentimetern. Die Höhe der Flamme dürfte bei ca. fünf Zentimetern gelegen sein.. Aus meiner Sicht war nicht erkennbar, ob das Feuer dort entstanden war oder sich durch die Bodenplatte durchgebrannt hatte.

B: Danke. Die Einvernahmen decken auf, daß sich zuerst 15 Minuten keiner traute, den Zug aus dem Tunnel zu bergen.

A: Danke. Dann wurde es finstere Nacht.

B: Danke.

 

aus dem Bühnenstück "In den Alpen", Berlin 2002

 

 

6.9.2009, 11.11.2020, zwanzig Jahre danach

Der Spiegel 46/2009 S. 42 ff

und: (Die Zeit)


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Diese Maschine ist unschuldig! © 2009 Elfriede Jelinek

 

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