Kein einziges Abenteuer mehr aus dem Englischen Garten

Ein Garten ragt in den Raum hinein, denn es kann unmöglich zuviel gegangen werden, in zuwenig Raum, und zum Gehen, aber auch zum Liegen und Sitzen ist der Garten da. Der Englische Garten ist künstlich angelegt, bitte glauben Sie nichts und niemandem, der Ihnen entgegenkommt und Ihnen etwas anbietet. Seien Sie mißtrauisch! Gehen Sie ihm selbst entgegen! Dieser Garten wartet nur darauf, daß Sie ihn bis zur nächsten Baumgruppe durchschauen können, das läßt er zu, dann aber läßt er nichts mehr zu, obwohl oder weil er kaum etwas verbietet. Der Kleinhesseloher See, in dem sich, wenns schön ist, viele Boote auskennen, weil sie schon so oft drinnen waren, wartet auch. Marieluise Fleißer hat ihn zugänglich gemacht, den Garten, indem sie seine Unzugänglichkeit hervorgehoben hat, die damals noch vorgeherrscht hat. In der Dunkelheit war es leer oder fast leer. Er war ein Schauplatz , wo man sich dem Schauen, zu dem man gekommen war, auch wenn man nicht den Garten, sondern einen anderen Menschen angeschaut hat, ganz aus der Nähe (den Garten immer aus der Ferne), gern wieder entzog. Drinnen war es aber gut, solange man es ausgehalten hat, möglichst nicht allein. Man benutzte den Garten, um sich selbst zu hinterziehen wie eine Abgabe, die man hätte leisten sollen, aber sich nicht leisten konnte, denn jeder Schuster sollte ja bei seinen Leisten bleiben (ich sagte das schon öfter); diese Leisten passen aber nur einer einzigen anderen. Ich glaube, sie passen nur der Fleißer. Das ist ihr Leisten. Ich würde mir einen Leistenbruch heben, würde ich versuchen, den Englischen Garten zu stemmen so wie sie. Die Frau strebt nach Liebe, der Mann aber auch. Die Fleißer macht den Englischen Garten in ihrer Erzählung also zugänglich, indem sie ihn gegenstehen läßt und dann in einen Unort verwandelt, in dem die Menschen nicht das Sagen haben, weil sie sich gar nicht mehr auskennen, nicht einmal in ihrer eigenen Sprache. Sie kennen sich in diesem Garten vor Liebe und Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit nicht mehr aus. Die das geschrieben hat, richtet mit dem Geschriebenen einen Raum her, den sie dann in der Gegend stehen läßt, nur um ihn wieder unzugänglich zu machen, weil jeder dort ein Eindringling ist, und ihre Figuren sind auch unzugänglich wie sie eben unzulänglich sind, wenn diese gärtnerische, gesuchte Uneinheitlichkeit, mal Bach, mal Weg, mal Rasenflächen, mal Buschwerk, mal alte Baumgruppen oder Felsen, und das alles muß man malnehmen, wenn diese Vielfalt aufgesucht wird, die einem dort geboten wird, und die die ihr Begegnenden mit Klammern umgreift (andre Griffe kennen die Menschen in Zeiten der Not nicht, und diese Zeiten sind immer, mal mehr, mal weniger), indem sie den Wünschen derer, die sich begegnen, vorgreift, was nichts macht, denn diese Wünsche werden ohnedies nicht erfüllt. Dieser Garten ist etwas, auf das soviele zufassen, zugreifen, indem er der Anschauung einen gehörigen, ständig wechselnden Horizont liefert, zu dem zu gehören sie langsam das Gefühl bekommen könnten, würden sie überhaupt ein Gefühl kennen. Was ist das, was soll das sein? Sie könnten es nicht benennen. Der Englische Garten ist also gesagt worden und damit in die Unsagbarkeit zurückgefallen, durch dieses Einmal Anschauen und Sagen der Marieluise Fleißer. Ich könnte ihn höchstens noch nachsagen oder aufsagen, aufkündigen kann ich ihm nichts, er hat schon alles gehabt und sein Geheimnis, das längst keins mehr ist, dennoch für sich behalten, indem er sich mir ohne Widerstand öffnete, denn da ist nichts zu öffnen, er ist ja immer offen. Jeden Tag hat er geöffnet, nein, das ist falsch, denn was nie geschlossen wird, das kann auch nicht geöffnet werden. Auch ich stelle mich also dazu, an einen bestimmten Ort, und betrachte die lieben Enten und Gänse, meine Freunde, nein, nicht Sie sind gemeint, sondern die Tiere!, aber es ist egal, wer mich dahin gestellt hat, ich lasse es dahingestellt bleiben, ohne es zu gestalten. Das würde ich mir nicht anmaßen. Es lebt nicht, was ich sagen könnte.


Nach der Fleißer lebt hier gar nichts mehr, es lebt alles, weil die Dichter alles zum Leben erwecken können, und diese Dichterin ganz besonders, sie belebt es, um es wieder umbringen zu können, und dann merkt sie, daß alle schon tot sind, nein, es lebt nichts mehr, und es lebt gleichzeitig viel mehr, aber nur geschrieben, doch von einer solchen physischen Beharrlichkeit, als ob jeder Satz, von seiner Schöpferin in den Boden hineingeprügelt, dort mit seinem verstümmelten Rest noch einen soliden Stolperstein ergeben würde. Und darauf gehe jetzt ich. Und falle natürlich prompt hin. Nein, draufgehn tu ich nicht. Das ist ein fester Boden, den ich auch benötige, sonst würde ich einbrechen gehen, bin dazu aber zu ungeschickt, wie die Figuren der Marieluise Fleißer fürs ganze Leben zu ungeschickt sind. Ich verstehe – wie das Fräulein in der Erzählung vom Abenteuer im Englischen Garten – meine eigenen Anspielungen nicht, denn die Musik spielt immer woanders, da können zur Fußball-WM noch soviele Musiken von irgendwoher herüberschallen; was die Fleißer an- und ausgespielt hat, kann weder gestochen werden, noch kann (ich will ja gar nichts stechen!) man eine eigene Karte auch einfach nur drauflegen. Sie würde sich sofort auflösen, in Luft, und sie würde mich auf nichts aufmerksam machen können, da vor mir schon eine so aufmerksam war, daß sie alles gesehen hat, was da zu sehen war und auch das, was niemand hätte sehen können.  Inzwischen ist alles anders. Der Englische Garten ist komplett anders geworden, auch wenn er kein andrer geworden ist,  bloß weil es keine Fleißer mehr gibt, die über ihn schreiben würde. Sie hat es aber schon geschrieben. Da liegt es wie diejenigen im Gras, die andren Liebe einflößen wollen und dafür Getränke mitgebracht haben, das ist hier erlaubt. Da fällt eine Hand auf die heimlichen Wege, und die Wege sind fort, wie ausradiert. Alles, was so gesagt werden konnte, wie sie es gesagt hat (und es kann nicht anders gesagt werden!), kann nie wieder gesagt werden. Ich beherrsche diese Sprache nicht, dieses Bayerisch, das wie eine Ur-Sprache, nicht wie die Ursonate, aus den Menschen herausgemeißelt ist, das Bäurische, das aber auch wieder irgendwie städtisch ist. Jeder Satz ein Hammerschlag auf den Boden. Nur kommt nichts raus, weil sich heute alle auf dem Boden der Tatsachen befinden. Jeder Tag kommt, jeder Tag geht auch wieder, aber bei der Dichterin kann es nur ein einziger Tag gewesen sein, nämlich genau dieser, der nun einmal vergangen ist, aber immer wieder aufs neue vergeht, und diesem Vergehen kann man nie zuvorkommen. Und jetzt ist kein Weg mehr da, denn der Weg ist mit dem Garten gegangen. Er führt nicht durch den Garten der Sprachlosigkeit, obwohl Englisch heute von den meisten irgendwie, schlecht oder recht, gesprochen wird. Nimmt man das Englisch weg, bleibt immer noch der Garten übrig, und dazu zwei Stück Menschen, die eine Rolle spielen. Es sind noch viel mehr Menschen da, wenn auch derzeit nicht anwesend, aber sie können nie wieder eine Rolle spielen, da sie diese Rolle ja immer schon einmal gespielt haben, zumindest dieses eine Mal, als die Fleißer dabei war, aber das hat schon genügt.  Die Straße, auf der wir gehen, ist auch für Lastkraftwagen geeignet, wird aber auf Grund der abwegigen Lage dazu nur selten benutzt, sagt sie (sagt wer?), damit wir es uns merken, auch wenn wir noch nie einen Lastwagen gefahren haben. Wir sind uns schon selbst Last genug, nur merken wir es in diesem Garten weniger. Es gibt mehr zu sehen, aber wir bemerken weniger. Damit sagt sie schon alles, die Fleißer. Die Amtssprache spricht der Mensch, der Englisch kann und sich im Englischen Garten manchmal aufhält, wo ihm Erkenntnisse kommen, daß er nichts ist. Er könnte vielleicht etwas sein durch eine andre, aber von der gleitet er ab wie das Klingeln, das von den Radfahrern abfällt, allerdings jederzeit wiederholt werden kann, es fällt wieder ab, denn heute wird alles sehr schnell Abfall. Wie, man läßt nicht gleich einen Kriegszustand aufkommen mit einer fremden Person? Hier steht es, und es kann nicht anders. Es muß hier stehen. Ich glaube, ich muß diese Erzählung jetzt Wort für Wort abschreiben. Das wäre eine Übung, es wäre DIE Übung, ich würde lernen, die Menschen abzuschätzen. Ich bin ja oft abschätzig, aber das verliert sich sofort in diesem Garten, wo ich von Wasservögeln, die ich füttere, vielleicht für ein paar Minuten geschätzt werde, hier finde ich keinen Menschen, den ich abschätzig behandeln würde. Das ist ohnehin nicht wahr. Aber ich gebe mir nicht die Mühe, es richtigzustellen. Da stehen schon ganz andre Sachen, die richtig sind. Das sind Verstandesbegriffe, nichts für mich. Es gibt keine Menschen mehr, seit es die Fleißer nicht mehr gibt, jedenfalls im Englischen Garten. Da mag er noch so voll sein, an schönen Wochenenden, aber es kann darüber nichts mehr gesagt werden. Man kann sich trennen, im Verdruß oder aus Überdruß, die Nackten sprenkeln die Wiesen wie Fleischbrocken, die Wiesen wieder lassen die Bäume hinter sich, sonst wären sie ja keine, den Schafen hängt die blutige Nachgeburt hinten raus, ihre Lämmer sind noch ganz daneben, in einer kleinen Einpferchung, die Menschen aber sind nicht eingeschlossen. Sie sind entschlossen. Ihnen wird in diesem Garten gesagt, daß sie überall sein können, also natürlich auch hier. Wieso sind sie dann aber nur dort, wo die Fleißer einmal kurz hingeschaut hat, flüchtig, wie die Zigarette abbrennt, dauerhaft wie der Rauch, der unter der Decke hängt, und das Rauchen selbst, mitsamt all den Rauchwaren?  Wo eine Zuneigung noch ein Geheimnis ist, wo man aus ihr zumindest noch eins machen kann. Wieso wächst woanders kein Mensch mehr aus dem Boden? Warum liegen sie alle, so oft nackt? Warum zeigen sie sich? Weil sie es können? Je mehr sie dort liegen, desto weniger gibt es sie, auch wenn sie zu vielen sind, mir zuviel. Sie können nicht beschrieben werden, weil sie es schon sind, nur anders. Anders, weil es andre Menschen waren? So wie sie waren und nie wieder sein werden. Kein Schicksal mehr im Schritt und Gegenschritt der Gruppen, mit einem bleichen Licht in der Ferne. Sehen Sie, jedes Wort, das nicht von mir ist, lebt sofort, es lebt auch deshalb auf, weil es nicht bei mir bleiben muß, und es lebt ja schon lang, es hat schon unter uns gewohnt und unter anderen. Ich kann im Englischen Garten keine Worte finden. Aber sie fehlen mir auch nicht, sie sind ja trotzdem da, auch wenn ich sie nicht finden kann. Ich müßte sie mir nur nehmen, aber mit Worten habe ich schon soviel gemacht, aus dem, was mir passiert ist in jungen Jahren. Ein andrer ist in einem ganz andren Raum, da nimmt er mich nicht mit hinüber. Ganz anders als ich sind die Surfer. Die Surfer beim Haus der Kunst haben kein Geheimnis, das man an ihrem Körper nicht sofort ablesen könnte. Für mich allerdings sind sie das Geheimnis schlechthin, weil ich mir nicht einmal vorstellen kann, wie man sich auf so einem Brett hält und verhält. Aber die Fleißer müßte man in ihrer Wesenlosigkeit hochheben, wer in so einem Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen, aber sie tut es doch, aus ihrer Wesenlosigkeit heraus, die im Grunde selbst steinern ist, ohne gewichtig zu sein; sie haben nur ein ungeheures Gewicht, diese Steine, man kann sie nicht stemmen, man kann, was diese Frau sagt, angreifen, aber man kriegt es keinen Zentimeter hoch, genau wie sie selbst, die unbeirrbar verrückt war, ja, wie ein Stein in ihrem Körper, aber mit jedem Wort ein kleines bißchen verrückt, aber das genügt, es hat sich alles eingegraben, und da konnte die Frau so verrückt sein wie sie wollte. Man kann nicht dagegen sein, nicht gegen das, was gesagt wird, man kann es anfassen, es sind Körper, die gesagt werden (nicht: aufgesagt, weil ihnen von Anfang an alles aufgekündigt wurde, und weil sie aufgekündigt worden sind, auch weil ihnen ihre Arbeit aufgekündigt wurde, sind sie das einzige, was über sie gesagt werden kann, da sie ja keine Tätigkeit mehr ausführen dürfen, nur noch sich selbst in den Englischen Garten. Neben der Fleißer gibt es kein Darüber Hinaus. Es ist alles und braucht nicht darüber hinwehen, besser: hingeweht werden wie die Vögel, die der Sturm packt). Die Körper sammeln sich und sagen etwas, das sie selbst nicht verstehen. Wie sollte es da ein andrer können? Der einzelne steht davor und versteckt sich vor dem bleichen Gebein der Straße im Gebüsch. Heute versteckt sich keiner mehr, heute sind sie beschäftigt damit, sich hervorzubringen, sich aufzuheben, etwas, das sie einer Hautcreme, einem Make-up, einer neuen Jeans abverlangen, und, wenn sie es können, heben sie sich mit besonders schönen braunen Beinen oder besonders engen Jeans hervor, heraus aus der Menge. Nur heraus mit sich! So heißt es. Abseits sitzt keiner mehr auf einem Rasen. Heute rasen sie alle im Diesseits herum, jeder diesseitig, aber nicht andersseitig. Im Jenseits werden sie vielleicht weiterrennen, weil sie es so gewöhnt sind. Das Leben packen sie mit einem heißen Griff beider Hände, aber das Leben besteht nur aus einem Gesicht. Sie sind alle da. Die Gesichter haben sie mitgenommen, nicht weggenommen. Keiner ist weg. Und wer weg ist, den kann man nicht sehen. Dieser Englische Garten hat den Zweck, alles und alle sichtbar zu machen. Die Menschen schauen einander an und sind sofort per du, aber es bedeutet nichts, vor allem nicht: du. Sie sagen alle du, keiner hält den Atem an, alles ist wie künstlich beatmet, so natürlich ist es und lebendig. Allein die Muskeln, so lebendig, eine Lebendigkeit, die sich die Dichterin gar nicht vorstellen konnte oder nur an anderen, die ihr Beispiel waren, als sie versuchte, einen Anschluß zu suchen, wo sie ihn fände, doch: kein Anschluß unter dieser Nummer. Denn sie war nicht tot, diese Frau, indem sie im Leben lange tot gewesen ist. So weiß sie trotzdem alles. Aber sie kann nichts machen. Sprechen nur die lebendigen Toten, und zwar weil sie sich von nichts mehr ablenken lassen? Das wäre immerhin eine kleine Gemeinsamkeit zwischen uns, die ich mir aber nicht anmaßen und schon gar nicht anmessen kann. So ein Maß habe ich gar nicht, das heißt, die Fleißer gibt es mir, aber ich passe nicht hinein. Ich schaue, aber es gibt kein rechtes Schauen, wenn alles schon da ist. Gleich daneben ist noch mehr, aber es ist mir zu schwer. Wenn man sich verraten kann, indem man nichts sagt oder nur etwas hervorstößt, einen Stein eben, jedes Sprechen ein Brocken Lava, der ausgestoßen wird, weil diejenige, die ihn ausstößt, eben eine Ausgestoßene ist und das auch weiß. Ein Wissen, das keiner nachvollziehen kann, denn es kann jederzeit alles vollzogen werden, jede Handlung kann sofort in Angriff genommen, jeder Angriff kann sofort in Handeln übergehen. Im Ausgestoßenen fühle ich mich vollkommen sicher, und kein Ortswechsel scheint mir begründet, aber im Englischen Garten kann man nicht mehr ausgestoßen sein. Der nimmt ja alles, was kommt. Wo alle da sind, ist keiner. Jeder darf rein, keiner ist draußen. Die meisten wissen gar nicht, was Verachtung ist, sie kennen das Wort nicht, und in diesem Garten fällt es einem schon gar nicht ein. Wo alles erlaubt ist, nur nicht das Füttern der Wasservögel, das Eislaufen und das Ertrinken. Was fällt denen ein, daß ihnen gerade dieses Wort nicht einfällt? Ich sage nicht, welches. Wo es doch den Stein prägt, aus dem die Sätze sind. Zuerst werden eben diese Steine losgeschlagen, dann kriegen sie den Prägestempel auf den Buckel. Es gibt auch das Zarte zwischen den Menschen, doch jetzt wurde es mitten im Englischen Garten, wo alle es sehen, es wurde verscheucht, wohin es sich doch gar nicht geflüchtet hatte. Also sagen wir so: Nichts wird verscheucht, weil alles da sein darf, im Offenen. Da sein sogar noch in der Abwesenheit. Es geschieht etwas, und jemand richtet sich danach, aber da alles geschieht; weil alles möglich ist, gibt es die Richtungen nicht mehr. Es gibt nicht die Richtung, wo etwas ist, und es gibt nicht die Richtung, wo etwas nicht ist. Man kann sich im Englischen Garten nach nichts mehr ausrichten, denn alle Wege führen überallhin. Es treibt einem die Augen heraus vor Anstrengung, einen von ihnen auszusuchen und aufzusuchen. Nein, das ist keine Anstrengung. Wir gehen hierhin und dorthin, mit nichts dazwischen. Der Anblick wird nicht mehr geboten, denn er ist längst genommen worden, schon bevor er noch hätte geboten werden können. Es gibt in einer Tasche von einer Joppe irgendwann einmal ein letztes von Etwas, das mehr gewesen ist. Das ist nicht möglich. Wenn alle alles haben können, auch wenn sie gar nichts haben, dann kann es kein Letztes davon geben. Es ist immer reichlich vorhanden. Getränke müssen nicht mitgebracht werden, sie können aber. Um die Welt nicht. Um die Welt gehts hier nicht, es geht um einen kleinen Teil von ihr, in dem alles möglich ist. Das heißt, es ist nichts unmöglich. Es geht. Es geht nicht. Was kann man mehr sagen, das eine Mitteilung wäre? Es gibt kein Gehen im Englischen Garten mehr, weil es auch keinen Schritt zurück mehr gibt, also gibt es auch keinen mehr vorwärts, man kann zwar in ein kleines Gehen kommen, aber das Gehen kommt nicht zu einem, keinen Schritt weit. Man fällt. Und selbst wenn man fällt, ist es möglich zu gehen. Dann zeigt das Gehen, daß man zuvor wieder aufgestanden ist. Oh, ich bemerke da einen Irrtum, aber es war nur ein Strauch, der hervorstand, deswegen bleibe ich doch nicht stehen. Ich bin da wie alle. Ich bin da, wie alle. Der Englische Garten ist kein Schauplatz mehr, nur noch ein Platz zum Schauen. Alles kann man anschauen, weil alles da ist. Und nichts ist vorbei. Man kann vorbeigehen, aber deswegen ist nie etwas vorbei, nicht einmal man selber, aber plötzlich ist man weg. Wenn man einen Menschen kennt, will man von ihm ein Andenken haben, aber solange man ihn sieht, denkt man nicht daran, man denkt nicht ans Nachher, außer man liegt nackt in der Sonne und ist nachher nahtlos braun, wie man sagt. So wie ich den Englischen Garten kennengelernt habe, kann ich mich nicht drauf verlassen, daß er es auch ist. Er ist mir durch den Blick der Fleißer ein für allemal in eine Art Zwischenlager, ein Paralleluniversum gerückt, von wo er mir mit keinem seiner Zweige zuwinken könnte, er ist das steinerne Wort seiner selbst. Heruntergefallen. Ja, genau, dort beim kleinen Wasserfall! Dieses Wasser ist eine Mauer, sonst könnten die Leute ja nicht darauf stehen und sich einmal anschauen lassen. Ja. Die Menschen wollen gefallen, und wenn etwas herunterfällt, heben sie es auf.  Nirgendwo bin ich mehr weit und breit das einzige weibliche Wesen, denn ich mache mich zwar breit, komme nie weit, aber eine einzige kann man nicht mehr sein, egal von was und für wen.  Ich lange etwas an, das lange dauern kann, aber auch schnell vorübergehen. Ich gehe an vielen vorüber, die mich nicht dauern. Das ist auch nicht nötig. Das würde ihnen auch gar nicht gefallen, bedauert zu werden. Das Bedauern ist verschwunden wie das meiste andre auch. Vielleicht den Kopf auf die Schienen? Es ist ja keine Straßenbahn da, aber sie wird wieder kommen. Ist es möglich, daß sich damals die Menschen absichtlich leicht gemacht haben, um getragen zu werden? Oder hat man die Menschen getragen, weil sie so leicht waren? Bitte, Tragen geht auch, es geht alles. Ich gehe jetzt. 

12.6.2008

Für "Das Offene Buch", Sendereihe zum 850. Geburtstag der Stadt München, Bayerischer Rundfunk (BR2), gesendet am 10.6.2008, Fotos: G. Hüngsberg (1,3), Ingolstadt.de (2)




Kein einziges Abenteuer mehr aus dem Englischen Garten © 2008 Elfriede Jelinek

 

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