Frauen

Wir gehen jetzt hier herum, weil wir sind, was wir sind: Frauen. Wir gehen also aufgrund unseres biologischen Seins, denn wer fragt danach, wer oder was wir wirklich sind. Wir sind eine Gruppe, die ihre Interessen durchsetzen muß gegen eine Regierung, die ihr Rechte nehmen oder gar nicht erst gewähren will. Auch Rassisten gründen ihre Vorurteile ja auf Biologisches. Sie sind gegen bestimmte Menschen, weil die sind was sie sind, wofür sie natürlich nichts können. Nicht durch Leistung können sie sich in die Gunst der Rassisten hineinschmuggeln, nur manchmal durch Schönheit, wie schwarze Models beweisen, so ziemlich das einzige gesellschaftlich sanktionierte Auftreten, das ihnen zugestanden wird. Für uns scheint, außer Schönheit, noch die Mutterschaft übrig zu bleiben, "familienfreundlich" nennt sich die neue Politik. Die Frau ist ihre Familie. Doch sie wird einerseits, als Mutter, fetischisiert, andrerseits verachtet, mit Almosen abgespeist und vom Arbeitsmarkt möglichst ferngehalten. Also unser Sein als Frau wird vorausgesetzt, es gehört sozusagen zu unserem Seinkönnen in der Welt, und sonst bleibt uns nichts, wenn wir es uns nicht eigens erkämpfen. Mir scheint da, zwischen dem weiblichen Sein und dem des Künstlers, der Künstlerin, genau diese Parallele zu bestehen: einerseits fetischisiert, von der Öffentlichkeit als "prominent" vergötzt (man zehrt auch gern vom Ruhm, den "unsere" Künstler, am besten im Ausland, möglichst weit weg, erwerben), andrerseits als Staatskünstler diffamiert, als Gutmenschen verachtet, als political correctness-Fanatiker lächerlich gemacht. Da oszilliert man also zwischen zwei Formen des Existierens, die beide eigentlich irreal sind. Der Grund eines anderen, einfach nur: zu sein, wird von Leuten in Frage gestellt, die auch nichts anderes sind als der, dem sie seine bloße Existenz nicht zugestehen mögen. Den nennen sie "anders", und daher soll er nicht sein, zumindest nicht bei uns. Der Grund, einfach nur: zu sein, wird also in Frage gestellt. Er darf zwar für uns arbeiten, aber sein wie er ist, das darf er nicht. Er soll anders sein, dann wäre er wie wir. Nein, dann wäre er immer noch nicht wie wir. Er wird nie sein wie wir, egal was er tut. Wir definieren ihn, das ist unsere Macht, wir sind sein Maß. Es wird ihm, ihr keine Voraussetzung zu sein ermöglicht, weil sie immer ein Dazwischen bleiben müssen, die Frauen, die KünstlerInnen UND die Fremden, die am gefährdetsten sind. Sozusagen zwischen sich und sich in der Luft hängend sind sie alle. Als wären sie unentdeckte Kontinente, die erst erschlossen werden müßten, damit man ihre eigene Wahrheit versteht. Aber an der scheint im Moment niemand interessiert zu sein. So werden wir uns wohl weiter endlos sorgen müssen, um Kindergartenplätze, um Arbeitsstipendien, um Räume, unsere Kunst vorzuzeigen, und so weiter, und nur in der Sorge um etwas werden wir sein können. Ein Negativ im Negativ. Es ist seltsam, daß man entschlossen sein und kämpfen muß, nur damit man da sein darf, und das Da Sein will, da schließt sich der Kreis, der Rassist dem Anderen, jedem Anderen, nicht gönnen. Deshalb gehen wir jetzt halt los und schauen mal, wo wir ankommen werden. Dann werden wir weiter sehen.


Frauen © 2000 Elfriede Jelinek

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