Die
Prinzessin in der Unterwelt
An
Zeremonien gibt es für Menschen nichts auszusetzen. Es werden dabei
Gebärden gemacht, die jeder versteht, aber jeder für sich
unterschiedlich deutet. Ist die Verbeugung der englischen Königin
vor Dianas Sarg Kapitulation vor jener (und damit vor dem offenkundigen
Volkswillen), derer die Queen im Leben nicht Herrin werden konnte, oder
Demut vor der größeren Majestät des Todes, der über
alle herrscht, auch über die Herrscher selbst? Bei Leichenbegängnissen
verbeugt man sich ja überhaupt immer vor dem Sarg, und die Männer
ziehen den Hut. Auf allen Köpfen in der Kirche sitzen gemütlich
solche Hüte, manche mit Federn, so erscheint alles zusätzlich
gedämpft unter all dem Stein und Glas. Das Harte und das Weiche.
Die Kerze im Wind und Englands Rose und die grünen Hügel in
Elton Johns Song. Die weichen Leiber der Pferde, die den harten Sarg
ziehen. Ein Auto könnte es besser, doch es wäre zu hart, ergäbe
keinen Kontrast zu der Holzkiste mit der Flagge drauf. Der kleine weiße
Strauß mit der Karte "Mummy". Die weich mit Menschen
überzogenen Rasenflächen und Plätze, die am Rand von
Leibern gedämpften Straßen, die wippenden Federbüsche,
die weichen Bärenfellmützen der Welschen Gardisten. Sogar
die Luft wird jede Minute, nicht durchbrochen, zerrissen, sondern wie
mit dem Filz eines Trommelschlägels durch die einzelnen Glockenschläge
im Minutenabstand abgedämpft.
Eine Frau, zu Lebzeiten schon transzendiert ins Überirdische, muß
jetzt hinunter. Doch bevor sie endgültig verschwindet mitsamt ihrem
Lächeln (der Bruder wird in seiner Trauerrede das Blitzen in den
"wunderbaren" lächelnden blauen Augen erwähnen)
und ihren blonden Haaren - ich glaube, daß diese Blondheit, diese
Helligkeit, heller als die Natur sie gedacht hat, die in die Erde muß,
der Menge, die aus Einzelnen besteht, die meist ihr Leben lang nicht
leuchten, ein andres Licht zurückwirft, diesmal aber als Schein,
so wie die Zeugen bei der Sarglegung Marilyn Monroes (der Elton Johns
Lied weggenommen wurde) ausdrücklich von dem dicken hellen Haarbuschen
gesprochen haben, der aus dem sich schließenden Sargdeckel buchstäblich
herausgequollen sei, sich nicht bändigen habe lassen. Welchem Archetyp
könnte Diana entsprechen, der Dunkel und Helligkeit zusammenführen
müßte auf eine Weise, daß die Riesenmenge der Trauernden,
jede, jeder einzelne darin, quasi mit sich selbst, vielleicht zum ersten
Mal, bekanntgemacht wird und damit gleichzeitig auch mit seiner Macht
über die Mächtigen? S., Psychiaterin, meint: Persephone. Die
Tochter der Demeter, die in ein dunkles Reich (zur dunklen, "erbarmungslosen"
Königin und zu deren ebenso dunklen Sohn ins Schattenreich, wo
die Gesten, die ihre Schatten an die Wand werfen, wichtiger sind als
diejenigen, die sich bewegen oder von etwas bewegt werden) hinuntersteigen
muß, "geraubt" aus Staatsräson (und um selber fruchtbar
zu werden, damit die Linie des Herrschers fortbestehen kann), wo dann
sie die eigentliche Königin wird, und zwar diejenige, die über
die Bilder gebietet, indem sie, klug, bewußt, geplant, ihr Bild
den Leuten sozusagen in kleinen Happen zuteilt, damit auch das Bild
fruchtbar wird, indem die Leute ihr eigenes darüber drucken; der
und der Fotograf, der und der Paparazzo, die bekommen etwas, der und
der bekommt nichts, doch dann schnappt die Meute halt irgendwann einmal
richtig zu, da sie ja gewohnt ist, immer etwas, zumindest ein paar Brocken,
zu bekommen von der Göttin. In der Mythologie verschmilzt die Herrscherin
der Unterwelt mit Dem Mädchen (Kore), dem Mädchen schlechthin,
das die Rolle Der Frau nur spielt und letztlich unberührbar bleibt,
auch wenn alle nach ihm greifen. Das Blond des Weizens auf dem Kopf
sozusagen vor sich hertragend wie ein katholischer Priester seine Monstranz,
und zusätzlich noch die eigene Fruchtbarkeit in Gestalt zweier
Söhne nachweisend, muß sie doch, schon vor ihrem Tod, immer
wieder aufs neue hinuntersteigen, denn die Fruchtbarkeit verlangt auch
nach der Furchtbarkeit des In der Erde Seins, nach dem dunklen Grauen
schlechthin, aber nur, damit daraus etwas wachsen kann. Das Kornmädchen,
das sich in die Gewalt eines dunklen Prinzen (und übrigens auch:
eines dunklen Geliebten von etwas dubioser, sogar gefährlicher,
todbringender - Waffenhändler?- Herkunft und "zweifelhaftem"
Lebenswandel) begeben hat, damit den Leuten in seinen Bildern das ewige
Leben geschenkt wird. Und das Mädchen will ja nicht, daß
Menschen sterben, daher auch sein Kampf gegen Landminen, Waffen, die
in erster Linie der Zerstörung von weichem, zivilem, "unbewaffnetem"
Fleisch dienen, während andre Waffen auch alles übrige zerstören
können.

Foto: Salon Magazine (www.salonmagazine.com)
Dieser Tod ist wahr, aber, da eine Göttin ja unsterblich ist, ist
er auch in gewisser Weise unwahr. Er ist geschehen, er kann nicht geschehen
sein. Das Wahre ist nicht das Wirkliche. Dieser Tod im Tunnel ist wahr
(auch wenn manche sogar ihn anzweifeln und ernstlich glauben, Diana
und ihr Liebhaber seien jetzt mit Elvis vereint, natürlich alle
drei lebendig), aber ist er auch das, als was er erscheint? Ist er,
anders gesagt, wirklich? Ging es dabei mit "rechten Dingen zu"?
Es muß sein, daß es vielleicht nicht mit rechten Dingen
zugegangen ist. So wie schon das helle Gold dieses Haars (es wurde ja
immer noch heller!) längst nicht mehr "echt" war, hat
es sich auch nicht durch seine Wirklichkeit auf Tausenden von Fotos
und Filmen bewähren können, sondern erst dadurch, daß
es zu einem Körper gehört hat, der gleichzeitig fortgerückt,
unangreifbar war, auch wenn diese Prinzessin sich sehr bemüht hat,
eine fürs Volk, eine "zum Angreifen" - und jemanden Angreifen
hat im Deutschen zwei Bedeutungen - zu werden, der, nachdem er, zwar
versehrt, beinahe verhungert in einer Art Winterschlaf, aber dann doch
wieder wie neu an die Erdoberfläche emporgeschossen ist wie eine
Blume im Frühjahr und plötzlich wirklich, im eigentlichen
Sinn Körper wurde. Eine Prinzessin, die berührbar wird und
ihren Prinzessinnenstatus einerseits behalten darf, sonst würde
sie einen ja nicht interessieren, denn keine Prinzessinnen sind wir
selber, andrerseits aber diesen Status gewissermaßen auch schon
wieder verloren hat, da sie nicht mehr entrückt ist und neuerdings
sogar einen Unterleib besitzt. Das Unten, das durchstoßen wird,
damit man etwas sehen kann, damit wir alle etwas sehen können:
der dunkle Prinz hat das nicht geschafft, der war kein Liebhaber, der
war ein Ehemann. Da sind diese Fotos aus dem Fitneßstudio, mit
gespreizten Beinen, beinahe nackt, von der hautengen Hülle moderner
Fasern umschmeichelt, die Fotos im Badeanzug auf der Jacht, die Umarmung,
dann die Hand des Liebhabers auf dem Rücken des dunklen Blazers,
aufgenommen von der Sicherheitskamera des Hotels knapp vor der Todesfahrt
in Den Tunnel ( wieder in die Erde zurück!), und dem entspricht
dann beim Begräbnis die Fahne auf Buckingham Palace, die, zum ersten
Mal in der Geschichte, genau im richtigen Moment eingeholt wird und
weich herabfällt wie das Kleid einer Striptease-Tänzerin.
Das heißt, daß alle Hüllen fallen müssen, weil
jeder wissen will und daher auch wissen darf, was Darunter, Dahinter
ist. Wahr ist also, wie gesagt, nicht nur was man sieht, wahr ist auch,
wenn was gesagt wird mit dem übereinstimmt was man sieht. In dieser
Frau konnte aber jeder etwas anderes sehen, und es wurden ja auch Tausende
Dinge über sie behauptet, ein jedes von ihnen für den oder
jenen wahr, auch wenn diese Dinge einander meist widersprochen haben.
Es hat also für jeden etwas, das gesagt wurde, gestimmt, auch wenn
die Sache selbst nicht wahr war. Das kommt vielleicht daher, daß
diese Prinzessin eben nicht ganz da, nicht ganz "von dieser Welt"
war, aber auch nie wirklich fort, vielleicht weil sie nicht angekommen,
obwohl sie bei den Leuten phantastisch "angekommen" war, und,
indem sie sich aus der Welt fortbewegt hat, eigentlich erst zurückgekommen
ist, sodaß jeder ein Stück von ihr bei sich behalten darf,
von ihr, die lange Zeit nicht einmal ihr Essen bei sich behalten wollte.
In jedem Fall sind all diese Verstöße gegen die Ordnung (das
Hofzeremoniell, die Ehe, etc.) in dieser Prinzessin abgelöst worden
durch die Möglichkeit zur größten Unordnung, also der
Möglichkeit, Natur zu sein, und gleichzeitig wiederum durch die
Möglichkeit zur größten Ordnung, denn da sind diese
Fotos, Fotos, Fotos, die man ausschneiden, sammeln, einkleben, aufheben
kann, jeder in seiner eigenen selbstgemachten kleinen Ordnung, als wären
die Gegenstände, wäre das Leben eben doch planbar, wenn auch
nicht durch Vernunft. So gönnen wir uns die Unvernunft, während
diese Frau auf einer Insel unter einem kleinen Hügel liegt, wobei
wir ihr nicht nachsehen dürfen (der Hügel, die Insel bleibt
gesperrt), doch schließlich können auch wir mit Nachsicht
nicht rechnen. Und wir können nur als Wahrheit dulden, was in Übereinstimmung
mit uns ist. So werden wir Prinzessinnen, wie der hohe geistliche Würdenträger
bei der Hochzeit von Charles und Di gesagt hat (an diesem Tage konnten
wir alle angeblich, zumindest füreinander, wenn schon für
keinen sonst, Prinzen und Prinzessinen sein), da wir die Bilder von
dieser einen als Vorlage bekommen haben, aber als eine, die uns immer
nur hinter sich verbirgt, je mehr wir sie hochhalten, um genauer zu
studieren, wer wir selbst gerne sein würden. Allerdings lieber
nicht tot. Da wollen wir doch noch mehr vor uns haben.
(Der Aufsatz erschien am 2.1.1998 in der ZEIT)
Die
Prinzessin in der Unterwelt © 1998 Elfriede Jelinek