Dämmerung

Ich protestiere dagegen, daß es den Theatern dämmert, während es draußen bereits total finster ist. Immer zu spät. Und wieso dämmert eigentlich mir nie etwas?  Aufmachen sollen sie, die Theater, nicht zu! Nicht damit die Finsternis hineinkann, sondern damit das Licht endlich auch einmal hinaus darf. Aus der Öffnung des Theaters heraus kann man das Licht Gassi führen, und in seinem Strahlen dürfen sich Figuren gebärden, damit uns allen unser im Grund kindlicher Charakter auch richtig klar wird. Es ist blöd zu sagen, das Theater hält einem einen Spiegel vor. Den müssen wir schon selber halten. Hineinzuschauen würde ich trotzdem nicht empfehlen. Sonst sehen Sie, wie Sie eingeseift worden sind. Achtung, gleich kommt das Messer! Aber stellen wir uns vor,  die staatlichen Geldforscher, die aber noch nie irgendwas gefunden haben,  hielten uns ein Schild vors Theater, darauf geschrieben: geschlossen.  Sie haben dort wieder kein Geld gefunden, und daher wollen sie es jetzt schließen. Da schreibe ich und schreibe, und dann steht auf dem Schild nur ein einziges Wort: geschlossen. Wie sollten die Theater dann wissen, was sie nicht mehr zeigen dürfen, wenn ich es Ihnen zuvor gar nicht gezeigt haben darf? Sie sehen dann ja auch nichts mehr, die Theater. Und sie haben dann auch in uns, den Zuschauern,  kein Vorbild mehr, um ihre Bilder wieder auf uns runterzuwerfen. Ducken Sie sich! Und lassen Sie es nicht an mir aus, ich bin nur der Wegweiser! Ich lasse nur Worte aus und sage ihnen, wohin sie gehen sollen. Ich weise Sie eines Tages vielleicht von diesem Theater weg, weil es geschlossen werden soll. Ich bin nur ein Schild mit Worten drauf. Vorsicht! Das Theater wirft jetzt auch noch mit dem, was es nicht mehr brauchen kann,  das muß ja alles raus. Wir räumen. Und zwar wirft das Theater, weil es nichts andres zur Hand hat,  zum Beispiel mit dieser frischen Anpflanzung von Bäumchen, die wir hier unten darstellen müssen. Da das Theater geschlossen wird, müssen wir Darsteller wie Publikum gleichzeitig sein. So werden wir eingefroren. Es wird gesagt, man müsse im Leben einen Baum, mindestens einen, pflanzen. Dabei sind wir selber eine ganze Masse Bäume, doch in welchem Garten? Zum Beispiel ist das Theater so ein Garten, wo wir uns zeigen dürfen, aber nicht in unsren schönen Kleidern, die wir eigens dafür angezogen haben, sondern als zu kurze, zu enge Begriffe, die wir uns, da fängts schon mal an,  von uns gar nicht machen könnten, hätten wir das Theater nicht. Wo wir uns zeigen und wo es uns gezeigt wird.  Die Kiefer bewegen sich. Sprechen.  Das gibt einem Berge.  Also so geht das nicht! Die Theater dürfen nicht geschlossen werden. Schon weil sonst wir uns öffnen müßten, und das wäre überhaupt das Schrecklichste. Was dabei herauskäme, müßte außerdem ohnehin sofort wieder ins Theater hinein, sonst könnten wir es doch selbst nicht glauben.

 

Für den "Aktionstag der deutschen Bühnen zwischen Flensburg und Passau, Aachen und Görlitz gegen den Abbau der Theaterlandschaft" am 3. Oktober 2003

20.9.2003


Dämmerung © 2003 Elfriede Jelinek

 

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