Der Raum im Raum

Der Container in Schlingensiefs Konzept

 
Die meisten Dinge werden hergestellt, damit Gebrauch von ihnen gemacht werden kann. Oder sie sind für nichts gut, egal ob sie gut oder schlecht sind. So. Diese Menschen im Container sind auch einmal, wie wir, hergestellt worden. Doch indem man im wirklichen Leben keinen Gebrauch für sie finden will, ist auch ihr materielles Sein bereits verfallen. Wir verzichten darauf, daß es uns zuwächst. Wir bestimmen das. Wir sind das Album, in das sie geklebt werden. Sie haben keinen Zweck und sollen sich nicht auch noch ausbreiten dürfen. Wir wollen nicht zum Gefäß für sie werden, daher werden sie schnell an unsre Grenzen stoßen oder an unsren Grenzen gleich von Anfang an eingefangen werden. Der Container in Schlingensiefs Konzept ist, glaube ich, nicht einfach eine Versuchsanordnung, die uns mit etwas konfrontieren will, mit dem Faschisten in uns oder dem eher sozial und teilerisch Gesinnten (die wohnen beide in uns, aber sie streiten trotzdem nur selten, weil wir längst keine Kämpfe mehr veranstalten, jedenfalls keine in uns, wir wollen ja nicht, daß uns die Trümmer um die Ohren fliegen), der mit diesen Rechtlosen wenigstens Mitleid hat und dafür etwas mit einem Erlagschein einzahlt. Er zeigt uns nichts, der Container, auch nicht als Symbol oder etwas, das wir, in ganz andrem Zusammenhang, aus dem Fernsehn kennen, wo wir mal Spaß dran gehabt haben. Oder wir haben es abgedreht, schläfrig von all dem Licht. Eine Folge von vielen, die wir kaum aushalten können oder aber schon: sogar für das tragbare Feldklo der Verona Feldbusch wurden von einem Autohändler DM 24000.- oder so bezahlt. Egal. Vielleicht ist das Containerprojekt ja, als Simulation der Wirklichkeit, aber gleichzeitig auch ihrer medialen Spiegelung, die Ausdehnung des Dinglichen an diesen Menschen (daß sie da sind, als Personen, und uns, indem sie da sind, stören, eben weil sie da sind), vielleicht ist das Projekt die Ausdehnung des puren Vorhandenseins dieser fremden Menschen in eine Sphäre der Werte, die erst künstlich, durch eine Art Kunstwerk oder was es halt ist, geschaffen werden muß, da wir Werte diesen Menschen ja nicht zugestehen wollen. Bitte, es muß an diesen Asylanten was dran sein, aber wirklich verstehen werden wir diese Ausländer nie, daher besser: raus! Zu unsrer eigenen Sicherheit! Genau das ist gesagt worden und auf ein Schild geschrieben, nicht mehr, nicht weniger, es ist, was viele sagen. Ist es nicht paradox, daß die Werte und ihre Geltung diesen Kunstversuchs-Personen ausgerechnet durch eine Art Simulation, die nachahmt, was sie eh schon sind, zurückgegeben, eigentlich: gegeben werden sollen? Der Container ist eine Störung, an der gezeigt wird, wie etwas funktioniert. Er ist ein Störungsversuch (dort, wo sich die Flut teilt, kann man interessante Beobachtungen machen), nicht einfach ein Störversuch. Das Fleisch ist Natur und vorgegeben. Eine Aktion: Rettet den Ausländer! oder etwas ähnliches würde, indem es ihm vordergründig "Gerechtigkeit" widerfahren ließe, seinem Fleisch, seiner Außenhaut etwas Dinghaftes, auf ein Ziel Gerichtetes verschaffen. Aber Ding ist er für uns ja schon, der Fremde. Ob Sehnsüchte nach seiner fernen Heimat in ihm aufsteigen? Wir disponieren über ihn, daß er in sein Ausland zurück soll, egal, was ihm dort passieren wird. Aber auch wenn sie bleiben dürfen: Man würde sagen: so und soviel zahlen sie ein, sie kriegen nicht annähernd soviel von uns wieder zurück, also sind sie uns einerseits irgendwie nützlich. Sie kriegen Kinder, notfalls mit Hilfe der Prinzhorn'schen Gratishormone, aber sie werden andrerseits dafür wenigstens unsre Pensionen retten können, wenn uns einmal das Wasser bis zum Hals steht und seine eigenen Wirbel erzeugt. Sie kriegen keine Arbeitsbewilligung, also pfuschen sie, aber die kleinen Häuselbauer könnten ohne sie nie Eigenheime bezahlen und beziehen, usw. Jede dieser Arten von Rekonstruktionsversuchen eines ganzen Menschen im Ausländer würde doch immer nur dessen Objektcharakter verstärken, der ihm letzten Endes aber auch nichts helfen wird. Raus müssen sie, egal wie sie als Menschen sind, egal, ob sie uns nützen oder nicht. Nichts hilft ihnen. Aber das ist ja klar, denn einen andren Status gestehen wir ihnen ja nicht zu. Keinen Status gestehen wir ihnen zu, sie mögen sein wie sie wollen. Das wird durch die Containeraktion natürlich betont, verstärkt, die keinerlei Nützlichkeitserwägung in Bezug auf diese Menschen anstellt, sondern deren Ding-Seite sogar noch ergänzt, bis ins Lächerliche hinein betont, aber auch ihre Mensch-Seite fälscht und sie noch dazu in ein gefälschtes Environment placiert, das früher von einem geschickten Theatermaler gemalt worden wäre und jetzt von einem niederländischen TV-Produzenten ersonnen worden ist (jeder wird lächerlich, wenn er nur als Ding genommen wird, als Person ist er es sowieso). Da kann man Menschliches noch und noch bemühen, es ist egal: Die Lebensläufe der temporären Containerbewohner sind fiktiv, aus mehreren existierenden zusammengemischt, geklittert wie unsre eigene Geschichte (die wirklichen sind meist viel schrecklicher, so wie unsre eigene Geschichte ja auch viel schrecklicher ist als wir den andren dauernd weismachen). Was Mitleid erregen könnte, das gehört nicht zu der Figur, die sich dieses Mitleidskleid anziehen soll, es gehört zu einer andren, aber auch wieder nicht ganz. Sie borgen einander gegenseitig Geschichten, so wie z.B. mir andre Dichter ab und zu Stellen borgen, die ich brauchen kann. Da ist überhaupt keine Ganzheit eines Menschen, die hergestellt würde, und das ist ja auch gar nicht angestrebt. Kein Sein wird aufgeklärt, kein Wert eines Menschen wird durch Information über ihn mühsam konstruiert, nur damit wir ihn vielleicht anschließend, samt Wert, wieder wegschmeißen können (nach genauerer Prüfung); die Natur ist zwar da, weil halt eben dieses Fleisch im Container wohnt, aber alles andre muß erst fiktiv gegründet werden, gerade indem es weggeräumt oder gefälscht oder anders und ganz neu wieder zusammengesetzt wird. Man soll etwas verstehen, indem man über die Natur dessen, was man verstehen soll, nichts als angelogen wird. Es entsteht etwas Neues, indem dauernd etwas weggenommen und durch ein andres ersetzt wird, bis man gar nichts mehr weiß, und dann fängt es überhaupt erst an! Das Überspringen der Wirklichkeit durch Fiktionen aller Art, in allen Dimensionen, ist kein Fehler der Kunst, der in der Wirklichkeit korrigiert zu werden hat, und es ist auch nicht die Absicht der Kunst, jemanden durch Fehler zum Lernen zu bringen, es ist, indem es Fiktion, Konstruktion ist (und zwar nicht zuletzt WEIL die TV-Simulationen von Big Brother als Vorinformation dafür genutzt wurden, die ja ihrerseits ein noch viel undurchdringlicheres Netz von Lügen, Täuschungen, Wirklichkeitsfetzen und ziemlich ungeschickten Konstrukten mit "Promis" und so - mit Wirklichkeit geimpften Dummies? - errichtet hat, wobei es auf Geschicklichkeit natürlich am allerwenigsten angekommen ist), ein Ort, wo Verständlichkeit möglich wäre, indem das Vorhandene und das Verstandene in einen Dialog eintreten, und es stellt sich heraus, daß das Vorhandene nur verstanden werden kann, indem man die Täuschung, die Fiktion, die Verfehlung, das Aufgeben von Boden und das Erschaffen von Künstlichkeiten aller Art zu seiner eigentlichen Basis macht, gerade weil es um Reales geht. Und letztlich ist nicht das Fleisch dieser "Versuchspersonen" das Äußerste, das begriffen werden kann, der Container wird selbst zum Fleisch, zur Außenhaut, auf die etwas projiziert wird, von dem man nicht weiß, woher es kommt (nicht einmal die Telefonabstimmungsergebnisse für die jeden Tag frisch Exilierten sind ja echt gewesen, nur die Internetabstimmungen, aber die kann man ja eh kontrollieren) und wohin es geht, nur eine dunkle Limousine kommt und fährt es wieder weg, wer weiß, wer drinnensitzt. Es könnte genausogut jemand andrer drinnensitzen, ein Schauspieler, der einen Fremden spielt, der seinerseits schon mehrmals gefälscht wurde und selber irgendetwas gefälscht hat, vermutlich seine eigene Existenz. Wer kann es wissen. Die Existenz dieser Ungesicherten, die man, würde man sie nur interpretieren, verstehen, definieren können (indem man möglichst viel über sie erfährt? Aber was man erfährt, stimmt doch gar nicht!), bleibt ungesichert, wenn man sich ihrer Wirklichkeit zu nähern sucht, egal von welcher Seite, egal, aus welcher Richtung. Indem man ihre Wirklichkeit wegnimmt wie die Erbse beim Kümmelblättchenspielen unter dem Glas, stößt ihre Unwirklichkeit an unsere Unwirtlichkeit, etwas rinnt aus, etwas andres begegnet sich, ein wirklicher Raum, ein virtueller Raum, und indem alles unwirklich geworden ist, könnte man überhaupt erst anfangen es zu fassen. Aber man faßt es nicht. Es kann kein Ergebnis geben. Alle Eingaben waren falsch. Egal, was da kommt: Wir stören es auf seinem Weg durch die vielen Wirklichkeiten und Räumlichkeiten, die natürlich auch immer wir selber sind, allerdings unter vielen anderen, die auch möglich sind. Da ist die Welt, da ist die Welt im Fernsehn, das Fernsehn in der Welt, die Umwelt, das eigene Zimmer, wo das Gerät steht, egal welches, und das, worum das Fleisch gewachsen ist, und das ist dann auch unser Warum. Aber es führt nirgendwohin. Blöd, daß die Welt vorhanden ist, so will man immer nur hinein, einfach weil sie da ist. Die Welt ist ein Raum, in dem sich andere Räume, alle Arten von Containern befinden, und man sollte alles im Blick zu behalten versuchen, auch diejenigen, die man ursprünglich gar nicht behalten wollte.


Der Raum im Raum © 2000 Elfriede Jelinek

 

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