Tagebuchnotiz, München, 25.4.09

 

Jetzt sagt uns auch noch der Herr Chorherr, ehemaliger Chefredakteur der „Presse“, weil es soviele noch nicht gesagt haben und er es sowieso immer am besten sagen kann, daß sein Vorgänger, der Herr Schulmeister, der in ein kleines schiefes Licht wegen Agententätigkeit für die CIA geraten ist, ein Agent nicht gewesen sein kann, weil die Freie Welt und deren Durchsetzung in einem Land wie Österreich, das mit beiden Augen dermaßen lieb mit den Nazis und deren etwas eigenwilliger Interpretation von Freiheit geäugelt hat, bis es ganz verschwunden war, das Wichtigste überhaupt sind (Freiheit und Freie Welt, was dasselbe ist), nun, da wir von diesem Joch (der Nazis) endlich befreit sind. Das Befreien hat nicht viel Mühe gemacht, jedenfalls nicht uns.  Daß Nachläufer, nein, Vorläufer Schulmeister, der die Nazis einmal wollte, dann wieder nicht, dann wollte er wieder, dann wieder nicht, der Bürger hat schließlich eine gewisse Wahlfreiheit, nicht wahr, die andre nicht haben, also daß dieser ehemalige Nichts Halbes und Nichts Ganzes-Täter (vielleicht: Täterich? Ich? Ich doch nicht!) später dann kein Agent der Freien Welt gewesen sein kann, leuchtet irgendwie ein, nein, das kann er keinesfalls gewesen sein, vielleicht weil ihm klar war, daß er selbst die Freiheit am allerbesten verkörpern konnte, wenn auch nicht an seinem eigenen Leib (am eigenen Leib mußten es andre ausbaden, daß die Täter unter ihnen wüten durften, aber die sind jetzt weg, ich meine, beide sind weg, die Opfer sowieso, und die Täter waren nie welche, es ist ein Mißverständnis, alles, und in vorauseilendem Gehorsam wollen wir jetzt also nie wieder zu den Tätern gehören, sondern zu den Freien, und frei zu sein, heißt natürlich wieder: Repression. Repression: diesmal ganz neu! Die von den Russen kennen wir ja schon. Aber probieren Sie unsere neue Repression, die wir soeben frisch aus Amerika hereinbekommen haben! Unvergleichlich! Darfs vielleicht ein bisserl mehr sein? Ich meine: kein Vergleich, wirklich keiner, zu den Verbrechern der Vergangenheit, von denen wir uns einige als wertvolle Mitarbeiter schon gesichert haben, weil wir sie im Kampf gegen die ganz neuen Verbrecher, die Kommunisten, so gut brauchen können. Und willst du nicht unschuldig sein, so schlag ich dir den Schädel ein, neinnein, so weit gehen wir diesmal nicht! Das haben wir auch nicht nötig. Wir leben in einer nagelneuen Zivilisation, und die Amis haben diese Zivilisation schon  viel länger als wir und kennen sich damit natürlich auch viel besser aus), wo war ich, also wo ich stehe, das weiß ich, aber wo war ich?, ich war der Gnade der späten Geburt teilhaftig, viele meiner Verwandten logischerweise leider nicht, was wollte ich sagen?, eh das, was ich immer sage, ich war beim Herrn Chorherr und beim Herrn Schulmeister von der ganz neuen und noch viel freieren als je zuvor Presse. Und über diese Freiheit, als sie noch nötig und wichtig war, da bedroht, sehr bedroht, schreibt ein menschlicher Sherman-Panzer namens Chorherr, welcher sich in diesem spectrum der „Presse“ (vom 25.4.09) als harmloser Lercherlschas geriert, statt als der Panzer, der er immer war, und das treibt mir die Galle hoch. Leute wie er (und Schulmeister, aber Schulmeister der Nation waren sie ja alle) haben das kulturelle und politische Klima in Österreich, die langen Jahre des Kalten Kriegs über, noch zusätzlich vergiftet (davor hatten sie keine Gelegenheit dazu, da ist dem von Herrn Chorherr vehement verteidigten Herrn Schulmeister sein innerer und äußerer Gehorsam vorausgeeilt, und dann später hat er einige, die ihm im Weg waren, aus der Bahn geworfen, bis heute. Alles, was ihnen links erschienen ist oder links war, haben diese Herren bekämpft bis aufs Messer, auch mich. Mit allen ihren Herrenmenschenmethoden, und das waren viele. Und die neue Unschuldigkeit dieser Herrenmenschen rechtfertigte natürlich jede neue Repression, Repressionen, unter denen sich auch einige alte, gute und bewährte befanden. Bis heute ist dieses Klima also vergiftet und verrottet, da hilft es auch nichts, daß heute auch ein Scharang und andre Linke in der Presse  veröffentlichen. Geholfen hätte es vielleicht ein wenig, wenn die Medien, inklusive „Presse“, z. B. dem Brecht-Boykott eines Torberg und Weigel entgegengetreten wären. Aber soviel Freiheit wollten sie sich auch wieder nicht nehmen, diese neuen freien Medien. Welche Freiheiten sie sich genommen haben, darin waren sie wählerisch.

Diese Herren Schulmeister und Chorherr sind immer über alles drübergerollt, mit unglaublicher Brutalität, mit der Selbstgewißheit von jemand, der weiß, daß er keinen Widerspruch zu erwarten hat, weil er den schon ausradiert, bevor er überhaupt geäußert werden kann! Und wenn es einen Widerspruch zu dem vorauseilenden Gehorsam dieser Leute (natürlich der Freiheit gegenüber, im Namen der Freiheit, der Freiheit ist alles geschuldet, wir haben unsre Lektion gelernt, und wir nehmen uns jetzt jede Freiheit, frei zu sein und andre frei zu machen, wir sind so frei, alles frei zu machen, was es noch nicht sein will, im Namen der freien Welt! Da erkennen wir jede Unfreiheit, egal, wo, das haben wir lange geübt, es waren so schreckliche Zeiten, wir waren nicht dagegen, wir waren nicht dafür, wir waren ein bißchen dagegen, wir waren ein bißchen dafür, jaja, Melancholie im September..., man wird ja noch träumen dürfen) gegeben hat, so hat ihn die Repression nach innen, die soviel Freude macht, besonders wenn man noch viel Mächtigere hinter sich weiß, leicht wieder aufgewogen. 

Leute wie Schulmeister und Chorherr haben Existenzen ruiniert! Na, meine nicht, fast, aber nein, doch nicht, aber andre. Es ist nicht jeder ein US-Panzer, der rollt und rollt, es gibt auch Leute, die an diesem Nachkriegsklima kaputtgegangen sind, sich umgebracht haben, ausgewandert sind oder in bitterster Armut vegetieren mußten, weil sie nicht in diese schöne neue Nachkriegskultur hineingelassen worden sind. Die Presse ein „Judenblattl“, das keine Papierzuteilung kriegt?, wie Chorherr genüßlich aus dem reichhaltigen Schatz seiner Erinnerungen berichtet. Die Presse? Wohl vergessen, daß schon der Papi des künftigen Kanzlers Schüssel das 1938 mit seinen Arisierungsmaßnahmen im „Judenblattl“ gründlich erledigt hat? Auch mein Onkel Adalbert Felsenburg, ein angesehener Politik-Redakteur (und Freund von Theodor Herzl, ich hab in „ Neid“ drüber geschrieben, über sein Schicksal, er war beim „Prominententransport“ nach Dachau dabei, immer vorneweg, mein lieber Onkel, dem sie in Dachau einen Arm abgeschnitten haben und der sich dann in diesem Nachkriegsösterreich der 50er Jahre mit Gas selber vergiftet hat, vielleicht weil ihm das neue Klima der Freiheit so gut gefallen hat. Er war übrigens ein Konservativer!) war schon mal einer der ersten, die ins KZ entsorgt wurden. So. So bald schon gabs im Judenblattl keine Juden mehr und dann auch das Blattl nimmermehr. Auch z. B. bei der Gemeinde Wien nicht, wo mein lieber Papi rausgeflogen ist. O je, schad! Gut, Chorherr zitiert da den damaligen Innenminister Helmer, aber genüßlich. Kein Papier, für garnichts, schon garnicht fürs Judenblattl (ganz neu und ganz frei, jetzt garantiert ohne Juden, probieren Sie nur, probieren Sie mal die Frau Leitenberger und wie sie alle geheißen haben! Kosten Sie! Sie werden schon nicht krank davon werden! Naja, ich leider schon). Und die Gewerkschaft, der Innenminister Olah, dem die „Presse“ vielleicht zu aristokratistisch war, denn jüdisch war sie ja nicht mehr, hat dann noch ein schönes Blattl gegründet, mit Gewerkschaftsgeldern, denn wir brauchen immer zwei Fraktionen, eine SA und eine SS. Eine Proll- und eine Aristo-Fraktion.


"Prominententransport" nach Dachau

Da ist er auf der sicheren Seite, der ehemalige Herr Chefredakteur Chorherr, das heißt: So kann er sich auf die Seite der Opfer, der Bewahrer, der Bewahrer Österreichs vom drohenden roten Kummerl-Joch retten. Und diese Geschichtsfälscher halten natürlich bis heute auch die Legende vom „kommunistischen Putschversuch“ von 1950 beharrlich am Leben.  Bis heute haben die, die Schulmeister und die Chorherren – ja, nomen est omen, ich mag das sonst nicht, aber diesmal trau ich mich, das zu sagen, denn „Herren“ sind sie im Hauptberuf, Herren an und für sich, und nur für sich, und willst du nicht ein Herr sein, dann schlag ich dir nichts mehr ein, nicht einmal mehr eine Fensterscheibe, dann bist du Fußvolk, das haben wir immer schon gebraucht, wir sagen dir, wo es langgeht, wir wissen es, denn unser Gehorsam, an Repression gut geschult, rennt uns voraus und zeigt uns den Weg. Diese Leute waren in der Lage, uns auf den rechten Weg, den Weg der Freiheit („Freiheit“ war eigentlich der Gruß der Kommunisten!) zu weisen, und zwar die Freiheit, die sie gemeint haben, die Unfreiheit, die andre gemeint haben, die konnten sie studieren: niemals wieder! Nie wieder Krieg!, der Herr Krieg droht schon wieder, der traut sich was, das werden wir zu verhindern wissen, daß der wieder kommt, der hat uns grade noch gefehlt! und alle andren wegzuweisen, was ihnen natürlich gefallen hat, wenn sie kommunistisches Ungeziefer (wie auch mich) zertreten haben. Ich sage: Sie haben das kaputte geistige Klima des Landes auf dem Gewissen, bis heute, denn sie schreiben ja auch heute noch, und sind auch noch stolz darauf! Blähen sich auf wie die Ochsenfrösche.  Diese Leute in ihrer Selbstgewißheit als Retter des Abendlandes haben kein Bewußtsein dafür, was sie dem Land angetan haben. Ich würde nichts sagen (ich sage es ja eh nur zu mir selbst, denn wer bin ich schon?! Wenn ich es zu mir sage, ist es harmlos), wenn dieser militante Antikommunismus nicht bis heute fast ungebrochen weiterwirken würde und ich nicht bei jeder Gelegenheit eine reingewürgt kriegte, weil ich einmal Mitglied der KPÖ war (eine der Gründerparteien der Zweiten Republik!) . Und da schreibt der Herr Chorherr, der nun wirklich nie ein Chorknabe war, sondern eben immer schon „Herr“, wahrscheinlich schon bei seiner Geburt, da schreibt er wieder und schmiert seine Schleimspur den neuen Herren, denen die alten natürlich sofort wieder dienen wollten, überallhin. Irgendwer wird schon drauf ausrutschen. Wenn nur der Herr Schulmeister nicht ausrutscht, so spät noch. Wär doch schad! Na dankeschön! Ich sag das jetzt, etwas verspätet, denn bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, mich zu bedanken.

 

 

Onkel Adalberts Frau, Flora Felsenburg (aus Stationen der Erinnerung im Alsergrund,
eine Initiative des Vereins Steine der Erinnerung)


Verein Steine der Erinnerung an jüdische Opfer des Holocausts, Dr. Elisabeth Ben David-Hindler, Kafkastr. 10, 1020 Wien (www.steinedererinnerung.net), September 2012


25.4.2009
/ 8.4.2013


Tagebuchnotiz, München, 25.4.09 © 2009 Elfriede Jelinek

 

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