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Wo
sind jetzt meine Gedanken hin, etwa auf den Baum? Wenn ich mich
dort an der Rinde reibe, am Stamm, wie der bedeutende Philosoph
es angeblich getan hat, finde ich dann vielleicht was in meinem
armen Kopf, das ist so eine Not, das Denken, das können Sie
sich gar nicht vorstellen! Vielleicht höre ich bald die Stimme
der Tiere, an denen ich mich nie reibe, die hab ich nur lieb. Die
streichle ich. Die sprechen so nett zueinander, und ich muß
sie nicht verstehen. Zum Beispiel Ahörnchen und Behörnchen,
zwei kalifornische Backenhörnchen aus dem Mickymausheft der
fünfziger Jahre (ich weiß gar nicht, ob es sie heute
noch gibt), die hatten einander so lieb. Die konnten zueinander
jederzeit kommen, denn im Ahorn und im Behorn, da ist kein Wasser,
und da ist nichts zu tief. Ja, die sind ein Paar, kein Zweifel.
Das Geschlecht müssen sie voneinander nicht einfordern, es
ist so selbstverständlich für jedes von ihnen da, sie
müssen gar keinen Gebrauch davon machen. Jeder hat eins für
sich, aber er kann jederzeit auch das vom anderen haben, nichts
ändert sich dadurch. Es ist kein andres Hörnchen und kein
andres Geschlecht in Sicht, sie nehmen was sie haben, diese bescheidenen
Tiere, die sich ganz selbstverständlich ermessen können,
aber niemals abmessen müssen oder abmessen lassen. Sie brauchen
einander nicht zu bezüngeln wie Schlangen, jeden Augenblick,
um im andren das Andre zu sehen. Sie sind sich selbst jeder das
Andre in einem, Hauptpersonen, die nicht still sein müssen,
aber still sein können. Sie sagen: schnatter tschi, das ist
ihre Sprache der Liebe, die aus ihnen herausfließt, ganz selbstverständlich,
nicht nur zwei Tiere in einem, auch zwei Geschlechter in einem.
Obwohl jeder sein eigenes hat, das befriedigt ist, indem sie einfach
da sind. Wenn es je ein zartes Paar gegeben hat, dann dieses.
Nichts Sonstiges könnte mir in der Liebe gefallen, nachdem
ich als Kind die beiden zum ersten Mal gesehen habe. Sie müssen
voneinander Vertrauen nicht fordern, weil sie es ununterbrochen
einlösen, ohne einander einen Gutschein hinreichen zu müssen.
Es reicht hin, daß sie einander liebhaben, die beiden, vollständig.
Sie setzen ihre Körper ein, keinesfalls in einem sexuellen
Sinn, ihre Körper ergänzen einander zu einem einzigen,
ohne daß sie dafür etwas tun oder gar mit den Körpern
und miteinander arbeiten müssen. Eine Liebe, die das Andre
nicht ausschließt, auch nicht einschließt: sondern das
Eine und das Andre ist, eine Angelegenheit, die beide sich vornehmen,
ohne daß eins sich das andre je vornähme. Sie sind zwei
und eins in einem, nicht weil sie aus Liebe zueinander blöd
geworden wären und zu faul, sich voneinander zu unterscheiden.
Sie sind eine Zwiefältigkeit ohne Zwiespalt. Da ist sicher
auch ein Spalt, der in bestimmten Lagen interessant wird, aber da
er nicht reizt, bestimmt er auch nicht, was dem Körper so einfällt.
Diese Körper melden sich nicht, nicht weil sie nie gerufen
würden, sondern weil sie immer schon da sind, es ist ein gegenseitiges
Sichmelden, aber ohne daß ein Ruf erschallen würde. In
ihrem Erscheinen sind Ahörnchen und Behörnchen zwar zwei
(und gleichzeitig ein Doppeltes?), Erscheinungsformen, die aufeinander
verweisen, so lang, bis sie Erscheinung sind, ohne Form annehmen
zu müssen? Nein, Formen, ohne Erscheinungen sein zu müssen.
Zwei liebe Tiere. Eins weiß immer, was das andre tun oder
sagen wird und umgekehrt. Eins ergänzt immer den Satz, den
das andre angefangen hat zu sprechen. Wenn das zweite Hörnchen
damit zu spät kommt, weil der Satz kurz war und das erste ihn
bereits zu Ende gesprochen hat („bitte, lieber Weihnachtsmann, Weihe
Weihe Weihe..!“), dann sagt das zweite, ein Echo, das sich
die Liebe vornimmt und gleichzeitig darstellt (aber niemals: „rannimmt“!):
„Nachtsmann Nachtsmann Nachtsmann“. Sie tragen Fell auf ihren
Körpern und sehen genauso aus, als ob es der größte
Schaden wäre, gäbe es sie nicht. Sie sind eins über
unseren Köpfen, die wir schlanke, guttrainierte, gutgebaute
Personen sein wollen, die auch auf Zeitungsbildern leicht abgebildet
werden könnten, kämen sie je bis dorthin oder sogar ins
Fernsehn, was das Äußerste an Technik ist, mit dem wir
etwas sein können, dort können wir in einer Talk Show
oder in einer Peep Show zeigen, wer oder was wir sind und wie es
in uns aussieht. Ohne daß wir es zeigen, wissen wir es nämlich
nicht, und indem wir uns dort zeigen, ist unsere Gestalt rettungslos
schön gewandet und damit in etwas gewandelt, das wir erst recht
nicht kennen. Also: Wir müssen uns bemühen, jemand zu
sein, um geliebt zu werden. Und der einzige, der dafür in Frage
käme, verabscheut uns erst recht, nachdem er uns im TV gesehen
hat. Ahörnchen und Behörnchen müssen nichts und niemand
sein, sie müssen nicht von Kleidern geziert oder gezeichnet
werden oder Accessoires tragen, sie lieben einander in Wunschlosigkeit,
und wenn eins doch einen Wunsch ausdrückt, dann hat das andre
ihn auch schon gehabt oder es will in genau diesem Moment genau
das gleiche und spricht es dem ersten Hörnchen nach, eigentlich:
hinterher. Ein Echo, das aber schon vor dem Gesagten kommt. Eine
unheimliche Umkehrung von Vorgängen, die unheimlich sind, weil
sie nicht zusammenhängen, indem und obwohl sie untrennbar sind.
So wie die Welt unheimlicher wird durch die Möglichkeit der
Vernichtung, nicht durch die Vernichtung selbst, die grundsätzlich
immer nur droht, seit Jahrzehnten, derzeit vielleicht eher mehr
als sonst. Im Nach-Sprechen ist diese gute Treue in ihnen, die wir
alle suchen. Sogar ihre Nüßchen teilen sie miteinander,
aber das ist ohnehin selbstverständlich. Das bedarf keiner
Erwähnung. Sie sind fast so eins wie Gott, nur braucht der
dafür drei Personen. Sie sind nur zwei, Menschtiere, und in
ihrer Liebe wird nie eine Pause eintreten, in ihrem Sprechen auch
nicht. Das ist einfach so. Ihre Liebenswürdigkeit verstimmt
und verstummt nie. Sie sind aufeinander eingestimmt, die Zwei. Eins
ist wohl ein Mädchen, das andre ein Bub, denke ich mir. Ich
weiß aber nicht, welches von beiden was von beiden ist. Fassen
Sie nicht voreilig ein Urteil nach der Natur, und wenn Sie es gefaßt
haben, dann fällen Sie es nicht gleich! Solche Unterscheidungen
drängen einen vom Erfassen der Welt nur ab.
Nehmen
Sie halt Ihr Körperbestimmungsbuch zur Hand und schauen Sie
sich diese Tiere an, ihr körperliches Sein, auch ihr Geschlecht
(das eine ist größer und hat diese riesige rosa Nase,
aber ich weiß jetzt nicht, welches welches ist), primär
wie sekundär, den Wert erhalten sie nicht als Sinnesdinge,
sondern als mit etwas anderem befrachtete Dinge, und dieses andre
interessiert mich, es ist ein Mehrwert, den man aber nicht spürt
und nicht sieht. Und für den nichts bezahlt wird, den niemand
einstreift. Es kommt etwas zu den Tieren dazu, aber es macht sie
nicht mehr wert, höchstens für einander. Dafür rinnt
die Welt um sie herum aus. Ich gebe meine Auffassung von Natur auf
und her. Wenn Sie sie haben wollen, bitte, nehmen Sie sie! Das Wer
und das Was sind eins bei den beiden und auch, wie selten: vollkommen
einig! Wissen sie, daß nichts diesen Verlauf bremsen kann,
obwohl man sogar den Verlauf von ganzen großen Flüssen
verändern kann? Sie sind ja selbst ein Verlauf, der sich nie
verläuft, diese beiden, nur eins ins andre, ja, dort, ineinander,
verlaufen sie sich vielleicht, verlieren ihre Grenzen, sie sind
ja eins in zweien, aber grade da verlaufen sie sich nie. Obwohl
sie nicht wissen, wo eins von ihnen aufhört und das andre anfängt.
Sie verirren sich nicht ineinander, obwohl sie nicht getrennt sind.
Ihre Bodenständigkeit ist verloren, sie wohnen droben im Baum,
ihr Nüßchenvorrat in einem eigenen Raum, nah bei ihnen,
und sie brauchen keinen neuen Grund und Boden, der verlorengehen
oder vielleicht sogar zurückgeschenkt werden könnte, und
auf dem ein neues, ihr (eigentliches?) Wesen wachsen könnte,
das haben sie alles nicht nötig. Gerade indem nichts geschieht,
bleiben sie einander erhalten. Das ist Liebe, glaube ich: daß
nichts geschieht. Obwohl jeden Augenblick etwas geschehen könnte,
sogar äußerste Bedrohung und Gefahr. Gerade indem nichts
geschieht, geschieht die Liebe, die je schon da war, damit sie da
ist, wenn wir sie brauchen. Einmal wollen sie Weihnachtslieder
singen, Ahörnchen und Behörnchen, selbstverständlich
miteinander, weil sich das wohl so gehört, und da sie zusammengehören,
singen sie eben lieber, lieber Weihnachtsmann, ...nachtsmann, und
leider singen sie es vor Onkel Donalds Haus, und sie sind nicht
sehr musikalisch, sie singen nicht sehr schön. Donald ist zwar
auch unmusikalisch, aber er hört, wenn ihm etwas nicht gefällt,
er hört sogar besonders gut, weil ihm ja nie jemand zuhört
(die Neffen wissen schon, daß es immer in einer Katastrophe
endet, wenn sie es tun), also muß er selber hören, aber
nie auf sich - und oft genug auch fühlen, obwohl er gehört
hat. Also singen Ahörnchen und Behörnchen ihre Lieder
und werden von Donald mit großer List in ihrer tierischen
Wehrlosigkeit ausgeliefert wie der Mensch der Übermacht der
Technik ausgeliefert war, seit es sie gibt (so hat man sich das
zu Zeiten Donalds und seiner Freunde vorgestellt, heute ist der
Mensch nichts und niemandem mehr ausgeliefert, er hat sich ausgeleert,
er ist eine leere Fläche geworden, die nicht einmal mehr etwas
nachsagen, nachsprechen kann, geschweige denn etwas ergänzen,
das ein andrer gesagt hat, da müßten die Menschen ja
gehört haben oder sogar ahnen, was der gesagt haben könnte,
der andre), der Technik also war er ausgeliefert, dem Denken, das
sogar schon rechnen kann, obwohl es ewig in der ersten Klasse hängenbleibt,
weil es sich die dazugehörigen Zahlen nicht vorstellen kann,
das Denken kann sich ja nicht einmal sich selbst vorstellen; da
es also dieses Ausgeliefertsein gibt, hat man nicht die Möglichkeit,
die Welt von außen zu erkennen, einen Gewißheitsgrad
zu erwerben, der aus dem Berechnen kommt und aufgrund des Urteils
der Natur gefaßt wurde, aus dem man die Natur wieder zurückgewinnen
könnte. Aber die schaut jetzt ganz anders aus. Also nach Natur
schaut sie nicht mehr aus. O je, jetzt hat die Berechnung der Natur
(ihre Berechenbarkeit?) die ganze Natur kaputtgemacht! Da sitzen
die beiden in ihrem Baum, mitten in der Natur, und sie müssen
ihre Begegnungen mit der Mit-Natur niemals aufgeben, noch nicht
jedenfalls, obwohl die Technik sich bereits nähert. Ahörnchen
und Behörnchen sind die unscheinbarsten Gelegenheiten zu sein
und: nachdenklich zu sein, denn es muß immer nur eins denken,
immer abwechselnd, das andre spricht dem einen nach, und sie stehen
beide nicht auf dem Boden der Tatsachen, sie sitzen auf ihrem Baum.
Sie müssen nicht auf ihre Werke achten, denn sie haben Nüsse
gesammelt, und für diese Nüßchen haben sie ihren
Vorratsraum, und auch der ist im Baum, und auf dem Baum, da brauchen
die beiden Hörnchen keinen Wegweiser, sie hängen gegenseitig
nicht nur an den Ästen, wenn sie klettern, sie hängen
auch an ihren Vorstellungen, die alle irgendwie nußförmig
und mit hochprozentiger Liebe gefüllt sind, und in diese Vorstellungsrichtung
klettern sie dann weiter, hinauf, nicht um von sich eine Vorstellung
zu bekommen, eine zu haben oder eine zu geben, sondern um jede
Vorstellung, die sie sich voneinander machen könnten, wieder
abzugeben, aber auch wieder nur einander. Ihr Verhältnis ist
ein einfaches und ruhiges: alles gemeinsam tun, komme was da kommt,
wäre gewesen was da war. Sie brauchen keinen Kühlschrank
in der Nußkammer, wo die Vorräte lagern. Brauchen keine
Geräte. Sie lassen einander gegenseitig in ihre Welt hinein,
sie sind jeder des anderen Welt, sie lassen sich nicht draußen,
als wären sie fremde Gegenstände, Geräte halt, die
man benutzen kann oder auch nicht. Sie lassen sich jede Sekunde
herein, jeder in den andren. Das unterscheidet sie von uns: daß
sie einander bedenkenlos ineinander lassen, ohne daß je etwas
draußenbleiben muß. Und sie müssen diese Gelassenheit,
die sie in ihrer gegenseitigen Liebe (die sind doch nicht etwa Geschwister,
die beiden, oder? Keine Ahnung, kann auch sein) sich und einander
erweisen, weil sie sich ja nichts beweisen und eben auch nichts
erweisen müssen (die Nüßchen gehören beiden
gemeinsam!), sie müssen einander auch nicht helfen, sie SIND
einander Hilfe, weil sie nicht aufeinander angewiesen sind, das
heißt, sie sind schon aufeinander angewiesen, aber da sie
niemals getrennt sind, wissen sie nicht, was das heißt: auf
jemanden angewiesen sein, denn da ist kein Platzanweiser, der ihnen
so einen Platz zuweisen würde, da ist bloß ihre Höhle
im Baum. Da ist, da sie nichts haben, nur einander, keine Welt,
die sie zu sich hereinließen und die gleichzeitig draußen
vor bliebe, da sind keine Dinge, die absolut zu setzen wären
und keine, die bedient werden müssen, von höheren Wesen,
da ist keine Transzendenz... Ahörnchen und Behörnchen
sind gleichzeitig Jaja und Neinnein, so wie deine Rede soll sein;
sie beziehen sich auf nichts, was Bedienung fordern würde (Geräte!),
sie beziehen sich nur aufeinander, und da sie eins sind, ist diese
Beziehung auch eine vollkommene zu sich selber. Sie brauchen noch
nicht einmal eine Beziehung zur Natur, in der sie leben, denn sie
sind zwar Tiere, aber auch wieder nicht. Sie sind Tun und Lassen
gleichzeitig. Sie müssen nichts. Sie müssen nichts wandeln
und nichts verwandeln, auch nicht sich selbst. Und da sie keine
Verhältnisse haben, weder zu andren Tieren noch eben zur Natur
als solcher, da sie sich keinen Sinn vorstellen können, den
solch ein Verhältnis haben könnte, da sie nicht einmal
miteinander ein Verhältnis haben, sondern einfach sind sind
sind, bleibt in völliger Dunkelheit, welchen Sinn unser eigenes
Leben hat, das mir immer schon sehr unheimlich war, weil es so ausgeliefert
ist. Jeder, der allein ist, ist ausgeliefert, und wäre es der
Atombombe, deren Kraft ja auch aus der Natur kommt und die schon
seit Jahrzehnten auf uns zukommt, vielleicht bald ankommt und uns
alle wieder vor uns selbst in einer Katastrophe verbirgt, während
Ahörnchen und Behörnchen sich nur in ihrer gemütlichen
Höhle verbergen, wo sie das Miteinander selbst sind, ich weiß
nicht. Ich kenne ihr Geheimnis nicht. Die Atombombe ist als Geheimnis
viel größer, Ahörnchen und Behörnchen sind
ja eher klein, aber ich weiß nicht, es ist ein großes
Geheimnis, das in dem oft verlangten Sinn liegt: eins zu sein, ein
Geheimnis eben. Ich weiß nicht, wie die beiden Backenhörnchen
das machen, daß sie ein Geheimnis sind. Zumindest sind sie
mir ein Geheimnis. Wenn der Sinn eines Geheimnisses ist, sich irgendwann
einmal zu öffnen, dann ist es wiederum kein Geheimnis, was
sie sind. So wie die Tatsache, daß die Bombe nicht explodiert
(es aber jederzeit könnte), ihre Gefährlichkeit nur steigert,
so macht die Tatsache, daß Ahörnchen und Behörnchen
ihr Geheimnis nicht preisgeben, dieses Geheimnis nur umso undurchdringlicher.
Ich kenne diese beiden lieben Tiere vom Anschauen, vom Sehen. Daher
gibt es sie nicht. Ich habe sie in meiner Kindheit gesehen, daher
könnten sie jederzeit wiederkommen, was sie nur umso geheimnisvoller
macht.
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