Zu Brecht

Alles oder Nichts

Ich habe mit dem Werk Brechts immer meine Schwierigkeiten gehabt, und zwar wegen eines wie soll ich sagen selbstgewissen Reduktionismus, der seinen Gegenstand, wie einen Dauerlutscher, von allen Seiten her abhobelt, zuschleift, zuspitzt, bis das Gespenst eines Sinns den Mündern der Schauspieler, der die Gedichte Lesenden entschlüpft und dann, unrettbar, verschwindet. Das ist ein Werk, das aus der Gefahr kommt, dem deutschen Nazismus, doch, und das ist groß an Brecht: So wie er seinen Gegenstand entwickelt, ist das keine Gefahr der Existenz schlechthin, die den Menschen von seinem Geschick her gefährdet und die Entbergung (des Menschen wie seiner Hervorbringungen - Kunst!) notwendig wieder zur Gefahr macht, etwa im Heidegger'schen Sinn, sondern diese Gefährdung durch ein Raub- und Mordsystems wird in all seinen Ursachenszusammenhängen analysiert und benannt, und dann wird noch mit einem Zeigestock drauf gezeigt, dies ist der Kopf der Gefahr und dort ist ihr Schwanz. Man muß sie immer beim Kopf erwischen, diese Schlange.

Wenn man sich die, spielerisch und rasch hinskizzierten, Verbesserungsvorschläge an ein paar Gedichten Ingeborg Bachmanns ansieht, so kommt wiederum der (unangenehm herausfordernde) pointierungshafte Wahn Brechts zum Vorschein, die Dichtung auf etwas hin zu trimmen, ihr den Anschein zu nehmen, um sie umso besser, da sie ja jetzt wie ein Strauch beschnitten ist, zum Vorschein der, vielleicht, Vorwitzigkeit? zu bringen. Doch indem diese Bachmannschen Gedichte ausgedünnt wurden, um, angeblich, "Sinn" viel deutlicher vorzuzeigen, wird ihnen in Wahrheit ihr Geheimnis genommen, das Etwas, das sich eben "nicht ausgeht", nur damit dann unten ein Betrag auf der Rechnung stehen kann. Allerdings, wenn man diese sogenannten Verbesserungen genauer überprüft, merkt man wieder: Es ist nicht Besserwisserei, die dahintersteckt, wenn der Autor den Stift ansetzt, sondern offenkundig eine Notwendigkeit, also eine wieder zutiefst verinnerlichte Schöpfungswut, die Brecht diese Späne, wie er sie sieht, abhobeln läßt, auch nicht im Sinn eines guten Handwerkers, der ein Werkstück verbessern oder erst wirklich in Form bringen möchte, damit etwas entstehe und eine Funktion erhalte, was ja immer paradoxerweise auch Neutralisierung bedeutet, (aber die will er nicht, er will die äußerste Konkretion), sondern in einem existentiellen Sinn, damit diese Bewegung des Unnötiges Entfernens eine Vereinigung werde, eine Vereinigung der Funktion und der Bezeichnung zu einem Dritten, das dann seinen Namen und seinen Begriff bekommt, damit man von ihm einen, und zwar den einzigen Begriff bekomme, der möglich ist. Keine Mißverständnisse bitte! Und wenn doch, so werden sie ausgeräumt werden. Um dies zu erreichen, läßt Brecht Oppositionen, größtmögliche, gegeneinander antreten, Arm und Reich, Gut und Böse, Dumm und Klug, Bewußt und Unbewußt, etc. Damit er selbst diese Funktionen nicht abschleifen, neutr alisieren muß, läßt er sie das selber besorgen; sie schleifen sich also gegenseitig ab, bis zu dem

Griff, an dem man den Lutscher hält, und der ist leider immer das einzige, was einem bleibt. Man hat dann einen Kern in der Hand, eine Aussage, eine, die immer wieder gleich aussieht, aber man kann nichts mehr mit ihr anfangen, sie ist der Rest, der immer und gleichzeitig nie aufgeht. Doch mit welcher originären Leidenschaft sind diese versteinerten, leblos gewordenen Oppositionen gegeneinander vorgegangen, als die Hand ihres Schöpfers ihre Hinterbeine losließ! Gellendes Gebell! Kunst, die aus der äußersten Gefährdung entsteht, darf, wie es Brecht so manisch besessen vormacht, vielleicht nicht aus dem Ruder laufen, um dem Unerwarteten ein Erscheinen zu gestatten (in meinen Augen ist dieses Aus-dem-Ruder-Laufen am besten in der Fleißer, die ja, wenn man so will, von Brecht selbst bis auf ihr Skelett ausgebeindelt wurde, nur um danach umso mehr über ihre Ränder hinauszufließen, zu einem Dritten, Äußersten zu werden, das sich von keinem mehr eindämmen ließ), sie muß diese exemplarischen Gegensätze immer wieder in einer letzten Funktion aufgehen lassen, in der das größte Extrem, das unsere Zeit kennt, der deutsche Faschismus, einmündet in jede Zeit und jeden Ort. Aus dem Exemplarischen ins Extrem der vollkommenen Austauschbarkeit, denn das sind heute Stücke für jede Zeit und jeden Raum, für jedes Theater und jedes Wetter. Aber vielleicht ist das nicht Brechts Problem, daß das Exempel zu Jedem Beliebigen wird, sondern, da eben inzwischen Alles möglich ist, kann dieser Dichter auch Allen Alles bringen. Die Zeit hat all die Schleifarbeit in einer gigantischens Gegenbewegung wieder aufgehoben und aus dem Zugespitzten ein Überall und Alles gemacht. Nur wenn die Zeit sich ändert, was keiner sich wünscht, würde sich Brechts Dramatik wieder lösen können aus dieser Neutralisierung aller ihrer Funktionen. Ich versuche hier, merke ich gerade, Brech ts Stücke als eine Art Mode zu beschreiben, wie z.B. Roland Barthes eine Sprache der Mode entwickelt hat, und tatsächlich kommt mir dieses Werk in einem seltsamen Ausmaß "modisch" vor, und je mehr man es als zu jeder Zeit und jedem Anlaß passend beschreiben möchte, umso deutlicher trägt es seine Entstehungszeit vor sich her, was aber wieder ein Sich Entziehen ist, und vielleicht ist genau das der Punkt: Auch dieses Werk, bei dem sich scheinbar alles ausgeht, wie ich vorhin noch so selbstgewiß behauptet habe, widersetzt sich, merke ich jetzt beim Schreiben, letzten Endes wieder der Datierung und Eingemeindung, denn das Kunstwerk kann doch nicht alles und das auch noch gleichzeitig sein. Nur das Kunstwerk kann alles und das auch noch gleichzeitig sein, es kann sein und gewesen sein. Wenn z.B. die neueste Kleidermode einmal Lumpenlook, grunge, befiehlt, wenn sie also das, wogegen Brecht wie eine haushohe Welle sich erhoben hat, nämlich die Armut, die Ausbeutung von Menschen und die unermüdliche Benennung ihrer Ausbeuter, zu einer reinen Äußerlichkeit macht, so paradoxiert sie gleichzeitig die Armut wie den Luxus. Doch im Verschwinden dieser Oppositionen treten die Unterschiede immer unabweislicher hervor. Scheint unsere Zeit also alles nebeneinander möglich zu machen und scheint Brecht dadurch ein "veralteter", weil allzu "modischer" Autor zu sein, so ist er gleichzeitig auch einer, der diesen Vorhang vor den Unterschieden unermüdlich offenhält, ihn sogar aufreißt, wenn er einmal von selber zuzugehen droht. Dem Brecht'schen Werk geschieht es nicht recht, es ereignet sich nicht im Sinn eines eleganter Bauhaus-Baus, der uns heute und immer wieder "modern" erscheint aufgrund seiner Einfachheit und ausgewogenen, einfach, egal ob Wüste, Großstadt, oder Hochgebirge, überallhin passenden Form, sondern weil dieser Autor, gerade indem er Inhalt und Form so leidenschaftlich zur Deckung, zur Entsprechung zu bringen g ewünscht hat, reißt er den Spalt, jeden Spalt, immer wieder aufs neue auf, ja, er zeigt sogar noch auf das, was an dem Rätsel, der Denksportaufgabe nicht aufgeht, mir scheint, er zeigt inzwische nur mehr auf das, und da kommt die Bedeutung wieder zum Stillstand und die Kunst fängt an. Elend wird Luxus, Armut wird Schick, Engagement wird stumpf, aber es wird nichts einfach nur neutral, und zwar deshalb, weil es für den Dichter so sein mußte und nicht anders sein durfte, weil was Brecht gesagt hat kein Schwindel ist. So füllt er den Sinn in das Kleid der Form, und, indem diese Form durch den Dauerlauf der Zeit ständig von Auflösung bedroht ist, treten sie beide, gerade in der Bedrohung, nur umso deutlicher hervor, das geschieht, wenn man den unfaßbaren Reichtum des Bestehenden, mit einem einfachen System zu fassen versucht: Es bedeutet vielleicht nichts mehr, aber es mußte einmal gesagt werden. Der Rest ist nicht mehr Werk, sondern, in der höchsten Präzision, plötzlich delirantes Sprechen, Zungenreden, von Allem, von Allem gleichzeitig, und die Präzision wird nicht Beliebigkeit, sondern zu Allem, was sich denken und sagen läßt, gerade indem sie auch nur ein winziges Teilchen übrigläßt, das nicht ins Ganze hineingepaßt hat, aber leider trotzdem nötig war. Weil es das Ganze um sich herum erst festgehalten hat. Wie der Körper sein Kleid, die Sprache.

 

(Der Aufsatz erschien 1998 in der "Theater der Zeit")

 


 

Aufnahme: Berliner Verlag

 

 

Brecht aus der Mode

Ich interessiere mich sehr für Mode. Und da jetzt sogar der Hippielook der späten sechziger Jahre als grunge (eine Art modifizierter Lumpenlook) wieder modern geworden ist und sich natürlich inzwischen wieder, wie es mit der Mode halt so ist, verflüchtigt hat, frage ich mich, ob das Elend, die Armut und die Ausbeutung als literarische Gegenstände in Mode kommen und aus der Mode auch wieder verschwinden können. Brechts Ledermantel z.B., diese Ikone auf den Fotos, ein absichtlich schief genähtes Kleidungsstück (damit der Kragen schön abstehen konnte!), beweist mir, daß das Äußerliche, das dem literarischen Gegenstand "Aufgesetzte", Brecht sehr wichtig gewesen ist. Wenn aber die unermüdliche Benennung der Opfer wie ihrer Ausbeuter einerseits etwas diesen Lehr-Stücken seltsam Äußerliches bleibt, wie eben ein angenähter Kragen (obwohl die Benennung von Tätern und Opfern ja eigentlich die Hauptsache ist), so könnte man sagen, daß Brechts Werk, wie die Mode und deren Wiedergänger, seinen Datumsstempel deutlich sichtbar trägt. Doch gerade im Verschwinden der Gegensätze, die entlarvt sind als pure Äußerlichkeiten (Elend und Luxus, Armut und Reichtum), treten seltsamerweise die Unterschiede immer unabweislicher hervor, und genau das hat Brecht gewollt! Die grundsätzliche Spannung, nämlich der Riß zwischen dem Realen und dem Gesagten, wird bei Brecht unaufhörlich thematisiert. Die Sprache kämpft gegen ihren Gegenstand, der ihr übergestülpt ist wie Kleidung (nicht umgekehrt!), einen Gegenstand, der Mode ist, aber wie soll man jetzt Mode beschreiben? Man kann es nicht. So entziehen sich die Gegensätze Herr/Knecht etc., ähnlich wie Kleidung, der Beschreibung, spotten ihrer sogar, und wir müssen aus diesen Codes der Äußerlichkeiten, mit der die Mitglieder der Klassengesellschaft wie Kleidungsstücke katalogisiert werden, das eigentlich Wahre an solchen Äußerlichkeiten wiedergewinnen, also: hinter dem Stoff der Gegenstände die Gegensätze immer wieder suchen. Da uns das nicht gelingen kann, wie Brecht die Beschreibung nie wirklich gelingen konnte (weil diese ja alles was es zu beschreiben gäbe als Stoff dieser Beschreibung wieder aufbraucht), so bleibt auch in den Lehrstücken, die sich scheinbar total "ausgehen", ein unsagbarer, unbeschreiblicher Rest, über den man nicht mehr sprechen kann. Und nur über den kann jetzt gesprochen werden.

 

(Der Aufsatz erschien am 10.2.98 im "Berliner Tagesspiegel")

 


 

Das Maß der Maßlosigkeit

Sich bis zum äußersten entäußern, das tut der Dichter gern. Erst dann wird er ganz seine Äußerung, er geht in ihr auf und verschwindet. Brecht wollte alles geben, doch dafür mußte er viel aufnehmen, vielleicht mehr als andere. Und das Aufnehmen und das Abgeben stehen bei ihm in einem sehr wohldurchdachten Verhältnis zueinander, ja, die Abgabe erfolgt kontrollierter als bei den meisten anderen Autoren, denke ich. Er hat alles genommen; besonders viel, und das wird derzeit gerade wieder überall diskutiert, von den Frauen, die ihn geliebt und ihm mit der Kraft ihrer Zuneigung zu-gearbeitet haben, und es dann in den Mixer geschüttet, vielleicht wars aber auch eine Sanduhr, die immer nur umgedreht werden mußte, wenn sie leer war: Brecht, ein Sprachagglomerat, Sand der durch Sand rinnt, der eine vom andern nicht unterscheidbar. Oft fließt dabei Nahrung, wie u.a. Jürgen Manthey nachweist, der sich mit der auffallend ausgeprägten Oralität bei Brecht beschäftigt hat. Auch ein Dichter, der Hungerzeiten kennt, würde nicht unbedingt diese Leere in sich als eine des Magens auffassen, den er vielleicht von seinem Bewußtsein nicht immer unterscheiden kann. Das Bewußtsein stellt sich seinen Gegenstand vor und vergleicht ihn mit dem, was der Gegenstand für denjenigen, Der Es Weiß, bedeutet, also die Differenz zwischen Wahrheit und Wissen. Das was Brecht von den Dingen wußte, hat er ihnen in seiner Dichtung aufgezwungen, in der Ahnung, daß er es vielleicht doch nicht so ganz genau gewußt haben könnte, und daß er es den Dingen besser noch einmal und immer wieder sagen sollte, damit sie es nicht vergessen. In diese Entzweiung, in diesen immer offenen Spalt ( wie ihn auch die Frauen haben!) zwischen seinem Wissen und seinem Gegenstand also hat er das geschüttet, was immer greifbar (und offenkundig für ihn, einen meiner Meinung nach ewig nach der Mutter Schreie nden, der dauernd den Schnabel aufsperrt und unermüdlich alles darin einsammelt, was ihm da hineingeworfen wird) und vorstellbar ist: das Fressen. Dann erst die Moral, die aber am Fressen untrennbar dranhängt. Doch gerade in der Maßlosigkeit des ständig nach jeder Art von Nahrung Verlangenden muß Die Regel, die er selbst aufgestellt (oder die ihm hingestellt worden ist) hat, eingehalten werden, der Lehrzwang. Aus dem Leerzwang. Roland Barthes weist ja auch für den Libertin de Sade nach, daß dessen Verausgabungssucht längst keine schrankenlose ist. Das Essen, minutiös geschildert, ist nötig, um die Spermienbehälter der Herren wieder aufzufüllen (übrigens wird auch die Nahrung der vorgesehenen Opfer ebenso detailliert beschrieben!), nur um sie dann gleich wieder leeren zu können. Aber in der intrikaten Schilderung all der Nahrungssorten und ihrer Zubereitung wird wieder Ordnung gemacht, die Unordnung wird den Handelnden genau zugemessen, damit aus ihr möglichst schnell wieder Ordnung entstehen kann, das Lehrstück, das Gedicht mit der Moral am Schluß (das auf diese Moral hin geschrieben ist!). Doch diese genaue Bestimmung erfolgt bei de Sade im Hinblick auf die Unzucht, bei Brecht auf das Bewußtsein der Selbstvergeudung als Künstler hin, auf die der Dichter, trotz der Zucht, die zwischen seinen Schenkeln und auf seinem Schreibtisch immer wieder hergestellt, ja wie eine Ware erzeugt worden ist (damit seine Frauen "bei der Stange" blieben), größten Wert gelegt hat, aus der Ahnung heraus, daß ihm ohnedies nichts andres übrigblieb. Denn da ist immer ein Rest, der dem Dichter, der sich das schon manchmal selber gedacht hat, nicht zu Gebote steht, und der sich niemals zwingen läßt.

 

(Der Aufsatz erschien am 5.2.1998 in der ZEIT)




Zu Brecht © 1998 Elfriede Jelinek

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