In den Waldheimen und auf den Haidern

Heinrich-Böll-Preis-Rede

Ich komme aus einem Land, von dem Sie sich sicher ein Bild gemacht haben, denn es ist bildschön, wie es so daliegt inmitten seiner eigenen Landschaft, die ihm ganz gehört. Sicher haben Sie schon Bilder davon gesehen.

Das Land ist klein aber mein, und seine Künstler dürfen in ihm wohnen, falls man sie läßt. Denn in Österreich wird kritischen Künstlern die Emigration nicht nur empfohlen, sie werden auch tatsächlich vertrieben, da sind wir gründlich. Ich erwähne nur Rühm, Wiener, Brus, die in den sechziger Jahren das Land verlassen haben. Ich erwähne nicht Jura Soyfer, der im KZ ermordet worden ist, denn das ist zu lang vergangen und daher zu lang schon vergessen und, vor allem, vergeben, denn uns verzeiht man einfach alles.

Und dem Thomas Bernhard hat der zuständige Minister (nicht der Gesundheitsminister) empfohlen, aus sich einen „Fall" für die Wissenschaft zu machen. Er hat nicht die Literaturwissenschaft gemeint. Gegenstände für die Hirnforschung sollen wir Künstler also werden, weil wir zuvielen schönen Dingen, die in Österreich passieren, entgegenstehen. Was hätte Heinrich Böll darüber geschrieben?

So haben Polizisten den Peter Handke aus der Salzburger Telefonzelle gezerrt. So ist Achternbuschs Film „das Gespenst" verboten worden. Heinrich Böll hätte gewiß etwas dazu gesagt.

In den Waldheimen und auf den Haidern dieses schönen Landes brennen die kleinen Lichter und geben einen schönen Schein ab, und der schönste Schein sind wir. Wir sind nichts, wir sind nur was wir scheinen: Land der Musik und der weißen Pferde. Tiere sehen dich an, sie sind weiß wie unsere Westen, und die Kärntneranzüge zahlreicher Bewohner und deren befreundeter Politiker sind braun und haben große Westentaschen, in die man viel hineinstecken kann. So sieht man sie in der Nacht nicht allzu deutlich, diese mit dem Geld befreundeten Politiker und deren Bewohner (das Wahlvolk, das Volk ihrer Wahl, das die Politiker in ihren Herzen herumtragen), wenn sie wieder einmal slowenische Ortstafeln demolieren gehen. Vielen von ihnen würden, nach eigener Aussage, gern noch einmal nach Stalingrad gehen, wenn sie nicht die ganze Zeit damit beschäftigt wären, die Kommunisten im eigenen Land zu bekämpfen.

Heinrich Böll hätte hier sehr viel gesagt, aber man hätte es ihm erst erlaubt, nachdem er den Nobelpreis bekommen hat. So wie sich kaum jemand ernsthaft bemüht hat, einen Elias Canetti nach Österreich zurückzuholen, denn Juden haben wir zwar so gut wie keine mehr, aber immer noch zuviele. Und ab und zu nehmen sich „ehrlose Gesellen vom jüdischen Weltkongress" (Originalzitat aus einer Rede des General Sekretärs der großen österreichischen Volkspartei) ihrer an, obwohl wir doch gar nichts tun außer fremde Betten für den Fremdenverkehr beziehen und daher auch niemals etwas getan haben.

Wir wollten doch nur ein bißchen in deutschen Betten liegen, wer hätte uns das nicht gönnen wollen? Aber wir sind es nicht gewesen, und daher hat man uns - im Jahre 1955 selbstverständlich oder wann dachten Sie denn?- auch ordnungsgemäß befreit! Wir sind überhaupt die Unschuldigsten und sind es daher auch immer gewesen. Jetzt ist einLiteraturstipendium nach Canetti benannt, Hauptsache, er selbst bleibt fort. Dann führen wir ihn sogar im Burgtheater auf, vorausgesetzt seine Stücke sind nicht zu lang. Grüß Gott.

Wir müssen uns nur im richtigen Moment klein machen, damit man uns nicht sieht, wie wir grade unsere Weine pantschen; wir müssen uns nur im richtigen Moment noch kleiner machen, damit man uns nicht sieht und auch unsere Vergangenheit nicht, wenn wir Bundespräsident, also das Höchste was es gibt, werden wollen. Und wir müssen uns im richtigen Moment auch groß zu machen verstehen, damit wir in die Weltpresse hineinkommen, und zwar selbstverständlich positiv, denn wir leben ja wirklich in einem schönen Land, man kann es sich anschauen gehen, wann immer man will!

Auch ich gehe jetzt dorthin zurück, vorher bedanke ich mich aber noch sehr herzlich für meinen Preis und gedenke liebevoll und traurig dessen, nach dem er benannt ist. Ich wollte, ich könnte ihn - Heinrich Böll - mitnehmen, er hätte bei uns viel zu tun.

 

Rede gehalten am 2.12.1986 in Köln. Erschienen in der "ZEIT" 50 (1986); auch in: Alms, Barbara (Hrsg.), Blauer Streusand, Frankfurt am Main 1987, S. 42-44


In den Waldheimen und auf den Haidern © 2000 Elfriede Jelinek

 

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