In Mediengewittern

Na ja, also in einem Gewitter ist es vielleicht nicht schlecht, einen Unterstand zu haben. Wenn man von zuhause flüchtet, weil dort der Fernsehapparat tobt, dann kann man genauso gut ins Theater gehen. Zuhause stellt einem der Fernseher vor, was ist bzw. was der Fernseher dafür hält. Er hat ja seine Erdherrschaft angetreten, um uns das ununterbrochen zu sagen. Das Theater sagt es kürzer. Man geht hinein und kommt auch meist lebend wieder heraus. Man wird im Theater dann einem ganz bestimmten Regen, jeder seinem eigenen, ausgesetzt. Das Fernsehen hat längst Macht über die ganze Welt. Das Theater hat keine Macht, höchstens über manche, die drinnen sind. Das Theater weitet  den Umkreis der Menschen ein wenig aus, er ist doch normalerweise sehr klein,  dieser Umkreis, er ist nur ein Teil unsres Zum-Wohlsein-Zimmers, und ein ganz neuer Kreis von Menschen kommt, zumindest was meine Stücke betrifft, aus dem Fernsehgerät auch wieder heraus und geht ins Theater. Ich schreibe beim Fernsehn oft mit. Von dort geht der Menschenkreis ins Theater, wohin die Leute ja eigentlich vor ihm, dem Gerät, geflüchtet sind. So treffen sie einander wieder, die Bilder aus dem Kasten und die Bilder auf der Bühne. Aus dem Fernseher sprechen die vielen Stimmen und Bilder, die die Welt umkreisen, ohne sie je zu verstehen, denn sie umkreisen in Wirklichkeit nur die Macht, der sie dienen, immer, und ihr Zweck ist, daß wir uns mit dieser Macht abfinden, indem man sie uns unaufhörlich, aber nur scheinbar erklärt. Die Macht erklärt sich dort, und zwar immer selbst, sie duldet nicht, daß sie ein andrer erklärt, und indem sie sich erklärt, bewundert sie sich selbst, und was ist dieser Selbstzweck? Daß wir uns mit ihr abfinden, denn der Fernseher erklärt sie uns als etwas Unabweisliches und Unabwendbares. Die Geschichte nimmt ihren Gang, und dieser Gang mündet im Fernsehzimmerchen, das eben: sehr klein ist. So einen langen Gang hätte man nicht machen müssen, um zu wissen, wie die Macht sich selbst definiert. Sie sagt schlicht: Ich bin die Macht, ich bin so und so, das können Sie nicht ändern. Es darf nichts gefragt werden, denn unser Fernseher antwortet nicht, außer er stellt eine Zuseherfrage an uns.

Aber das Theater. Genau weiß ich es ja auch nicht, aber dort versuche ich, den Ausblick auf diese Macht, die uns beherrscht, wie soll ich sagen: herauszulösen. Wie man ein Tier ausbeint. Ich kann ja auch nichts an der Macht ändern, aber ich kann die Wesen wie Blitze auf die Bühne schleudern, aus der Enge eines Apparats heraus, aber auch aus Zeitungsartikeln, Büchern, aus mir selbst. Jedenfalls soll eine Art Denken, also ein Fragen, das nicht auf seine Beantwortung besteht, daraus entstehen, aus dem, was ich da auf die Bretter werfe, in einer Art Entrümpelungsaktion meines Gehirns. Der Fernseher antwortet nur. Ich frage nur. Ich frage ja nur. Das werde ich doch wohl noch dürfen! Die Wesen auf der Bühne fragen ebenfalls, alle durcheinander. Man versteht, im Gegensatz zum braven Fernsehsprecher, kein Wort, aber aus dieser Vielstimmigkeit, die scheinbar alles erklärt, bevor noch gefragt wurde, werden plötzlich nichts als Fragen,  noch viel mehr Fragen, obwohl eben scheinbar nur Antworten gegeben werden. Die Leute werden mit einer Art Dekorierspritze, wie die Zuckerbäcker sie haben, nein, nicht verziert, nicht hübsch hergerichtet, sondern sie werden  in ihre Denkhemden eher: hineingepreßt. Ob sie wollen oder nicht. Sie werden nicht mit dem Berieselungsschlauch abgespritzt, sie werden vielmehr aus sich herausgerissen. Sie sollen nicht wissen, sie sollen nichts mehr wissen. Die Macht interessiert mich dabei am meisten, und durch Erklärungen aus dem Fernseher werden Sie sie nie verstehen. Auch durch mich werden Sie sie nicht verstehen, aber Sie werden zumindest sehen, daß sie da ist. Eine graue, grauenhafte Anwesenheit, die Macht. Es soll, ich versuche es, meist erfolglos, aber ich versuche es, diese Anwesenheit soll durch meinen unfreien Willen herbeigeführt werden (unfrei deshalb, weil ich ja selber der Macht immer unterliegen muß). Ich führe Personen auf die Bühne, die die Macht wie einen ausgezogenen Fetzen hinter sich herschleppen, und wenn der Fetzen bis ins Kleinste noch weiter zerfetzt ist, zerfetzt sich die Macht irgendwann selbst. Sie zerreißt ihren eigenen Körper vor Wut. Die Macht will sich selbst auf Personen aufteilen. Sie will nicht, daß ein Autor das tut. Dagegen kann sie sich aber nicht wehren. Jetzt spreche ich. Jetzt sage ich, was ich sagen will. Daß ein Theaterstück anfängt und wieder aufhört, ist ja schon subversiv, keine Macht kann je erreichen, daß sie anfängt und wieder aufhört, sie ist immer da, wie der Ewige. Und da zwingt ein Autor, eine Autorin sie anzufangen. Einfangen kann man sie nicht, aber man kann sie zwingen, anzufangen und aufzuhören. Weil sie einen Anfang hat. Warum muß sie überhaupt anfangen? Weil wir sie brauchen? Ihr ist jedes Mittel recht, um da sein und sich über uns legen zu dürfen. Aber das Mittel Theater ist ihr gar nicht so recht, in diesem blinden Spiegel will sie sich nicht betrachten. Sie will sich nicht selbst anschauen. Sie will aus dem Fernsehapparat herausschauen und lieber uns betrachten, damit sie sich unserer bemächtigen und uns übermächtigen kann. Da die Personen auf der Bühne jedoch scheinbar alles machen können, in die Leere hinein, untergräbt gerade dieses Machen, indem ich dessen Unbehindertsein sozusagen vor Publikum ausstelle (ich sage den Personen ja, was sie sagen sollen auf der Bühne, und der Regisseur sagt ihnen, was sie dazu für Bewegungen machen sollen, damit wir bewegt sind), die lähmende Tatsache, daß die Macht jedem einzelnen den Boden abgräbt.  Die Macht wird durch das Machen (und das Gemachte) sozusagen ausgehöhlt. Am Theater bekommt der Zuschauer wieder einen festen Boden unter die Füße, indem die Figuren, die er sich anschaut, auch jeweils ihren eigenen Boden haben. So wird vor der Bodenlosigkeit, der Verwüstung, der Kriegszertrümmerung, den endlosen Politikerreden, den langgeschweiften Diskussionen, ein Vorhang hochgezogen (weggezogen?), und diese Macht scheint mild auf uns zurück, als Widerschein ihres Gegenteils, das ich auf sie losgelassen habe. Nicht als etwas, das an der Leine zerrt und kläfft und mir nicht folgt, sondern als etwas, das ich gemacht habe. Als etwas, das man sich nehmen kann, nicht als etwas, das ist. Die Macht herrscht nicht mehr über die ganze Welt, sondern nur noch über einen abgegrenzten Raum, und daher kann man anfangen, mit ihr zu spielen.

 

(Antwort auf die Frage: "In Mediengewittern - die Theater überflüssig?" für Theaterbrevier, hsg.: Ausschuß für künstlerische Fragen im Bühnenverein)

 

28.4.2003


In Mediengewittern © 2003 Elfriede Jelinek

 

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