Kompetentes Komprimieren

(wenige Gedanken zu Samuel Beckett)

Beckett ist für mich der Autor der radikalen Reduktion. Das macht ihn zu einem sehr männlichen Autor, denn die Souveränität, etwas wegzunehmen, indem man erschafft, hat die Frau nicht und bekommt sie auch nicht. Im Dunkel im Dreck etwas wegnehmen als ein nicht-reinigender Vorgang, sondern einfach als ein Vorgang, das könnte es sein - denn es wird weder Dunkel noch Dreck weggeräumt. Als ob der Dichter Vergangenes und Orte, wo er nie gewesen ist wie eine „schlecht geleerte von mir weggeworfene Büchse“, die alles ist, was man erhoffen kann, auch noch komprimieren, zusammendrücken würde, aber nachdem er sie weggeworfen hat. Er muß sie dafür nicht eigens nochmal aufheben, denn aufgehoben kann sowieso nichts werden. Es, das ausgesprochen ist, wird schon komprimiert, bevor das Nicht Komprimierte überhaupt dargeboten wird. Was wir sehen, sind nur die Rudimente von kurzen Bewegungen, und was wir hören, ist keinerlei Laut, aber dieses Komprimieren ist dafür ohne Ende, obwohl nach erfolgtem Vorgang des Zusammendrückens doch etwas hätte übrigbleiben müssen. Es verschwindet ja nichts. Er, dieser Dichter, schneidet die Dinge, ohne Anfang und Ende, aus etwas heraus, das wir nicht kennen können, obwohl er es selbst bestimmt (z.B. „also plötzliche Wendung nach links das ist besser fünfundvierzig Grad und zwei Meter geradeaus so mächtig ist die Gewohnheit dann nach rechts rechter Winkel und geradeaus vier Meter teure Zahlen....“etc.). Wo fängt es an? Wie geht es weiter? Es geht weiter. Aber sonst steht nichts fest. Solche Fragen (ausgerechnet in der Literatur!) stellt Beckett nicht, und er stellt sich ihnen nicht.  Er stellt sich nichts und niemandem. Denn wo die Wegnahme von Millionen Menschen möglich war, kann sich nichts mehr stellen. Es wäre vorher schon verschwunden, und da ist nichts mehr festzuhalten, höchstens Fetzen sind es, die von verlorenen menschlichen Bewegungen sprechen könnten, wenn sie wollten. .... „keinerlei Laut zwei und zwei zwei mal zwei und so fort“. Aber nicht sinnlos etwas sagen, sondern einfach etwas sagen, das aus dem Nichts herausgeschnitten wurde und jeden Moment auch etwas anderes sein könnte, das gesagt wird, indem kein Millimeter von diesem Sprachband, diesem Letzten Band, fehlen oder hinzukommen darf, das könnte man sich als Becketts Empfindung vorstellen, falls er eine hatte. Ich glaube, er hatte wahrscheinlich keine, damit nichts sich in ihm einnisten konnte. Das hat er sich sicher verbeten. Da ist keine Schwelle, die einem das Hereintreten erleichtern würde, und trotzdem wird dieses Hineintreten in die Sprache nicht verläßlicher, indem es erleichtert wird. Es wird nicht erleichtert. Keiner erleichtert sich. Und keiner kann je erleichtert sein, denn er bleibt im Ungewissen, das kein Gewissen kennt, sondern nur das im Dreck Herumkriechen. Ich war eine Dose - das war einmal ein Spruch, der für Blech-Recycling geworben hat. Keine Dose ist ich, könnte Beckett gesagt haben. Aber nicht einmal eine kleine Dosis Ich können seine Figuren ertragen. Nicht weil sie sind, was sie sind, sondern weil sie nicht sind, was sie nie sein konnten. Kein Balken, kein Tor, nichts, was trägt. Nichts Tragendes also. Vielleicht viel Ertragendes, indem seine Figuren und Dinge etwas heißen. Nein, sie heißen nicht. Aber sie heißen nicht nichts.

Erschienen am 8.4.2006 in der Literarischen Welt
(Zitate aus: „Wie es ist“)

 


Samuel Beckett

 

13.4.2006


Kompetentes Komprimieren © 2006 Elfriede Jelinek

 

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